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von ihnen an eine Eisenbahngesellschaft verkauft wurde. Jetzt steht der Bahnhof in Cannon Street an dessen Stelle. 1580 zählte man unter den in London [* 2] lebenden 6502 Ausländern (einschließlich der in England gebornen Kinder) bereits 2302 Deutsche. [* 3] Die Deutschen besitzen in London 8 protestantische und eine kathol. Kirche (einschließlich einer Hofkapelle), mit denen mehrfach Volksschulen vereinigt sind, einen Klub (German Athenaeum), eine große Turnhalle, ein Hospital und ein Waisenhaus (Kaiser Wilhelm Stiftung) in Dalston, 4 größere Arbeiterklubs, Gesangvereine etc. Auch erscheinen zwei deutsche Wochenblätter. Dem Beruf nach sind unter den Deutschen am zahlreichsten vertreten: Kaufleute, Bäcker, Schneider, Dienstboten, Zuckersieder, Schuster, Uhrmacher, Tischler, Musiker, Kellner, Lehrer und Gouvernanten, Kürschner, Maler u. Bildhauer, Ärzte, Schriftsteller etc.
Die Wohnverhältnisse sind im allgemeinen günstig, denn bei (1881) 486,186 bewohnten Häusern kommen nur 7,85 Seelen auf ein Haus und 12,559 Einw. auf das QKilometer. Einzelne Stadtteile sind indes entschieden übervölkert. So wohnten noch 1885 in Clerkenwell häufig 7-12 Personen in einem einzigen Zimmer, dazu war die Wasserzufuhr ungenügend und die Kanalisation mangelhaft. Diesen Mißständen helfen die seit 1841 von Privaten und seit 1875 auch von der Stadt gebauten Arbeiterwohnungen nur wenig ab, obgleich erstere (unter denen die der Peabody-Stiftung hervorragen) Raum für 60,000 und die städtischen Arbeiterwohnungen (1885) für 21,678 Personen bieten, welche eine Miete zahlen, durch die das angelegte Kapital mit 3-5 Proz. verzinst wird.
Dem religiösen Bekenntnis nach gab es 1881 in London etwa 130,000 Katholiken, 430,000 protestantische Dissidenten und 12,000 Juden. Der Rest gehört der Staatskirche an oder kümmert sich überhaupt nicht um Religion. Als Kirchengänger ist der Londoner lässig, und wenn auch am 460,000 Menschen den Gottesdienst am Vormittag und 410,000 denjenigen am Abend besuchten, so will das bei einer Bevölkerung [* 4] von 4 Mill. nicht viel heißen.
Über den Charakter der Bevölkerung Londons läßt sich allgemein Zutreffendes kaum sagen. Neben der Verfeinerung der hohen Welt und des Mittelstandes finden sich Tausende, welche der Rev. Reany (»Fortnightly Review«, Dezember 1886) als »trunksüchtig und faul, schlau wie Füchse, geil wie Böcke und mit Begierden, die unnennbar sind«, beschreibt. Seit der großen Ausstellung im J. 1851 hat der Londoner jedenfalls viel von seinen engherzigen Ansichten verloren. Er ist duldsamer gegen fremde Sitten geworden und hat sich dieselben teilweise sogar angeeignet.
Jedenfalls aber thut man ihm nicht unrecht, wenn man ihm den in andern Städten Englands so hoch entwickelten städtischen Gemeinsinn abspricht. Schon die Zusammensetzung der Bevölkerung bringt das mit sich, und die großen Entfernungen und der Mangel einer die ganze Bürgerschaft umfassenden Munizipalverfassung tragen das Ihrige dazu bei. Die großen reformatorischen Bestrebungen des 19. Jahrh. sind nicht von London ausgegangen, und erst nachdem die Provinzialstädte durch Gründung von Freibibliotheken und andern öffentlichen Anstalten der Art mit gutem Beispiel vorangegangen waren, ist London in ihre Fußstapfen getreten. Sehr häufig kommt es vor, daß Fremde als die Leiter politischer und sozialer Reformen auftreten.
Handel und Industrie.
Industrie. ist vorwiegend Handelsstadt, steht aber in gewissen Zweigen der Industrie an der Spitze aller andern Städte Englands. Seine Druckereien (25,595 Buchdrucker) gehören zu den größten der Welt, die Möbelschreinerei beschäftigt 21,957, der Maschinenbau 17,758, der Schiffbau 4814, die Seidenweberei 4023 Arbeiter. Es gibt 61,221 Schneider, 71,837 Kleidermacher, 27,267 Hemdenmacher, 37,337 Schuhmacher und 4167 Hutmacher. Musikalische, chirurgische und optische Instrumente, Uhren, [* 5] Goldschmiedearbeiten, Messerwaren, Sattler- und Lederwaren liefert London in vorzüglicher Güte. Seine Gerbereien, Töpfereien, Zuckersiedereien, Zigarrenfabriken, chemischen, Handschuh-, Möbel-, Wagen-, Gewehr-, Glas- und Tapetenfabriken erfreuen sich des besten Rufs. Seine Bierbrauereien liefern namentlich Porter (Schwarzbier), seine Brennereien Gin.
Handel. Wenn auch alle gewerblichen Anstalten zusammen 904,005 Menschen beschäftigen, so ist es doch der Handel, der London seinen Charakter aufdrückt, und dem es seinen Reichtum verdankt. Unter den Anstalten, welche die Bestimmung haben, denselben zu fördern, nimmt die 1694 gegründete Bank von England mit einem Stammkapital von 14,553,000 Pfd. Sterl. die erste Stelle ein (weiteres s. Banken, S. 335). Neben der Bank von England bestehen 72 Gesellschafts- und 107 Privatbanken.
Einer Anzahl derselben ist ein Ausgleichsamt (Clearinghouse) gemeinschaftlich, durch dessen Vermittelung die Wechsel und Kassenanweisungen umgetauscht werden, so daß nur die Bruchteile bar zu entrichten sind. Jährlich kommen hier ca. 6000 Mill. Pfd. Sterl. zur Verrechnung. Der Bank gegenüber steht die Börse (Royal Exchange) mit Lloyd's Subscription Rooms, ein Mittelpunkt des Verkehrs für alle, welche an der Reederei Interesse nehmen. Ferner gibt es in eine Aktienbörse (Stock Exchange), eine Kohlenbörse, Kornbörse, Hopfen- und Malzbörse. Sogen. Kaffeehäuser dienen den Kaufleuten als Versammlungspunkte, wo die ihnen wichtigen Nachrichten auf gemeinschaftliche Kosten angesammelt werden. So ist das »Baltic« Vereinigungspunkt der mit Rußland und dem Norden [* 6] Europas Handel treibenden Kaufleute; »Jerusalem« [* 7] dient dem Handel mit dem Osten und Australien, [* 8] »Jamaica« dem Handel mit Westindien. [* 9] - In Bezug auf den innern Verkehr ist noch der 14 Markthallen [* 10] zu gedenken, die weniger zahlreich sind, als man von der Ausdehnung [* 11] der Stadt erwarten dürfte, weil der Kleinhandel fast gänzlich in den Händen der über die ganze Stadt zerstreuten Krämer und der herumziehenden »Costermongers« ist. Unter diesen Markthallen sind die von der City erbauten Fleischhallen auf dem Smithfield, Billingsgate Market (für Fische) [* 12] an der Themse, die Viehmärkte im N. Londons und bei Deptford an der Themse die wichtigsten; Covent Garden Market (für Gemüse und Blumen) liegt im Westend.
Hafen und Docks. Der Hafen Londons erstreckt sich von der Londonbrücke bis zur Themsemündung, und der der Brücke [* 13] zunächst gelegene Teil ist als »the Pool« bekannt. Großartig sind die seit 1800 sämtlich von Aktiengesellschaften erbauten Docks auf beiden Themseufern. Sie erstrecken sich vom Tower, wo die Flut 5,3 m steigt, bis Tilbury, gegenüber Gravesend, und haben eine Wasserfläche von 276 Hektar nebst einem Areal von 522 Hektar für Warenhäuser und Gewölbe. [* 14] Die ältesten und noch immer die wichtigsten unter ihnen sind die London Docks, 1805 eröffnet, 37 Hektar groß, wovon 14 Hektar Wasser, und von großartigen Warenhäusern (namentlich für Tabak [* 15] und Kolonialwaren) und Weinkellern umgeben. Die Katharinendocks liegen oberhalb dieser ¶
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London Docks, die West India, Millwall, East India, Victoria, [* 17] Albert und Tilbury Docks unterhalb derselben. Auf dem jenseitigen Ufer der Themse liegen die Commercial Docks.
Schiffahrt und Seehandel. ist jetzt unstreitig der erste Seehafen Englands und somit der Welt. Nur Liverpool [* 18] kann mit ihm einen Vergleich aushalten; der Tonnengehalt seiner Schiffe [* 19] übertrifft sogar jenen der Londoner Schiffe und der Wert seiner Ausfuhr aus den benachbarten Fabrikbezirken denjenigen der Ausfuhr Londons. Anderseits aber ist der Schiffsverkehr Londons infolge der großen Ausdehnung der Küstenschiffahrt, welcher die Stadt namentlich ihre Kohlen verdankt, reger, und der Wert der für die Bedürfnisse der starken Bevölkerung eingeführten Waren ist bedeutend höher. London besaß 1886: 2610 Seeschiffe von 1,188,917 Ton. Gehalt, einschließlich von 1258 Dampfern (1853 erst 3365 Schiffe von 792,672 T. Gehalt). Im J. 1886 liefen 50,611 Schiffe von 11,988,127 T. Gehalt ein, darunter im Küstenhandel 40,306 Schiffe von 5,177,480 T. Die Einfuhr vom Ausland und den Kolonien hatte 1886 einen Wert von 128,008,767 Pfd. Sterl., und ausgeführt wurden britische Produkte im Wert von 46,125,495 Pfd. Sterl. und ausländische Produkte im Wert von 34,455,430 Pfd. Sterl. Die wichtigsten Artikel der Ausfuhr waren Baumwollwaren (6,398,231 Pfd. Sterl.), Metalle (4,868,933 Pfd. Sterl.), wollene Waren (4,192,144 Pfd. Sterl.), Kleider (2,606,447 Pfd. Sterl.), Maschinen (2,020,665 Pfd. Sterl.), Lederwaren (1,856,512 Pfd. Sterl.); ferner Papier, Messerschmiedewaren, Waffen, [* 20] Bier, Telegraphenapparate, Bücher, Zement, Chemikalien, Hüte, Jute, [* 21] Leinwand, Kunstdünger, Öl, Farben, Porzellan, Kautschukwaren, Glas [* 22] etc. Dabei ist zu berücksichtigen, daß einen großen Teil seines Verkehrs über Harwich, Dover [* 23] und Folkestone vermittelt. Bei der Einfuhr spielen Lebensmittel die Hauptrolle.
Wohlthätigkeitsanstalten.
Die Armenpflege ruht in den Händen der Guardians (Armenpfleger), von welchen aus Gemeindemitteln 38 Armenhäuser (Workhouses), 20 Krankenhäuser, 11 Armenschulen und 24 Asyle für Obdachlose unterhalten werden. Neben ihnen bestehen 3 Asyle für Blödsinnige und 7 Fieber- und Pockenhospitäler unter einem Asylum Board, von dessen Mitgliedern 45 von den Guardians und 15 von der Regierung ernannt werden. Von 10 Irrenhäusern werden 8 von und den Grafschaften gemeinschaftlich unterhalten, 2 (Bethlehem und St. Lukas) sind alte Stiftungen.
Diesen öffentlichen Anstalten stehen eine Unzahl von Privatanstalten zur Seite, und in der That dürfte es schwer fallen, eine Richtung der Wohlthätigkeit zu bezeichnen, welche nicht in London vertreten wäre. Unter diesen Anstalten nehmen die 190 Krankenhäuser (einschließlich von 5 Entbindungsanstalten und 54 Häusern für Genesende und Unheilbare) einen vornehmen Rang ein. Die vier größten unter ihnen sind das 1710 gestiftete London Hospital mit 800 Betten, Guy's Hospital (1721 gestiftet) mit 710 Betten, St. Bartholomew's (1123 gestiftet) mit 676 Betten und St. Thomas's (1563 gestiftet) mit 620 Betten.
Versorgungshäuser zählt man 94, teilweise aus dem Mittelalter stammend; als die ältesten unter ihnen sind das 1148 gestiftete Katharinenhospital im Regent's Park und das vom Bürgermeister Whittington 1521 gestiftete »College« anzuführen. Ferner erwähnen wir 26 Anstalten für Blinde, 8 für Taubstumme, 3 für Blödsinnige, 56 Waisenhäuser (darunter das 1739 gegründete »Findelhaus«, in welchem indes nur Kinder, deren Mütter dem Vorstand empfohlen sind, Aufnahme finden) etc. Zu diesen eigentlichen Wohlthätigkeitsanstalten kommen nun noch 92 Missionsgesellschaften (Jahreseinnahme über 1½ Mill. Pfd. Sterl.), Vereine für Kirchenbau, Bibelgesellschaften etc.
Bildungsanstalten, Museen etc.
Erst seit 1870, in welchem Jahr die Steuerzahler zuerst einen Schulvorstand (School Board) wählten, wird in London in systematischer Weise für die Elementarbildung des Volkes gesorgt. Die öffentliche Schulbehörde hatte 1885-86 eine Einnahme von 2,289,847 Pfd. Sterl., wovon nur 111,080 Pfd. Sterl. an Schulgeldern und 277,623 Pfd. Sterl. an Staatszuschuß, und ihre 6141 Lehrer und 1643 Lehramtskandidaten (pupil teachers) unterrichteten 379,525 Kinder. Außerdem waren die vom Staat anerkannten und unterstützten Schulen von 237,018 Kindern besucht.
Unter diesen Privatschulen sind diejenigen der kirchlichen National Society und der konfessionslosen British and Foreign School Society am wichtigsten. Anderseits fehlt es an guten Schulen für die Mittelklassen, welche noch großenteils auf Privatschulen angewiesen sind, für deren Leistungsfähigkeit keine Bürgschaft geboten wird. Was in dieser Richtung durch die Middle Class Educational Union, die Girls' Public Day-schools Company und andre Privatvereine gethan, ist anerkennenswert, aber keineswegs zureichend.
Den deutschen Gymnasien oder Realgymnasien entsprechen die 6 großen öffentlichen (Public) und 33 Lateinschulen (Grammar Schools), der Mehrzahl nach alte Stiftungen und teilweise Pensionate. Die berühmten »großen« Schulen sind: St. Paul's (gegründet 1512), Christ's Hospital (Blue coat School, 1553), Westminster School (1560), die Schule der Merchant Taylors (1561), Dulwich College (1619) und die City of London School (1834). Dazu kommen noch die mit King's und University Colleges verbundenen Gymnasien.
Für die weibliche Jugend bestehen 4 Colleges. An Fachschulen bestehen 12 theologische Colleges, 11 medizinische Schulen in Verbindung mit den großen Hospitälern, 2 Tierarzneischulen, ein von der City gegründetes Technical College, die königliche Bergbauschule, 11 Lehrerseminare, die Militärakademie in Woolwich und das Naval College in Greenwich, 4 Musikschulen (Academy, College in Guildhall, School of Music und Trinity College), ferner die Kunstschulen der Royal Academy und in Kensington, letztere mit zahlreichen Zweigschulen etc. Eine Universitätsbildung bieten das 1828 von der liberalen Partei gegründete University College (39 Professoren) und das kirchliche King's College (44 Professoren).
Die Londoner Universität ist eine von der Regierung überwachte Examinationsbehörde, deren Entwickelung zu einer Lehranstalt nur eine Frage der Zeit ist. Der Bildung und nebenbei geistigen Unterhaltung der arbeitenden Klassen widmen sich zahlreiche Anstalten und Vereine, wie die Polytechnic Young Men's Christian Association, Working Men's College, Birckbeck Institution, der im O. gelegene People's Palace (mit Bibliothek, Turnhalle etc., 1887 eröffnet) u. a. Auch besitzt eine Anzahl von Volksbibliotheken.
Unter den wissenschaftlichen und Kunstsammlungen Londons gebührt dem Britischen Museum (s. d.) der erste Rang. Das Gewerbemuseum in South Kensington (s. Kensington-Museum), zu dessen Entstehung die 1851er Weltausstellung den Anstoß gab, ist eine der größten derartigen Anstalten in der ¶