Als solchen stellte er ihn seinem
FreundGoethe in
Weimar
[* 7] vor, dessen
Interesse die Leistungen des Wunderknaben mächtig
erregten (vgl.
Karl Mendelssohn-Bartholdy [sein Sohn],
Goethe und
Felix Mendelssohn-Bartholdy, Leipz. 1871). Auch zu I. ^[Ignaz]
Moscheles (s. d.) trat die
Familie
in enge Beziehung, als derselbe 1824 in
Berlin konzertierte und während seines dortigen Aufenthalts Mendelssohn-Bartholdy unterrichtete. Nachdem
endlich auch
Cherubini in
Paris,
[* 8] dem Mendelssohn-Bartholdy 1825 zur
Prüfung vorgeführt ward, in befriedigendster
Weise sein
Urteil über ihn abgegeben, stellte der
Vater dem Vorhaben des
Sohns, die
Musik als
Beruf zu wählen, kein Hindernis mehr entgegen.
Mendelssohn-Bartholdy widmete sich demselben nun mit regstem
Eifer, ohne dabei die schon früher betriebenen wissenschaftlichen
Studien zu vernachlässigen.
Mit den alten
Sprachen machte er sich so vertraut, daß er beispielsweise eine deutsche Bearbeitung der
»Andria« des Terenz veröffentlichen konnte, welche die
Anerkennung selbst der
Gelehrten fand. Desgleichen eignete er sich eine
bedeutende Fertigkeit in den neuern
Sprachen an. Mit dem
Zeugnis der
Reife bezog er 1827 die
Berliner
[* 9]
Universität, wo er zwei
Jahre hindurch eifrig
Philosophie studierte. Nach dieser Zeit, von 1829 an, trat aber die
Neigung zum
Komponieren
derart in den
Vordergrund, daß er beschloß, nun öffentlich als Fachmusiker aufzutreten.
Anfang 1829 vollbrachte er in
Berlin noch ein verdienstvolles Werk, indem er die »Matthäuspassion«
von
Seb.
Bach, welche fast 70 Jahre im
Staub der Vergessenheit geschlummert hatte, trotz des Abratens seines
LehrersZelter zur
Aufführung brachte und dadurch die
Teilnahme aller Musikkreise
Deutschlands
[* 10] dem Altmeister wieder zuwendete. Dann begab er
sich nach
London,
[* 11] wo ihn
Moscheles sogleich in die
PhilharmonischeGesellschaft einführte und die erfolgte
Aufführung
der
Sommernachtstraum-Ouvertüre vorbereitete. Der Erfolg war sehr groß und steigerte sich bei der Wiederholung
des Werkes in einem
Konzert der Sängerin
HenrietteSontag zu einem wahren
Triumph für den
Komponisten. Auf einer
danach unternommenen
Reise durch
Schottland konzipierte Mendelssohn-Bartholdy die »Hebriden-Ouvertüre«,
nachdem er bereits drei
Phantasien oder
Kapricen für
Klavier (Op. 16),
Nachdem Mendelssohn-Bartholdy noch
Neapel
[* 15] besucht hatte, trat er die Rückreise an, welche ihn wiederum nach
München führte, wo er sein Klavierkonzert
in
G moll bei
Hof
[* 16] spielte und den Auftrag erhielt, eine
Oper für
München zu schreiben. Infolgedessen ging er nach
Düsseldorf,
[* 17] um dort mit
Immermann wegen eines
Textes zu konferieren. Doch blieben diese
Verhandlungen erfolglos, ebenso
wie seine spätern
Versuche in
Paris, wo er vom
Dezember 1831 bis April 1832 verweilte, einen passenden
Text zu finden, obgleich
er mit den französischen Dichtercelebritäten viel verkehrte. Im Mai 1832, nachdem er kurz vorher in
London mit seinerHebriden-Ouvertüre
und seinem G
moll-Konzert wieder die größten
Triumphe gefeiert hatte, bewarb er sich in
Berlin um die durch
ZeltersTod erledigte
Dirigentenstelle der Singakademie, sah sich aber durch Rungenhagen verdrängt.
Mißmutig kehrte er
Berlin den
Rücken, unternahm 1833 seine dritte
Reise nach
London und dirigierte hier seine A dur-Symphonie.
Zur
Direktion des
DüsseldorferMusikfestes eingeladen (1833), leitete er die Aufführungen desselben und
nahm dann, nachdem er zum viertenmal in einem philharmonischen
Konzert zu
London mit eignen Werken aufgetreten war, ein dreijähriges
Engagement als städtischer Musikdirektor zu
Düsseldorf an, wo
er denGesangverein und die
Kirchenmusiken in den katholischen
Kirchen zu dirigieren hatte.
Mit
Immermann im engen
Bündnis, veranstaltete er mit diesem im dortigen
Theater
[* 18] Musteraufführungen der
Opern
»Don Juan«, »Wasserträger«
etc.; auch komponierte er die
Musik zu
Calderons »Standhaftem
Prinzen«. Dennoch gingen die Theatergeschäfte schlecht und veranlaßten
Mendelssohn-Bartholdy, von der ihm übertragenen
Intendantur für die
Oper abzusehen und die Theaterdirigentenstelle seinem
Freund J.
^[Julius]
Rietz zu
übertragen. Er vollendete hierauf den größten Teil seines
»Paulus«, schrieb zahlreiche
»Lieder
ohne
Worte« und die
Musik zu den drei Heineschen Volksliedern (für gemischten
Chor). Im Frühjahr 1835 dirigierte er noch das
Musikfest in
Köln,
[* 19] folgte jedoch dann einer Einladung nach
Leipzig
[* 20] zur Leitung der
Gewandhauskonzerte. Seine
Aufnahme im ersten derselben war eine enthusiastische, und sein ferneres Wirken in
Leipzig darf als
¶
Neben seiner Direktionsthätigkeit entfaltete er eine außerordentliche Produktionskraft, so daß er
bis zum letztgenannten Jahr unter anderm das Klavierkonzert in D moll, den 42. und 114. Psalm, das Streichquartett in E moll,
Serenade und Allegro giojoso, die Ouvertüre zu »Ruy Blas«, das Klaviertrio in D moll und den »Lobgesang« vollendet hatte. Ebenfalls 1841 erhielt
er von FriedrichWilhelmIV. den Auftrag, die Musik zu Sophokleischen Tragödien zu schreiben, und brachte
infolgedessen in Potsdam
[* 24] seine Komposition der »Antigone« zur Aufführung, Die ihm bei dieser Gelegenheit gemachten Anträge,
nach Berlin überzusiedeln, vermochten indessen nicht, ihn mit dieser Stadt auszusöhnen, sowenig wie seine 1843 erfolgte
Ernennung zum preußischen Generalmusikdirektor. Er fuhr vielmehr fort, seine Thätigkeit auf Leipzig
zu konzentrieren, daneben wiederholte Besuche in England und bei den rheinischen Musikfesten abstattend.
Das letzte Mal, daß das englische Publikum seinen Liebling festlich begrüßen konnte, war 1846 beim Musikfest in Birmingham,
[* 25] wo Mendelssohn-Bartholdy sein soeben beendetes Oratorium »Elias« mit unbeschreiblichem Erfolg zur Aufführung brachte. Seit
seiner Rückkehr nach Leipzig litt er an nervöser Reizbarkeit, und bald traf ihn überdies durch die Nachricht vom plötzlichen
Tod seiner SchwesterFannyHensel (s. d.) ein fast vernichtender Schlag, von dem er sich nur einigermaßen zu Interlaken erholte,
wo er durch den Genuß der Alpenluft zu neuer Thätigkeit erfrischt wurde. Das Oratorium »Christus«, die
Fragmente der Oper »Lorelei« (Text von Geibel) stammen aus jener Zeit. Aber ein Besuch in Berlin rief die nervöse Reizbarkeit von
neuem hervor, welche er auch in Leipzig nicht mehr verlor. Nachdem er schon 28. Okt. von einem heftigen Nervenschlag befallen
worden, starb er in Leipzig. Eine würdige Totenfeier fand hier 7. Nov. statt, worauf die Leiche nach Berlin übergeführt
wurde.
Durch seine Beanlagung vorwiegend auf das Gebiet der Lyrik, d. h. den Ausdruck subjektiven Fühlens und Empfindens, gewiesen,
konnte Mendelssohn-Bartholdy seine künstlerische Individualität besonders in solchen Kompositionsgattungen zur Geltung
bringen, welche die Seelenstimmungen am unmittelbarsten kundgeben, also im Lied und den sich demselben anschließenden Formen
der Instrumentalmusik. Und wenn seine außerordentliche formale Gestaltungskraft sowie die Fülle und der Adel seiner Erfindung
ihn befähigten, auch die größern Vokal- und Instrumentalformen mit souveräner Meisterschaft zu beherrschen, so sind doch
seine ein- und mehrstimmigen Lieder und die unter dem Namen »Lieder ohne Worte« durch ihn eingeführte Gattung
von Klavierstücken kleiner Form als der reinste Ausfluß
[* 26] seiner Künstlerpersönlichkeit zu bezeichnen.
Ein heilsames Gegengewicht des hier zu Tage tretenden und ihn überhaupt beherrschenden Subjektivismus
fand er in dem Studium
der Werke alter Meister, namentlich Bachs und Händels, deren Vorbilder ihn zu seinen größten und vollendetsten
Werken, den Oratorien: »Paulus« (1835) und »Elias« (1846), begeisterten. In dieser aus lyrischen, epischen und dramatischen
Elementen gemischten Kunstgattung vermochte er sich zu einer bedeutenden Höhe aufzuschwingen, wogegen für das rein Dramatische
seine Kräfte nicht ausreichten; und diese Lücke in seiner musikalischen Organisation war es auch, die
ihm den Zugang zur Bühne verschloß, nicht etwa der Mangel an einem geeigneten Operntext, wie unter anderm die Thatsache beweist,
daß der für ihn von EduardDevrient gedichtete Text zu »HansHeiling«, dessen Brauchbarkeit und Kunstwert sich später durch
MarschnersMusik glänzend bewährte, von ihm als zur Komposition ungeeignet zurückgewiesen wurde. - Mit
seinen großen geistlichen Chorwerken auf gleicher Höhe stehen die weltlichen, meist romantischen Inhalts, darunter obenan
die Musik zum »Sommernachtstraum«, zu welcher er die Ouvertüre als 14jähriger Knabe geschrieben, und die während seines Aufenthalts
in Rom entstandene Goethesche »Walpurgisnacht«. In
diesen Arbeiten hat er noch einen Schritt über die RomantikWebers und Marschners hinaus gethan, indem er die Geisterwelt von
einer ganz neuen, der neckischen und humoristischen, Seite zur sinnlichen Erscheinung bringt und zwar hauptsächlich mit Hilfe
der Orchesterinstrumente, deren individuelle Leistungsfähigkeit er in noch weit ausgedehnterm Maß zu
verwerten wußte als seine genannten Vorgänger.
Diese Seite seiner Begabung tritt auch in seinen Orchesterwerken, den Symphonien in A moll und A dur, sowie in seinen gleichsam
der Natur abgelauschten Ouvertüren: »Die Hebriden«, »Meeresstille und glückliche Fahrt« glänzend zu Tage, und die verhältnismäßige
Dürftigkeit der Erfindung in seinen Streichquartetten ist vornehmlich dem Umstand zuzuschreiben, daß
ihm hier die Mannigfaltigkeit des instrumentalen Klanges nicht zu Gebote stand. In seinen Kompositionen für Klavier und Orgel,
auf welchen beiden Instrumenten er Virtuose war, ist dieser Mangel freilich nicht zu spüren: seine Trios in D und C moll und
seine Klavierkonzerte in G und D moll, endlich seine zahlreichen Präludien, Fugen und Sonaten für Orgel
sind auch hinsichts der Klangfülle und Klangschönheit zu seinen Meisterwerken zu rechnen;
und hierher gehört auch sein
Violinkonzert, vielleicht sein genialstes Werk, insofern er damit, ohne selbst Violinspieler zu sein, ein dem Charakter und
der Technik des Instruments bis ins kleinste entsprechendes Kunstwerk geschaffen hat.
Ein wesentliches
Merkmal aller dieser Werke ist der Zug
geistiger Vornehmheit, welche als Mensch wie als Künstler auszeichnete; diese Eigenschaft
seiner Musik öffnete ihr die Herzen aller Gebildeten, wogegen ihr eine Popularität, wie sie beispielsweise die Webersche erlangte,
aus diesem Grund versagt bleiben mußte. Selbst die weitverbreiteten Lieder: »Es ist bestimmt in GottesRat« und »Wer hat dich, du schöner Wald« können nur in beschränktem Sinn als volkstümlich gelten. Eine Gesamtausgabe der
Werke Mendelssohn-Bartholdys, von Rietz redigiert, erschien 1871-77 im Verlag von Breitkopf u. Härtel in Leipzig. Einen wertvollen
Beitrag zur Kunde seines künstlerischen Strebens wie der Liebenswürdigkeit und Reinheit seines Charakters
liefern seine Briefe (Bd. 1: »Reisebriefe
1830-32«, Bd. 2: »Briefe 1833-47«, hrsg. von seinem BruderPaul Mendelssohn-Bartholdy; letzte Ausg. in einem Band,
[* 27] Leipz. 1882).
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