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wohnenden Juden stammen von den spanischen ab, welche unter der Regierung Ferdinands und Isabellas aus Spanien [* 2] vertrieben wurden. Sie haben die spanische Sprache beibehalten und bewohnen vorwiegend die Quartiere Balat, Hasköj und Galata sowie die Bosporusdörfer Kusgundschuk und Ortaköj. Ihr Oberhaupt ist der Großrabbiner (Chacham baschi), der von den Notabeln erwählt wird und die gleiche Rangstellung hat wie die Patriarchen der christlichen Gemeinden; ihm zur Seite steht ein aus 6 Mitgliedern (3 Rabbiner und 3 Laien) bestehender Gemeinderat und ein geistliches Gericht (bêt-dîn) von 3 Mitgliedern.
Die Europäer (Franken) bewohnen Pera. Es besteht hier eine römisch-katholische Gemeinde mit etwa 10 Kirchen nebst einigen Kapellen und 6 Klöstern, unter einem Erzbischof und Patriarchen, sowie eine englische und eine protestantische Gemeinde mit mehreren Kirchen. Das Leben in Konstantinopel [* 3] ist sehr einförmig; Vergnügungen und Zerstreuungen, welche andre europäische Hauptstädte bieten, sucht man, von Pera und Galata abgesehen, vergeblich. Die vorzüglichsten Versammlungsorte der Türken sind die Kaffeehäuser; Schenken werden von Christen und Juden unterhalten.
Eine bedeutende Rolle spielen die Bäder, deren es fast für jeden Stand besondere gibt. Gesellige Vergnügungen kennt der Morgenländer nicht, doch lauscht er mit großer Vorliebe den Erzählern von Märchen und Geschichten und ergötzt sich an den plumpen Späßen der Marionetten. Spazierengehen ist nicht gebräuchlich, und Promenaden findet man in den Umgebungen Konstantinopels nur wenige. Dagegen sind Spazierfahrten in Booten auf dem Bosporus [* 4] und nach den Prinzeninseln sehr beliebt. Mit großem Geräusch aber werden die beiden Hauptfeste der Türken, das Beiram am Ende des Fastenmonats Ramasan und das Kurban-Beiram, gefeiert.
Wohlthätigkeits- und Bildungsanstalten.
Unter den Wohlthätigkeitsanstalten sind die Imarets oder Armenküchen die merkwürdigsten, in denen Tausende von Armen, ferner die Studenten und Moscheendiener täglich unentgeltlich gespeist werden. Außerdem gibt es Hospitäler zur Aufnahme kranker und obdachloser Armen. Die kaiserliche Garde hat zwei Hospitäler; für die Seeleute besteht eins im Arsenal. Auch ein Asyl für Geisteskranke ist vorhanden. Von europäischen Wohlthätigkeitsanstalten sind zu nennen: ein deutsches (1877 neu gebaut), ein englisches, ein französisches, ein italienisches und ein österreichisches Hospital, in welche arme kranke Landsleute unentgeltlich aufgenommen werden.
Von Bildungsanstalten zählt Konstantinopel 177 Medressen, d. h. mohammedanische Lehranstalten, in welchen die jungen Leute unentgeltlichen Unterricht in den für ihren künftigen Stand nötigen Wissenschaften erhalten, namentlich auch die Ulemas (Gesetzgelehrten) gebildet werden; sie sind meist mit den Moscheen verbunden. Sehr viel verdankt das Studienwesen der Organisation, welche Mohammed II. einführte. Staatsanstalten sind: eine Kriegsschule in der Vorstadt Pankaldi, eine Marineschule auf der naheliegenden Insel Chalki, eine Zivilschule, das kaiserliche Lyceum von Galata Serai, eine Zivilmedizinschule, eine Forst- und Bergschule, eine Sprachenschule, eine Rechtsschule, eine Ingenieurschule, 9 militärische Vorbereitungsschulen (ruschdïe askerïe), 20 Normalschulen (ruschdïe milkïe) für Knaben und 11 für Mädchen.
Seit 1880 existiert auch ein Antikenmuseum. Die Griechen besitzen einen wissenschaftlichen Verein (Philologikos Syllogos), die griechische große Nationalschule, die griechische theologische Schule und eine Handelsschule auf der Insel Chalki, mehrere Lyceen und höhere Töchterschulen. In den niedern türkischen Schulen wird unentgeltlicher Unterricht in der Religion, im Lesen, Schreiben und Rechnen erteilt (1882 erhielten in Konstantinopel überhaupt 7612 Knaben und 5761 Mädchen Unterricht in Schulen).
In den öffentlichen Bibliotheken, deren man 45 zählt, sind zum Teil überaus prächtige Manuskripte des Korans, Kommentare darüber, astrologische, medizinische und juridische Schriften, Geschichtswerke, Wörterbücher und Gedichte der morgenländischen Litteratur zu finden. Außer den schon seit langem bestehenden rabbinischen und armenischen sowie mehreren europäischen Druckereien besteht auch eine solche für türkische, arabische und persische Werke (Staatsdruckerei), die bis zur Gründung ähnlicher Anstalten in Ägypten [* 5] und Persien [* 6] die einzige war, welche den Muselmanen Werke ihrer Litteratur verschaffte.
Sie ward 1727 gegründet, 1746 aufgehoben, 1784 wiederhergestellt und nach Skutari verlegt; jetzt befindet sie sich hinter dem Atmeidan. Außerdem bestehen jetzt noch gegen 20 türkische Druckereien, ferner verschiedene armenische und griechische. Offiziellen Nachweisungen zufolge erscheinen gegenwärtig in Konstantinopel gegen 40 Zeitungen, in türkischer (2 in arabischer, eine in persischer), in griechischer, in armenischer, in bulgarischer, in jüdisch-spanischer und in französischer, bez. englischer Sprache. [* 7] Als Reichshauptstadt ist Konstantinopel Sitz aller obersten Reichsbehörden sowie des Scheich ul Islam und eines deutschen Berufskonsuls.
Industrie und Handel.
Eine Großindustrie nach europäischen Begriffen gibt es in Konstantinopel nicht. Mit Ausnahme einiger Phantasieartikel, welche von den Reisenden als Andenken gekauft werden, wird nichts zur Ausfuhr geliefert; die Gewerbtreibenden, teils Türken, teils Griechen, Armenier oder Juden, arbeiten einzig für den Lokalbedarf. Dabei werden die Grenzen [* 8] des handwerksmäßigen Betriebs nur bei einem einzigen Industriezweig überschritten, der Mehlproduktion, welche von einer Anzahl Dampfmühlen (unter englischen und französischen Maschinisten) betrieben wird, von denen zwei jährlich bis zu 20 Mill. kg Mehl [* 9] liefern.
Außerdem gibt es einige Kupfer- und Eisengießereien, Maschinen-, Möbelfabriken, eine Seidenfabrik (in Hereke), eine Fesfabrik, eine Glasfabrik, eine Eisfabrik, eine Thonwarenfabrik, Brauereien und Brennereien, mehrere Druckereien, Ölfabriken und Sägemühlen, teils in, teils außerhalb der Stadt. Die kaiserlichen Eisen- und Kanonengießereien, Pulverfabriken, Schiffswerkstätten etc. arbeiten ausschließlich für die Armee und Marine. Für den Handel hat Konstantinopel vermöge seiner Lage eine besondere Bedeutung: es ist der Stapelplatz zwischen Orient und Occident, der Hauptbazar der Levante.
Indessen ist es bei der geringen Kontrolle und der mangelhaften Organisation der türkischen Verwaltungsbehörden sehr schwierig, statistische Mitteilungen darüber zu geben; auch fällt der Handel der Hauptstadt vielfach mit demjenigen der Provinzen zusammen. Der Wert des Gesamthandels von Konstantinopel betrug 1884 ca. 236 Mill. Frank, wovon 186 Mill. auf Einfuhr und 50 Mill. auf Ausfuhr kommen. Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind: Getreide, [* 10] Ölsamen, Harze, Gummi-Tragant, Skammonium, Salepwurzel, Tabak, [* 11] Hanf, Kreuzbeeren, Safran, Bauholz, Buchsbaumholz, Meerschaum, Blutegel, [* 12] Pökelfleisch, Felle, Leder, Horn, Wolle, gesalzene Schafdärme, Baumwolle, [* 13] Brussaseide, Krapp, Teppiche, Mohair, Seife, Fette, Rosenessenz und Opium; die wichtigsten Einfuhrartikel: ¶
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Kohle, Eisen [* 15] und Stahl, Kaffee, Bau- und Brennmaterialien, bearbeitete Felle, Gewebe, [* 16] Tuche, Papier, Mehl, Wein, Bier, Zucker [* 17] (überwiegend aus Österreich), [* 18] Spiritus, [* 19] Stearinkerzen, Zündwaren, Glas, [* 20] Porzellan und Steingut, Bücher und Drucksachen, Fesse, Farben, Kurzwaren, Silber- und Goldwaren, Bijouterien, Arzneien, Parfümerien, Möbel, [* 21] Waffen, [* 22] Kleider- und Modeartikel.
Der Schiffsverkehr Konstantinopels hat sich im letzten Jahrzehnt in Bezug auf die Tonnenzahl erheblich vermehrt, während die Zahl der ein- und ausgelaufenen Schiffe [* 23] abgenommen hat, da neuerdings die Segelschiffe durch die weit umfangreichern Dampfer verdrängt sind. Die Zahl der im Finanzjahr 1885 im Hafen von Konstantinopel eingelaufenen Seeschiffe betrug 12,525 mit 7,300,207 Ton. Der Anteil der britischen Flagge war stärker als der der übrigen Staaten insgesamt. Außerdem liefen in der Küstenfahrt und im Lokalverkehr 19,146 Fahrzeuge mit 201,022 Ton. ein.
Eine Börse besteht in Galata, ebenso seit 1882 eine Handelskammer. Außerdem haben die fremden Dampfschiffahrtsgesellschaften hier Agenturen. Die erste Bankanstalt der Türkei [* 24] trat im Juni 1849 hier ins Leben, sie wurde 1853 mit einem Aktienkapital von 200 Mill. türk. Piaster in die Banque impériale ottomane umgewandelt. Der gesetzliche Zinsfuß beträgt (seit 1887) 9 Proz. im Jahr; doch zahlt in Wirklichkeit die Regierung bis 20 (früher bis 80), der Privatmann bis 25 (früher bis 40) Proz.
Geschichte.
Das alte Byzantion (s. d.), um 658 v. Chr. gegründet, blieb, durch Kriege und von wilden Nomadenhorden heimgesucht, lange unbedeutend, bis Kaiser Konstantin d. Gr. (s. d.) die Stadt wegen der Vorzüge ihrer Lage unter dem Namen Konstantinopolis oder auch Roma [* 25] nova (Neurom) an Stelle des alten Rom [* 26] zur Hauptstadt des römischen Reichs erhob; 326 fand die Grundsteinlegung der westlichen Ringmauer statt, 11. Mai 330 die feierliche Einweihung der neuen Stadt: zwei große Plätze im Innern waren mit Säulengängen und Statuen geschmückt, und im Hippodrom stand die Schlangensäule, die aus Delphi hierher verpflanzt ward, wie denn das ganze Reich seiner besten Kunstschätze beraubt wurde, um die neue Residenz zu zieren.
Der kaiserliche Palast war ein großartiger Gebäudekomplex. Die Ansiedelung von Bewohnern wurde befördert, indem die Bürger von Neurom die Vorrechte Altroms erhielten: die Ratsherren hießen Senatoren, das Bürgerrecht gewährte dieselben Vorteile an Spenden und Belustigungen. Bald zählte Konstantinopel 14 Regionen, aber es fehlte der Bevölkerung, [* 27] einem Völkergemisch, jede nationale Einheit, alle geschichtliche Erinnerung. Auch Mittelpunkt der Bildung sollte Konstantinopel werden.
Die dortige Rechtsschule gelangte bald zu hoher Blüte. [* 28] Der Bischof von Konstantinopel erlangte den Rang eines Patriarchen und beanspruchte eine Superiorität über die morgenländische Kirche. In Konstantinopel wurden viele Konzile gehalten, von denen die namhaftesten sind: das von 381 gegen die Macedonianer, 553 zur Beilegung des Dreikapitelstreits, 680 gegen die Monotheleten, 692 zur Bestätigung der ältern kirchlichen Observanzen, 754 gegen die Bilderverehrung, 869 gegen den Patriarchen Photius, 879 zu gunsten des Photius.
Seit der Teilung des Reichs 395 war Konstantinopel die Residenz der Kaiser des oströmischen Reichs (s. d.). Unter dem Einfluß eines prunkliebenden, sittenlosen, ränkevollen Hofs entartete die Bevölkerung von Konstantinopel; müßig von Brotspenden lebend und nur der Befriedigung der Sinnenlust in der Rennbahn frönend, spaltete sie sich in zwei Parteien, welche sich nach der Farbe der Wagenlenker die Blauen und Grünen nannten und, obwohl ohne höhere Ziele, einander mit leidenschaftlichem Haß bekämpften.
Unter Justinian I. steigerte sich die Parteiwut zu dem furchtbaren Ausbruch des Nikaaufstandes (s. d.) 532, welcher vom 13. bis 20. Jan. wütete und mit der Niedermetzelung von 30,000 Menschen in der Rennbahn durch Belisar endete. Justinian baute die durch Feuer halb zerstörte Stadt prachtvoll wieder auf und schmückte sie durch zahlreiche reichverzierte Kirchen, vor allen durch die neue Kathedrale, die Sophienkirche. Ihre starken Befestigungen schützten die Stadt vor der Gewalt der Feinde.
Die Avaren drangen mehrmals bis in die Vorstädte von ein; 616 und 626 erschienen die Perser unter Chosroes vor der Stadt. Berühmt sind namentlich die beiden Belagerungen durch die Araber: 668-675, wo die Stadt durch das griechische Feuer gerettet wurde;
717-718, wo sie Leo der Isaurier tapfer verteidigte. 1203 zogen die Kreuzfahrer des vierten Kreuzzugs vor die Stadt, um den durch Alexios entthronten Isaak Angelos wieder einzusetzen.
Längere Zeit verteidigten sich die Bürger unter dem tapfern Theodor Laskaris; als aber Alexios 18. Juli feig entfloh, wurde Isaak aus dem Gefängnis wieder auf den Thron [* 29] geführt, worauf die Führer des Kreuzzugs in Konstantinopel einzogen und Galata besetzten. Indes die Erbitterung der Byzantiner gegen die Franken, welche sich auch durch eine von ihnen veranlaßte Feuersbrunst, die einen großen Teil der Stadt zerstörte, verhaßt machten, führte im Februar 1204 zu einer Empörung, bei der Isaak und sein Sohn Alexios ihren Tod fanden.
Der neue Kaiser Murzuphlos wurde sofort von den Kreuzfahrern bekriegt, welche Konstantinopel nach hartnäckigem Kampf 12. April erstürmten. Furchtbar wüteten nun die rohen Sieger, mordeten und plünderten, selbst die Kirchen; die herrlichsten Kunstschätze wurden mit rohem Vandalismus zerstört, andre weggeführt, um Venedig [* 30] und seine Markuskirche damit zu schmücken, und eine ungeheure Beute gemacht. Am 16. Mai wählten die Kreuzfahrer den Grafen Balduin von Flandern zum Kaiser von Konstantinopel. Aber auch das unter so kühnen Hoffnungen gegründete lateinische Kaisertum sank bald infolge innerer Streitigkeiten und der Kriege mit den Bulgaren und Kumanen, die unter Asén 1234 die Stadt belagerten, und durch die Fortschritte des griechischen Kaisertums von Nicäa, das der aus Konstantinopel entflohene Theodor Laskaris gestiftet hatte, zu einem Schattenreich herab.
Doch erlangten die italienischen Handelsstädte seitdem in Konstantinopel einen großen Einfluß, namentlich die Genuesen und Venezianer, welche sich in Galata dauernd festsetzten. Nur schwächten sie sich durch Eifersucht und Streitigkeiten. Nach Wiederaufrichtung des griechischen Kaiserthrons durch die Paläologen 1261 kam es 1295 zu offenen Feindseligkeiten zwischen den Genuesen und Venezianern. Am 22. Juli erschien eine venezianische Flotte von 75 Schiffen vor Konstantinopel, verbrannte die Wohnungen der Genuesen in Galata und beschoß sogar die Stadt. Als Schadenersatz dafür ließ der Kaiser, als in den letzten Tagen des Dezembers die Genuesen alle Venezianer ermordet hatten, die Güter der Erschlagenen in Besitz nehmen.
Um die Mitte des 14. Jahrh. begannen die Osmanen sich in die Thronstreitigkeiten des byzantinischen Reichs einzumischen und auch Konstantinopel mehr und mehr zu bedrohen. Nach der Schlacht bei Nikopolis 1396 bedrängte Sultan Bajesid ernstlich die Stadt, welcher der französische Marschall Boucicault zu Hilfe kam, mußte aber 1401 die Belagerung wegen Timurs ¶