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mittlern Teil der Gebirge gelegene tiefe, enge und mehr oder weniger abgeschlossene Thäler. Auch die Flußläufe scheinen Einfluß zu haben. Nach Klebs ist für Böhmen die Dichtigkeit der Kretinbevölkerung am größten in den Quellgebieten der Wilden Adler und der Elbe, dann der Eger und der Wottawa; sie nimmt ab in den untern Flußläufen und wieder zu beim Zusammenfließen derselben, namentlich da, wo die Strömungsgeschwindigkeit infolge des senkrechten Einfallens der Nebenströme in den Hauptstrom abnimmt. Die Zahl der vorhandenen Kretins und ihr Verhältnis zur übrigen Bevölkerung ist in den verschiedenen befallenen Gegenden sehr beträchtlichen Schwankungen unterworfen. In Savoyen zählte man 22 pro Mille, im Departement Oberalpen 16 pro Mille. In Salzburg sollen auf 10,000 Einw. im Durchschnitt 38,9, in Oberösterreich 18,3, in Steiermark 16,9 Kretins kommen. In Böhmen wurden 1873 amtlich 998 Kretins (1:5116) gezählt. Nach Rehm konstatierte man 1856 in 28 Ortschaften der Kreise Schmalkalden und Brotterode (Thüringen) 181 Kretins, d. h. 1 auf 127 Einw. Übrigens ist zu bemerken, daß fast überall eine Abnahme des Kretinismus zu beobachten ist. Dies ist ebensowohl in der Schweiz als im Rheinthal, in Franken und in Thüringen festgestellt worden; im Harz, wo es früher Kretins gab, sind solche jetzt nicht mehr vorhanden. Dagegen sollen sie in dem französischen Departement Oberalpen zugenommen haben.
Die Ursachen des Kretinismus sind noch unbekannt, es wird angeschuldigt ein hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft, Stagnation und mangelnde Ventilation derselben, nicht ausreichende Besonnung, Unreinlichkeit der Wohnungen, soziales Elend, Fehlen der industriellen Thätigkeit, Abgeschlossenheit und selbstgewählte Isolierung einer wenig intelligenten, in Vorurteilen und alten, oft schädlichen Gewohnheiten befangenen Bevölkerung, Heiraten unter Blutsverwandten und die Vererbung; alle diese und andre gesundheitswidrige Einflüsse bereiten den Boden vor, auf welchem jenes unbekannte, aber wesentliche Agens den endemischen Kropf und Kretinismus zur Entwickelung bringt. Eine eigentliche Behandlung des ausgebildeten Kretinismus ist nicht möglich, auch sind Kretins einer geistigen Entwickelung nicht fähig, dagegen müssen die hygieinischen Verhältnisse nach Möglichkeit gebessert werden. Hebung des Wohlstandes, Beseitigung von Vorurteilen und alten Gewohnheiten, Vermeidung der Verwandtschaftsehen; Verbesserung der Wohnungen durch Vergrößerung der Fenster, durch Erhöhung des Fußbodens, durch Anlage von Schornsteinen, durch Kalkputz der Wände, durch Abtrennung von Schlafzimmern; Verbesserung der Luft in den Ortschaften durch Entfernung von stagnierendem Wasser, durch Reinigung der Wege und Straßen; Beschaffung guten Trinkwassers durch Zisternen oder durch Zuleitung aus unverdächtigen Quellen; Regelung der Flußläufe, Trockenlegung von Sümpfen und Austrocknung des Bodens überhaupt, Abholzung von Wäldern: dies sind die Mittel, durch welche man dem Kretinismus entgegenzutreten im stande sein wird. Speziell für Kretins bestimmte Anstalten gibt es seit dem Eingehen der Guggenbühlschen auf dem Abendberg wohl nicht mehr; die Unglücklichen sind teils in den allgemeinen Siechenhäusern, teils in Idioten- oder Irrenanstalten unterzubringen. Vgl. außer den ältern Schriften von J. F. ^[Jacob Fidelis] Ackermann (»Über die Kretinen, eine besondere Menschenart in den Alpen«, Gotha 1790), Fodéré (Berl. 1796), Iphofen (Dresd. 1817), Demme (Bern 1840), Stahl (Bonn 1846 u. 1851), Virchow, Entwickelung des Schädelgrundes (Berl. 1857); Derselbe, Gesammelte Abhandlungen (2. Aufl., das. 1862); Parchappe, Études sur le goître et le crétinisme (Par. 1874); Baillarger, Enquete sur le goître et le crétinisme (das. 1873); Klebs, Beobachtungen und Versuche über Kretinismus (im »Archiv für experimentelle Pathologie«, Bd. 2, 1874); Derselbe, Studium über die Verbreitung des in Österreich (Prag 1877); Knapp, Untersuchungen über in einigen Teilen Steiermarks (Graz 1878); Linzbauer, Kretinismus und Idiotie in Österreich-Ungarn (Wien 1882).