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fünf publizistischen Abhandlungen (»Prelatical episcopacy«, »Reason of church« etc., 1641 u. 1642), in welchen Milton sich gegen den Grundschaden der englischen Reformation erhob, die anglikanische Kirche durch Verschärfung der bischöflichen Verfassung dem Katholizismus wieder anzunähern. Die Schenkung Konstantins, welche die weltliche Macht und den Reichtum der Papstkirche gegründet, bezeichnet Milton mit Dantes Worten als »die wahre Büchse der Pandora«, und den Katholizismus überhaupt erklärt er in diesen Schriften für eine politische Partei, welche unter dem Schein einer Kirche die priesterliche Tyrannei anstrebe.
Inzwischen hatte sich Milton, in seinem 35. Jahr stehend, mit Mary Powel, der Tochter eines Landedelmanns in Oxfordshire, vermählt. Die Ehe war aber sehr unglücklich. Die in royalistischen Anschauungen erzogene, vergnügungssüchtige Frau entfloh bereits nach einem Monat ihrem puritanischen Gatten. Vergeblich versuchte Milton sie zurückzuführen und verfaßte nun vier Schriften über die Ehescheidung (1643-45; deutsch von Holtzendorff, Berl. 1855), welche er, entgegen den Anschauungen der damaligen Zeit, verteidigte, und zwar will er die Entscheidung über die Trennung der Ehe nicht den Gerichten, sondern, der altjüdischen Anschauung entsprechend, nur dem Gewissen des Mannes überlassen. Um dieselbe Zeit schrieb Milton, mit der Erziehung der Kinder einiger Freunde beschäftigt, ein Buch über Erziehung, in welchem er einen freien, wahrhaft klassischen Jugendunterricht forderte.
Mittlerweile hatten die Presbyterianer im »langen Parlament« die Oberhand gewonnen; sie bewiesen aber die gleiche Unduldsamkeit wie die gestürzten Bischöflichen und beschlossen (1644),
daß für den Druck jeder Schrift eine Lizenz eingeholt werden müsse. Da richtete an das Parlament die »Areopagitica« (1644), jene berühmte Rede zum Schutz der Preßfreiheit, die schönste seiner prosaischen Schriften, wo er unter anderm den Gedanken ausspricht: wer ein Buch vernichte, töte die Vernunft selbst;
denn es sei möglich, daß eine Wahrheit, einmal gewaltsam unterdrückt, nie wiederkehre in der Geschichte.
Darauf verbrachte Milton in stiller Muße vier Jahre (1645-49), mit einer »Geschichte Englands in der angelsächsischen Epoche« beschäftigt. Als die republikanische Partei zur Gewalt gelangt war, ernannte ihn der regierende Ausschuß des Parlaments zum Geheimschreiber des Staatsrats für die lateinischen Ausfertigungen. In dieser wichtigen und einflußreichen Stellung, die er während der ganzen Dauer der Republik bekleidete, veröffentlichte er 1649 die schon vor dem Tode des Königs begonnene Schrift »The tenure of kings and magistrates«, eine unbedingte Rechtfertigung der Hinrichtung Karls I. nach Gründen des Naturrechts.
Indes war der Spruch gegen das Recht des Landes gefällt; in der Person des Königs schien die Sicherheit jedes Bürgers bedroht, und diese Stimmung ward von den Kavalieren benutzt. Der Bischof von Exeter verfaßte die Schrift »Eikon basilike, das Bildnis Seiner geheiligten Majestät in seiner Einsamkeit und Qual«. Das anonym erschienene Buch, das sich für ein nachgelassenes Werk des Königs selbst ausgab, war bald in 47 Auflagen im Land verbreitet, und fortan lebte der meineidige Stuart als ein edler, großmütiger Herr in den Herzen der Masse.
Unverzüglich antwortete Milton mit seinem »Eikonoklastes« (»Bilderstürmer«),
worin er den Betrug enthüllte und treffende Worte über die Schwäche sprach, welche die großen öffentlichen Sünden eidbrüchiger Fürsten über den kleinen Tugenden ihrer Häuslichkeit vergißt. Da schrieb der gelehrte Saumaise (Salmasius) »für den Judaslohn von 100 Jakobsthalern« die »Defensio regia«, welche Milton mit der »Defensio pro populo anglicano« (1651) beantwortete: gegenüber den erkauften Schmähungen jenes französischen Reformierten verkündet er die Freiheit als ein angebornes Recht der Völker und spricht der Nation das Recht zu, einen verräterischen Tyrannen zu richten und zu strafen.
Das Buch ist eine Oppositionsschrift von weltgeschichtlicher Bedeutung; es wurde das politische Erbauungsbuch der Puritaner und in ganz Europa [* 2] begierig gelesen. In Paris [* 3] und Toulouse [* 4] ward die Schrift durch Henkershand verbrannt, während das Parlament dem Verfasser eine Belohnung von 1000 Pfd. Sterl. zuerkannte. Milton führt als Präzedenzfälle für die Hinrichtung Karl Stuarts Osiris, [* 5] Saul, David und die Erhebung des Schmalkaldischen Bundes wider Karl V. an; der Schwerpunkt [* 6] seiner Beweisführung liegt aber in dem Idealismus seiner naturrechtlichen Doktrin: die Freiheit ist dem Menschen angeboren.
Übermäßige Anstrengung bei Ausarbeitung dieser Schrift, mit der er vom Staatsrat beauftragt worden, hatte indessen seine gänzliche Erblindung zur Folge. Einige kleinere Flugschriften im Interesse der Republik (»Upon the model of common wealth«, »Ready and easy way to establish a free common wealth«) beschließen die Reihe seiner prosaischen Schriften. Miltons Staatsschriften dienten der Politik Cromwells, dessen Hoffnung es war, »den gesamten protestantischen Namen in brüderlicher Eintracht zusammenzuknüpfen« und diese gesammelte Macht dem Haus Habsburg entgegenzustellen.
Nach dem Fall der Republik und der Wiedereinsetzung der Stuarts hatte Milton von seiten der rachedürstenden Royalisten und Presbyterianer harte Verfolgungen auszustehen. Am wurde die »Defensio« öffentlich durch den Henker verbrannt, und nur der Verwendung einflußreicher Freunde gelang es, den bereits verhafteten Dichter zu befreien. Einsam und verlassen kehrte Milton ins Privatleben zurück, das sich jedoch keineswegs glänzend für ihn gestaltete. Seine erste Frau war 1652 unter Hinterlassung von drei Töchtern gestorben.
Nach Jahresfrist, in den Tagen seines politischen Wirkens, hatte er sich mit Katharine Woodcock vermählt, die aber schon vor Ablauf [* 7] eines Jahrs ebenfalls starb. Die dritte Ehe, die der 50jährige hilfsbedürftige Blinde auf das Zureden seiner Freunde einging, war ebenso unglücklich wie die erste. Dazu war sein Vermögen in den Wirren des Bürgerkriegs verloren, sein Haus im großen Londoner Brand (1666) zu Grunde gegangen. So starb er in kümmerlichen Verhältnissen in Bunhill bei London [* 8] und wurde in der Kirche St. Giles begraben; 1737 setzte man ihm ein Denkmal in der Westminsterabtei.
Das persönliche Leid der letzten Lebensjahre hatte Miltons starken Geist sowenig gebeugt wie das staatliche Elend. Er nahm seine poetische Thätigkeit wieder auf und kehrte zum Vorsatz seiner Jugend zurück, ein großes Epos zu schaffen. Aber alle Pläne weltlicher Dichtung, die er vorzeiten gehegt, stieß er jetzt von sich; nur dem Höchsten sollte sein Dichten gewidmet sein. So entstand das Werk, auf welchem Miltons Dichterruhm vornehmlich beruht: »The paradise lost« (12 Gesänge, in reimlosen Iamben gedichtet), das den Sündenfall des ersten Menschenpaars episch darstellt und zwar in der Art, daß die Tragödie des Paradieses sich auf die Idee des tragischen Kampfes zwischen Himmel [* 9] und Satan baut. Das Gedicht erinnert an die »Göttliche Komödie«, das ¶
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ältere große christliche Epos, wie überhaupt Milton mit Dante wesentliche Eigenschaften gemein hat; aber wenn Dantes »Komödie« in dem Glaubensbekenntnis kulminiert, welches der Dichter den Aposteln ablegt, und in der schließlichen Anschauung der Trinität, so ist bei Milton der Grundton das Pathos der Freiheit, welches ohne Selbstgewißheit sich keinem Dogma unterwirft: er ist der eigentliche Dichter der protestantischen Glaubensfreiheit. Zudem sind uns Miltons Personen näher gerückt und erwecken eine lebendigere Teilnahme, weil der Dichter sein Material mehr zu einer dichterisch wirklichen Geschichte zu gestalten weiß. So wertvoll im einzelnen, so großartig durch Kühnheit des Plans das »Verlorne Paradies« indes bleiben wird, so wenig kann man das Werk doch heutzutage mit reinem Genuß in sich aufnehmen.
Die oft weit ausgesponnenen, an das klassische Altertum sich anlehnenden Bilder erinnern nicht selten an den Schwulst der spätern lateinischen Dichter, zumal des Lucanus in seiner »Pharsalia«. Viel störender noch wirkt das dogmatische Moment, das uns mehr den scharfsinnigen Gelehrten als den Dichter in Milton bewundern läßt. Von unvergleichlicher Kühnheit und Erhabenheit ist das Bild des Satans. Ihn quält der doppelte Gedanke an die verlorne Glückseligkeit und die ewige Verdammnis; aber geblieben sind ihm »der unzähmbare Wille, der Rache Drang, der unsterbliche Haß, der Mut, der nie sich unterwirft und beugt«.
An der prachtvollen Rhetorik dieses Höllenfürsten hat der jüngere Pitt sein Rednertalent geschult. Wie uns aber der poetische Gott-Vater und Gott-Sohn Miltons ein Interesse schwerlich abgewinnen können, so mutet uns auch sein erstes Menschenpaar, Adam und Eva, seltsam genug an, ebenso die juristisch scharfsinnige Motivierung des Sündenfalls. Diese gelehrten, philosophisch geschulten Reden Adams und der verführenden Eva rufen allerdings die spöttische Verwunderung darüber wach, daß so gebildete Leute unbekleidet einhergehen (vgl. die treffliche Analyse des Gedichts in Taines »Histoire de la littérature anglaise«, Bd. 2, Par. 1873). Daneben aber enthält das Gedicht zahlreiche lyrische Ergüsse von höchstem poetischen Wert.
Von großer Kühnheit ist der Flug Satans durch den Abgrund des Chaos, rührend der Hymnus des blinden Dichters an das Licht, [* 11] kunstvoll die Beschreibung des Paradieses, lieblich die der Liebe des ersten Menschenpaars, prachtvoll die Erscheinung des Gottessohns in den Schlachtreihen der himmlischen Heerscharen. Das Werk, 1665 vollendet, fand nicht sogleich einen Verleger und erschien erst 1667 in 1. Auflage, die dem Dichter 5 Pfd. Sterl. Honorar einbrachte. Eine Faksimilereproduktion derselben veröffentlichte Masson (Lond. 1876). Die 2. Auflage erschien 1674, die 3. nach Miltons Tod (1678). 1680 kaufte ein gewisser Samuel Simmons der Witwe das ganze Verlagsrecht für 8 Pfd. Sterl. ab. Zu vollem Ansehen gelangte das Werk erst im 18. Jahrh., besonders durch Addisons Bemühung. In Deutschland [* 12] gab es einen mächtigen Anstoß zum neuen Aufschwung der Nationallitteratur: Klopstock ward besonders durch das »Verlorne Paradies« zu seinem »Messias« angeregt;
auch Lessing spricht anerkennend, bisweilen bewundernd von Milton. Übersetzt wurde das Gedicht zuerst von Th. Haake (gest. 1690), doch ist diese Übersetzung jetzt verloren;
dann von Bodmer (Zürich [* 13] 1732), Zachariä (Altona [* 14] 1762), Bürde (Berl. 1793), Prieß (Rost. 1813), Rosenzweig (Dresd. 1832), Kottenkamp (Stuttg. 1841), A. Böttger (s. unten), Schuhmann (2. Aufl., Stuttg. 1877), Eitner (Hildburgh. 1867).
Milton hat später noch ein »Paradise regained« geschrieben, das die Versuchung Christi in der Wüste zum Stoff hat, aber, trocken lehrhaft und frostig, keine ästhetische Freude zu erregen vermag. Sein letztes Werk ist das in griechischer Form geschriebene Trauerspiel »Samson Agonistes« (1671), das vorwiegend lyrisch und daher als Drama verfehlt ist, aber, als ein erhabener Klagehymnus in dialogischer Form betrachtet, das ästhetisch vollendetste von Miltons Gedichten genannt werden muß.
Späterhin gab es die Unterlage für Händels berühmtes Oratorium »Samson«. Miltons »Poetical works« sind gesammelt worden von Hawkins (Lond. 1824, 4 Bde.) von Masson (1874, 3 Bde.),
von Mitford (1873, 2 Bde.). Kommentare dazu lieferten Bentley, Newton, Pearce, Th. Warton u. a. Seine »Prosaic works« veröffentlichte Fletcher (Lond. 1833),
die »Complete works« ebenderselbe (das. 1834-38, 6 Bde.) und Mitford (das. 1851, 8 Bde.; neue Ausg. 1862). Eine Übersetzung von Miltons »Poetischen Werken« lieferte A. Böttger (5. Aufl., Leipz. 1878),
der »Politischen Hauptschriften« Bernhardi (Berl. u. Leipz. 1871-79, 3 Bde.). Miltons Leben beschrieben unter andern S. Johnson (in den »Lives of English poets«),
A. Keightley (Lond. 1859), D. Masson (das. 1859 bis 1879, 6 Bde.) und Pattison (das. 1880).
Vgl. Alfr. Stern, und seine Zeit (Leipz. 1877-78, 2 Bde.);
Schmidt, Miltons dramatische Dichtungen (Königsb. 1864);
Treitschke, Historische und politische Aufsätze, Bd. 1 (5. Aufl., Leipz. 1886);