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Indes obwohl die Stimmung in Deutschland [* 2] und Österreich [* 3] entschieden für die Westmächte war, welche die Sache der Zivilisation gegen den russischen Despotismus zu verteidigen schienen, blieben Österreich und Preußen [* 4] schließlich doch unthätig; nur Sardinien [* 5] schloß sich den Westmächten an und schickte im Mai 15,000 Mann nach der Krim. [* 6] Die Russen begannen den Kampf 17. Febr. mit einem unglücklichen Angriff auf die Türken in Eupatoria und setzten ihn auch nach Kaiser Nikolaus' Tod (2. März) fort. Die Alliierten hatten auf General Niels Rat ihren Angriffsplan geändert und ihn gegen die Schiffervorstadt und die diese beherrschende Befestigung des Malakow gerichtet. Der neue Befehlshaber Pélissier leitete den Kampf mit stürmischer Energie. Unaufhörlich wurde die Festung [* 7] mit Geschossen überschüttet, und fast täglich wurden Batterien und Schanzen mit stürmender Hand [* 8] angegriffen. Die Russen verteidigten sich mit zähster Tapferkeit und bauten in der Nacht die am Tag zerstörten Festungswerke wieder auf. Nachdem die Verbündeten sich der Außenwerke bemächtigt, versuchten sie 18. Juni den ersten Sturm auf den Malakow und den Redan. Derselbe ward abgeschlagen. Dagegen erlitten die Russen unter Gortschakow, als sie 16. Aug. von neuem einen Angriff in offenem Feld versuchten, an der Tschernaja eine Niederlage, und 8. Sept. eroberten die Franzosen wirklich in blutigem Kampf den Malakow, während der Sturm der Engländer unter Simpson (Raglan war 28. Juni gestorben) auf den Redan mißlang. In der Nacht sprengte Gortschakow die Festungswerke der Südseite in die Luft, versenkte den Rest der Flotte und zog sich auf die Nordseite der Bucht von Sebastopol [* 9] zurück. Am 11. Sept. besetzten die Verbündeten die rauchenden Trümmer der Stadt, in der sie außer großen Vorräten noch 4000 Kanonen vorfanden.
Frankreichs Kriegslust und Ruhmsucht waren hiermit gestillt, und auch Rußland zeigte sich unter dem friedliebenden Kaiser Alexander II. zum Frieden geneigt, nachdem durch die Eroberung von Kars 28. Nov. auch seiner Waffenehre Genüge gethan war. In England hätte man eine Fortsetzung des Kriegs gewünscht, für die es mit unerschöpfter Kraft [* 10] rüstete; indes als Rußland auf Österreichs Anregung die von den Westmächten als Zweck des Kriegs und Grundlage des Friedens formulierten vier Punkte annahm, trat 25. Febr. in Paris [* 11] der Friedenskongreß zusammen. Am wurde der Friede von Paris unterzeichnet.
Rußland mußte die Donaumündungen nebst einem Landstrich Bessarabiens an die Donaufürstentümer abtreten, Kars wieder ausliefern und auf das einseitige Protektorat über die Donaufürstentümer und die Christen in der Türkei [* 12] verzichten; die Organisation der erstern sollte von sämtlichen kontrahierenden Mächten ausgehen und von diesen auch gemeinsam die Reformen der Türkei, die selbst in das europäische Konzert aufgenommen wurde, überwacht werden.
Die Schiffahrt auf der Donau wurde für frei erklärt, das Schwarze Meer neutralisiert und Rußland untersagt, mehr Kriegsschiffe auf demselben zu halten als die Türkei (welche Beschränkung 1871 auf der Londoner Konferenz wieder aufgehoben wurde). Dies Resultat schien geringfügig im Vergleich zu den ungeheuern Opfern, welche die Westmächte gebracht. Jedoch war es für den weitern Gang [* 13] der Dinge von größter Bedeutung, daß die Türkei vor Rußlands Eroberungsgier nicht bloß gerettet, sondern auch die Macht dieses Staats, noch mehr der Nimbus derselben, gebrochen und Europa [* 14] von dem drückenden Joch dieses Hortes der Reaktion befreit war.
Den meisten Vorteil trug augenblicklich Napoleon III. davon, dessen Heer mit Ruhm und Erfolg für eine zivilisatorische Idee gekämpft hatte, und welcher nun der mächtigste Mann geworden war, dessen Bündnis viel umworben ward, und auf dessen Worte ganz Europa mit Spannung lauschte.
Vgl. »Der Feldzug in der Krim 1854-55«, Sammlung der Berichte beider Parteien (Leipz. 1855-56);
Anitschkow, Der Feldzug in der Krim (deutsch, das. 1857-60, 2 Bde.);
Bogdanowitsch, Der orientalische Krieg 1853-56 (russ., Petersb. 1876, 4 Bde. mit 25 Karten);
Kinglake, The invasion of the Crimea (6. Aufl., Lond. 1883, 7 Bde.);
Bazancourt, Der Feldzug in der Krim (deutsch, Wien [* 15] 1856);
Rousset, Histoire de la guerre de Crimée (2. Aufl., Par. 1878, 2 Bde.);
»Étude diplomatique sur la guerre de Crimée, par un ancien diplomate« (Petersb. 1878, 2 Bde.);
Geffcken, Zur Geschichte des orientalischen Kriegs 1853-56 (Berl. 1881).