Als Mitglied der deutschen
Nationalversammlung war er im volkswirtschaftlichen
Ausschuß thätig und gehörte zur Gagernschen
Partei. 1851 ward er in die Erste, 1852 in die Zweite preußische
Kammer gewählt, der er bis zu seinem
Tod angehörte, und
wirkte hier namentlich für die
Befreiung der ländlichen
Gemeinden von der gutsherrlichen
Vormundschaft.
An der Ausarbeitung des 1854 von den Abgeordneten v.
Auerswald und v.
Patow eingebrachten
»Entwurfs einer Landgemeindeordnung
für die sechs östlichen
Provinzen der preußischen
Monarchie« (Berl. 1854) hatte
er den wesentlichsten
Anteil.
»Über die Verfassungszustände in
Preußen«
[* 5] (das. 1857) und »Die Verteilung
des
Grundeigentums im Zusammenhang mit der Geschichte, der
Gesetzgebung und den Volkszuständen« (das. 1858).
Volksstamm in Rußland, der mit den Litauern, den Shmuden (Samogitiern) und den alten
Preußen einen besondern
Zweig des baltischen
Astes des indogermanischen
Völker- und Sprachstammes, den litauischen oder lettischen,
bildete. und Litauer haben denselben Nationalcharakter und in der Hauptsache dieselben
Sitten, häuslichen Einrichtungen und
Gewohnheiten. Solange die Geschichte sie kennt, erscheinen die Letten als eine
Fremden unterworfeneNation,
zuerst den
Russen tributpflichtig, später den
Deutschen unterthan.
Stets unkriegerisch, haben sie nicht einmal einen Landesadel aus sich erzeugt, sondern sind seit
Jahrhunderten ein stilles,
friedliches
Volk von Ackerbauern und
Hirten. Während die Litauer der polnischen Herrschaft und damit dem polnischen
Katholizismus
anheimfielen, wurden die Letten dem
DeutschenOrden
[* 6] unterthan und dadurch zum
Luthertum geführt. Sie bewohnen
ein Gebiet, dessen Grenzlinie bei
Salis im O. des Rigaischen
Meerbusens beginnt, über Rujen,
Walk und Oppekaln ins witebskische
Gouvernement führt, sich dann südlich wendet, an Marienhausen und Rositten vorbei bis gegen die Ostspitze
Kurlands und von
da, mit Einschluß von
Birsen und Szaimen, nach
Polangen führt.
Unterabteilungen des eigentlichen lettischen
Stammes gibt es vornehmlich drei: die eigentlichen Letten im südlichen
Livland,
[* 7] das
oft vorzugsweise Lettland
(Latweeschu seme) genannt wird, die kurländischen auf der
HalbinselKurland und die Semgaller im
Herzogtum
Semgallen (»Grenzland«),
dem Teil von
Kurland, der von
Mitau
[* 8] aus sich an der
Düna hinauf erstreckt.
Ihre Anzahl wird auf 1,050,000 angegeben; davon leben 460,000 in
Kurland, 17,500 im
GouvernementKowno, 392,000 in
Livland, 175,000
in
Witebsk, der Rest in St.
Petersburg
[* 9] und einigen benachbarten
Gouvernements. Die Letten sind von mittlerer
Größe, selten korpulent,
von weißer Hautfarbe, mit schlichtem, meist blondem
Haar,
[* 10] grauen oder blauen
Augen, mäßigem Bartwuchs
und mäßig langem, ziemlich breitem
Schädel.
Seit der Aufhebung der
Leibeigenschaft sind die Letten in einer raschen Zunahme begriffen. Ihrem Nationalcharakter nach sind sie
schüchtern, geduldig und fügsam, offenherzig, gastfrei, aber gegen ihre
Herren, die
Deutschen und
Russen, mißtrauisch und
versteckt. Die Spekulationssucht und die Handelstalente der
Russen fehlen den Letten
Da es ihnen früher nicht
erlaubt war, Manufakturen und andre Etablissements irgend einer Art zu begründen, so zersplitterten sie ihre von
Natur reichen
Anlagen in den kleinen
Geschäften des
Ackerbaues und der häuslichen
Wirtschaft.
Jetzt findet man bei ihnen
Handwerker jeder Art, und besonders seit in jüngster Zeit der Erbgrundbesitz
sich bei ihnen eingebürgert hat, entfalten sie eine rege Thätigkeit, infolgedessen der materielle Wohlstand im
Wachsen begriffen
ist.
Dörfer gibt es namentlich in
Kurland und im südlichen
Livland nur wenige, da die Letten vorzugsweise in Einzelhöfen leben.
In ihrer
Kleidung wählen sie fast ausschließlich die weiße und hellgraue
Farbe, ihre alte
Nationaltracht
verschwindet aber von Jahr zu Jahr mehr.
Die
Propaganda der griechisch-katholischen
Kirche hat es vermocht, daß etwa 50,000 Letten vom
Luthertum abgefallen und zur orthodoxen
Kirche übergetreten sind. Die
Sprache
[* 11] der Letten bildet mit dem
Litauischen und dem ausgestorbenenAltpreußischen
zusammen die »lettische« (baltische oder litauische)
Familie des indogermanischen Sprachstammes, steht aber an Altertümlichkeit
und daher an Wichtigkeit für die Sprachforschung hinter ihren beiden Schwestersprachen weit zurück.
An sich ist sie wohllautend, kräftig und besonders in der Ausdrucksweise der Naturlaute reich und schön. Die
Poesie der ist
eine echte Volkspoesie und zwar lyrisch-idyllischen
Inhalts. Der vor 400
Jahren beendigte
Kampf gegen die
deutschen Eroberer hat nirgends eine
Spur von Kriegsliedern bei ihnen zurückgelassen; um so reicher sind sie an zarten und
tiefsinnigen mythologischen Liedern, Liebesliedern,
Hochzeits- und Klagegesängen und andern Volksliedern, deren man bereits
ca. 40,000 gesammelt hat (vgl. Ulmann, Lettische
Volkslieder,
Riga
[* 12] 1874). Nicht weniger zahl- u. sinnreich
sind die Volksrätsel,
Sprichwörter und
Sagen der Letten (vgl.
Bielenstein, 1000 lettische
Rätsel,
Mitau 1881). Mit der
Poesie stets
aufs innigste verbunden waren
Musik und
Tanz, und die echten alten
Volks- und Tanzweisen zeichnen sich durch große Originalität
aus (vgl. Jurjan, Lettische
Volkslieder mit Klavierbegleitung,
Riga 1885). Von den
Musikinstrumenten der
alten Letten, zu denen ein Kuhhorn (rags), eine Art
Klarinette (stabule), eine Rohrpfeife (swilpe), der
Dudelsack (duhkas) und
eine Art
Zither (kokle, das
Instrument der
Barden) gehörten, sind jetzt manche nur noch dem
Namen nach bekannt; doch findet
die
Musik auch heute noch durch zahlreiche
Gesangvereine eifrige
Pflege. Die von
Ramm 1530 veranstaltete
Übersetzung
¶
mehr
der Zehn Gebote und der von Joh. Rivius (gest. 1586) übersetzte KatechismusLuthers werden für die ältesten Denkmäler der
lettischen Litteratur gehalten. In der ersten Zeit haben besonders die Deutschen an der Ausbildung und Sammlung des lettischen
Sprach- und Litteraturstoffs erfolgreich gearbeitet; in den letzten Jahrzehnten aber ist die lettische
Litteratur fast ausschließlich von Letten selbst bearbeitet und bereichert worden, vorzugsweise durch Übersetzungen
aus fremden Sprachen, aber auch durch Originalarbeiten. Als der erste Dichter der Letten muß Stender (1714-96), der als Volks-
und Sprachbildner bahnbrechend wirkte, genannt werden; nächst ihm verdienen Erwähnung: Jur Alunan (gest. 1864), M. Kroghem
(Pseudonym Ausaklis, gest. 1879) sowie von Lebenden der Epiker Lautenbach (Pseudonym Jusminis, geb. 1847),
der Novellist M. Kaudsit (geb. 1848), Fr. Brihwsemneeks (geb. 1846) u. a. Zeitschriften in lettischer Sprache erscheinen gegenwärtig
neun.