denen häufig
Reminiszenzen an den ehemaligen heidnischen Naturkultus auftauchen. Mythischen
Inhalts sind unter anderm die
Frühlingslieder (hahilky), welche ursprünglich die Auferstehungsfeier der
Sonne
[* 2] als
Gottheit zum Gegenstand hatten und gegenwärtig
am Festtag der
AuferstehungChristi gesungen werden. Die schönsten
Schöpfungen aber der kleinrussischen Volksphantasie sind
unbestritten die
Lieder, welche den häuslichen
Herd besingen, und die Liebeslieder.
Die historischen
Lieder (dumy) stammen zumeist aus dem Heldenzeitalter der
Kosaken und sind von so hohem poetischen
Werte, daß
sie auf dem Gebiet der slawischen Volkspoesie nur den serbischen Heldenliedern an plastischer
Kraft
[* 3] der
Darstellung nachstehen.
Außer diesen Liedern gibt es noch einen großen
Schatz von
Märchen,
Sprichwörtern und
Sagen, welch letztere
ein sehr altertümliches Gepräge haben und häufig mythische Zustände einer fernen
Epoche schildern.
Größere Sammlungen
von Volksliedern lieferten Waclaw z Oleska (Lemb. 1833), Zegota
Pauli (das. 1839 bis 1840, 2 Bde.),
Golowatzkij (Mosk. 1878, 4 Bde.),
Antonovic und
Dragomanow
(Kiew
[* 4] 1874, 2 Bde.). Eine Sammlung von
Märchen veröffentlichte Rudcenko
(Kiew 1869-70, 2 Bde.).
Vgl.
Pypin und Spasovic, Geschichte der slawischen
Litteraturen, Bd. 1 (deutsch,
Leipz. 1880).
Benennung der drei am
Dnjepr gelegenen russ.
GouvernementsKiew,
Poltawa und
Tschernigow, die das
Zentrum
und die ursprüngliche
Heimat des süd- oder kleinrussischen
Stammes (s.
Russen) darstellen. Diese Gegend
bildete, als Oleg seine Hauptstadt von
Nowgorod nach
Kiew verlegte (Ende des 9. Jahrh.), den
Kern des russischen
Reichs, das
jedoch 1170 in
Wladimir (s. d.) eine neue Hauptstadt erhielt. 1237 wurde Kleinrußland durch
die
Tataren verwüstet, wobei die meisten
Städte und deren Einwohner gänzlicher Vernichtung anheimfielen.
Als die
Tataren fast 100 Jahre hier gehaust hatten und nun ihr Augenmerk mehr auf die nordöstlich gelegenen
Länder richteten,
wurde es den
Fürsten von
Litauen leicht, sich Kleinrußlands zu bemächtigen. Damals (erste Hälfte des 14. Jahrh.)
trat die Sonderstellung des
Landes zuerst deutlich hervor, und der
Name Kleinrußlandkam inGebrauch. Mit
Litauen kam
Kleinrußland darauf 1386 an
Polen. Die kleinrussischen
Kosaken, mit der polnischen Herrschaft unzufrieden, lehnten sich auf, viele wanderten
aus und bildeten
Kolonien.
Besonders aber nach der Einführung der kirchlichen
Union 1596 begann ein ununterbrochener
Krieg zwischen den
Kosaken und den
Polen, der eigentlich erst endigte, als 1686 das östliche
Ufer des
Dnjepr (die russische
Ukraine) mit der
Stadt
Kiew an Rußland abgetreten wurde, wobei Kleinrußland das
Recht erhielt, seine
Hetmans selbst zu wählen. 1793 fiel dann auch die
polnische
Ukraine (auf dem westlichen
Ufer des
Dnjepr) mit
Wolhynien,
Podolien und dem jetzigen
GouvernementKiew an
Rußland. 1801 unter
Katharina erfolgte die jetzige
Teilung Kleinrußlands in die drei
oben genannten
Gouvernements.
Eine unglückliche
Liebe trübte früh die natürliche Heiterkeit von Kleists
Gemüt. Nachdem er 1744-45 den zweiten
SchlesischenKrieg mitgemacht, rückte er 1749 zum
Stabskapitän vor, und zwei Jahre später erhielt er eine
Kompanie. Nach einer
Reise in
die
Schweiz,
[* 16] wo er fast ein Jahr lang auf
Werbung war, und nach einer überstandenen schweren
Krankheit
hatte er im Mai 1756 eben angefangen, eine
Kur in
Freienwalde zu gebrauchen, als ihn ein Befehl zum
Regiment zurückrief und
er ins
Feld zog.
Schon im folgenden Jahr ward er zum
Major und bald darauf zum
Direktor eines in
Leipzig
[* 17] errichteten
Feldlazaretts ernannt. In
letzterer Stadt begann er sein kleines
Epos »Cissides und
Paches« und gewann unter anderm auch die
FreundschaftLessings, welcher
ihn bestimmte, ein
Trauerspiel zu schreiben. Es entstand der
Entwurf des
»Seneca«, ein Fehlversuch, wofür ihn Kleist selbst erkannte.
Im Mai 1758 folgte Kleist dem
Korps des
PrinzenHeinrich, welches die
Reichsarmee bis hinter
Hof
[* 18] zurücktrieb;
trotz mehrfacher Zurücksetzung vermochte er sich nicht dazu zu entschließen, seinen
Abschied zu nehmen.
In der
Schlacht bei
Kunersdorf
[* 19] drang
er an der
Spitze seines
Bataillons gegen eine feindliche
Batterie vor, ward an der
rechten
Hand verwundet, nahm aber den
Degen in die
Linke und stürmte weiter, als ihm drei Kartätschenkugeln
das rechte
Bein zerschmetterten. Ohnmächtig blieb Kleist die
Nacht über auf dem Schlachtfeld liegen, wurde von
Kosaken ausgeplündert
und erst am 13. nach
Frankfurt
[* 20] a. O. gebracht. Hier erlag er seinen
Wunden und ward von der russischenGarnison
ehrenvoll begraben.
Kleists reines
Gemüt spiegelt sich in allen seinen
Poesien, vorzüglich in den
Erzählungen: »Die
Freundschaft« und »Arist«
sowie in dem
Idyll
»Irin«. Korrektheit des
Ausdrucks, glücklich gewählte
Bilder, in denen er gewöhnlich die
Natur mit frischem
Leben zeichnet, sowie
Fülle und Wohlklang der
Diktion charakterisieren seine Gedichte, unter denen sein
»Frühling«, welcher zuerst 1749 bloß für
Freunde gedruckt erschien und dann viele
Auflagen erlebte, hohen Beifall errang.
Neben dem beschreibenden Gedicht versuchte sich Kleist auch in der
Fabel, im
Idyll und in der
Hymne. Seine »Sämtlichen Werke« sind
von
Ramler (Berl. 1760, 2 Bde.),
später von
WilhelmKörte (mit
Biographie, das. 1803, 2 Bde.; 5. Aufl.
1853) und neuerdings mit den
»Briefen« von A.
Sauer (das. 1884, 3
Tle.) herausgegeben worden.
3) Heinrich von, deutscher Dichter, der hervorragendste und poetisch mächtigste unter den Vertretern der »romantischen
Schule«, ein Verwandter von Kleist 1), geb. zu Frankfurt a. O., Sohn eines preußischen Offiziers, verlor bereits früh
seine Eltern, nach deren Tod eine Tante das Haus aufrecht erhielt, trat in das Kadettenhaus zu Berlin, 1792 als
Junker in das 1. Garderegiment, avancierte 1795 zum Fähnrich und schließlich zum Leutnant. Er hatte ohne Widerspruch die Familienkarriere
eingeschlagen, auch als guter Soldat an den Rheinfeldzügen teilgenommen.
In der Eintönigkeit des Garnisonlebens nach dem BaselerFrieden ward ihm klar, daß der militärische
Beruf seine Seele leer lasse; ein dunkler Drang, den er fälschlich für das Verlangen nach wissenschaftlicher Bildung und Erkenntnis
hielt,
erfüllte ihn. Mühsam rang er seiner Familie und seinen militärischen Gönnern die Zustimmung ab, auf der verfallenden
Universität seiner Vaterstadt zu studieren, widmete sich während der Jahre 1799 und 1800 dem Studium
der Mathematik, der Philosophie und der Kameralwissenschaften, verlobte sich auch während dieser Zeit mit einer Tochter des
Generals v. Zenger.
Nach drei Semestern an der Philosophie irre geworden und dem Studium irgend einer »Brotwissenschaft« geringschätzig den Rücken
kehrend, verließ Kleist die Universität mit dunkeln, unbestimmten Zukunftshoffnungen. Er hatte seinen Dichterberuf
entdeckt und glaubte ihn nach mannigfachem Wechsel seiner Entschlüsse und äußern Pläne durch ein gewaltiges, alles niederwerfendes
Werk mit Einem Schlag erweisen zu müssen. In rascher Folge unternahm er, um das, was eigentlich in ihm vorging, zu verbergen,
eine Reihe von Reisen, hielt sich längere Zeit in Paris auf, suchte vergebens seine BrautWilhelmine zu bestimmen,
mit ihm in der Schweiz ein einfaches Bauerndasein zu führen, und dichtete während aller dieser hastig wechselnden Unternehmungen
und Pläne an einer Tragödie: »Robert Guiscard«, welche die höchste Vollendung und Wirkungsfähigkeit erreichen sollte. Im
Herbst 1803 gab er, das Mißverhältnis seiner Forderungen und seines augenblicklichen poetischen Vermögens
erkennend, den gewaltigen Plan auf.
Die Verzweiflung über das Scheitern seiner stolzen Hoffnungen glich einem Wahnsinnsanfall; auch die günstige Aufnahme, welche
das zwischen der Arbeit an »Guiscard« gedichtete, groß angelegte, aber durch Willkür und bizarre Laune am Schluß
entstellte Trauerspiel »Die Familie Schroffenstein« inzwischen gefunden, vermochte ihn darüber nicht hinauszuheben. Kleist ging
nach Paris in der Absicht, sich der damals geplanten Expedition von Boulogne anzuschließen und dabei einen ehrlichen Soldatentod
zu finden.
Wahrscheinlich würde er, paß- und mittellos, wie er war, eher als Spion erschossen worden sein; das
Eingreifen des preußischen Gesandten in Paris, Lucchesini, rettete ihn für diesmal. Gebrochen an Leib und Seele, resigniert,
ja gedemütigt, kehrte er nach Potsdam zurück, erhielt durch besondere Verwendung der KöniginLuise eine kleine Pension und
eine Anstellung bei der Domänenkammer zu Königsberg, wohin er im Herbst 1804 abging. Hier gewann er denMut zu neuem poetischen Schaffen.
Ohne die überreizten Anforderungen an sich zu stellen wie beim »Guiscard«, wagte sich der Dichter zunächst an kleinere Formen
und Stoffe, schuf seine ersten Novellen: »Die Marquise von O.« und das »Erdbeben
[* 36] in Chile«,
[* 37] eine freie Bearbeitung des Molièreschen
»Amphitryon« und das einaktige Lustspiel »Der zerbrochene Krug«, welches im Detail zu breit ausgesponnen,
sonst aber durch die Fülle echter Komik, die magische Charakteristik und das niederländische Kolorit ausgezeichnet war.
Aus diesen litterarischen Bestrebungen und Plänen ward Kleist im Herbst 1806 durch die Katastrophe des preußischen Staats gerissen.
Zum erstenmal kam ihm zum Bewußtsein, wie tief er mit allen Lebensfasern in das Glück und Unglück des
Vaterlandes verwachsen sei. Zugleich war das hereinbrechende Unglück auch ein persönlicher Schlag: Kleist verlor seine Pension
und Anstellung und ward, als er sich im Herbst 1807 nach Berlin wagte, verhaftet, ohne Verhör nach Frankreich abgeführt, anfänglich
im FortDeJoux gefangen gehalten, später mit preußischen kriegsgefangenen Offizieren in Châlons sur Marne
interniert. Die Gefangenschaft lähmte
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