mehr
mehrere Vereine in Thurgau, St. Gallen, Bern, [* 2] Basel, [* 3] Aargau, und es erwarben sich besondere Verdienste F. Huber, Pfarrer Frei, E. Petzold, Elster [* 4] und Sprüngli. Die Schweiz [* 5] übte großen Einfluß auf Süddeutschland, namentlich auf Schwaben. 1824 entstand, angeregt durch Sekretär [* 6] Stadelbauer und G. A. Zumsteeg, der Stuttgarter Liederkranz; es folgten die Liederkränze in Ulm [* 7] (1825), Kirchheim, Göppingen, [* 8] Schorndorf, Reutlingen, [* 9] Eßlingen, [* 10] Heilbronn [* 11] etc. Diese Vereine vereinigten sich zu einem ersten deutschen Liederfest, das zu Pfingsten in Plochingen abgehalten und alljährlich wiederholt wurde. Wie in Schwaben, so zeigte sich auch in Baden [* 12] Nägelis Einfluß auf die Entwickelung des Volksgesanges. Nägeli hielt 1819 bis 1825 in Karlsruhe [* 13] und in mehreren rheinischen Städten Vorlesungen, infolgedessen 1824 die ersten Liedertafeln in Baden entstanden. 1844 fand das erste badische Sängerfest in Karlsruhe statt. Auch die rheinischen Städte rührten sich; im Februar 1828 entstand der Frankfurter Liederkranz, der bald eine hervorragende Stellung einnahm und sich später (1838) durch die Gründung der Mozart-Stiftung (s. d.) ein großes Verdienst erwarb.
In den 20er Jahren entstand auch die Liedertafel in Aachen, [* 14] die erste, die dem deutschen Lied im Ausland durch ihren in Brüssel [* 15] errungenen Sieg im Wettkampf Anerkennung verschaffte; ebenso erstritt sich der Kölner [* 16] Männergesangverein durch seine Leistungen in Belgien [* 17] und England eine hervorragende Stellung. Seitdem fanden die Liedertafeln eine massenhafte Verbreitung; überall entstanden neue Vereine, beispielsweise in Franken, Thüringen, Sachsen, [* 18] im Elbegebiet etc. In Österreich, [* 19] den Heimatsland eines Mozart, Haydn und Franz Schubert, fand, durch die politischen Verhältnisse zurückgehalten, der deutsche Männerchor erst spät Eingang. 1843 gründete Aug. Schmidt den Wiener Männergesangverein, der jetzt zu den bedeutendsten Vereinen zählt; dann folgten Graz, [* 20] Linz, [* 21] Innsbruck, [* 22] Brunn, Prag, [* 23] Reichenberg, [* 24] Salzburg [* 25] etc. Von besonderer Bedeutung wurde das Männergesangwesen, namentlich in nationaler Beziehung, als die einzelnen Vereine zu kleinern und größern Sängerbünden sich vereinigten, die vorerst gemeinschaftliche Aufführungen bezweckten und sich deshalb gemeinsamen Bestimmungen unterwarfen.
Bald feierte jeder deutsche Gau sein jährlich wiederkehrendes Sängerfest. Diese Feste waren anfangs auf die einfachste Weise eingerichtet: die Sänger kamen und gingen meist an demselben Tag, und die Kirche war der Schauplatz der Produktion. Erst später kam ein neues Element hinzu, das den Festen eine höhere Bedeutung verlieh, als sie bisher gehabt. Aarau [* 26] feierte ein eidgenössisches Sängerfest, das einen allgemeinen nationalen Charakter erhielt. Ein zweites derartiges Fest beging im folgenden Jahr Zürich, [* 27] an dem 2000 Sänger aus elf Kantonen teilnahmen, welche einen Sängerwettkampf ausführten, der von nun an ein neues Moment der Gesangfeste bildete. Auch das Äußere der Feste wurde prunkvoller. Besondere Sängerhallen wurden erbaut, große Festzüge mit fliegenden Fahnen fanden statt; ein Tag genügte nicht mehr, die Gastfreundschaft der Bewohner des Festortes bot den Sängern freudig Obdach und Lagerstatt. Eins der ersten deutschen Feste von solchem Zuschnitt war das fränkische Gesangfest zu Schweinfurt [* 28] (1843).
Zu besonders hervortretender nationaler Bedeutung erhob sich der Männergesang zu jener Zeit in den beiden Herzogtümern im Norden [* 29] der Elbe. 1841 bildete sich die erste Allgemeine Liedertafel in Altona; [* 30] andre folgten in Eckernförde, Kiel, [* 31] Rendsburg, [* 32] Schleswig, [* 33] Flensburg [* 34] nach; es fanden niederelbische Gesangfeste statt, bei denen der Gesang, in Verbindung mit dem freien Wort, im Dienste [* 35] des Widerstreits gegen das Dänentum benutzt wurde. In den Tagen vom 23.-25. Juli 1844 fand in Schleswig ein Gesangfest statt, bei welchem die Liedertafel von Schleswig mit dem für diesen Tag geschaffenen Schleswig-Holstein-Lied auftrat (s. Chemnitz [* 36] 3). Auch die Poesie trug nun ihr Scherflein zu dem Glanz der Feste bei.
Die herbeiziehenden Sängerscharen brachten gedruckte poetische Festgrüße, das gesprochene Wort machte seine lebendige Kraft geltend; man wollte schon nicht mehr bloß singen, man sprach von deutschem Volksleben, von der Vereinigung deutscher Stämme durch den Gesang. Mit diesem Zweck trat das erste allgemeine deutsche Sängerfest zu Würzburg [* 37] (im August 1845) offen hervor. Ein andres großes deutsches Sängerfest fand 1847 zu Lübeck [* 38] statt. Die Idee der geistigen Vereinigung der deutschen Stämme durch die Vereinigung ihrer Sänger fand noch weitere Ausdehnung [* 39] im Westen Deutschlands, [* 40] wo man darauf dachte, auch die stammverwandten holländischen und belgischen Nachbarn dem deutschen Geist wieder zu nähern, wie man denn auch außerhalb Deutschlands, ja selbst jenseit des Ozeans mit Bildung von Männergesangvereinen rüstig vorging. In London [* 41] wurde die erste Liedertafel 1845, in Riga [* 42] 1833, in Konstantinopel [* 43] 1847 gegründet.
Von französischen Städten hat Lyon [* 44] den ältesten Liederkranz (1834), dem Mendelssohn sein »Lied an die Deutschen in Lyon« widmete. In Amerika [* 45] entstand der erste Männerchor 1835 zu Philadelphia, [* 46] in Australien [* 47] Anfang der 60er Jahre. In Brüssel und Gent [* 48] waren 1835 die ersten Männergesangvereine entstanden; im September 1841 wurde in Brüssel ein Gesangwettstreit abgehalten, an welchem sich auch deutsche Vereine beteiligten. 1844 feierte man in Gent ein Gesangfest, welchem Feste der Deutsch-vlämische Sängerbund sein Entstehen verdankte. Am fand das erste holländisch-deutsche Sängerfest zu Kleve und im Juni 1846 das erste deutsch-vlämische Sängerfest zu Köln [* 49] statt; jenem folgte 1846 das zu Kleve und 1847 das zu Arnheim, diesem das zu Brüssel (1846) und das zu Gent (1847). Für das Jahr 1848 war ein Sängerfest des Deutsch-vlämischen Bundes in Frankfurt [* 50] a. M. beabsichtigt, das aber infolge der politischen Ereignisse unterbleiben mußte.
Auch die folgenden Jahre zeigten sich den Liedertafelbestrebungen wenig günstig, und es währte eine geraume Zeit, bis die Feier eines allgemeinen deutschen Sängerfestes wieder angeregt wurde. Dies geschah auf dem Sängertag, den der Koburger Sängerkranz 1860 veranstaltete. Man wählte Nürnberg [* 51] zum Festort und feierte in dieser Stadt im Sommer 1861 ein Gesangfest, das sich zu einem erhabenen Verbrüderungsfest gestaltete. Am Nachmittag des letzten Festtags traten die anwesenden Direktoren und Vorstände der Liedertafeln zu einer Beratung zusammen, in welcher unter anderm der Antrag auf Gründung eines Allgemeinen deutschen Sängerbundes gestellt und angenommen wurde. Man übertrug die Vorarbeiten zur Gründung eines solchen dem Schwäbischen Sängerbund, der sich seiner Aufgabe mit unverkennbarem Geschick und Organisationstalent entledigte. Am fand in Koburg [* 52] ein Sängertag statt, an welchem sich 75 Abgeordnete als Vertreter von 41 Sängerbünden beteiligten. Von diesem Tag an datiert ¶
mehr
die Gründung des allgemeinen Deutschen Sängerbundes, einer die Sängerbünde Deutschlands und die Sängerbünde und Männergesangvereine der im Ausland lebenden Deutschen umfassenden Vereinigung. Das Streben des Bundes bezweckt die Ausbildung und Veredelung des deutschen Männergesangs; auch will der Deutsche [* 54] Sängerbund durch die dem Lied innewohnende einigende Kraft [* 55] die nationale Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme stärken und an der Einheit und Macht des Vaterlandes mit arbeiten.
Das offizielle Bundesorgan ist die Zeitschrift »Die Sängerhalle« (Leipzig), [* 56] redigiert von 1862 bis Mai 1887 von H. Pfeil, seitdem von K. Kipke. Jetzt besteht der Deutsche Sängerbund aus ca. 50 Einzelbünden mit etwa 50,000 Sängern. Ein nur für die Mitglieder des Bundes berechnetes Unternehmen ist das »Liederbuch des Deutschen Sängerbundes«. Seit seinem Bestehen hat der Deutsche Sängerbund drei Gesangfeste abgehalten: 1865 in Dresden, [* 57] 1874 in München [* 58] und 1882 in Hamburg. [* 59] 1877 wurde aus freiwilligen Beiträgen der Mitglieder eine Sängerbundsstiftung zur Unterstützung von Komponisten auf dem Gebiet des deutschen Männergesangs und deren Hinterbliebenen errichtet. Der Vermögensbestand der Stiftung bezifferte sich September 1887 auf rund 85,000 Mk.
Vgl. O. Elben, Der volkstümliche deutsche Männergesang, seine Geschichte etc. (2. Aufl., Tübing. 1887);
Widmann, Die kunsthistorische Entwickelung des Männerchors (Leipz. 1884).
Über den Männergesang in Frankreich s. Orphéon.