auf 6-10 Mill. Stück, auf ebensoviel die Zahl ihrer Schafe und auf 2 Mill. die Zahl ihrer Rinder geschätzt. Eine eigentliche
Milchwirtschaft treiben sie nicht, doch bildet dieselbe insofern einen wichtigen Teil ihrer Ökonomie, als Milchprodukte die
Hauptnahrung ausmachen. Die Zelte (Jurten, Kibitken) der Kirgisen sind zierlich aus Filz errichtet, ohne die Spitze 2 m
hoch und haben 7-9 m im Durchmesser; Tragstangen werden gekreuzt, das Ganze ist leicht ab- und aufgeschlagen; die Kibitken
der Reichen sind umfangreicher.
Die Zelte stehen in den zum Ackerbau geeigneten Flußniederungen meist dorfartig vereinigt. Im Winter sind die Kirgisen auch Jäger
und wissen mit schlechten Feuerschloßgewehren vortrefflich zu schießen. Vom Handwerk verstehen sie nicht
viel, doch immerhin etwas Schmiederei und Sattlerei. Die Frauen beschäftigen sich mit Filzbereitung, Spinnen, Weben und Gerben.
Auf Tabakschnupfen sind die Kirgisen sehr erpicht, weniger aufs Rauchen. Sie sind Mohammedaner und zwar Sunniten, aber im ganzen
nicht sehr eifrig und wenig mit dem Koran bekannt.
Auch der Polygamie huldigen sie; doch ist es, da der Kalym, der Kaufpreis für die Braut, ziemlich hoch, nur den Reichen möglich,
sich mehrere Frauen zu nehmen. In sozialer Beziehung unterscheidet man zwei Klassen, die vom »weißen Knochen« und die vom »schwarzen
Knochen«, wobei die erstere den Adel repräsentiert, jedoch nicht im feudalen Sinn. Ihre administrative Einrichtung
sind Auls und Woloste. 30-200 Jurten oder Kibitken bilden eine Gemeinde (Aul), mehrere Auls ein Weidegebiet oder einen Kreis (Wolost).
Die Kirgisen haben selbstgewählte eingeborne Richter (Bii-en), die nach nationalem Gewohnheitsgesetz alle Streitigkeiten unter
den Kirgisen selbst aburteilen, während die zwischen Kirgisen und Russen durch Zivilgerichte auf Grundlage der russischen
Justizverfassung entschieden werden. An der Spitze der Wolost steht ein eingeborner Kreischef, der auf drei Jahre gewählt wird.
Ihre Abgabe, der Jassak, beträgt pro Jurte von 3-5 Köpfen 3-3½ Rub. jährlich; Händler zahlen 2½ Proz. vom Import und
Export.
Das Kirgisenelement gewinnt seit kurzem in Sibirien große Bedeutung. Bis nach Biisk und Kusnetz hin sind fast alle Hirten der
russischen Dörfer Kirgisen; zahlreich suchen sie Arbeit bei der Heuernte, Tausende auch in den Goldwäschen. Zwar bleiben auch diese
Kirgisen Nomaden und wenden sich stets wieder nach der Heimat zurück; aber ihre außerhalb der Steppe gebornen
Kinder tragen schon halbrussische Kleidung, lassen die Haare wachsen und pflegen sich als Diener oder Arbeiter fest niederzulassen.
Ganz russifizierte nehmen selbst das Christentum an und leben dann außerhalb der Steppe meist als Landbauer. Anderseits übertragen
sie ihre Stammeseigentümlichkeiten auf die kleinen Kosakenkolonien am Rande der Steppe: die Kosaken tragen
das Oberkleid durchschnittlich nach kirgisischem Schnitt, reiten nach Art der Kirgisen und sprechen häufig besser kirgisisch als
russisch. 1824 begann die russische Regierung die bisher nur dem Namen nach bestandene Unterwürfigkeit dieser Nomaden zur Wahrheit
zu machen. - Mit dem Namen Dschatakkirgisen bezeichnet man ansässige Kirgisen; dieselben wohnen in allen Städten,
Dörfern oder Kosakenstanizen des westlichen Sibirien, sprechen alle russisch und verheiraten ihre Töchter nur ungern an
Steppenkirgisen.
Sobald sie etwas Geld verdient haben, fangen sie gern an, Handel zu treiben, zu welchem Zweck sie bei tatarischen Kaufleuten
in die Lehre gehen. Die über dieser Beschäftigung tatarisierten Kirgisen erhalten den Namen Tschala-Kassak,
d. h. Halbkirgise oder
unvollkommener Kirgise.
Vgl. Göbel, Reise in die Steppe der Kirgisen (Dorpat 1837);
v. Helmersen in den »Beiträgen
zur Kenntnis des russischen Reichs etc.«, herausgegeben von v. Baer etc., Bd. 5 u. 6 (Petersb.
1841, 1843);
A. de Levchine, Description des hordes et des steppes des Kirghiz-Kazaks (a. d. Russ., Par.
1840);
v. Köppen und Stein (in »Petermanns Mitteilungen« 1858) und Radloff (ebendas. 1864);
Atkinson, Oriental and Western Sibiria
(Lond. 1857);
Schott, Über die echten Kirgisen (Berl. 1864);
Zaleski, La vie des steppes Kirghizes (Par. 1865);
Wenjukow, Die russisch-asiatischen
Grenzlande (a. d. Russ., Leipz. 1874);
Finsch, Reise nach Westsibirien (Berl. 1879);
Lansdell, Russisch-Zentralasien
(a. d. Engl., Leipz. 1885);
Radloff, Aus Sibirien, Bd. 1 (das. 1884);
Derselbe, Kirgisische Mundarten (Petersb. 1870);
Derselbe, Der Dialekt der Karakirgisen (das. 1886);
Jadrinzew, Sibirien (deutsch,
Jena 1886).
das weite, von den Kirgiskaisaken (s. Kirgisen) bewohnte Gebiet in Vorderasien, das
im N. vom Quellgebiet des Uralflusses, der Festungslinie längs des Tobol und von dieser östlich bis Omsk am Irtisch, im NO.
und O. vom Irtisch, vom westlichen Ufergebiet der Seen Saian und Alakul, im S. vom Alatau, dann von den Flüssen Tschu und Sir Darja,
dem Aralsee und dem Usturt, im W. vom Kaspisee und Uralfluß begrenzt wird. Es zerfällt laut Verfügung
vom 10. Mai 1882 in ein Steppengeneralgouvernement mit dem Sitz der Zentralbehörden in Omsk, welches gebildet wird aus den Gebieten
Akmollinsk, Semipalatinsk und Semiretschinsk, und in die beiden Gebiete Turgaisk und Uralsk. Umfang und Bevölkerung
des Gebiets stellen sich wie folgt:
QKilom.
Einwohner
Akmollinsk
545339
467823
Semipalatinsk
487673
604517
Semiretschinsk
402202
639078
Turgaisk
523656
338395
Uralsk
366402
521544
Zusammen:
2325272
2571357
Dieses ungeheure Gebiet, obgleich so eintönig, unwirtlich und spärlich bevölkert, »daß
schon ein Kosakendorf voll Leben und Abwechselung erscheint, wenn man es nach langen Tagereisen durch die
endlose Steppe erreicht« (Radloff), trugt keineswegs das Gepräge einer einförmigen Ebene, wie die nördlich gelegenen Steppen.
Felshöhenzüge treten auf, die im W. von N. nach S. streichen und sich als Ausläufer des Urals darstellen, wie insbesondere
die bis 600 m hohen Muhadjarberge, während vom SO. her das Altaisystem
hereinragt, anfangs in mächtigen Gebirgszügen (Alatau), und bis in das Herz der Steppe seine letzten Ausläufer entsendet,
wie die Eremeniberge bei Akmollinsk, die Jamanarganatiberge im S. des Dengizsees.
In dem westlichen Teil, in der Mitte zwischen dem Kaspisee, Aralsee und Balchaschsee, breitet sich in Verbindung mit dem Tiefland
Ciskaukasiens die tiefste Bodeneinsenkung der Alten Welt aus: eine von SW. nach NO. laufende, etwa 225 km breite Furche, die ehemals
wahrscheinlich eine Verbindung des Aralsees mit dem Eismeer gebildet hat, bevor quer über dieselbe hin, als Brücke zwischen
Ural und Altai, eine Graniterhebung stattgefunden hat, die jetzt (unter 49° nördl.
Br.) unter dem Namen Ildighi Sirt eine Wasserscheide zwischen dem Eismeer und dem Aralsee bildet. Eine besondere Eigentümlichkeit
dieser Steppengegend bilden tiefe, trichterförmige Schluchten mit meist sehr salzigem Boden, deren merkwürdigste Kara Sai
heißt, die sich
mehr
60-65 km weit zwischen zwei Sandflächen mit oft 30 m hohen Ufern hinzieht. Lange Strecken Wüstensandes, der Schrecken der Karawanen,
breiten sich im S. aus. An Seen ist die Steppe reich; sie sind aber seicht, salzig und trocknen von Jahr zu Jahr mehr aus.
Ebenso sind die zahlreichen Wasserläufe meist wasserarm und vertrocknen im Sommer ganz; eine Ausnahme
machen im O. der Irtisch, im S. der Tschu, im W. teilweise die Emba und der Ural (Jaik). Infolge der Wasserarmut trägt das ganze
Land den Charakter der Dürre und Unfruchtbarkeit.
Die Gegensätze von Kälte und Wärme treten sehr scharf auf. Der Winter beginnt schon Ende August und dauert
bis April, die Kälte erreicht -37° C.; der Frühling geht rasch vorüber, der Sommer ist trocken und glühend heiß (bis 43°
C. im Schatten), der Herbst kurz und regnerisch. Regen fällt im allgemeinen selten, die Jahresmenge der wässerigen Niederschläge
wird höchstens 80 mm betragen. Winde (namentlich die Burane oder Schneewirbelwinde) treten mit furchtbarer
Heftigkeit auf. Im SO. sind auch verheerende Gewitter und Erdbeben nicht selten.
Der früher unbedeutende Bergbau findet jetzt, seitdem die Russen der Unsicherheit ein Ende machten, immer mehr Beachtung.
Goldwäschen gab es von jeher, ebenso wurden Silberminen ausgebeutet; ihr Ertrag ist aber nie bedeutend
gewesen, und letztere werden nur noch auf Blei bearbeitet. Wertvoller ist Kupfer; es wird in sieben Hütten dargestellt, die
1879: 31,175 Pud lieferten. Eine bedeutende Zukunft hat der Abbau der Kohlen, der hauptsächlich in Semipalatinsk bei Permykins,
Pawlodar (vier Gruben) und Karakalin, dann in Akmollinsk in den Gruben von Karagantin betrieben wird; eine
neue Grube wurde bei Ermensk eröffnet.
Diese Gruben, teils Privaten (besonders der Familie Popow), teils Gesellschaften gehörig, lieferten 1879: 348,000 Ztr. Kohlen.
Wald fehlt; im N. kommen vereinzelte Birken vor, sonst ersetzt ihn holziges Gestrüppe. Der Saksaul (Anabasis), außerdem Mist,
dient als Feuerung. Längs der Festungsreihen sind die besten Weideplätze, längs der Flußläufe gute
Ackergründe. Die Seen und sumpfigen Vertiefungen sind mit Schilfwaldung in ziemlich weitem Umfang eingefaßt.
Die Tierwelt ist in der eigentlichen Steppe wegen ihrer Dürre nur kärglich vertreten. Murmeltiere, Antilopen, Eber (in den Schilfdickichten),
Wölfe (sehr zahlreich) und Füchse, von Vögeln Adler und Fasanen, sodann Gänse, Schnepfen etc. in den Umgebungen
der Seen, sonst Habichte, Lerchen u. dgl. kommen am meisten vor. Eine
große Plage für Menschen und Vieh sind während der Sommerszeit die Schwärme von Bremsen und andern Insekten. Viehzucht ist
Haupterwerb der Bevölkerung.
Die Herden von Rindvieh, Schafen (klein, mit herabhängenden Ohren) und Pferden (klein an Wuchs, aber kräftig,
ausdauernd und genügsam; edlere Rassen selten) sind groß; Kamele sind zwar auch zahlreich, aber schlecht gepflegt und daher
schwächlich (vgl. Radloff in der »Zeitschrift für Ethnographie« 1871). Die Bevölkerung besteht der großen Mehrzahl nach aus
Kirgisen (s. d.). Eingesprengt unter sie und mit ihnen wandernd, leben Tataren als Händler, deren Zelte als
Krambuden für ihre Waren dienen, Kosaken und Russen in den Festungen.
Russische Bauern umwohnen den ganzen Nordwesten der Steppe, haben aber auch schon im Innern derselben Kolonien angelegt; insbesondere
ist dies in größerm Maß gelungen am Ischim (von Altbassar nördlich gegen Omsk zu), dann im SW. bei Kopal
und Wernoje. Industrie fehlt, der Handel mit ihren Erzeugnissen ist deshalb sehr
lebhaft; er war früher ausschließlich Tauschhandel,
wird jetzt aber immer mehr in Geld geführt. Hauptgegenstände der Ausfuhr aus Rußland nach der Kirgisensteppe sind Baumwollwaren, Leder
und Getreide, wogegen letztere Vieh und Häute liefert.
Die Kleine Horde der Kirgiskaisaken unterwarf sich 1734 freiwillig der russischen Zarin Anna; die Freude über dieses Ereignis
dauerte aber nicht lange, denn die Russen sahen sich genötigt, längs der Steppe ganze Reihen von Festungen mit zahlreicher
Besatzung zu errichten, um sich der Raubzüge der neuen Unterthanen in russisches Kulturland zu erwehren.
Die Verwaltung machte dabei große Mißgriffe; sie pflog den schriftlichen Verkehr in tatarischer Sprache, die nicht die Muttersprache
der Bewohner war, baute Moscheen, während der Glaube noch ein schamanischer war, und leistete dadurch den Erbfeinden christlicher
Regierungen, den tatarischen mohammedanischen Priestern, Vorschub, die sich beeilten, aus Innerasien in der
Steppe sich niederzulassen. 1820 wurde beschlossen, die Kirgiskaisaken zu wirklichen Unterthanen zu machen; man legte hierzu
in der Steppe an denjenigen Punkten, die für die Umgebung sich zu Mittelpunkten des Verkehrs eigneten, Befestigungen an, worin
Kosaken angesiedelt wurden.
Dieses System fand zuerst am Irtisch Anwendung, 1835 in der Orenburger Steppe. Die Organisierung von Verwaltungsdistrikten
wurde hier zwar die Ursache einer kleinen Insurrektion, aber die Bewegung erlosch mit dem Tode des Führers. Auch diese Festungen
konnten ihren Zweck nicht erreichen, Ruhe in der Kirgisensteppe herzustellen, solange sich die Räuber der Strafe durch Entweichen in die
unabhängigen Chanate im S. der Steppe entziehen konnten. Diesem Zustand machte für den Osten die Eroberung von Tschemkent
(1864) und die darauf folgende Errichtung des Generalgouvernements Turkistan (s. d.), für den Westen die Demütigung Chiwas
(1873) und die Vermehrung russischen Gebiets um die transkaspischen Länder und den Amu Darja-Bezirk ein Ende.
Die 1869 von Chiwa aus unter den Kirgisen zwischen dem Kaspisee und Aralsee, dann längs der Orsk-Kasalinskischen Poststraße
angestifteten Unruhen wurden ohne Entfaltung größerer Militärmacht unterdrückt und ihre Wiederholung durch jährliche
Expeditionen in die Grenzabschnitte fern gehalten. Jetzt ist Ruhe und Sicherheit, die Grundbedingung der Ansiedelung russischer
Kolonisten und der Anlage von Kapitalien im Bergbau, auch an der Grenze gesichert. Vgl. Kirgisen.