mehr
gethan), sondern auch
eine beträchtliche
Bibliothek zu sammeln, die er freilich schon in den nächsten
Jahren als Notpfennig
betrachten und wieder veräußern mußte. Die wichtigsten geistigen
Resultate der (bis 1765 währenden)
Breslauer Zeit waren
die Ausführung des
Lustspiels »Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück« (Berl.
1767),
das erste voll und ganz ohne jedes
Muster und ohne jede Anlehnung aus dem
Leben geschöpfte deutsche
dramatische Werk, und die
Schrift
»Laokoon, oder über die
Grenzen
[* 2] der
Malerei und
Poesie« (das. 1766, erster Teil; der zweite
ward nie vollendet), in welch letzterer Lessings
Kritik die Überschätzung der deskriptiven
Poesie beseitigte, die
Handlung
in der
Poesie und damit die dramatische und erzählende
Dichtung in ihr
Recht einsetzte und nach der litterarischen
Seite hin kl
ärend und grundlegend im höchsten
Sinn wirkte.
Trotz der litterarischen Stellung, welche Lessing nach diesen Werken einnahm, wollte sich eine seiner Natur entsprechende bürgerliche Stellung für ihn nicht finden. Er war 1765 nach Berlin [* 3] zurückgekehrt, wo man ihm Hoffnungen auf eine Berufung als Bibliothekar gemacht hatte. Als diese Hoffnung getäuscht ward, erschien ihm Berlin als eine »verzweifelte Galeere«; er sehnte sich hinweg und nahm daher mit Freuden eine Aufforderung an, seine Kräfte dem »Nationaltheater« zu widmen, welches man in Hamburg [* 4] eben errichtete. Als Dramaturg und Rechtskonsulent der neuen Bühne begab er sich im April 1767 nach Hamburg, das ihm als Stadt schon beim ersten Sehen [* 5] sehr behagte. Seine Hauptaufgabe sollte die Abfassung einer kritischen Zeitschrift sein, welche die Leistungen und Versuche des Nationaltheaters Anteil nehmend zu begleiten hatte und als »Hamburgische Dramaturgie« (Hamb. 1768) in der That 1. Mai d. J. ins Leben trat.
Die schlecht vorbereitete und schlecht geleitete, vom unreifen Publikum jener Tage noch schlechter unterstützte Unternehmung brach indes schon nach kurzer Zeit zusammen; ihr größter Ruhm bleibt, zu Lessings »Dramaturgie« den äußern Anlaß gegeben zu haben. In diesen Blättern entfaltete eine neue glänzende Seite seiner schöpferischen Kritik; er steckte der dramatischen Dichtung die höchsten Ziele, vernichtete den Rest von Autorität, dessen sich das französische Drama noch erfreute, und wies auf Shakespeare als den ersten und größten Charakterdarsteller hin.
Nach dem
Scheitern des
Theaters setzte Lessing noch kurze Zeit hindurch
Hoffnungen auf den Erfolg eines Verlagsgeschäfts,
das er mit
Chr.
Bode begründet hatte. Als auch
dieser ausblieb, fand Lessing, daß es ihm unmöglich sein werde, »des
Sperlings
Leben auf dem
Dach«
[* 6] in dem geliebten
Hamburg fortzusetzen, und entschloß sich im
Herbst 1769, die ihm durch
Ebert in
Braunschweig
[* 7] angetragene
Stellung als Bibliothekar der herzoglichen
Bibliothek in
Wolfenbüttel
[* 8] anzunehmen.
Die letzte Zeit in
Hamburg war durch die Abfassung der
»Briefe antiquarischen
Inhalts« (Berl. 1768-69) bezeichnet gewesen. In
denselben wurde der ränkesüchtige
Professor
Chr. A.
Klotz, welcher sich als
Führer einer litterarischen
Clique hohler und anmaßlicher
Gesellen hervorgethan, mit höchster kritischer
Schärfe und gründlichster
Gelehrsamkeit schwer gestraft.
Die damalige
Generation, welche den Wert eines
Mannes nicht nach seiner
Bildung und seinem
Charakter, sondern lediglich nach
der äußern
Stellung schätzte, konnte sich an diesen rückhaltlos wahrhaftigen
Ton und diese rein sachliche
Kritik nur schwer
gewöhnen; erst die nächstfolgende Zeit ermaß richtig, welche
Dienste
[* 9] Lessing selbst mit seiner
Polemik der
litterarischen und sittlichen
Kultur der
Nation geleistet. Auch
die Untersuchung: »Wie die Alten den
Tod gebildet« (Berl. 1769)
ging aus den
Klotzschen
Händeln hervor.
In
Wolfenbüttel,
wo L. sein
Amt im Frühjahr 1770 antrat, begann er eine
Reihe von Veröffentlichungen aus den handschriftlichen
Schätzen der
Bibliothek, von denen die
Schrift über »Berengarius Turonensis« (Braunschw.
1770) den Anfang machte, während sich die Abhandlungen und
Fragmente »Zur Geschichte und Litteratur« (das.
1773-81, 6 Bde.) über eine
Reihe von
Jahren erstreckten. Wie wertvoll einzelne dieser
Publikationen auch
sein mochten, so war
es für die
deutsche Litteratur wichtiger, daß Lessing gleich in der ersten Zeit nach seiner Niederlassung
in
Wolfenbüttel ein poetisches Meisterwerk wie seine
Tragödie
»Emilia Galotti« (Berl. 1772), dessen Anfänge ins Jahr 1757 zurückreichen,
das aber gleichwohl erst auf der
Höhe seines Könnens wirklich
ausgeführt wurde, vollendete.
Leider gestalteten sich die Lebensverhältnisse Lessings nicht so, ihm Lust und
Mut zum poetischen
Schaffen
zu erhöhen. Er hatte das
Amt in dem »stillen
Winkel«
[* 10]
Wolfenbüttel vor allem mit übernommen,
weil er, wie es scheint zum erstenmal
im
Leben, den starken
Wunsch empfand, sich zu vermählen. Die
Witwe eines ihm befreundeten
Hamburger
Kaufmanns, die geistesklare
,
willenskräftige
Eva König, wurde seine Verlobte. Da sie aber das ausgebreitete
Geschäft ihres verstorbenen
Gatten zu leiten und zu liquidieren hatte, um ihren
Kindern einen Teil ihres
Vermögens zu retten, und sich die
Entscheidung
dieser
Dinge jahrelang hinzog, da inzwischen auch
er mit mancherlei Mißhelligkeiten zu kämpfen hatte, so schlossen die Jahre
zwischen 1771 und 1776 vielerlei bittere
Erfahrungen und trübe
Stimmungen für ein.
Pläne, eine andre Stellung zu gewinnen, kamen über den ersten Entwurf nicht hinaus. Im Anfang 1775 riß sich Lessing von Wolfenbüttel los, ging über Dresden [* 11] und Prag [* 12] nach Wien, [* 13] wo er seine Verlobte nach langer Trennung wiedersah. Die Aufnahme, welche er in Wien in allen Kreisen und selbst bei der Kaiserin Maria Theresia fand, war eine durchaus ehrenvolle. Trotzdem sehnte er sich nach Wolfenbüttel zurück, weil sich die Aussichten für eine endliche Verbindung mit Eva König günstiger gestaltet hatten. So nahm er es mit geteilter Empfindung auf, daß ihn Prinz Leopold von Braunschweig aufforderte, als Reisegefährte mit ihm Italien [* 14] zu besuchen. Er glaubte es seinem Verhältnis zum braunschweigischen Hof [* 15] und seiner Zukunft schuldig zu sein, dem Verlangen des Prinzen zu willfahren.
Die ursprünglich auf wenige Monate berechnete Reise, die sich bis nach Neapel [* 16] und nach Corsica [* 17] ausdehnte, und von welcher Lessing erst in Braunschweig wieder eintraf, genoß er so unter eigentümlichen Umständen und, da die Korrespondenz mit Eva König völlig ins Stocken geriet, nur halb; tiefere Eindrücke derselben auf sein geistiges Leben können nicht nachgewiesen werden. Nachdem er im Sommer 1776 eine mäßige Gehaltserhöhung und den Titel als Hofrat erhalten, fand im Oktober d. J. auf dem York bei Hamburg seine Hochzeit statt.
Ein friedvolles, glückl
iches Jahr (1777) war Lessing beschieden, leider auch
nicht viel mehr als eins: am starb
Eva Lessing infolge der
Geburt eines
Sohns, der jedoch tags darauf starb. (Vgl.
Thiele,
Eva ein Lebensbild,
Halle
[* 18] 1881.) In tiefster
Erschütterung sah sich Lessing wiederum und tiefer als zuvor vereinsamt.
Noch in dem Jahr des Verlustes seiner
Frau ward er in neue härtere und erbittertere Streitigkeiten als je zuvor verwickelt. In seinen
Publikationen aus den handschriftlichen
Schätzen der
Bibliothek zu
Wolfenbüttel hatte er schon
¶
mehr
1774 ein Bruchstück: »Von Duldung der Deisten, Fragment eines Ungenannten«, mitgeteilt, dem er 1777 und 1778 weitere »Fragmente«
(die Offenbarung, die Geschichte der Auferstehung etc. betreffend) folgen ließ. Verfasser des Manuskripts war der verstorbene
Arzt Sam. Hermann Reimarus in Hamburg, ein rationalistischer Deist nach dem Muster der englischen und französischen
Deisten und Freidenker des 18. Jahrhunderts. Lessing, der auch
in andern den Drang zur Wahrheit am höchsten achtete, stimmte keineswegs
mit den Anschauungen des Fragmentisten unbedingt überein.
Als indes die unduldsamen Zionswächter der alten Orthodoxie begannen, die Beschuldigung gegen ihn zu schleudern, daß er »feindselige Angriffe gegen unsre allerheiligste Religion« verfaßt und unter seinen Schutz genommen, als namentlich der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Göze gegen Lessing zu polemisieren begann, nahm dieser den hingeworfenen Fehdehandschuh auf und verfocht das Recht der Skepsis gegenüber dem geistlosen Buchstabenglauben, pfäffischer Verdammungssucht und hochmütigem Dünkel.
Die Streitschriften Lessings: »Nötige Anwort ^[richtig: Antwort] auf eine sehr unnötige Frage«, »Axiomata«, »Anti-Göze« (sämtlich Braunschw. 1778), ausgezeichnet durch Schärfe der Logik, fortreißende Beredsamkeit und unvergleichlichen Reiz des Stils, überlebten den Kampf und seinen Anlaß. Am Ende wurde Lessing, da er nicht zu besiegen war, durch Denunziationen bei seiner Regierung zum Schweigen gebracht und so genötigt, »seine alte Kanzel, das Theater« [* 20] noch einmal zu besteigen, um ein letztes Wort zu gunsten der Toleranz und des Humanitätsgedankens zu sprechen. Auf Subskription ließ er die Dichtung »Nathan der Weise« (o. O. 1779) erscheinen, in der er zur Form der gebundenen Rede (fünffüßige Iamben) zurückkehrte. Dies Drama hat seine Stärke [* 21] nicht in der straffen Schürzung und Lösung der Handlung, sondern neben der meisterhaften, psychologisch tiefen Charakteristik wirkt das Pathos edelster Gesinnung und reinster Überzeugung mit unwiderstehlicher Gewalt. Der »Nathan« war Lessings letzte große dichterische, ja seine letzte litterarische That. Im nächsten Jahr lieferte er noch die Schrift »Die Erziehung des Menschengeschlechts« (Berl. 1780) und vollendete »Ernst und Fall, Gespräche für Freimaurer« (Wolfenb. u. Götting. 1778-80), in beiden die Hauptideen wiederum darlegend, die ihn in den letzten Jahren erfüllt und bewegt hatten. Seine physische Kraft [* 22] war seit dem Tod seiner Gattin gebrochen, flackerte bei einzelnen Ausflügen nach Hamburg und Braunschweig gleichsam nur wieder auf. Bei einem Besuch in Braunschweig erkrankte und starb er Den ersten Nachruf, der seinem ganzen Verdienst gerecht wurde, widmete ihm Herder in Wielands »Merkur«. [* 23]
Lessings Persönlichkeit gehört zu denen, die lebendig und fruchtbar nachwirkend im Bewußtsein ihres Volkes bleiben. Sein Streben und Schaffen ist für die Entwickelung des geistigen Lebens der Deutschen, ja man darf sagen aller heutigen Kulturvölker, von unermeßlichem Einfluß gewesen. Fassen wir zunächst seine dichterische Bedeutung ins Auge, [* 24] so zeigt sich diese, soweit sie wahrhaft großartiger Natur ist, wesentlich auf das dramatische Gebiet beschränkt.
Lessings lyrische Gedichte entstammen noch der Periode, wo die Empfindung nach freiem Ausdruck rang und
der einzelne seiner Empfindung erst schüchtern gewiß ward. Unter seinen sämtlichen kl
einen Reimereien hat nur das Lied:
»Gestern, Brüder, könnt ihr's glauben« sich im Gedächtnis der Nachkommen erhalten. Lehrhafter Scherz und lehrhafter Ernst
sind neben der Präzision und
Reinheit des Ausdrucks das Beste, was wir in seinen lyrischen Erzeugnissen
antreffen.
Höher stehen seine Fabeln und Schwänke, obwohl auch
bei ihnen seine der Weitschweifigkeit und behaglichen Breite
[* 25] von damals
bewußt entgegengesetzte Knappheit und epigrammatische Kürze das Hauptverdienst ist. Auch
seine Epigramme überragen die bessern
gleichzeitigen nur in einzelnen schärfern Pointen. Die poetische Produktion quoll bei Lessing, wie bei all
seinen Zeitgenossen, nicht unmittelbar aus dem Gefühl, sie hatte erst den Weg durch den reinigenden Destillierkolben kritischer
Reflexion
[* 26] zurückzulegen. Er selbst hat bekanntlich in einer viel und unnötig erörterten Stelle der »Dramaturgie« sich das
dichterische Genie abgesprochen.
»Ich fühle«, sagt er dort, »die lebendige Quelle [* 27] nicht in mir, die durch eigne Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren [* 28] aus mir herauspressen.« Mit Recht hat gegen dies Urteil Goethe bemerkt: »Lessing wollte den Titel eines Genies von sich ablehnen, aber seine dauernden Wirkungen zeugen wider ihn selber«;
nicht nur die Dauer dieser Wirkungen, darf man hinzusetzen, sondern vorzüglich die Dauer der Ursache derselben, nämlich Lessings große Produktivität auf dramatischem Feld.
Eine Fruchtbarkeit,
wie er sie hier entwickelt hat, wäre unerkl
ärlich, wenn man sie nicht aus dem angebornen lebendigen Schaffenstrieb, in
dem das Genie wesentlich besteht, ableiten dürfte. Die Wahrheit in jener Selbstcharakteristik beschränkt
sich auf die Thatsache, daß Lessing erst nach theoretischem Eindringen in das Wesen der Dichtkunst, besonders des Dramas, zu der
Kunsthöhe emporstieg, auf der ihn seine Zeit sah, auf der wir ihn heute noch sehen. Den ersten Schritt zu dieser Höhe
that er in seiner »Miß Sara Sampson«. So dürftig das Grundmotiv dieser Dichtung uns jetzt erscheint, so groß ist die Differenz,
welche sie von den gleichzeitigen Dramen andrer, ja auch
von Lessings eignen frühern dramatischen Dichtungen unterscheidet.
Die kühne Neuerung Lessings in jenem Trauerspiel war, daß er es, statt nach dem bisher allein gültigen
Muster der Franzosen, nach dem der Engländer bildete, welche den Kampf mit dem französischen Kl
assizismus bereits siegreich
begonnen hatten. Zugleich aber ging auch
hier über seine englischen Muster hinaus, deren Mißgriffe in der Wahl des Stoffes
vermeidend und sie an Wahrheit und Lebendigkeit der Charakterzeichnung weit überbietend. Das Studium Diderots
und des Aristoteles, vor allem aber die Beschäftigung mit den »ewigen Urbildern aller
Tragik«, mit Sophokles und Shakespeare, erweiterten von nun an Lessings Einblick in die wahren Gesetze des Dramas und ließen
ihn immer entschiedener sich von der Afterkl
assizität der Franzosen abwenden.
Die gewonnene Erkenntnis machte ihn zum vernichtenden Gegner Gottscheds, als welcher er nirgends schärfer auftritt als im 17. Litteraturbrief. In dem Sophokleische Einwirkungen deutlich verratenden »Philotas« zeigte sich zunächst Lessings ästhetischer Fortschritt praktisch. Das Stück übt durch die edle Mannhaftigkeit der Gesinnung, die es atmet, durch seine herrliche Naturwahrheit, durch die tiefe Einfalt seiner Tragik einen wundervollen Zauber aus. Entscheidender aber noch treten die Vorzüge seiner Muse und die Fruchtbarkeit der Erkenntnisse, welche der Dichter auf theoretischem Wege gewonnen, hervor in »Minna von Barnhelm«, diesem im schönsten Sinn eigenartig deutschen Lustspiel, das, dem unmittelbarsten Leben der Gegenwart entnommen, ¶