mehr
Gesamtheit zugleich das logische Merkmal jener Grenzlinie abgäben. Schon eine oberflächliche Kritik der oben angeführten
Momente wird jeden Denkenden davon überzeugen, daß der Begriff des Lebens dadurch weder erschöpft, noch abgegrenzt ist.
Man kann das Leben als Erscheinung einem Feuer vergleichen, welches sich nährt, halb erlischt und wieder aufflammt, und
neuere Forscher haben deshalb auch im Feuer den Ursprung des Lebens gesucht. Da indessen die Nahrung und die andern dem Leben unentbehrlichen
Bedingungen die Wärme, das Licht etc., von außen kommen, so ist das Leben keine ausschließlich innere Erscheinung, die durch
eine spezifische Kraft, die sogen. Lebenskraft (s. d.), unterhalten wird, sondern beruht
auf der Wechselwirkung mit den Außendingen.
Daher ist das Leben nichts unveränderlich Gegebenes, sondern zeigt eine Anpassungs- und Entwickelungsfähigkeit, welche uns die
Mannigfaltigkeit seiner Formen erklärt. Das Leben des Individuums erscheint in folgenden drei Hauptformen: Das latente oder Keimleben
läßt sich an den Samen und Eiern beobachten. Diese Körper behaupten, wenn nicht übermäßig zerstörende
Einflüsse der Außenwelt (z. B. hohe Hitzgrade) sie treffen, ihre Gestalt, Beschaffenheit und Lebensfähigkeit viele Jahre
lang.
Ähnliche Zustände beobachtet man beim Larven- oder Puppenzustand mancher Insekten, beim Winterschlaf vieler Pflanzen und Tiere,
beim Scheintod. Das pflanzliche oder vegetative Leben besteht in Wachstum, Ernährung, Absonderung und Fortpflanzung,
ohne willkürliche Bewegungen. Das animalische oder tierische Leben umfaßt die Vorgänge der Empfindung, der willkürlichen Bewegung,
des Denkens etc. Den Pflanzen kommen nur die Prozesse des vegetativen Lebens, den Tieren außer diesen noch diejenigen des animalischen
Lebens zu. Mit den genannten Formen des Lebens sind freilich nicht alle Äußerungen desselben erschöpft.
Das Studium derselben ist Gegenstand der Pflanzen- und Tierkunde, der Anatomie und der Physiologie. Die Gesamtlehre von den Gesetzen
und Erscheinungen des Lebens heißt Biologie. - Der Ausdruck Leben wird auch in übertragener Bedeutung vielfach gebraucht.
Man spricht von einem geistigen Leben, von Leben in der Geschichte, von Staats- und Völkerleben etc. Gegen
diesen Gebrauch ist an sich nichts einzuwenden; nur soll man nicht glauben, daß er dazu dienen könne, den Begriff des Lebens
selbst zu erläutern. Im Gegenteil kann die Übertragung des Begriffs auf ein Gebiet, dem er an sich fremd ist, nur zur Verdunkelung
desselben beitragen.
Vgl. Treviranus, Biologie (Götting. 1802-22, 6 Bde.);
Reich, Lehrversuch der Lebenskunde
(Berl. 1847, 2 Bde.);
Moleschott, Der Kreislauf des Lebens (5. Aufl., Mainz 1876-1886, 2 Bde.);
Preyer, Erforschung des Lebens
(Jena 1873);
Derselbe, Naturwissenschaftliche Thatsachen und Probleme (Berl. 1880);
H. Spencer, Prinzipien der Biologie (deutsch,
Stuttg. 1876, 2 Bde.).
(Biographie) bezeichnet im höhern Sinne nicht die bloße Schilderung des äußern Lebensganges eines
Menschen, sondern die mit Erzählung der Schicksale und Thaten eines Individuums verbundene und mit historischer
Kunst ausgeführte Darstellung seiner geistigen und sittlichen Entwickelung. So aufgefaßt, bildet die Biographik einen Zweig
der Geschichtschreibung, und alle Anforderungen, welche die Wissenschaft an die übrigen Gattungen der historischen Darstellung
macht: vollständige Kenntnis und Beherrschung des Stoffes, strenge Wahrheitsliebe, Reife und möglichste Parteilosigkeit des
Urteils sowie nicht minder genaue Bekanntschaft mit den Zeitverhältnissen, in welchen der Betreffende
lebte, und unter deren Einwirkung er stand, endlich künstlerisch schöne Form der Darstellung, werden auch an eine gute Lebensbeschreibung gestellt.
Es folgt daraus von selbst, daß eine Biographie in diesem Sinne nur Personen zum Gegenstand haben kann, welche durch
ihre Stellung im Leben, durch hervorragende Verdienste, durch sittliche Vorzüge oder durch denkwürdige Schicksale als besonders
ausgezeichnet dastehen und ein allgemeineres menschliches Interesse erregen. Da übrigens jeder Biograph seinen Mann nur darstellen
kann, wie er ihn aufzufassen vermag, so ist, um letzterm gerecht zu werden, ein gewisser Grad von geistiger
Verwandtschaft zwischen dem Biographen und seinem Helden erforderlich, und je geistig höher der Darzustellende steht, desto
schwieriger ist die Aufgabe, eine gute Biographie von ihm zu geben. - Eine besondere Art der ist die Auto- oder Selbstbiographie,
bei welcher das Individuum die Darstellung seines Entwickelungsganges selbst gibt, also sein eigner Geschichtschreiber
ist.
Eins der merkwürdigsten Beispiele dieser Art von Selbstschilderungen, welche einen seltenen Grad von Selbsterkenntnis und noch
mehr Wahrheitsliebe erfordern, sind die »Confessions« Rousseaus, vor deren Offenheit man oft zurückschrickt, während Goethes
»Wahrheit und Dichtung« zu der Gattung von Lebensbeschreibungen gehört, welche, um sich dem Kunstwerk zu nähern,
weniger das Einzelne in das Auge faßt, als vielmehr das Ganze der geistigen Wirksamkeit des Individuums ideell darstellt.
Schriften biographischer Art finden wir bereits bei den Alten; es sei hier nur an Tacitus' Biographie des Agricola, an Curtius'
mehr
Lebensbeschreibung Alexanders d. Gr., an Plutarch erinnert. Im Mittelalter waren fast ausschließlich Heilige Gegenstand biographischer Darstellung,
bis dann im 16. Jahrh. die biographische Litteratur (in Deutschland mit den dürftigen, aber interessanten Autobiographien
eines Götz v. Berlichingen, Thomas Platter, Hans v. Schweinichen etc.) zu neuem Leben erwachte und sich in der Folge
bei allen Kulturvölkern zu einem kaum zu übersehenden Reichtum entfaltete, wenn auch nur der kleinere Teil der betreffenden
Schriften, die teils in Biographien Einzelner, teils in Sammlungen von Lebensbeschreibungen bestehen, nach Inhalt oder Form
Anspruch an litterarhistorische Bedeutung erheben kann. - Die biographischen Sammelwerke (meist alphabetisch angelegt) sind
in Hinsicht auf Ausführlichkeit und Stoffbegrenzung sehr verschieden und zwar teils allgemeiner Natur
(ausgezeichnete Persönlichkeiten aller Zeiten und Völker umfassend), teils auf gewisse Zeiträume, einzelne Länder oder bestimmte
Berufsarten (Künstler-, Gelehrten-, Schriftstellerlexika etc.) beschränkt. Zu den namhaftesten größern Sammlungen
der allgemeinen Art gehören, von einigen ältern Werken abgesehen: Bayles »Dictionnaire historique« (1697
ff.; zuletzt Par. 1820, 16 Bde.),
Michauds »Biographie universelle« (das. 1811-52, 52 Bde.; 3. Aufl. 1870 ff.),
Höfers »Nouvelle biographie générale« (das. 1851-66, 46 Bde.)
und »Der neue Plutarch« (hrsg. von Gottschall, Leipz. 1874-1885, Bd.
1-11),
welcher die Zeit von der Reformation bis zur Gegenwart umfaßt;
sodann von Spezialwerken für einzelne
Länder: für England Stephens' auf 50 Bände berechnetes »Dictionary of national biography« (Lond. 1884 ff.);
für Belgien die »Biographie nationale« (Brüss. 1866 ff.);
für Italien Tipaldos »Biografia degli Italiani illustri« (Venedig
1834-35, 10 Bde.),
Sargatos »Memorie funebri antiche e recenti« (Padua 1856-62, 6 Bde.),
Cantus »Italiani illustri« (3. Aufl.,
Mail. 1876, 3 Bde.);
für Spanien Quintanas »Vidas de Españoles celebres« (1827 u. öfter, 2 Bde.);
für Holland van der Aas »Biographisch Woordenboek der Nederlanden«;
für Schweden Palmblads »Biographiskt lexikon ofver ^[richtig:
öfver] svenska män« (Upsala 1835-57, 23 Bde.; neue Folge 1857-68),
Hofbergs »Svenskt biographiskt lexikon« (Stockh.
1876, 2 Bde.);
für Amerika Sparks' »Library of American biography« (Bost.
1834-48, 25 Bde.),
Pereira da Silvas »Plutarco brasileiro« (1847, 2 Bde.);
für Deutschland die »Zeitgenossen« (Leipz. 1816-41, 18 Bde.),
der »Nekrolog« und »Neue Nekrolog der Deutschen« (Weim. 1803-54, 30 Bde.),
Wurzbachs »Biographisches Lexikon des österreichischen Kaisertums« (Wien 1857 ff., bis jetzt 55 Bde.)
und besonders die von der Historischen Kommission in München durch v. Liliencron und Wegele herausgegebene »Allgemeine deutsche
Biographie« (Leipz. 1875 ff., bis jetzt 25 Bde.).
Brauchbare kleinere Handbücher dieser Art sind: Cates' »Dictionary of general biography« (4. Aufl.,
Lond. 1885),
Godwins »Cyclopedia of biography« (neue Ausg.,
New York 1878),
Vapereaus »Dictionnaire universel des contemporains« (5. Aufl., Par.
1880, 2 Bde.),
»The men of the time« (12. Aufl., Lond.
1887) u. a.
Vgl. Öttinger, Bibliographie biographique (2. Aufl., Brüss. 1854, 2 Bde.).