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verrichten hat. Die Erziehung und Ausbildung der Kinder ist eine gemeinsame, der Unterricht erstreckt sich nur auf die elementaren Fächer, [* 2] der Hauptpunkt in der Erziehung ist die Ausbildung der Nächstenliebe. Ein radikaler Gegner aller positiven Religionen, verwirft Owen alle kirchlichen Gebräuche und jede Art von Gottesverehrung. Die Ehe soll ein freier Vertrag und jederzeit einseitig auflöslich sein. Owens kommunistische Gesellschaftsordnung bietet ein wenig verlockendes Bild, und es ist daher begreiflich, daß er dafür trotz seiner unermüdlichen, auf die friedliche allmähliche Herbeiführung derselben gerichteten Agitation keine Anhänger gewann.
Einige Versuche, die er in Amerika [* 3] und England mit der Durchführung solcher kommunistischer Gemeinden machte, scheiterten vollständig. Als Kommunist und kommunistischer Agitator hat Owen nichts erreicht. Wenn Owens Name noch heute in England mit Ehren genannt wird, so verdankt er das dem epochemachenden Beispiel, das er vorher als humaner Fabrikherr in der sittlichen wie materiellen Hebung [* 4] seiner Arbeiter gegeben, und der Einwirkung, die er auf die Anfänge des englischen Genossenschaftswesens und der englischen Fabrikgesetzgebung ausgeübt hat.
Auch dem Schneidergesellen Wilh. Weitling (geb. 1808 zu Magdeburg, [* 5] seit 1849 in Amerika, gest. 1871 in New York), dem Verfasser der Schriften: »Die Menschheit, wie sie ist und sein soll« (1839) und »Garantien der Harmonie und Freiheit« (1842), der Anfang der 40er Jahre in der Schweiz [* 6] (Zürich, [* 7] Lausanne, [* 8] Neuenburg) [* 9] eine auf kleine Kreise [* 10] beschränkt gebliebene kommunistische Agitation betrieb, hat man die Ehre erwiesen, der Autor eines selbständigen kommunistischen Systems zu sein. Allerdings hat er ein neues Bild von einem kommunistischen Staat gezeichnet (s. dessen Darstellung z. B. bei Hildebrand); aber die unreifen Anschauungen ohne irgend eine selbständige Begründung der kommunistischen Ideen und der Ausführbarkeit seiner Phantasieprodukte (für welche z. B. charakteristisch ist, daß an der Spitze des großen zentralisierten kommunistischen Staats als die die gesamte Produktion, Verteilung u. Konsumtion dirigierende Obrigkeit ein Trio von drei Philosophen stehen soll, welche durch Preisarbeiten zu dieser Stellung gelangen sollen) dürften jene Ehre doch kaum rechtfertigen.
Eine neue Art von radikalem, revolutionärem Kommunismus ist die des Russen Bakunin (s. d.) und der russischen Nihilisten, die, soweit sie sich erkennen läßt, zusammenhängend mit spezifisch russischen Verhältnissen, auf die völlige Selbständigkeit der kommunistischen Gemeinden gegenüber dem Staat, auf die Abschaffung jeder Religion, Auflösung der Familie und vollständige politische wie soziale Emanzipation des weiblichen Geschlechts ausgeht.
Nicht alle Kommunisten sind nach den Anschauungen eines Bakunin und Babeuf zu beurteilen, und manche landläufige Vorstellungen über Kommunismus und Kommunisten treffen nur für einzelne, nicht für alle zu, so z. B. daß die Kommunisten stets irreligiös oder unchristlich, daß sie rohe Materialisten seien, die nur teilen und dem Einzelnen ein hohes Genußleben ohne Arbeit bereiten wollten, daß alle die Ehe und die Familie aufheben wollten etc. Aber alle trifft mit Recht der Vorwurf, daß sie unklare Phantasten sind.
Ihnen fehlt die klare Einsicht in die menschliche Natur und in die allein möglichen Grundlagen einer gesunden Volkswirtschaft und friedlichen Kulturgemeinschaft, ihnen mangelt das Verständnis der wirklichen Triebkräfte menschlicher Handlungen und derjenigen organischen Gestaltung der Volkswirtschaft, welche das Kulturleben der Völker und den Kulturfortschritt der Menschheit bedingt. In vollständiger Verkennung dieser Verhältnisse kommen sie zu dem Grundirrtum: der Forderung der radikalen Verwirklichung der Idee der Gleichheit.
Sie verkennen die große Bedeutung, welche für die individuelle Zufriedenheit wie für das materielle
Wohl und den geistigen
Fortschritt der Einzelnen und der Gesamtheit die individuelle Bewegung
sfreiheit und das
Bewußtsein der Verantwortlichkeit
für die eigne
Lage haben; sie verkennen den segensreichen Einfluß der
Institutionen des privaten
Eigentums
und des
Erbrechts auf die
Erhöhung der individuellen
Ausbildung, auf die
Steigerung des Arbeitsfleißes und des Sparsinns, auf
die
Sicherung des steten Fortschritts im Wirtschaftsleben.
In dem Kommunistenstaat ist die Hauptschranke gegen eine
Übervölkerung
niedergerissen, diese unvermeidlich.
Wohl läßt sich eine materielle
Gleichheit aller durchführen, aber,
wie
Owen das richtig erkannt hat, nur auf der niedrigsten
Stufe menschlichen Genußlebens. Die
Durchführung des Kommunismus wäre die
Nivellierung aller zu Proletariern, die Beseitigung des Kulturlebens und des Kulturfortschritts für die
Völker.
Litteratur: L. Stein, Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich (Leipz. 1842);
Derselbe, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (das. 1850, 3 Bde.);
Sudre, Histoire du communisme (5. Aufl., Par. 1856; deutsch, Berl. 1886);
Hildebrand, Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft (Frankf. 1848);
Marlo (Winkelblech), Untersuchungen über die Organisation der Arbeit (Kassel [* 11] 1850-59, 3 Bde.; 2. Aufl., Tübing. 1886);
Schäffle, Kapitalismus und Sozialismus (Tübing. 1870);
R. Meyer, Der Emanzipationskampf des vierten Standes (Berl. 1874-75, 2 Bde.);
Woolsey, Communism and socialism in their history and theory (Lond. 1880);
Leroy-Beaulien ^[richtig: Leroy-Beaulieu], Le [* 12] collectivisme (Par. 1884).