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Gäu und in dem Hirtenland des Entlebuch (s. d.). Vom Areal entfallen 1062 qkm auf Äcker, Wiesen und Weiden, 306 qkm auf Waldungen, 60 Hektar auf Weinberge. Ist das Entlebuch, als voralpines Bergthal, der Sitz luzernischer Alpenwirtschaft, so hat das Gäu echt agrikolen Charakter. 1886 zählte man im Kanton [* 2] 4581 Pferde, [* 3] 85,807 Rinder, [* 4] 38,183 Schweine, [* 5] 9573 Schafe [* 6] und 19,531 Ziegen. Der Rindviehstand ist im Vergleich zum Areal doppelt so stark als sonst in der Schweiz; [* 7] Schwyzer und Berner Schlag, davon ein Viertel Jungvieh und die Hälfte Kühe: ein Zeichen, wie stark die Nachzucht und Sennerei, namentlich im Entlebuch, ist.
Man verfertigt jährlich 20,000 Doppelzentner Käse, magern für den eignen Bedarf und fetten, den die Entlebucher und Emmenthaler Händler aufkaufen. Das Gäu liefert viele Zug- und Mastochsen und hat starke Ausfuhr von Häuten. Kornkammer ist das Gäu, welches Getreide [* 8] und Kartoffeln über den Bedarf, auch genügend Flachs, Hanf und Obst, zumeist Birnen, erzeugt. Die Waldungen würden kaum den Bedarf durch Nachwuchs decken; dennoch wird mehr aus- als (von den Urkantonen nach der Stadt Luzérn) eingeführt.
In der Emme und Luthern wurde ehedem (noch im 19. Jahrh.) Gold [* 9] gewaschen und aus solchem Gold in Luzern [* 10] Dukaten geprägt; jetzt lohnt dieser Erwerbszweig nicht mehr. Die Strohflechterei, im Dienst aargauischer Firmen, ist der verbreitetste Industriezweig und hat sich fast über das ganze Gäu ausgedehnt; ähnlich die Seidenkämmlerei und Seidenweberei während die Baumwollindustrie und einige andre Gewerbszweige mehr auf einzelne Punkte beschränkt sind, wie die Maschinenindustrie u. dgl. auf die Umgebung der Hauptstadt.
Der Handel ist nicht unbedeutend; zum Export kommen: Getreide, Käse, Vieh, Kirschwasser; der Import erstreckt sich auf Salz, [* 11] Öl, Kolonialwaren und Metalle. Die Stadt ist Ausgangspunkt des Transitverkehrs nach Italien [* 12] über die Gotthardroute, in welche hier die Eisenbahnlinien von Bern, [* 13] Basel [* 14] und Zürich [* 15] (über Zug) münden. Seit 1835 hat der Vierwaldstätter See Dampfschiffahrt, und die Stadt ist der gemeinsame Knotenpunkt, von welchem die Kurse in drei Richtungen (nach Flüelen, Küßnacht und Alpnach) auslaufen.
Dieselbe ist wegen ihrer Lage am Vierwaldstätter See und wegen der Nähe des Rigi, zu welchem von Viznau aus eine Zahnradbahn hinaufführt, einer der Hauptmittelpunkte des schweizerischen Touristenverkehrs und die Hotelwirtschaft daselbst und in mehreren Uferorten ein lohnender Erwerbszweig. Wie der Kanton überhaupt, so gehört auch sein Schulwesen zu den regenerierten der Schweiz, zunächst in Betreff der Primär- und Sekundärstufe, welch letztere hier durch die sogen. Bezirksschulen vertreten ist.
Das Lehrerseminar befindet sich, mit der Bezirksschule verbunden, seit 1868 in Hitzkirch, das Priesterseminar in Luzern, wo auch die Kantonschule (d. h. kantonales Gymnasium humanistischer und realistischer Richtung) existiert, schon 1574 gegründet. In Hohenrain besteht eine Taubstummenanstalt (1834 gegründet), auf Sonnenberg (bei Luzern) eine von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (1859) gegründete Rettungsanstalt, »Katholisch Bächtelen«.
Die Zahl der in den öffentlichen Bibliotheken enthaltenen Bände beträgt über 150,000; die bedeutendsten sind die Kantonsbibliothek (85,000), die Bürgerbibliothek (15,000) und diejenige des Kapuzinerstifts Wesemlin (13,000 Bände). Der Kanton besitzt noch drei Kapuzinerklöster (Wesemlin, Sursee, Schüpfheim), das Kloster der Kapuzinerinnen zu St. Anna und das der Cistercienserinnen zu Eschenbach, im ganzen mit etwa 110 Ordensgliedern und einem Vermögen von über 1½ Mill. Frank. Der Kanton gehört nebst Solothurn [* 16] und Zug zum Bistum Basel.
Nach der Verfassung vom welche revidiert wurde, bildet einen demokratischen Freistaat. Sie garantiert die in den schweizerischen Kantonalverfassungen üblichen Grundrechte. Die Souveränität beruht in der Gesamtheit des Volkes und wird, im Namen des Souveräns, zunächst durch den Großen Rat ausgeübt. Dieser wird von den 53 Wahlkreisen auf je vier Jahre gewählt, je ein Mitglied auf 1000 Seelen der schweizerischen Wohnbevölkerung. Die von ihm erlassenen Gesetze, Staatsverträge und wichtigern Finanzdekrete unterliegen der Volksentscheidung, wenn diese binnen 30 Tagen wenigstens von 5000 Bürgern verlangt wird (fakultatives Referendum).
Der Große Rat übt die Oberaufsicht über die Staatsverwaltung, bestimmt das jährliche Budget und beschließt die Steuern; er bewilligt Staatsverträge und Staatsanleihen, übt das Begnadigungsrecht etc. Die Mitglieder haben das Recht der Initiative für Gesetzesvorschläge. Die Exekutive ist einem Regierungsrat von sieben Mitgliedern übertragen. Diese können nicht zugleich Mitglieder des Großen Rats sein, sind aber verpflichtet, den Sitzungen desselben beizuwohnen, und haben hier beratende Stimme und das Recht, Anträge zu stellen.
Die Leitung des Erziehungswesens ist einem Erziehungsrat von drei Mitgliedern übertragen. Die oberste Instanz richterlicher Gewalt liegt bei dem Obergericht (neun Mitglieder); ein Kriminalgericht von fünf Mitgliedern beurteilt in erster Instanz alle Kriminalsachen. Die Todesstrafe ist wieder eingeführt. Sowohl Regierungs- und Erziehungsrat als Ober- und Kriminalgericht werden auf je vier Jahre vom Großen Rat erwählt, ebenso auf je ein Jahr die Präsidien: der Präsident des Regierungsrats (Schultheiß), der Vizepräsident (Statthalter), der Präsident des Erziehungsrats (aus der Mitte des Regierungsrats), der Präsident und Vizepräsident des Obergerichts und der Präsident des Kriminalgerichts.
Der Kanton Luzérn zerfällt in die fünf Ämter oder Bezirke: Entlebuch, Hochdorf, Luzérn, Sursee und Willisau. In jedem übt die Exekutive ein vom Großen Rat auf je vier Jahre gewählter Amtsstatthalter, die richterliche Gewalt ein Bezirksgericht von 7-9 Mitgliedern, die von dem Amt selbst zu wählen sind. Die Gemeinden sind innerhalb der verfassungs- und gesetzmäßigen Schranken autonom; sie üben die Verwaltung durch einen von der Gemeinde auf je vier Jahre gewählten Gemeinderat, dessen Präsidium der Gemeindammann führt, und zur Vermittelung von Streitigkeiten bestehen Friedensrichter. Das für 1887 festgestellte Budget enthält als Einnahme 1,515,060 Fr., als Ausgabe 1,564,010 Fr., also ein Defizit von 48,950 Fr. Unter den Einnahmen kommt der bedeutendste Posten auf die Staatsabgaben (besonders Ohmgeld und Salzregal); in den Ausgaben haben Militär und Erziehung die höchsten Ansätze. Zu Anfang 1886 beliefen sich die Aktiven auf 9,428,125 Fr., die Passiven auf 4,453,298 Fr., somit das reine Vermögen auf 4,974,827 Fr.
[Die Stadt Luzern.]
Die gleichnamige Hauptstadt des Kantons, 437 m ü. M., liegt reizend am Ausfluß [* 17] der Reuß [* 18] aus dem Vierwaldstätter See mit dem Blick auf Rigi und Pilatus und zählt (1880) 17,850 Einw., darunter 1912 Protestanten und 136 Juden. Die Stadt selbst ist eng angelegt, gegen N. ¶
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von einer Reihe hoher mittelalterlicher Schutztürme eingefaßt, hat sich aber durch Kai- und Häuserbauten, namentlich eine größere Zahl prächtiger Gasthöfe, erweitert und verschönert. Unter den kirchlichen Gebäuden steht voran die Stiftskirche St. Leodegar (1633 erbaut) mit zwei schlanken Türmen, von denen der eine 75 m hoch ist und die Jahreszahl 1406 trägt, und einer großen Orgel von 90 Registern. Andre hervorragende Gebäude sind: das ehemalige Jesuitenkollegium und die Jesuitenkirche (von 1667), das ehemalige Ursulinerinnenkloster Mariahilf, die neue reformierte Kirche, das Rathaus, das große Stadtspital, das Pfründehaus in der Sente, das Waisenhaus, das Theater, [* 20] das neue Korrektionshaus, das Museum, das Bibliothekgebäude, das neue Schulhaus am Krienbach und das Zeughaus mit alten Trophäen.
Über den Seeausfluß führt eine prachtvolle neue Brücke, [* 21] welche den Bahnhof der linken Stadtseite mit der »großen Stadt« verbindet. Abwärts folgt zunächst die 300 m lange, zum Abbruch bestimmte Kapellbrücke (1300 erbaut) mit alten Schildereien. Der Wasserturm an derselben, Aufbewahrungsort des städtischen Archivs, soll das älteste Bauwerk der Stadt, ein Leuchtturm (lucerna, daher angeblich der Name der Stadt) aus der Römerzeit, sein. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört noch das auf Veranlassung des Generals Pfyffer zum Gedächtnis der am bei der Verteidigung der Tuilerien gefallenen Schweizergardisten 1820 errichtete Monument vor dem Wäggisthor, ein nach Thorwaldsens Modell in die Felsenwand eingehauener Löwe von 9 m Länge und 5,6 m Höhe, sterbend mit der rechten Pranke den bourbonischen Wappenschild schützend, darüber die Inschrift: »Helvetiorum fidei ac virtuti«. Im »Gletschergarten« sind interessante Riesentöpfe, Findlinge und Felsen mit Gletscherschliffen und Gletscherritzen aus der Eiszeit, [* 22] alles umgeben von einer echt alpinen Gartenanlage. Endlich verdient Erwähnung das Pfyffersche Relief der Urkantone, über 6½ m lang und 3½ m breit. Schöne Aussichtspunkte sind: die Fluhmatt, die Allenwindenhöhe, die drei Linden am Gizlisberg, der Gütsch, per Drahtseilbahn zugänglich, die Ruinen des Schlosses Stollberg [* 23] etc.
Geschichte der Stadt und des Kantons Luzern.
Die Stadt Luzérn verdankt ihren Ursprung und wahrscheinlich auch ihren Namen (Ludgaria, Luciaria) dem Kloster St. Leodegar, welches um 740 von Mönchen der Abtei Murbach im Elsaß gestiftet wurde und mit seinen Besitzungen unter der Herrschaft des Mutterklosters verblieb. Dieses verkaufte die Stadt 1271 an Rudolf von Habsburg, aber zur Wahrung seiner unter der geistlichen Herrschaft errungenen städtischen Freiheiten trat Luzérn in den Bund der Waldstätte. Das dadurch gelockerte Verhältnis zu Österreich [* 24] wurde durch die Schlacht von Sempach 1386 vollends zerrissen, und 1390 erhielt die Stadt von König Wenzel mit dem Blutbann die Bestätigung ihrer Reichsfreiheit. Im 14. und 15. Jahrh. erwarb sich Luzérn durch Kauf, Verpfändung und Eroberung ein bedeutendes Unterthanengebiet.
Gegen die Reformation verhielt es sich feindselig; es wurde der Mittelpunkt der gegenreformatorischen Bestrebungen in der Schweiz. Auf Veranlassung des kriegsberühmten Schultheißen Ludwig Pfyffer (s. d.) wurden 1574 die Jesuiten nach Luzérn berufen, wo seit 1579 auch ein päpstlicher Nunzius seinen beständigen Sitz hatte. Am beschworen die sieben katholischen Orte den Borromeischen Sonderbund in Luzérn. Auch in Luzérn entwickelte sich die städtische Verfassung durch das Selbstergänzungsrecht der Räte und die Erhöhung der Befugnisse derselben auf Kosten der Bürgergemeinde im 16. und 17. Jahrh. zu einer patrizischen Oligarchie; die Landschaft aber litt durch Mißachtung ihrer verbrieften Rechte, Erhöhung der Steuern, Verschlechterung der Münzen [* 25] u. a. m. Daher nahm 1653 in dem luzernischen Entlebuch der große Bauernkrieg in der Schweiz seinen Anfang, dessen Niederwerfung die unumschränkte Herrschaft des Patriziats bis 1798 begründete. 1798 erklärte der Große Rat die aristokratische Regierungsform für abgeschafft, und Luzérn wurde zur Hauptstadt der Helvetischen Republik erhoben.
Die Mediationsakte machte den Kanton Luzérn 1803 wieder zu einem besondern Staatswesen mit repräsentativer Verfassung. Allein 1814 wurde dieselbe durch einen Handstreich des Schultheißen Rüttimann gestürzt und die Staatsform derjenigen vor 1798 angenähert mit dem Unterschied, daß die Landschaft die Hälfte der Repräsentanten im Großen Rat erhielt. Eine Verfassungsrevision beseitigte 1829 das Selbstergänzungsrecht des Kleinen Rats und entzog demselben die richterliche Gewalt; nach der Julirevolution wurde auf das Verlangen des Volkes ein Verfassungsrat gewählt, dessen am angenommener Entwurf der Landschaft eine gerechtere Repräsentation gewährte, Gleichheit vor dem Gesetz, Denk- und Preßfreiheit verkündete und die Militärkapitulationen mit dem Ausland verbot.
Aber da das liberale Regiment, das 1830 zur Herrschaft kam, durch seine Teilnahme an der Badener Konferenz die Interessen der katholischen Kirche zu verletzen schien, strebte eine klerikal-demokratische Partei unter der Führung des Bauers Joseph Leu von Ebersol und des Staatsschreibers Konstantin Siegwart-Müller dahin, den Sturz desselben mittels einer Verfassungsrevision herbeizuführen. Diese wurde von dem durch Jesuitenmissionen bearbeiteten Volk beschlossen und der Verfassungsrat vollständig im Sinn der »Leuenpartei« bestellt.
Das neue, 1. Mai angenommene Grundgesetz raubte der (liberalen) Stadt das letzte Vorrecht, indem es die Vertretung nach der Kopfzahl feststellte, gab dem Volk das Veto gegen mißliebige Gesetze, befreite die Kirche von aller staatlichen Hoheit und überlieferte ihr das Unterrichtswesen. Die neue Regierung, deren Haupt Siegwart-Müller war, bezeichnete ihre Stellung, indem sie den Papst um seinen Segen zu dem Werk bat. Die Krönung desselben durch die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten die verunglückten Schilderhebungen und Freischarenzüge der Radikalen und 30./31. März 1845), die Verurteilung und Flucht des Dr. Steiger, ihres Hauptes, die Ermordung Leus, die Stiftung des Sonderbundes (Dez. 1845) und die Niederwerfung desselben durch die Eidgenossenschaft (Nov. 1847) gehören der allgemeinen Geschichte der Schweiz an (s. d.). Unmittelbar nach der Niederlage bei Gislikon flüchtete sich die Sonderbundsregierung von Luzérn nach Altorf und löste sich auf (24. Nov.), worauf der Stadtrat von Luzérn unter Zuziehung von je zwei Männern der vier Ämter des Landes sich als provisorische Regierung konstituierte und die Neuwahl des Großen Rats anordnete, der in der Mehrheit liberal bestellt wurde. Als die von ihm ernannte Regierung, um die Kriegskosten zu be-