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Justinians, die beim Thor Egri-Kapu in die Stadt kommt und sich hier in zwei Arme teilt, welche am Schloß der sieben Türme u. an der Hagia Sofia enden.
[Vorstädte.]
An dem südlichen Anfang des Bosporus [* 2] liegt gegenüber dem Serail die Vorstadt Top-Hane (»Arsenal«, eigentlich »Kanonenfabrik«),
so nach den dort befindlichen Geschütz- und Kugelgießereien genannt. Hart an Top-Hane stößt westlich die große Vorstadt Galata, an der rechten oder nördlichen Seite des Hafens, dem Serail gegenüber, fast eine Stunde im Umfang haltend, im Altertum Begräbnisplatz, im Mittelalter von den Genuesen, gegenwärtig vornehmlich von Griechen bewohnt. Galatas Hauptzierde ist ein 141 Stufen hoher Feuerturm (Galata kulessi), von welchem man die ausgebreitete Aussicht über Konstantinopel [* 3] und die ganze Umgebung hat.
Galata wimmelt von Handelsleuten, Karrenführern, Lastträgern, Seeleuten etc. und hat steinerne, gewölbte und mit eisernen Thüren versehene Warenmagazine. Nördlich von Galata dehnt sich in höherer Lage die Vorstadt Pera (»jenseits«) aus, der eigentliche Sammelplatz der Europäer und das Hauptquartier der Gesandten und Diplomaten. Hauptverkehrsader in derselben ist die sogen. »große Perastraße« (grande rue de Pera). Hier hat man auch auf europäischem Fuß eingerichtete Gasthöfe, Theater, [* 4] Vergnügungslokale, Konditoreien, Kasinos, elegante Kaufläden, Buchhandlungen, europäische Postämter, Schulen, Brauereien, Spitäler, Kirchen etc. Überhaupt bietet Pera das Ansehen einer italienischen Stadt mit engen Straßen.
Sie enthält auf der Höhe zum Teil prachtvolle Paläste (unter denen die Hotels der russischen, der französischen, der englischen und der deutschen Botschaft, das Galata Serai, das Munizipalitätshotel, die Artilleriekaserne zu nennen sind) mit der Aussicht auf die Stadt und das Meer. Im J. 1870 wurde Pera zur Hälfte durch Feuersbrunst zerstört; seitdem dürfen die Häuser nur noch in Stein erbaut werden. Weiter aufwärts am Nordufer des Goldenen Horns liegt die Vorstadt Kassim Pascha, in welcher sich das nach Anleitung abendländischer Offiziere trefflich eingerichtete Schiffsarsenal (Ters-Hane) befindet, ein mit einer Mauer umgebener weitläufiger Bezirk, zu welchem auch das Admiralitätsgebäude, der Kriegshafen und das Bagno gehören. An diese Vorstadt stößt östlich die Vorstadt St. Dimitri, in das obere, meist von Griechen bewohnte Tatavla und das untere Jenischehr zerfallend, letzteres mit sehr gemischter und schmutziger Bevölkerung. [* 5]
Oberhalb der Vorstädte St. Dimitri und Kassim Pascha liegt das ausgebreitete Judenquartier Hasköj. Es folgen die Quartiere Piri Pascha, Chalidschi Oglu und Südlüdsche und nördlich davon, da wo das Goldene Horn sich flußartig verengt, das »Thal [* 6] der süßen Wasser« (türk. Kiahat-Hane), welches mit seinen frischen Wiesen und Bäumen Freitags ein beliebter Erholungsort der türkischen Frauen ist. Hier liegt auch ein Sommerpalast der Sultane mit Park. Im NW. des Stambuler Dreiecks, am Nordende des Goldenen Horns, liegt die Vorstadt Ejub, welche ihren Namen von dem Fahnenträger des Propheten führt, der hier 668, während der ersten Belagerung Konstantinopels durch Mohammedaner, getötet sein soll.
Die Türken bauten hier später über seinem angeblichen Grab eine Moschee, in welcher der Sultan bei seinem Regierungsantritt mit dem Säbel Osmans umgürtet wird, eine Zeremonie, welche die Stelle der Krönung vertritt. Auf der asiatischen Küste liegt gegenüber von Galata und Pera Skutari oder Asküdar (s. Skutari 2); vor der Stadt liegt auf einem 25 Schritt langen und 22 Schritt breiten Felsen der sogen. Leanderturm, von den Türken Kys-Kullessi (»Mädchenturm«) genannt, der aber nicht mit der Sage von Hero und Leander in Verbindung gebracht werden darf. Er hieß im Altertum Damalis, und auf ihm sollte Io gerastet haben; 1143 wurde er neu erbaut behufs Absperrung des Bosporus mit einer eisernen Kette.
Seine jetzige Gestalt erhielt er durch Mahmud II. und Achmed III. An Skutari schließt sich südlich die vorzugsweise von Griechen, Levantinern und Europäern bewohnte volkreiche Stadt Kadiköj (das alte Chalcedon, berühmt durch das daselbst im J. 451 n. Chr. abgehaltene allgemeine Konzil). Südlich davon liegen im Marmarameer die sieben sogen. Prinzeninseln (s. d.), von denen namentlich die vier größern mit Dörfern, Gärten, Landhäusern und Klöstern bedeckt sind. Auch am Bosporus (s. d.) reiht sich Ort an Ort, und darüber erheben sich zwischen Wäldchen, Gärten und Weinbergen Landhäuser und Kioske, während von den Gipfeln Burgen [* 7] und Ruinen der byzantinischen Vorzeit herabblicken.
Bevölkerungsverhältnisse.
Konstantinopel zählt samt den Vorstädten und den Orten längs des Bosporus nach der neuesten offiziellen Zählung (1885) 71,085 Wohnhäuser, [* 8] wovon aber die meisten klein und schlecht gebaut und nur von je einer Familie bewohnt sind, da das Familienleben der Osmanen nicht gestattet, Fremden einen Teil des Hauses einzuräumen, außerdem 483 Hans (Kaufhäuser), 24,205 Kaufläden und Magazine, 2441 Moscheen, 112 Kirchen orientalischer Riten, 36 Synagogen, 733 Schulen, 260 mohammedan. Klöster, 169 Bäder und 11,227 Gärten und Grundstücke.
Die Zahl der Bewohner des gesamten Stadtbezirks beträgt nach derselben Zählung 873,565 (wobei jedoch die Bevölkerung der Prinzeninseln und der bei Konstantinopel gelegenen Dörfer an der Küste des Marmarameers, wie z. B. San Stefano, Makriköj, Erenköj, Maltepe, Kartal, Pendik, nicht mitgerechnet ist), wovon auf Stambul 389,545, auf Pera, Galata, Top-Hane und die Vororte am Goldenen Horn 237,293, auf das europäische Ufer des Bosporus 99,102, auf Skutari, Kadiköj und das asiatische Ufer des Bosporus 147,625 kommen.
Von der Gesamtzahl sind 55 Proz. Türken, die übrigen Griechen, Armenier, Juden, eingeborne Franken und Fremde. Die Griechen haben gewisse Quartiere Stambuls, wie den Fanar, Psamatia, Kumkapu, und die Vorstädte Pera und Galata inne, wiewohl sie auch in allen übrigen Teilen der Hauptstadt und insbesondere in den Dörfern am Bosporus zerstreut wohnen. Sie sind Bankiers, Kaufleute, Ärzte, Architekten, Schiffer; auch findet man sie in allen Zünften und mechanischen Gewerben vertreten.
Die glänzende Aristokratie, welche ehemals im Fanar ihren Sitz hatte, siedelte nach dem griechischen Aufstand meist nach Griechenland [* 9] über, teils wurde sie überallhin in die Provinzen des Reichs zerstreut. Die orthodoxe griechische Kirche hat in Konstantinopel ihr Oberhaupt, welches den Titel: »Archiepiskopos von Konstantinopel und ökumenischer Patriarch« mit dem Beiwort »der Allerheiligste« führt und an der Spitze der aus zwölf Bischöfen zusammengesetzten heiligen Synode steht. Die Armenier bewohnen in Stambul die Quartiere von Jedi Kule, Kumkapu u. a., sind aber auch in Pera, Galata und andern Quartieren der Stadt angesiedelt. Vielfach arbeiten sie als Lastträger. Sie sind zum Teil reicher als die Griechen, führen die Aufsicht über die Bazare, und die Großen des Reichs wählen aus ihnen ihre Geschäftsführer und Lieferanten. Die in Konstantinopel ¶
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wohnenden Juden stammen von den spanischen ab, welche unter der Regierung Ferdinands und Isabellas aus Spanien [* 11] vertrieben wurden. Sie haben die spanische Sprache beibehalten und bewohnen vorwiegend die Quartiere Balat, Hasköj und Galata sowie die Bosporusdörfer Kusgundschuk und Ortaköj. Ihr Oberhaupt ist der Großrabbiner (Chacham baschi), der von den Notabeln erwählt wird und die gleiche Rangstellung hat wie die Patriarchen der christlichen Gemeinden; ihm zur Seite steht ein aus 6 Mitgliedern (3 Rabbiner und 3 Laien) bestehender Gemeinderat und ein geistliches Gericht (bêt-dîn) von 3 Mitgliedern.
Die Europäer (Franken) bewohnen Pera. Es besteht hier eine römisch-katholische Gemeinde mit etwa 10 Kirchen nebst einigen Kapellen und 6 Klöstern, unter einem Erzbischof und Patriarchen, sowie eine englische und eine protestantische Gemeinde mit mehreren Kirchen. Das Leben in Konstantinopel ist sehr einförmig; Vergnügungen und Zerstreuungen, welche andre europäische Hauptstädte bieten, sucht man, von Pera und Galata abgesehen, vergeblich. Die vorzüglichsten Versammlungsorte der Türken sind die Kaffeehäuser; Schenken werden von Christen und Juden unterhalten.
Eine bedeutende Rolle spielen die Bäder, deren es fast für jeden Stand besondere gibt. Gesellige Vergnügungen kennt der Morgenländer nicht, doch lauscht er mit großer Vorliebe den Erzählern von Märchen und Geschichten und ergötzt sich an den plumpen Späßen der Marionetten. Spazierengehen ist nicht gebräuchlich, und Promenaden findet man in den Umgebungen Konstantinopels nur wenige. Dagegen sind Spazierfahrten in Booten auf dem Bosporus und nach den Prinzeninseln sehr beliebt. Mit großem Geräusch aber werden die beiden Hauptfeste der Türken, das Beiram am Ende des Fastenmonats Ramasan und das Kurban-Beiram, gefeiert.
Wohlthätigkeits- und Bildungsanstalten.
Unter den Wohlthätigkeitsanstalten sind die Imarets oder Armenküchen die merkwürdigsten, in denen Tausende von Armen, ferner die Studenten und Moscheendiener täglich unentgeltlich gespeist werden. Außerdem gibt es Hospitäler zur Aufnahme kranker und obdachloser Armen. Die kaiserliche Garde hat zwei Hospitäler; für die Seeleute besteht eins im Arsenal. Auch ein Asyl für Geisteskranke ist vorhanden. Von europäischen Wohlthätigkeitsanstalten sind zu nennen: ein deutsches (1877 neu gebaut), ein englisches, ein französisches, ein italienisches und ein österreichisches Hospital, in welche arme kranke Landsleute unentgeltlich aufgenommen werden.
Von Bildungsanstalten zählt Konstantinopel 177 Medressen, d. h. mohammedanische Lehranstalten, in welchen die jungen Leute unentgeltlichen Unterricht in den für ihren künftigen Stand nötigen Wissenschaften erhalten, namentlich auch die Ulemas (Gesetzgelehrten) gebildet werden; sie sind meist mit den Moscheen verbunden. Sehr viel verdankt das Studienwesen der Organisation, welche Mohammed II. einführte. Staatsanstalten sind: eine Kriegsschule in der Vorstadt Pankaldi, eine Marineschule auf der naheliegenden Insel Chalki, eine Zivilschule, das kaiserliche Lyceum von Galata Serai, eine Zivilmedizinschule, eine Forst- und Bergschule, eine Sprachenschule, eine Rechtsschule, eine Ingenieurschule, 9 militärische Vorbereitungsschulen (ruschdïe askerïe), 20 Normalschulen (ruschdïe milkïe) für Knaben und 11 für Mädchen.
Seit 1880 existiert auch ein Antikenmuseum. Die Griechen besitzen einen wissenschaftlichen Verein (Philologikos Syllogos), die griechische große Nationalschule, die griechische theologische Schule und eine Handelsschule auf der Insel Chalki, mehrere Lyceen und höhere Töchterschulen. In den niedern türkischen Schulen wird unentgeltlicher Unterricht in der Religion, im Lesen, Schreiben und Rechnen erteilt (1882 erhielten in Konstantinopel überhaupt 7612 Knaben und 5761 Mädchen Unterricht in Schulen).
In den öffentlichen Bibliotheken, deren man 45 zählt, sind zum Teil überaus prächtige Manuskripte des Korans, Kommentare darüber, astrologische, medizinische und juridische Schriften, Geschichtswerke, Wörterbücher und Gedichte der morgenländischen Litteratur zu finden. Außer den schon seit langem bestehenden rabbinischen und armenischen sowie mehreren europäischen Druckereien besteht auch eine solche für türkische, arabische und persische Werke (Staatsdruckerei), die bis zur Gründung ähnlicher Anstalten in Ägypten [* 12] und Persien [* 13] die einzige war, welche den Muselmanen Werke ihrer Litteratur verschaffte.
Sie ward 1727 gegründet, 1746 aufgehoben, 1784 wiederhergestellt und nach Skutari verlegt; jetzt befindet sie sich hinter dem Atmeidan. Außerdem bestehen jetzt noch gegen 20 türkische Druckereien, ferner verschiedene armenische und griechische. Offiziellen Nachweisungen zufolge erscheinen gegenwärtig in Konstantinopel gegen 40 Zeitungen, in türkischer (2 in arabischer, eine in persischer), in griechischer, in armenischer, in bulgarischer, in jüdisch-spanischer und in französischer, bez. englischer Sprache. [* 14] Als Reichshauptstadt ist Konstantinopel Sitz aller obersten Reichsbehörden sowie des Scheich ul Islam und eines deutschen Berufskonsuls.
Industrie und Handel.
Eine Großindustrie nach europäischen Begriffen gibt es in Konstantinopel nicht. Mit Ausnahme einiger Phantasieartikel, welche von den Reisenden als Andenken gekauft werden, wird nichts zur Ausfuhr geliefert; die Gewerbtreibenden, teils Türken, teils Griechen, Armenier oder Juden, arbeiten einzig für den Lokalbedarf. Dabei werden die Grenzen [* 15] des handwerksmäßigen Betriebs nur bei einem einzigen Industriezweig überschritten, der Mehlproduktion, welche von einer Anzahl Dampfmühlen (unter englischen und französischen Maschinisten) betrieben wird, von denen zwei jährlich bis zu 20 Mill. kg Mehl [* 16] liefern.
Außerdem gibt es einige Kupfer- und Eisengießereien, Maschinen-, Möbelfabriken, eine Seidenfabrik (in Hereke), eine Fesfabrik, eine Glasfabrik, eine Eisfabrik, eine Thonwarenfabrik, Brauereien und Brennereien, mehrere Druckereien, Ölfabriken und Sägemühlen, teils in, teils außerhalb der Stadt. Die kaiserlichen Eisen- und Kanonengießereien, Pulverfabriken, Schiffswerkstätten etc. arbeiten ausschließlich für die Armee und Marine. Für den Handel hat Konstantinopel vermöge seiner Lage eine besondere Bedeutung: es ist der Stapelplatz zwischen Orient und Occident, der Hauptbazar der Levante.
Indessen ist es bei der geringen Kontrolle und der mangelhaften Organisation der türkischen Verwaltungsbehörden sehr schwierig, statistische Mitteilungen darüber zu geben; auch fällt der Handel der Hauptstadt vielfach mit demjenigen der Provinzen zusammen. Der Wert des Gesamthandels von Konstantinopel betrug 1884 ca. 236 Mill. Frank, wovon 186 Mill. auf Einfuhr und 50 Mill. auf Ausfuhr kommen. Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind: Getreide, [* 17] Ölsamen, Harze, Gummi-Tragant, Skammonium, Salepwurzel, Tabak, [* 18] Hanf, Kreuzbeeren, Safran, Bauholz, Buchsbaumholz, Meerschaum, Blutegel, [* 19] Pökelfleisch, Felle, Leder, Horn, Wolle, gesalzene Schafdärme, Baumwolle, [* 20] Brussaseide, Krapp, Teppiche, Mohair, Seife, Fette, Rosenessenz und Opium; die wichtigsten Einfuhrartikel: ¶