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Hauptpunkte die Unveräußerlichkeit aller Benefizien und Länder des Kirchenstaats, Verfolgung der Ketzer und Erhaltung des (längst nicht mehr vorhandenen) Sixtinischen Schatzes waren. An der Spitze der Verwaltung stand der vom Papst aus der Mitte der Kardinäle ernannte Kardinal-Staatssekretär, der den Papst vor dem Ausland und den eignen Unterthanen als Premierminister vertrat und die übrigen Minister aus den Kardinälen ernannte, denen gegenüber er die Stellung eines Chefs einnahm.
Auch das diplomatische Personal wurde von ihm ernannt und geleitet. Neben dem Ministerrat existierte noch ein Staatsrat von 15 zum Teil weltlichen Mitgliedern, dem eine beratende Stimme in der Gesetzgebung und den Finanzangelegenheiten und eine richterliche Stimme in Kompetenzstreitigkeiten zwischen den höhern Verwaltungsbehörden zustand. Die Finanzangelegenheiten wurden seit 1850 von der sogen. Finanzkonsulta geleitet, deren Mitglieder zum größern Teil vom Papst auf Vorschlag der Provinzialräte gewählt, zum kleinern (ein Viertel) direkt von ihm aus der Geistlichkeit ernannt wurden.
Die den Provinzen vorstehenden Kardinäle übten die Funktionen von Statthaltern aus und verkehrten nur direkt mit dem Staatssekretär. Die Provinzen waren in Governi geteilt, als deren oberste Administrativbeamten (die auch Laien sein konnten) die von der Regierung ernannten Governatori fungierten. Ihnen zur Seite stand ein auf sechs Jahre gewählter Provinzialrat, aus dem alle zwei Jahre ein Drittel der Räte ausschied. In der Rechtspflege fand ein dreifacher Instanzenzug statt; die letzte Instanz bildete der Justizminister.
Die Finanzverhältnisse waren stets mißlich und bereiteten der Regierung oft Verlegenheiten. Die Staatsschuld belief sich auf ca. 550 Mill. Lire, und das jährliche Defizit, das zum Teil durch den Peterspfennig gedeckt wurde, pflegte erheblich zu sein (Budget von 1868: 28,845,359 Lire Einnahme gegen 73,949,803 Lire Ausgabe). Die päpstliche Armee wurde wesentlich durch fremde Soldtruppen rekrutiert und zählte 1869: 15,670 Mann. Päpstliche Orden: [* 2] der Christusorden, der Orden vom goldenen Sporn, Orden des heil. Johann vom Lateran, des heil. Gregor und der Piusorden. Landesfarben waren Gold [* 3] und Silber.
Geschichte des Kirchenstaats.
Daß Konstantin d. Gr. dem Papst Silvester I. Italien [* 4] oder wenigstens den Kirchenstaat geschenkt habe, ist schon längst als Fabel erkannt. Die Schenkungsurkunde ist ein späteres Machwerk und zwischen 752 und 777 von einem römischen Priester gefälscht. Doch ist nicht zu bezweifeln, daß Konstantin und seine Nachfolger die römischen Bischöfe mit reichem Grundbesitz ausstatteten; allein diese erhielten keine weltliche Souveränität darüber. Förderlich für die äußere Machtentwickelung der Päpste war, daß die Kaiser schon seit dem Ende des 4. Jahrh. nicht mehr in Rom [* 5] residierten, und daß auch die Statthalter der griechischen Kaiser, die Exarchen, ihren Sitz nicht hier, sondern in Ravenna hatten.
Zur Zeit Gregors I. (590-604) war der Grundbesitz der römischen Kirche schon ziemlich ausgedehnt. Dazu gehörte die ganze Umgebung von Rom zu beiden Seiten des Tiber: an der Via Appia, an der Via Labicana und Tiburtina und in Tuscien, ferner Besitzungen in Sizilien, [* 6] Kampanien, Süditalien, [* 7] Dalmatien, Illyrien, Gallien, Sardinien, [* 8] Corsica [* 9] und Ligurien. Diese Domänen nannte man Patrimonien; sie standen unter der Verwaltung des Papstes, aber bis zum 8. Jahrh. unter der Oberhoheit des byzantinischen Kaisers.
Das erste freiere Besitztum, die Stadt Sutri, erhielt Papst Gregor II., der während des Bilderstreits an Stelle des byzantinischen Dux auch in der Stadt Rom die höchste Gewalt erlangte, 728 vom Langobardenkönig Liutprand; 742 fügte derselbe, nachdem ein Konflikt zwischen ihm und dem Papste durch Vermittelung Karl Martells beigelegt war, der ersten Schenkung noch die Städte Amelia, Orta, Bomarzo und Bieda hinzu. Als König Aistulf mit dem Plan umging, sich ganz Italien zu unterwerfen, suchte Papst Stephan II. um fränkischen Schutz nach.
König Pippin unternahm hierauf 755 und 756 zwei Feldzüge nach Italien, erwirkte die Zurückgabe des geraubten römischen Patrimoniums und ernannte den Papst zum Herrn des Exarchats von Ravenna und der Pentapolis (der fünf Städte Rimini, Pesaro, Fano, Sinigaglia, Ancona). [* 10] Der Papst empfing diese Gebiete als faktisch anerkanntes Oberhaupt der Stadt Rom, zugleich im Namen der römischen Kirche und des heil. Petrus, und trat an die Stelle des Exarchen. Hier endet die rein bischöfliche und priesterliche Epoche der römischen Kirche, es beginnt die Verweltlichung des Papsttums.
Da Aistulfs Nachfolger Desiderius mit der Herausgabe einzelner Bestandteile der Pippinschen Schenkung zögerte, so rief Papst Hadrian I. Kaiser Karl d. Gr. zu Hilfe, und dieser stürzte 774 die Langobardenherrschaft und bestätigte und vermehrte die Schenkung seines Vaters an den Papst durch einen Teil von Tuscien und der Sabina. Denn wie Karl Patricius von Rom war, so blieb er Oberherr über das Patrimonium. Mit der Kaiserkrönung Karls d. Gr. (25. Dez. 800) sank der Papst (Leo III.) völlig in die Rolle des ersten Geistlichen des Reichs, der über großen Grundbesitz verfügte, herab.
Sein Verhältnis zu Ostrom war nun ganz gelöst, für Rom gab es einen neuen Kaiser im Abendland. Dieser empfing den Treueid vom römischen Volk und besaß die oberste Richtergewalt im ganzen Patrimonium, die er durch einen beständigen Missus oder Legaten ausübte; die Beamten setzte der Papst ein, an dessen Hof [* 11] (im Lateran) damals zuerst ein förmliches Ministerium von sieben Klerikern, welche jedoch zu keinem kirchlichen Grad aufsteigen durften, erscheint. Die kaiserlichen Rechte in Rom und dem Kirchenstaat stellte dann Kaiser Lothar I. 824 in der »römischen Konstitution« noch einmal fest.
Die Schwäche der spätern Karolinger zwang die Päpste, selbst Maßregeln zur Verteidigung ihres Gebiets gegen auswärtige Feinde, insbesondere gegen die Sarazenen, zu ergreifen, ihre Zwistigkeiten aber trugen nicht wenig zur Verstärkung [* 12] der päpstlichen Macht bei. Nikolaus I. (858-867) herrschte über den Kirchenstaat von Rimini bis Terracina als über ein unbestrittenes Eigentum. Die reichen Güter, welche Kaiser Ludwigs II. Witwe Engilberga im römischen Gebiet besaß, fielen nach ihrem Tod größtenteils der Kirche anheim.
Nach dem Kaiser Arnulf von Kärnten ging die Kaiserkrone bis 924 auf italienische Große über, und hierauf entstanden blutige Kämpfe um das Regiment. Während dieser Zeit besetzten ausschweifende Weiber, eine Theodora und Marozia, den römischen Stuhl mit ihren Buhlen, und die Päpste gerieten in eine förmliche Dienstbarkeit zu ihren Vasallen, besonders zu den Grafen von Tusculum. Am tiefsten sank das Papsttum unter Johann XI. (931-936), der ein willenloses Werkzeug in der Hand [* 13] seines zügellosen Bruders Alberich wurde, und unter Johann XII. (955-964). Die Besitzungen des römischen Stuhls in Roms Nähe wurden meist von den Verwandten der Päpste okkupiert, und das Exarchat nebst der Pentapolis wurde eine Beute kleiner ¶
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Dynasten, die zu den Erzbischöfen von Ravenna, den alten Rivalen der Päpste, in ein Lehnsverhältnis traten. Der deutsche König Otto I. stellte im Februar 962 das Kaisertum wieder her und bestätigte zugleich dem Papst die Schenkungen der frühern Kaiser. Doch noch zu Ende des 10. Jahrh. erneuerte sich der Streit um den Kirchenstaat, besonders mit den ravennatischen Erzbischöfen, und diese brachten es dahin, daß Gregor V. (996-999), des Haders müde, 998 in die Abtretung der Stadt Ravenna und der Grafschaften Comacchio und Cesena willigte. Die Kaiser Otto III. und Heinrich II. bestätigten nicht allein diese, sondern auch die Abtretung der Grafschaften Montefeltre, Cervia, Decimano, Imola, Bologna und Faenza zu gunsten der Kirche von Ravenna.
So waren um die Mitte des 11. Jahrh. die Päpste auf Rom und dessen nächste Umgebung beschränkt. 1056 brachte Leo IX. die Stadt Benevent durch Austausch kirchlicher Rechte in Deutschland [* 15] an den römischen Stuhl, und auch das Festhalten der Päpste an dem bei dem bekannten Investiturstreit aufgestellten Grundsatz, nach welchem kein Laie Lehnsherr der Kirche sein durfte, trug dazu bei, die Unabhängigkeit des Kirchenstaats zu sichern. Eine neue Stütze des päpstlichen Ansehens wurde die Herrschaft der Normannen in Unteritalien, deren Herzog Robert Guiscard (s. d.) 1059 vom Papst Nikolaus II. mit Apulien und Kalabrien sowie allen Ländern, die er in Süditalien und Sizilien den Sarazenen entreißen würde, belehnt wurde. 1077 setzte die Gräfin Mathilde von Toscana, die mächtige Freundin Gregors VII. (1073-1085), den römischen Stuhl zum Erben aller ihrer Güter für ihren Todesfall ein und erneuerte nach ihrer Trennung von dem zweiten Gatten, Welf V. (1095), diese Schenkung 1102. Da in der Urkunde jede genauere Bestimmung fehlte, so erhob sich jetzt die Streitfrage, was von den Mathildischen Gütern Allodialgut, was Reichslehen sei.
Der Besitz des Ganzen hätte die Päpste, die schon die Lehnshoheit über Unteritalien besaßen, zum Herrn der ganzen Halbinsel gemacht. Da ist es nun erklärlich, daß sich um die Mathildische Erbschaft ein Kampf zwischen den Päpsten und den weltlichen Gewalten, nämlich den Kaisern, Welfen und italienischen Städten, entspinnen mußte. Heinrich V. zog 1116 die Erbschaft ein; Kaiser Lothar schloß 1133 mit Innocenz II. einen Vergleich, kraft dessen er in betreff der Allodialgüter die Schenkung Mathildens anerkannte, aber sie vom Papst gegen ein Jahrgeld von 100 Pfd. Silber übertragen erhielt, so daß sie von den Reichslehen nicht geschieden wurden.
Dieselben gingen später auf Heinrich den Stolzen von Bayern, [* 16] dann auf Welf VI. und 1167 auf die Staufer über, bis endlich Kaiser Otto IV. zu Neuß [* 17] die Ansprüche des römischen Stuhls auf sie förmlich anerkannte. Zugleich bestätigte Otto IV. als päpstliches Gebiet den ganzen Strich von der Burg Radicofani in Toscana bis zu den Engpässen von Ceperanoan der neapolitanischen Grenze, den Exarchat, die Pentapolis, die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, die Mathildischen Güter, die Grafschaft Brittenoro, und versprach, den Papst in der Aufrechthaltung seiner Ansprüche auf Sizilien unterstützen zu wollen. Damit wurde die Souveränität des Kirchenstaats staatsrechtlich begründet und die Grenzen [* 18] desselben so festgestellt, wie sie bis auf die jüngsten Umwälzungen bestanden haben.
Alle folgenden Kaiser erkannten die Kapitulation von Neuß an. Als dann Friedrich II. wiederum die kaiserliche Herrschaft in Italien erneuern wollte, einigte sich das Papsttum zum Schutz des Kirchenstaats, den es ausdrücklich als das Symbol seiner Weltherrschaft betrachtete, mit den lombardischen Städten, und beide kämpften für die Selbständigkeit der italienischen Nation. Und doch waren die Päpste städtischer Freiheit abhold, wie sie an den eignen Städten bewiesen.
Ihr Verhältnis zu diesen war lange kein andres als das des obersten Lehnsherrn zu Vasallen, welche mit ihm einen Vertrag geschlossen hatten. Die Städte erkannten die Hoheit der Päpste an, übertrugen ihnen oft die Gewalt des Senators (in Rom) oder Podestas auf Lebenszeit, leisteten Heeresfolge, zahlten Grundsteuer, unterwarfen sich bisweilen dem Tribunal der Provinziallegaten; aber sie behaupteten ihre Statuten, ihre Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Jede Stadt blieb eine Republik; die Päpste suchten den Städten manche Rechte zu entreißen, wußten eine durch die andre zu bezwingen, konnten es aber nicht zu einer landesherrlichen Gewalt, zu einer innern Einheit des Kirchenstaats bringen.
In den Kriegen mit Friedrich II. wurde der Kirchenstaat bisweilen von letzterm besetzt; am meisten hatte er 1255-64 unter den Einfällen Manfreds von Sizilien zu leiden, der große Eroberungen in der Romagna und in der Mark Ancona machte. König Philipp III. von Frankreich schenkte 1273 Papst Gregor X. die Grafschaft Venaissin. Auch Kaiser Rudolf I. bestätigte 1275 den Vertrag von Neuß, versprach, nie ein Lehen der römischen Kirche anzutasten, begab sich aller Hoheit über die päpstlichen Lehnsträger und gelobte, nie ein Amt oder eine Würde im römischen Gebiet ohne die Einwilligung des Papstes zu bekleiden. Ja einem neuen Vertrag von 1279 entband Kaiser Rudolf alle italienischen Städte, in welchen er noch Hoheitsrechte ausgeübt, ihrer Eide und stellte diese Städte unter die Hoheit des römischen Stuhls.
Auch im K. hatten die Parteien der Guelfen und Ghibellinen tiefe Wurzeln geschlagen; des Schutzes bedürftig, hatten die Bürgerschaften sich willig der Herrschaft mächtiger Adelsgeschlechter gefügt. So gewannen in Ravenna die Polenta, in Rimini die Malatesta, in Urbino die Montefeltre die höchste Gewalt. Guido von Montefeltre, ein Ghibelline, wußte 1282 fast die ganze Romagna und den größten Teil der Mark Ancona zum Aufstand gegen den Papst zu verleiten. Guido unterlag 1286, aber die Furcht und Abneigung der städtischen Dynasten vor dem Papst wuchs erst recht; 1290 brach die Empörung von neuem aus, und Guido kehrte nach Urbino zurück.
Noch bedenklicher wurde die Lage des Papsttums unter Bonifacius VIII. (1294-1303), als der Hader auch in der Stadt Rom ausbrach. Hier befehdeten sich die Colonna und Orsini, und der Papst nahm für die letztern Partei. Mit der ganzen Glut seines leidenschaftlichen Temperaments verfolgte er die Colonna, und sie schienen zu erliegen; da erklärten sich die Römer [* 19] für sie, und schließlich mußte Bonifacius selbst 1302 fliehen. Während ihres Aufenthalts in Avignon, das Clemens VI. 1348 käuflich für den Kirchenstaat erwarb, von 1309 bis 1377 vermochten die Päpste ihren Staat nur durch mannigfache Konzessionen an die bedeutenden Dynasten und Städte zusammenzuhalten. Großen Einfluß gewann in dieser Verwirrung König Robert von Neapel, [* 20] der 1309 zum Generalvikar der Kirche ernannt worden war. Heinrich VII. ernannte zwar, als er 1312 zur Krönung nach Rom kam, einen kaiserlichen Statthalter; doch mußte derselbe nach Heinrichs Tod wieder den päpstlichen Gewalthabern weichen. Auch diese ¶