mehr
Butter, Milch, Klauenfett und Salz [* 2] bestrichen, in rotierenden Trommeln unter Zuströmen warmer Luft bearbeitet, an die Luft gehängt, von neuem mit dem Gemisch behandelt und hiermit so lange fortgefahren, bis sie gar sind. Das ist besonders biegsam, leicht, fest und dauerhaft. Nach einem zwischen dem Weiß- und Sämischgerben stehenden Verfahren erhielt Klemm das Fettleder, welches, aus starken Häuten bereitet, zu Maschinenriemen, schwerem Schuhwerk, Tornistern etc. verwendbar ist, während Hirsch-, Reh-, Ziegen-, Schaf- und Gemsfelle die schönsten Handschuhleder liefern. Es wird durch anhaltende Behandlung mit siedendem Wasser wenig oder kaum verändert. Zur Darstellung werden die Häute durch Anschwöden enthaart, ausgewaschen und ausgestrichen, in Kleienbeize behandelt, in frischem Wasser abgeschwenkt und auf der Fleischseite ausgestrichen. Zum Gerben benutzt man eine salzhaltige warme Alaunbrühe, in welcher die Häute 24 Stunden verbleiben; dann wäscht man sie mit lauem Wasser, bearbeitet sie in einem Brei aus Mehl, [* 3] Hirn und Kammfett und läßt sie trocknen.
[Sämischgerberei.]
In der Sämisch- oder Ölgerberei werden Hirsch-, Reh-, Gems-, Elen-, Schaf-, Ziegen-, Kalbfelle, auch Ochsenhäute verarbeitet, und man verwandelt dieselben in Leder, indem man sie mit Fett oder Thran (welches jetzt meist mit einigen Prozenten Karbolsäure versetzt wird) imprägniert und der Luft aussetzt. Das Fett verschwindet dabei für die Wahrnehmung vollständig; es läßt sich aus dem Leder nicht mehr durch Waschen entfernen, und beim Kochen mit Wasser verwandelt sich das Leder äußerst schwer in Leim.
Das sämischgare ist ungemein weich, von fast wolliger Beschaffenheit, besonders wenn, wie bei dicken Ledern üblich, die minder dehnbare und geschmeidige Narbe abgestoßen wurde. Es ist nicht wasserdicht, verliert aber durch Wasser nicht seine Gerbung und kann ohne Schaden gewaschen werden (Waschleder). Die Felle werden geweicht, gestreckt, stark gekalkt und enthaart, wobei man von den stärkern zugleich die Narbe abstößt, dann wiederholt mit Kalk behandelt und auf der Fleisch- und Narbenseite bearbeitet.
Hierauf wässert man die Häute in lauwarmem Wasser, bringt sie in angewärmte, stark saure Kleienbeize und spült und preßt oder ringt sie aus. Behufs der Gerbung werden die Felle wiederholt mit Thran eingerieben, gewalkt und dazwischen der Luft ausgesetzt, bis sie nur noch wenig Fett aufzunehmen vermögen. Schon während des Aushängens an die Luft verändert sich ein Teil des Fettes und verbindet sich mit der Haut; [* 4] die Umwandlung und Bindung des größern Restes erreicht man durch Aufschichten der Felle in der Wärmekammer, wobei eine Art Gärung eintritt und das Fett energischer Oxydation unterliegt (Färben in der Braut).
Das ölgare ist nun gelb und besitzt einen eigentümlichen, nicht mehr thranigen Geruch. Es enthält aber immer noch etwas ungebundenes Fett und wird deshalb zunächst mit lauwarmer Pottaschelösung behandelt (s. Dégras), dann ausgerungen, getrocknet und gestollt, um ihm die größte Geschmeidigkeit zu geben. Man kann das sämischgare auch bleichen, indem man es an der Sonne [* 5] mit Wasser, Seifenlösung oder der zum Auswaschen benutzten Pottaschelösung benetzt.
Gefärbt wird das sämischgare Leder durch Eintauchen, worauf man es in eine Lösung von Eigelb, Alaun [* 6] und Wasser bringt, spült, trocknet und glättet. Zum Gelbfärben mischt man Ocker, Kreide [* 7] und Schüttgelb mit Wasser und wenig Kleister zu einem Brei, trägt diesen mit einer Bürste auf, läßt trocknen, stollt und schüttelt das nicht haftende Pulver aus. Weiß färbt man in ähnlicher Weise mit Kreide. Für andre Farben beizt man mit Alaun und trägt dann die Farbebrühe mit einer Bürste auf. Rauh- oder Rauchleder ist sämischgares Leder, dessen Narbe nicht abgestoßen worden, und dessen Fleischseite geschwärzt ist; es ist wegen seiner Milde und Weichheit zu Damenstiefeln sehr beliebt. Transparentleder ist mit verdünntem, alaunhaltigem Glycerin imprägnierte und getrocknete Haut. Es ist sehr weich und eignet sich vorzüglich zu Bindriemen; gegen Wasser verhält es sich nicht viel anders als Haut.
Geschichtliches und Statistisches.
Die Gerberei ist unzweifelhaft einer der ältesten Industriezweige. Die ausgedehnte Benutzung der Tierhäute mußte notwendig zum Aufsuchen einer Behandlungsweise führen, durch welche sie vor Fäulnis geschützt werden konnten, und vielleicht wurde zuerst eine Art sämischgares Leder erzeugt. Lange vor Beginn unsrer Zeitrechnung waren lederne Gefäße und Kleidungsstücke bei Ägyptern und Juden gebräuchlich, und von diesen erhielten auch die Römer [* 8] das Leder. Die Enthaarung erzielte man bei den Römern durch Urin und Maulbeerblätter, auch mit Hilfe der Frucht der Zaunrübe.
Als Gerbmaterialien [* 9] waren Kiefer-, Erlen- und Granatbaumrinde, Galläpfel, Sumach, Eicheln, bei den Ägyptern die Schoten einer Akazie gebräuchlich; doch benutzte man auch Alaun mit Salz. Bis in die neueste Zeit hinein hat sich die Gerberei ganz empirisch entwickelt, die Fortschritte der Naturwissenschaft gingen spurlos an ihr vorüber; sie stützt sich ganz auf praktische Erfahrung, und damit hängt es zusammen, daß wir so wenig von der Geschichte der Gerberei wissen. Im Mittelalter, wo schon bei allen zivilisierten Völkern Leder dargestellt wurde, scheint die Gerberei einen vorwiegend landschaftlichen Charakter angenommen zu haben, und noch jetzt tritt derselbe hier mehr als in andern Industriezweigen hervor.
Das Gerben mit Galläpfeln bildete sich als die Methode des Orients, das Gerben mit Eichenlohe als die des Occidents, das Gerben mit Alaun als die der Sarazenen heran. Der Orient übertraf in seinen Produkten lange Zeit den Westen; 1749 wurde die erste europäische Saffianfabrik im Elsaß errichtet, aber erst seit 1797 datiert mit der Gründung der Gerberei in Choisy bei Paris [* 10] der Aufschwung der französischen Saffiangerberei. In Deutschland [* 11] (Württemberg) [* 12] fand diese Fabrikation bald nach 1800 Eingang.
Die englischen Lohgerbereien erzeugten im 18. Jahrh. bereits vorzügliches Leder. In Deutschland erlangten die Gerbereien in Malmedy und Mainz [* 13] großen Ruf. Die Berliner [* 14] Lohgerberei gewann seit 1734 durch französische Einwanderer bedeutende Ausdehnung [* 15] und Vervollkommnung. Die zuerst in Frankreich mit Erfolg betriebene Lacklederfabrikation pflanzte sich bald nach Deutschland fort, ebenso das Weißgerben von Ziegen-, Lamm- und Schaffellen, welches anfänglich ein besonderer Industriezweig der Stadt Annonay und ihrer Umgegend war. 1769 hatte Macbridge das Gerben mit Lohbrühe vorgeschlagen; eine irrationelle Darstellungsweise der Brühe war aber der Ausbreitung dieser Methode lange hinderlich, und erst zu Ende des Jahrhunderts fand sie allgemeine Anwendung. Später wetteiferten Engländer und Amerikaner in der Ausbildung der Schnellgerberei. Während dann die Arbeiten von Knapp, Lietzmann, Rollet, Reimer einen gewissen Einblick in das Wesen der Gerberei verschafften, war man in der Praxis vor allem bemüht, durch Einführung von Maschinen die Zurichtung des Leders zu vervollkommnen. Schon vor 1800 hatte ¶
mehr
man in der Schweiz [* 17] durch Wasser getriebene Hämmer zum Verdichten des Sohlleders benutzt; später ging man zu Vertikalhämmern über und ließ in der Folge den Stempel nicht mehr schlagend, sondern drückend wirken. Auch die Konstruktion der Lederspaltmaschinen datiert aus dem vorigen Jahrhundert. Knapp beschäftigte sich seit Anfang der 50er Jahre mit der Benutzung von mineralischen Substanzen zur Darstellung von und nahm 1861 ein Patent auf sein Verfahren. Größere praktische Bedeutung gewann die Mineralgerberei aber erst in neuester Zeit, namentlich auch durch die Bemühungen von Heinzerling, welcher zuerst chromgares Leder darstellte.
In den letzten Jahren ist ein sicherer Weg zur Hebung [* 18] der Gerberei angebahnt worden, zunächst in Österreich [* 19] durch Gründung einer Versuchsstation für Lederfabrikation, auf welcher wissenschaftliche Untersuchungen ausgeführt werden, und die zugleich einen Zentralpunkt bilden soll für die Aussendung von Wanderlehrern etc. Gegenwärtig bildet die Lederfabrikation im Deutschen Reich einen der umfänglichsten und wichtigsten Industriezweige. Schwere Sohlleder von vorzüglicher Qualität werden meist nach dem alten Verfahren in den Rhein-, Mosel- und Eifelgegenden, in Hannover, [* 20] Berlin, [* 21] Straßburg, [* 22] Nürnberg [* 23] und Passau [* 24] dargestellt, in Norddeutschland mehr aus importierten Wildhäuten, in Süddeutschland aus einheimischen Häuten. In lackiertem und Kidkalbleder nimmt Deutschland die erste Stelle ein; beide Lederarten werden hauptsächlich in München, [* 25] Mainz und Worms, [* 26] erstere auch in Offenbach [* 27] dargestellt.
Gegenwärtig werden in Deutschland wohl 2,25 Mill. Kalbfelle auf Kalbkid verarbeitet, und mehr als zwei Drittel dieser Produktion werden exportiert. Im ganzen dürften an 5,5 Mill. Kalbfelle verarbeitet werden, davon in Worms 2,3 Mill., in Mainz 450,000, in München 600,000, in Dresden [* 28] 800,000 Stück. Mit gefärbtem Leder, besonders den feinern und feinsten Sorten, versieht Deutschland alle Kulturstaaten. Die Hauptsitze dieser Industrie sind Mainz, Frankfurt [* 29] a. M., Berlin, Homburg, [* 30] Bonames, Mülhausen, [* 31] Straßburg, Lahr, [* 32] Köln, [* 33] Kirn, Kalw, Königsberg [* 34] i. Pr. Es werden über 7 Mill. Ziegen- und Schaffelle jährlich verarbeitet, wovon auf Mainz allein 916,000 Stück kommen.
Eine Spezialität der deutschen Lederindustrie ist das Roßleder, welches namentlich in der Provinz Hannover, in Harburg, [* 35] dann in Hamburg, [* 36] Schleswig-Holstein, [* 37] Brandenburg, [* 38] Berlin, Merseburg, [* 39] Perleberg [* 40] und Plauen [* 41] dargestellt wird. Vorzügliches leistet Großbritannien [* 42] in der Gerberei; namentlich ist sein Sattlerleder, Schweins- und Sohlleder berühmt, und auch die Bereitung der farbigen Leder wird mit außerordentlichem Luxus betrieben. Die Hauptproduktionsorte sind vor allen London, [* 43] dann Birmingham, [* 44] Bristol, Leeds, [* 45] Stowmarket (Suffolkshire).
Frankreich übertrifft alle andern Staaten in der Handschuhlederfabrikation (Annonay, Chambéry, Paris) und ist auch für das feinere Oberleder tonangebend. Von Lackleder liefert es nächst Deutschland die größten Quantitäten. In Österreich ist die Gerberei sehr entwickelt, und manche Fabrikate stellen sich den besten ausländischen an die Seite; aber die Produktion deckt, namentlich in feinern Sorten, nicht den einheimischen Bedarf. Rußland hat viele Gerbereien in den Gouvernements Warschau, [* 46] Saratow, Wolhynien, Perm, Nishnij Nowgorod und Witebsk; berühmt ist sein Juftenleder (s. d.), welches besonders in den Gouvernements Twer und Kostroma dargestellt wird. Außerdem liefert Rußland vortreffliches feines Kalbleder. Eine hoch entwickelte Lederindustrie haben endlich auch Dänemark [* 47] (Kopenhagen) [* 48] und Belgien [* 49] (Brüssel, [* 50] Lüttich, [* 51] Stavelot, Gent, [* 52] Iseghem und Tournai). Nordamerika [* 53] fertigt vortreffliche und ist durch den großen Export von billigem Hemlockleder auch für die deutsche Lederindustrie wichtig geworden.
Vgl. Günther, Fabrikation des lohgaren Leders (Weim. 1867);
Derselbe, Lehrbuch der Glaceehandschuhleder- und der Kalbkidlederfabrikation (Leipz. 1874);
Lietzmann, Die Herstellung der Leder (2. Aufl., Berl. 1875);
Hausner, Textil-, Kautschuk- und Lederindustrie (Wien [* 54] 1876);
Heinzerling, Grundzüge der Lederbereitung (Braunschw. 1882);
Beller, Handbuch der Glaceelederfärberei (2. Aufl., Weim. 1880);
Höhnel, Die Gerberrinden (Berl. 1880);
Wiener, Die Lederfärberei und die Fabrikation des Lackleders (Wien 1881).
Zeitschriften: »Deutsche [* 55] Gerberzeitung« (Berl., seit 1858),
»Gerberzeitung« (das., seit 1858),
»Der Gerber« (Wien, seit 1875);
»Der Gerber« (Hamb., seit 1886);
»Der süddeutsche Gerber« (Waldsee in Württemberg, seit 1875).