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in Fabriken suchen, und daß fortwährend über Arbeitermangel geklagt wird.
2) Die Einlieger sind in Norddeutschland verhältnismäßig weniger häufig als in Süddeutschland. Sie scheiden sich dort scharf von den Dienstleuten. Gewöhnlich mieten sie sich bei einem Bauer ein, indem sie den Mietzins ganz oder zum Teil durch Arbeitsleistungen während einer bestimmten Zahl von Tagen abarbeiten. Im übrigen können sie frei über ihre Arbeitskraft verfügen. Im Sommer finden sie leicht Arbeit und guten Lohn. Im Winter wird aber ihre Lage ungünstiger und um so mehr, je länger der Winter dauert.
Wenn auch ein Teil der Arbeiter in dieser Zeit beschäftigt werden kann, so bleiben doch die meisten ohne Arbeit und Verdienst. Da sie nun selten im Sommer vorsichtig für den Winter sorgen, sind sie materiell meist übler daran als Dienstleute bei einem ordentlichen Dienstherrn. Trotzdem suchen gerade die tüchtigsten unter den Dienstleuten Arbeiter dieser Klasse zu werden wegen der größern persönlichen Freiheit und wegen der Möglichkeit, durch besondere Leistungen zu einem höhern Einkommen zu gelangen. In Süddeutschland ist ihre Lage dadurch eine wesentlich bessere, daß sie leicht auch im Winter landwirtschaftliche oder sonstige Arbeit finden und der Lohn in der Regel genügt, um den Lebensunterhalt der Familie zu decken.
3) Grundbesitzende Lohnarbeiter, Häusler, gibt es in Deutschland [* 2] überall; aber ihre Zahl und ihre Bedeutung für den landwirtschaftlichen Betrieb ist in den einzelnen Gegenden sehr verschieden. In Norddeutschland ist ihre Zahl verhältnismäßig klein. Sie erwerben den größern Teil ihres Einkommens durch Lohnarbeit. Diese finden sie, wie die Einlieger, im Sommer leicht, im Winter weniger. Aber ihre Lage ist doch eine wesentlich bessere als die jener, da ihr Besitz und ihre eigne Landwirtschaft ihnen nicht bloß ein Einkommen, sondern auch einen Rückhalt in Notfällen gewähren. Im Süden und Westen sind die Häusler verhältnismäßig zahlreicher, und ihre Lage ist eine bessere. Sie finden hier leichter auch im Winter Beschäftigung, können auch durch intensivere Bewirtschaftung ihres Landes, namentlich durch Gemüsekultur und Anbau von Handelsgewächsen, einen höhern Reinertrag erzielen.
4) Das Gesindeverhältnis ist nur ein Übergangsstadium bis zur Verheiratung der Dienstboten. Ihre Stellung ist eine viel gebundenere als die der Dienstleute. Dagegen haben sie in der Regel eine bessere Verpflegung, nicht selten auch außer ihrem Lohn nicht unbeträchtliche Nebeneinkünfte. Trotzdem wird die Neigung zu diesem Dienst eine immer geringere und zwar in dem Grad, in welchem die Wertschätzung der persönlichen Freiheit wächst. Viele früher vom Gesinde verrichtete Arbeiten müssen jetzt durch Tagelöhner ausgeführt werden.
Damit hängt auch die Steigerung der Gesindelöhne zusammen. Im Norden [* 3] ist die Zahl der für den landwirtschaftlichen Betrieb gehaltenen Dienstboten verhältnismäßig weit geringer als im Süden, wo gewissermaßen die Dienstboten die norddeutschen Dienstleute ersetzen. Freilich zeigt sich auch hier in jüngster Zeit eine Abnahme der ländlichen Dienstboten und eine wachsende Abneigung gegen dies Dienstverhältnis. Entsprechend dem großen Unterschied in der ganzen Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter in den beiden Teilen von Deutschland, ist auch die Reformaufgabe in ihnen eine wesentlich verschiedene. In Norddeutschland sind teils moralische, teils materielle Mißstände zu beseitigen.
Jene sind zu beheben durch Fürsorge für einen guten Schulunterricht unter Beschaffung eines ordentlich ausgebildeten, ökonomisch gut situierten Lehrerpersonals, das zum Zweck der Erzielung eines regelmäßigen Schulbesuchs auch den Gutsherren und Bauern gegenüber unabhängig gestellt und durch obrigkeitliche Kontrollorgane unterstützt werden muß; dann durch Erstellung von Kleinkinderschulen und Kindergärten, welche für den ländlichen Arbeiterstand in jenen Gegenden vielleicht wichtiger als für irgend eine andre Klasse der Bevölkerung [* 4] sind, weil hier die Frau meist außer dem Haus beschäftigt und auch wenig befähigt ist, in gedeihlicher Weise auf Geist und Gemüt der Kinder einzuwirken; ferner durch Errichtung und Mehrung von landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen, welche insbesondere auch die gute Wirkung haben würden, daß eine Überwachung und weitere sittliche Ausbildung der jugendlichen Arbeiter stattfindet.
Andre Maßregeln müssen direkt das Familienleben bessern und veredeln. Diesem Zweck dient zunächst die Gewährung einer selbständigen, gesunden, hinreichend geräumigen Wohnung an eine Arbeiterfamilie. In schlechtem Zustand befinden sich vorzugsweise nur die Wohnungen der Dienstleute auf großen Gütern. Die Dienstleute müssen auf dem Gut ihres Arbeitgebers wohnen. Gezwungen durch persönliche und andre äußere Verhältnisse, den Dienstvertrag auf einem bestimmten Gut oder den Gütern einer Gegend zu schließen, müssen sie wohl oder übel auch die von den Arbeitgebern gestellten Wohnungen hinnehmen, wie sie eben sind. Es bedürfte hier wenigstens der obrigkeitlichen polizeilichen Kontrolle und des gesetzlichen Verbots der Benutzung schlechter Wohnungen.
Dann ist dahin zu streben, daß die Arbeitszeit in humaner Weise bemessen, insbesondere die herrschaftliche Sonntagsarbeit beseitigt wird, soweit diese nicht zur Wartung und Pflege des Viehs und ausnahmsweise durch Witterungsverhältnisse geboten ist. Im allgemeinen kann bei landwirtschaftlichen Arbeitern im Sommer die Arbeitszeit eine längere als bei Fabrikarbeitern sein, ohne als eine übermäßige zu erscheinen. Eine sehr lange Arbeitszeit rechtfertigt sich auch zeitweise durch die eigentümlichen Verhältnisse des landwirtschaftlichen Betriebs; aber die Arbeitszeit übersteigt doch noch vielfach das hiernach gerechtfertigte und billige Maß.
Von nicht geringer Bedeutung ist die persönliche Einwirkung des Gutsherrn auf die Arbeiter, ihr Familienleben und ihre Hauswirtschaft. Eine solche Einwirkung ist um so unentbehrlicher, als Mitglieder andrer Gesellschaftsklassen und Arbeiterbildungsvereine hier keine Wirksamkeit nach dieser Richtung hin entfalten können. In dieser Thätigkeit müssen die Arbeitgeber durch die Geistlichkeit unterstützt werden, die hier ein ersprießliches Feld für eine schöne Berufsthätigkeit finden kann.
Um die materiellen Übelstände zu beseitigen, wäre in erster Linie eine Erhöhung des Einkommens herbeizuführen. Eine solche Erhöhung kann aber bei der einmal gegebenen Lage der Landwirtschaft nur erstrebt und erreicht werden durch eine Steigerung der Produktivität der Lohnarbeiter und zwar, wo dies möglich ist, durch Einführung des Akkordlohns an Stelle des Zeitlohns, dann durch Gewährung von Prämien beim Zeitlohn an besonders tüchtige Arbeiter, die mehr als das Durchschnittsmaß leisten, endlich durch die Beteiligung am Gewinn in der Form einer Lohnzulage je nach der Größe des jährlichen Reinertrags (Anteilslöhnung), welche allerdings nur in sehr beschränktem Maß anwendbar und an sich schwieriger durchzuführen ist als bei industriellen Unternehmungen, weil ein Teil der Arbeiter nicht ¶
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das ganze Jahr hindurch beschäftigt wird und es schwer ist, den wirklichen Reinertrag genau zu berechnen. Eine weitere Aufgabe ist die Sorge für eine gute Lieferung der Naturalemolumente. Diese Forderung könnten die landwirtschaftlichen Vereine verwirklichen, wenn sie eine spezielle Kontrolle in ihrem Kreis [* 6] ausüben und, wo schlechte Lieferungen trotz erhaltener Warnung erfolgen, die Namen der Arbeitgeber öffentlich bekannt machen würden. Ferner ist eine bessere Verwertung des Geldeinkommens zu erstreben. Konsumvereine freilich sind bei Dienstleuten nicht wohl anwendbar, doch könnten die Gutsherren oft den Einkauf von Waren für ihre Arbeiter im großen besorgen und die Waren zum Einkaufspreis abgeben. Für Einlieger dagegen und grundbesitzende landwirtschaftliche Arbeiter sind, wo sie in größerer Zahl in Dörfern bei einander wohnen, Konsumvereine wohl anwendbar und von gleichem Nutzen wie für industrielle Arbeiter.
Eine Hauptsorge endlich muß dahin gerichtet sein, den Arbeitern die Möglichkeit zu eröffnen, selbständige Landwirte auf einem kleinen Gut als Eigentümer oder Pachter zu werden. Bessere Arbeiter würden, um ein solches erstrebenswertes Ziel zu erreichen, fleißig, sparsam und wirtschaftlich sein. Das Streben nach solchem Besitz und die Erlangung desselben würden indes nicht bloß ihr Einkommen erhöhen, sondern auch auf die Besserung des ganzen Familien- und sozialen Lebens einen günstigen Einfluß üben.
Die Durchführung ist auf verschiedene Weise möglich: a) Durch große Gutsbesitzer selbst, welche einen Teil ihres Gutes gegen allmähliche Amortisation des kreditierten Kaufpreises verkaufen und das nötige Kapital entweder selbst leihen, oder den Käufern durch Vermittelung von landwirtschaftlichen Kreditanstalten beschaffen. Eine solche Maßregel würde in ihrem eignen Interesse liegen, da sie sich dadurch einen tüchtigen Stamm seßhafter Arbeiter schaffen und erhalten könnten. b) Durch eigne Gesellschaften nach Art der englischen Landbaugesellschaften, welche die für Ankauf und Einrichtung nötige Summe als ein unkündbares, amortisierbares Darlehen geben oder selbst Land kaufen, kleine Güter anlegen und diese mit Kreditierung des Kaufpreises und unter gleichen Bedingungen verkaufen. Auch c) der Staat kann an der Lösung dieser Aufgabe durch Parzellierung von einzelnen Domänen mitwirken.
Schließlich mögen noch erwähnt werden Hilfs- und Unterstützungskassen (Kranken-, Unfallversicherungs-, Alters-, Witwen- und Waisen-, Begräbnis-, Lebensversicherungskassen), für deren Gründung, soweit nicht bereits durch Gesetz (vgl. Krankenkassen und Unfallversicherung) oder anderweitig Fürsorge getroffen worden ist, die Kommunalgewalt, eventuell die landwirtschaftlichen Vereine thätig sein sollten; dann besondere Feuerversicherungskassen für das Mobiliar und die Vorräte, sofern die bestehenden Gesellschaften Versicherungen dieser Art nicht übernehmen, weiter kleine gegenseitige Viehversicherungsanstalten und endlich zur Förderung des Sparsinnes Gutssparkassen, womöglich mit Gewährung von Prämien für Spareinlagen.
Die Durchführung aller dieser Aufgaben würde zum großen Teil den einzelnen Gutsherren und den landwirtschaftlichen Vereinen, die hierin ein großes, segensreiches Feld für ihre Thätigkeit haben, zufallen, ohne daß jedoch die Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalt und der öffentlichen Verwaltung entbehrt werden kann. In Süddeutschland ist nach der obigen Darlegung die Reformfrage von viel geringerer Bedeutung. Sofern Übelstände sich finden, sind die vorerwähnten Maßregeln meist auch hier anwendbar. In einem größern Umfang werden hier Konsumvereine und unter der Beteiligung auch andrer Gesellschaftsklassen landwirtschaftliche Bildungsvereine, Bibliotheken etc. sich von Nutzen erweisen.
Vgl. v. d. Goltz, Die ländliche Arbeiterfrage (2. Aufl., Danz. 1874);
Derselbe, Die Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich (mit Richter und v. Langsdorff, Berl. 1875);
H. Settegast, Die Landwirtschaft und ihr Betrieb (3. Aufl., Bresl. 1885);
Schönberg, Zur landwirtschaftlichen Arbeiterfrage (»Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« 1875, S. 449 ff.);
Laspeyres, Zur wirtschaftlichen Lage der ländlichen Arbeiter (das. 1876, S. 183 ff.);
G. Schmoller, Die landwirtschaftliche Arbeiterfrage (das. 1866, S. 171 ff.).