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Unterscheidungs- oder Differentialzölle (s. Zölle) verdrängt, man ließ fremde Schiffe [* 2] gegen das gleiche Zugeständnis von der andern Seite (Reciprozität) zu etc. So begann man in England 1822 mit umfassendern Reformen: der Verkehr mit amerikanischen Kolonien wird 1825 freigegeben, die Häfen von Ostindien [* 3] werden mit Ausnahme der Küstenschiffahrt gegen Zoll- und Flaggenzuschläge geöffnet, 1848 werden diese Zuschläge aufgegeben, 1849 werden die letzten Reste der Navigationsakte beseitigt, und 1850 wird auch die Küstenschiffahrt freigegeben. Länger behielt Frankreich das Absperrungssystem bei; dasselbe wurde, nachdem noch 1835 die Schiffahrt zwischen Algerien [* 4] und Frankreich der französischen Flagge vorbehalten worden war, erst 1861 aufgegeben. Allerdings wurden nicht alle Zollbegünstigungen beseitigt, wie denn auch Spanien [* 5] und Holland an Unterscheidungszöllen und Flaggenzuschlagen bis in die neueste Zeit festgehalten haben.
Unter allen Völkern besaßen die Spanier einst die größten und reichsten Besitzungen. Dieselben wurden in echt büreaukratisch-merkantilistischem Geist von eignen Vizekönigen und Generalkapitänen verwaltet. Religiöse Unduldsamkeit, Bevorzugung der Spanier vor Einheimischen und Kreolen sowie die Sucht, die Kolonien bei strengem Absperrungssystem in einseitiger Weise für Spanien auszubeuten, hatten zur Folge, daß die Länder des amerikanischen Festlandes, welche unter spanischer Herrschaft standen, die letztere Anfang des 19. Jahrh. abschüttelten.
Portugal war einst eine Kolonialmacht allerersten Ranges. Beherrschte es doch die Küsten von Marokko bis China [* 6] mit seinen Flotten, und in Südamerika [* 7] besaß es Ländereien von über 2 Mill. qkm Flächengehalt. Doch wurde Brasilien [* 8] 1822 vom Mutterland losgelöst, nachdem schon früher wichtige Kolonien von den Spaniern, Niederländern und Engländern weggenommen worden waren.
Die Niederlande [* 9] nehmen heute als Kolonialstaat unbestritten die zweite Stelle ein, und doch haben sie von ihrem frühern ausgedehnten Besitz viel eingebüßt. Vor dem Ende des 17. Jahrh. zählte Holland zu seinen Besitzungen: New York und Nordbrasilien, Ceylon, [* 10] das Kapland, Guayana, mehrere Antillen, fünf verschiedene Regentschaften unter einer Handelsgesellschaft im Indischen Archipel, Faktoreien an den Küsten von Koromandel und Malabar, in China und Japan.
Hatten die Niederländer früher viele ihrer Kolonien den Portugiesen und Spaniern abgenommen, so gingen sie später eines großen Teils derselben im Kampf gegen England verlustig. Doch ist ihnen immerhin noch ein bedeutender Besitz verblieben. Als besonders bemerkenswert ist das 1830 durch den Generalgouverneur van den Bosch auf Java eingeführte »Kulturstelsel« zu erwähnen. Grund und Boden wird als Eigentum des Herrschers betrachtet und zwangsweise bewirtschaftet.
Die Javaner haben außer den ihnen zum Hauptunterhalt gewährten Reisfeldern eine gewisse Anzahl Kronländereien mit Kolonialpflanzen: Kaffee, Zucker, [* 11] Indigo, [* 12] Gewürzen, nach Vorschrift zu bebauen und den Ertrag gegen ein bestimmtes Entgelt an die Regierung abzuliefern. Dieser Kulturzwang hat, trotzdem er einen großen Aufwand für Verwaltung und bewaffnete Macht erfordert, der Staatskasse bedeutende Reineinnahmen abgeworfen. In neuerer Zeit wird er von den Liberalen bekämpft, welche meinen, daß auch die Javaner die Lust zu freithätiger Arbeit gewinnen würden, sobald ihnen die Früchte derselben sichergestellt seien. Dagegen behaupten die Konservativen, daß nur durch Zwang die Kultur in Java aufrecht erhalten werde, weil die sich selbst überlassenen Eingebornen ihre Thätigkeit sehr bald auf die Deckung des notwendigsten Lebensbedarfs beschränken würden.
Als tüchtiges Kolonialvolk haben sich die Engländer erwiesen. Sie hatten frühzeitig erkannt, daß dem fruchtbaren Boden weit wichtigere Reichtümer abzugewinnen sind als den Gold- und Silberminen, welchen Spanier und Portugiesen nachjagten. Allerdings war die englische Kolonialpolitik im 17. Jahrh. eine ebenso monopolistisch-engherzige wie die der übrigen Kolonialstaaten, und war derselben auch im wesentlichen der Abfall der nordamerikanischen Freistaaten zu verdanken; doch hat England diese Politik am frühsten aufgegeben.
Für den Verlust von Nordamerika [* 13] fand es Ersatz im Süden von Afrika, [* 14] von Asien [* 15] und in Australien. [* 16] Die heutigen britischen Kolonien und Besitzungen in allen fünf Erdteilen lassen sich in drei Gruppen unterbringen. Zu der ersten gehören die eigentlichen Kolonien (Ackerbaukolonien), deren Gedeihen auf europäischer Einwanderung, auf Ackerbau, Viehzucht, [* 17] Bergbau, [* 18] den Anfängen der Industrie beruht, und die mit dem Mutterland einen lebhaften Austausch von Produkten betreiben.
Solche Kolonien sind: Britisch-Amerika, Australien und Neuseeland, die Kapkolonie mit Natal und die Südafrikanische Republik [* 19] (Transvaal). Die zweite Gruppe bilden die Kolonien (Plantagenkolonien), in denen unter der Leitung von Europäern und durch die Arbeit untergeordneter, an das Klima [* 20] besser angepaßter Rassen tropische Kulturen, wie Zucker- und Kaffeebau, betrieben werden. Dahin müssen gerechnet werden: Indien, Ceylon, Mauritius, die meisten westindischen Inseln, die Besitzungen in Zentral- und Südamerika, die Fidschigruppe. In dritter Linie folgen die rein militärischen oder maritimen Stationen, welche teils den lokalen Handel, teils die großen Welthandelsstraßen sichern sollten, um eine Verbindung zwischen Mutterland und Kolonien stets offen zu halten.
Solche Stationen sind: die Bermudasinseln, Gibraltar, [* 21] Malta, Cypern, [* 22] Perim und Aden, [* 23] Pinang und Singapur, [* 24] Hongkong, Ascension und St. Helena, die Besitzungen an der westafrikanischen Küste, die Falklandinseln und Helgoland. [* 25] Zur Hebung [* 26] und teilweisen Reorganisation der britischen Kolonien, besonders hinsichtlich ihrer Verwaltung, ihrer Stellung zum Mutterland und zu fremden Mächten etc., trat im April 1887 eine Kolonialkonferenz in London [* 27] zusammen.
Vgl. Vogel, Das britische Kolonialreich, geographisch, geschichtlich und statistisch beschrieben (Berl. 1886);
Bonwick, The British colonies and their resources (Lond. 1886), und den offiziellen »Statistical abstract for the several colonial and other possessions of the United Kingdom« (zuletzt 1886).
Auch die Franzosen besaßen im 17. Jahrh. in Asien und Amerika [* 28] bedeutende Besitzungen, und die von ihnen gegründeten Städte, wie Quebec, New Orleans und St. Louis, bekunden noch jetzt, daß die Annahme, den Franzosen gehe jedes Kolonisationstalent ab, eine übertriebene ist. Besonders zur Zeit Ludwigs XIV. waren sie eifrig bestrebt, ihren Kolonialbesitz [* 29] immer weiter auszudehnen. Später verloren sie infolge politischer und kriegerischer Verwickelungen in Europa [* 30] (Revolution, Kaiserreich) einen großen Teil derselben an die Engländer. Nach den Verlusten des letzten Kriegs ist jedoch Frankreich eifrig bestrebt, seine auswärtigen Besitzungen auf dem Weg des Vertrags (Afrika) oder auf dem der Eroberung (Anam, Madagaskar, [* 31] Tongking) [* 32] zu erweitern.
Vgl. Vignon, Les colonies françaises (Par. 1885);
Rambaud, La France coloniale (2. Aufl., ¶
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das. 1887); Lanessan, L'expansion coloniale de la France (das. 1886), und die jährlich erscheinenden offiziellen »Statistiques coloniales«.
Dänemark [* 34] verlor den größten Teil seines unbedeutenden Kolonialbesitzes in den Kriegen Napoleons I. an England, es verkaufte 1845 Trankebar und Serampur an die Ostindische Kompanie, 1849 die Besitzungen an der Goldküste an England, 1848 gab es die Nikobaren auf. Von seinen Nebenländern ist Island [* 35] kaum zur Hälfte (42,068 qkm) bewohnbar und von Grönland nur der gletscherlose Teil, von den Färöern sind 17 Inseln bewohnbar.
Italien [* 36] hatte 1881 die Assabbai am Roten Meer (632 qkm, wovon 579 auf das Festland, 53 auf die Inseln entfallen) mit 1300 Einw. erworben. Schweden [* 37] hatte nur eine kleine Kolonie, die Insel St.-Barthélemy, welche 1877 an Frankreich abgetreten wurde. Gegenwärtig beträgt der auf beifolgender Karte vergleichend dargestellte Kolonialbesitz der europäischen Staaten mit Ausschluß von Deutschland: [* 38]
Staaten | Fläche QKilom. | Jetzige Bevölkerung | Besitz vor 60 Jahren mit einer Bevölkerung von |
---|---|---|---|
Großbritannien | 19820919 | 214086856 | 125000000 |
Niederlande | 1980184 | 28601924 | 6643300 |
Frankreich | 1331325 | 9632534 | 460000 |
Spanien | 436396 | 8105932 | 22500000 |
Portugal | 1828456 | 3737045 | 6800000 |
Dänemark | 194577 | 127100 | 80000 |
Italien | 632 | 1300 | - |
Zusammen | 25592489 | 264292691 | 161483300 |
Eine ausführlichere Zusammenstellung der Kolonien dieser Länder gibt die statistische Übersicht zu unsrer Karte.
Die Kolonialbestrebungen in Deutschland.
Deutschland besaß bis zur neuesten Zeit gar keine Kolonien. Zwar hatte der Große Kurfürst von Brandenburg [* 39] an der Goldküste in Afrika einen Kolonisationsversuch angestellt, doch wurde derselbe bald wieder aufgegeben (s. Guinea, S. 916). Trotzdem, daß Deutschland alljährlich viele Tausende von Auswanderern übers Meer ziehen ließ, gestattete ihm die Gestaltung der politischen Verhältnisse nicht, Kolonien anzulegen und zu behaupten. Man beschränkte sich im wesentlichen darauf, den Auswanderern staatliche und private Fürsorge angedeihen zu lassen. Eine erhebliche Änderung trat in dieser Beziehung nach dem französischen Krieg ein, als das Deutsche Reich [* 40] nach außen hin eine größere Macht entfaltete. Zwar gab es in Deutschland schon früher unter den Auswanderungsvereinen (s. Auswanderung, S. 159) auch Kolonisationsgesellschaften, d. h. Vereine, welche sich nicht auf die Fürsorge für den einzelnen Auswanderer beschränkten, sondern welche daneben auch die Kolonisation ins Auge [* 41] faßten und deswegen sich bestrebten, den Auswandererstrom nach bestimmten Gebieten hinzulenken, so schon 1683 eine Gesellschaft in Frankfurt [* 42] a. M., welche die erste deutsche größere Auswanderung unter der Leitung von Pistorius nach Pennsylvanien lenkte, dann mehrere in den 40er Jahren gegründete Gesellschaften.
Diese Vereine, von denen nur noch der 1849 in Hamburg [* 43] gegründete Kolonisationsverein für Südbrasilien besteht, trugen meist einen gemeinnützigen, philanthropischen Charakter, sie wollten Armen und Arbeitslosen ein Unterkommen verschaffen, während eine Kolonie Intelligenz, Thatkraft und auch Kapital verlangt. Teils infolge dieses Umstandes, teils auch weil keine politische Macht im Hintergrund der Vereine stand, war die Wirksamkeit derselben meist erfolglos.
Nach 1870 machte sich mehr das Bestreben geltend, Kraft [* 44] und Kapital der Auswanderer dahin zu lenken, wo sie dem Mutterland dauernd ersprießliche Dienste [* 45] leisten könnten. Die deutschen Ansiedelungen sollten, auch wenn sie nicht gerade Deutschland politisch einverleibt würden, doch möglichst als geschlossenes Ganze erhalten werden, welches seine nationalen Eigentümlichkeiten bewahre, die dann eine sichere Grundlage eines dauernden wirtschaftlichen Verkehrs mit dem Heimatsland bilden würden.
Vorerst sollten auf privatem Weg Faktoreien und Ansiedelungen gegründet und diese unter deutsche Schutzherrschaft gestellt werden. Diese Ideen fanden insbesondere Vertretung bei dem 1882 in Frankfurt a. M. gegründeten Deutschen Kolonialverein; Sitz desselben ist Berlin. [* 46] Der Verein, welcher 1887: 114 Zweigvereine zählte, stellt sich die Aufgabe, das Verständnis der Notwendigkeit, die nationale Arbeit der Kolonisation zuzuwenden, in immer weitere Kreise [* 47] zu tragen, für die darauf gerichteten Bestrebungen einen Mittelpunkt zu bilden und eine praktische Lösung der Kolonisationsfrage anzubahnen.
Organ desselben ist seit 1884 die »Deutsche Kolonialzeitung«. Um praktische Kolonisation zu treiben, wurde Anfang 1884 die Gesellschaft für deutsche Kolonisation (Sitz in Berlin) begründet. Dieselbe bezweckt: Begründung von deutsch-nationalen Kolonien, Unterstützung deutscher Kolonisationsunternehmungen (vornehmlich Deutsch-Ostafrikas, welches die Gesellschaft erwarb), Hinlenkung der deutschen Auswanderung in geeignete Gebiete und Förderung deutsch-nationaler Interessen.
Sie veranlaßte Mitte September 1886 den in Berlin abgehaltenen allgemeinen deutschen Kongreß. Die Gesellschaft besitzt zahlreiche Abteilungen in Deutschland; ihr Organ ist die »Kolonialpolitische Korrespondenz«. Ähnliche Aufgaben haben sich gesetzt: der 1878 in Berlin gegründete Zentralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland, dessen Organ, der »Export«, sich insbesondere die Hebung des deutschen Handels zur Aufgabe gestellt hat, der Westdeutsche Verein für Kolonisation und Export zu Düsseldorf, [* 48] jetzt Zweigverein des Deutschen Kolonialvereins, die im Februar 1887 einer Neubildung unterworfene »Deutsche Ostafrikanische Gesellschaft« (s. d.) mit dem Sitz in Berlin, die Deutsch Westafrikanische Kompanie, ebenfalls in Berlin, die Südwestafrikanische Gesellschaft, die Deutsche Südwestafrikanische Kompanie, der Verein zur Förderung deutscher Interessen in Südafrika, [* 49] die Südamerikanische Kolonisationsgesellschaft in Leipzig, [* 50] der Leipziger Verein für Handelsgeographie etc. Die deutsche Reichsregierung entschloß sich, nachdem der Reichstag 1880 die Samoavorlage abgelehnt hatte, erst 1884 dazu, die Unternehmungen hanseatischer Kaufhäuser und von Kolonialvereinen unter ihren Schutz zu nehmen und deren Erwerbungen gegen fremde, besonders britische, Anfechtungen zu verteidigen.
Dies geschah zuerst bei der Handelsniederlassung des Bremer Hauses Lüderitz in Angra Pequena, [* 51] dann in Camerun [* 52] und Togoland, 1885 in Neuguinea und Ostafrika. Dem Geschick des Reichskanzlers gelang die friedliche Verständigung mit England und Frankreich über die Abgrenzung der deutschen Gebiete, während der Sultan von Sansibar [* 53] durch eine Flottendemonstration zum Verzicht auf seinen Einspruch veranlaßt wurde. Die neuen deutschen Kolonien sind teils Kronschutzgebiete, welche unmittelbar durch Beamte des Kaisers (Reichskommissare) auf Kosten des Reichs regiert werden (Togoland ¶