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verlegt. Erst Bischof Hubert nahm 720 seinen Sitz in Lüttich. Das Hochstift umfaßte die Stadt Lüttich, [* 2] die Grafschaften Looz und Hoorn, das Marquisat Franchimont, die Landschaften Campine und Hasbengau und, getrennt vom Hauptland, die Landschaft Condroz und das Land zwischen Sambre und Maas. 1794 wurde das Bistum von den Franzosen besetzt und im Lüneviller Frieden förmlich an Frankreich abgetreten und zum Departement der Ourthe geschlagen. Durch den Beschluß des Wiener Kongresses aber und durch einen besondern Vertrag vom ward es als ein souveränes Fürstentum dem König der Niederderlande ^[richtig: Niederlande] [* 3] überlassen und bildete seitdem eine Provinz der Vereinigten [* 4] Niederlande, doch mit veränderten Grenzen, [* 5] indem einige Teile von Lüttich zu den Provinzen Hennegau, Limburg [* 6] und Namur [* 7] gezogen, andre dagegen von Limburg, Luxemburg [* 8] und Namur zu Lüttich geschlagen wurden. Bei der Revolution von 1830 ergriffen die Bewohner der Stadt und Provinz Lüttich lebhaft die Partei der Belgier, und Lüttich gehört seit der Bildung des Königreichs Belgien diesem an.
Vgl. Pollet, Histoire ecclésiastique de l'ancien diocèse de Liége (Lütt. 1860);
Hénaux, Histoire du pays de Liége (3. Aufl., das. 1876, 2 Bde.).
Die gleichnamige Hauptstadt der Provinz, zugleich eine der wichtigsten Industriestädte Belgiens, liegt 65 m ü. M., zum Teil an einen von einer Citadelle gekrönten Berg sich anlehnend, zu beiden Seiten der Maas, die hier die Ourthe aufnimmt, an der Eisenbahn Brüssel-Herbesthal (Aachen), [* 9] mit Marloie (Luxemburg), Namur, Löwen, [* 10] Limburg, Maastricht [* 11] und Holland durch Eisenbahnen verbunden. Der Fluß teilt die Stadt in die alte oder obere, am linken Ufer, und die untere Stadt, am rechten Ufer der Maas, und wird von fünf Brücken [* 12] (darunter die schöne, 152 m lange und 15 m breite Eisenbahnbrücke, Pont du Val-Benoît, und der Pont des Arches, die Hauptbrücke der Stadt, 1863 neuerbaut) überspannt. An die eigentliche Stadt schließt sich ringsum ein Kranz von neun Vorstädten, darunter die von Amercoeur, Ste.-Marguerite, St.-Léonard und St.-Gilles als die größten.
Das vormals enge und düstere Innere der Stadt verschönert sich jetzt mehr und mehr, indem neue Straßen, Kais und Promenaden angelegt werden. Lüttich hat zwölf schöne öffentliche Plätze, worunter der St. Lambertsplatz (einst mit der Lambertskirche, welche 1794 die französischen Sansculotten zerstörten), der Marktplatz mit schönem marmornen Springbrunnen, der Universitäts- und der Theaterplatz (letzterer mit dem Standbild des in Lüttich gebornen Komponisten Grétry, von W. Geefs) zu erwähnen sind.
Unter den 21 Kirchen sind hervorzuheben: die Jakobskirche im spätgotischen Stil (1016 bis 1538 erbaut, neuerdings glänzend restauriert);
die gotische Kathedrale zu St. Paulus (zum Teil aus dem 13. Jahrh., vollendet 1528) mit einer unter W. Geefs' Leitung in Holz [* 13] geschnittenen Kanzel;
die Bartholomäuskirche, eine fünfschiffige Basilika [* 14] aus dem 12. Jahrh. mit zwei romanischen Türmen und einem merkwürdigen ehernen Taufbecken (von 1112);
die Martinskirche, die Geburtsstätte des Fronleichnamsfestes (jetziger Bau von 1542);
die alte Heiligekreuzkirche (schon 979 geweiht, neuerdings mit Geschick restauriert) und die 987 gegründete Kirche St.-Denis (aus dem 15. Jahrh.) mit großem, figurenreichem Altar. [* 15]
Das sehenswerteste weltliche Gebäude ist der verschiedenen Regierungs- und Justizbehörden zum Sitz dienende Palast am Lambertsplatz, ehemals Residenz der Fürstbischöfe (1508-1540 im Renaissancestil erbaut), mit schöner Vorderseite, die erst 1737 errichtet ward. Unter den modernen Bauten sind das durch schöne Dimensionen und reiche Ornamentik ausgezeichnete Theater [* 16] und das Universitätsgebäude zu erwähnen, das in vier mächtigen Flügeln neben den Hörsälen zugleich alle akademischen Institute und Sammlungen umfaßt. Zu den Zierden Lüttichs gehören die prachtvollen Kais mit großen, eleganten Häusern an der Maas, darunter der Square d'Avroy, die Hauptpromenade Lüttichs, mit der Reiterstatue Karls d. Gr. (von Jehotte).
Sehenswert ist die Passage Lemonnier, ein großartiger, mit Glas [* 17] überdeckter Bazar mit Kaufläden (1837-39 erbaut). Die Bevölkerung [* 18] der Stadt beträgt (Ende 1885) 135,371 Einw., zum größten Teil Wallonen, deren Hauptort ist. Lüttich gehörte von jeher zu den gewerbthätigsten Städten Europas und verdankt sein frühes Aufblühen namentlich den unerschöpflichen Steinkohlengruben der Umgegend, welche bereits seit Jahrhunderten in Betrieb sind. Die Hauptindustrie bildet bis jetzt die Gewehrfabrikation; 1886 belief sich die Produktion auf 374,909 Gewehre, 441,049 Revolver [* 19] und 20,221 Paar Sattelpistolen; außerdem beschäftigen die königliche Waffenfabrik (1840 errichtet) und Geschützgießerei (beide in der Vorstadt St.-Léonard) viele Menschen.
Nächst der Waffenindustrie ist namentlich die Wollmanufaktur, Leder- und Blechfabrikation berühmt. Ferner besitzt Lüttich nebst Umgegend Blei- und Kupferschmelzen, eine Zinkhütte nebst Zinkwalzwerk, Alaunwerke, zahlreiche Eisenwerke mit Hochöfen und Eisengießereien, Stahl-, Eisen-, Quincaillerie-, Gold- und Silberwaren-, Uhren-, Amboß-, Sägen-, Feilen-, Nägel-, Nadel-, Spiegel-, Glas-, Leder-, Tuch-, Tabak- und Bleiweißfabriken, Baumwoll- und Kammgarnspinnereien, mechanische Webereien, Färbereien, Leimsiedereien, Papier-, Öl- und Zichorienmühlen, eine Menge Brauereien und Brennereien sowie berühmte Dampf- und andre Maschinenfabriken.
In der Nähe liegt auch Seraing (s. d.), die großartige Schöpfung Cockerills. Der Handel ist ebenfalls von großer Bedeutung, besonders in Kolonialwaren, Produkten und Fabrikaten der Stadt und Umgegend, Steinkohlen, Wolle etc. Er wird unterstützt durch die Maasschiffahrt und zahlreiche Eisenbahnen (s. oben). Das Straßenbahnnetz hat (1885) eine Ausdehnung [* 20] von 25 km und erstreckt sich bis nach Seraing. Lüttich hat eine 1817 von der niederländischen Regierung gegründete Staatsuniversität mit vier Fakultäten, welche (1884-85) 1157 Studenten und über 60 Professoren zählt, eine Bibliothek von ca. 100,000 Bänden, ein anatomisches Theater, chemisches Laboratorium, einen botanischen Garten [* 21] sowie reiche naturhistorische Sammlungen besitzt, und welcher eine sehr besuchte Bergbauschule, polytechnische Schule (École des arts et manufactures) und in der École normale des humanités eine Bildungsanstalt für Gymnasiallehrer beigeordnet sind.
Außerdem besitzt ein Athenäum, ein Lehrerinnenseminar, ein bischöfliches Seminar, eine Industrieschule, Zeichen- und Malerakademie, ein Konservatorium der Musik, eine Taubstummen- und eine Blindenanstalt, eine Synagoge, mehrere gelehrte Gesellschaften (die Gesellschaft »Franklin« zur Begründung von Volksbibliotheken), eine Börse (in der alten St. Andreaskirche), Gemäldegalerie und viele Hospitäler. ist der Sitz der Provinzial- und Bezirksbehörden, eines Bischofs, eines Domkapitels, eines Appellhofs für die Provinzen Lüttich, Limburg und Luxemburg, eines Tribunals, eines Handelsgerichts, eines Militärgouvernements und eines deutschen Konsuls. Die oben erwähnte, vom Fürstbischof Maximilian 1650 erbaute Citadelle auf dem linken ¶
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Flußufer gewährt eine treffliche Aussicht über die Stadt und die gewerbreichen Thäler der Maas, Ourthe und Vesdre; gegenüber auf dem rechten Ufer der Maas steht die Kartause (Fort de la Chartreuse), höher noch Robermont.
Die Stadt Lüttich kommt schon im Anfang des 8. Jahrh. vor, wo die Bischöfe von Maastricht ihren Sitz von Maastricht hierher verlegten (720). Reich und freiheitliebend, führte die Bevölkerung beständige Kriege mit den Bischöfen, wobei sie von Frankreich bereitwillig unterstützt wurde. 1407 mußte der Bischof sogar mit den Vornehmsten der Stadt infolge eines Aufstandes der Bürger entweichen, nahm aber dieselbe bald darauf mit Waffengewalt wieder ein. Ebenso endete ein 1464 gegen den Bischof Ludwig von Bourbon erregter Aufstand zum Nachteil der Bürger.
Drei Jahre später wurde die aufrührerische Stadt von Karl dem Kühnen von Burgund erobert, welcher die Befestigungswerke schleifen und alle Geschütze [* 23] wegführen ließ. Gleichwohl erhoben sich die Lütticher, von dem Grafen Robert von der Mark aufgehetzt, abermals wider Karl den Kühnen; dieser eroberte die Stadt zum zweitenmal und verhängte ein furchtbares Strafgericht über sie: nachdem die Einwohner niedergemetzelt worden, wurde die Stadt angezündet.
Zwei andre Aufstände (1482 und 1484) wurden durch den Erzherzog Maximilian I. gestillt. 1648 verwehrten die Einwohner, besonders auf Anstiften ihres Bürgermeisters Jakob Gennet, dem Bischof Ferdinand den Einzug in die Stadt; als aber dieser denselben erzwungen hatte, ließ er den Bürgermeister enthaupten und zur Erhaltung des Gehorsams 1650 eine Citadelle aufführen, die jedoch 1676 von den Franzosen geschleift ward. 1680 erhob sich ein neuer Streit zwischen den Bürgern und dem Bischof Maximilian Heinrich, der aber 1684 mit französischer Hilfe die Stadt bezwang und eine starke Garnison in dieselbe legte.
Die Citadelle wurde nun wieder aufgebaut und stärker befestigt, auch die Zahl und der Einfluß der Zünfte beschränkt. 1691 wurde Lüttich abermals von den Franzosen erobert. Zu Anfang des spanischen Erbfolgekriegs nahm der Bischof Joseph Clemens eine französische Garnison ein, aber schon 1702 ward die Stadt von der verbündeten Armee unter Marlborough besetzt und die Citadelle erstürmt. Durch den Frieden von Utrecht [* 24] 1713 gelangte endlich der Bischof Joseph Clemens wieder zum Besitz von Lüttich. Hier erfochten 1792 die Franzosen einen Sieg über die Österreicher und besetzten 18. Nov. die Stadt, bis dieselbe infolge des Friedens von Lüneville zum französischen Departement der Ourthe geschlagen wurde. Durch einen Beschluß des Wiener Kongresses kam Lüttich 1815 an die Vereinigten Niederlande, durch die Londoner Konferenzen von 1830 und 1831 aber ward es Belgien einverleibt.
Vgl. Gerlache, Histoire de Liége (3. Aufl., Brüssel [* 25] 1875);