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aber geheimen Abkommen sich hatte bereit finden lassen. Allein sowohl in Baden [* 2] als in Württemberg [* 3] konnten die römischen Konventionen nicht durchgeführt werden, außer mit Zustimmung des Landtags; erst dort, dann hier wies dieser sie zurück, und auch das hessen-darmstädtische Abkommen mußte aufgegeben werden. Zugleich aber machten Baden (1860) und Württemberg (1861, 1862) einen prinzipiellen Fortschritt. Als nämlich im letzten Dritteil des vorigen Jahrhunderts die Freistaaten von Nordamerika [* 4] ihre Verfassung ausbildeten, hatten sie die Grenzen [* 5] der Kirchenfreiheit dahin bestimmt, daß jeder, also auch der römisch-katholischen Kirche alles erlaubt sei, was andern Privatvereinen nicht verboten werde, daß ihr aber auch keinerlei größere Rücksicht und Unterstützung zu teil werde als ihnen.
Die Kirche ward danach mit jeder Handels- oder Aktiengesellschaft auf gleichen Fuß gestellt. Dies aber auch in der nordamerikanischen Praxis nicht völlig durchgeführte System pflegt man als das der Trennung zwischen Staat und Kirche zu bezeichnen. Es wurde vorübergehend während der Revolution in Frankreich und später (1830) dauernd in Belgien [* 6] angenommen, und im J. 1848 war die Linke es auch in Deutschland [* 7] einzuführen geneigt, während es von den Vertretern des Ultramontanismus abgelehnt wurde.
Diese Trennung war aber das Losungswort eines großen Teils der liberalen Partei geblieben, und jetzt acceptierten Baden und Württemberg das Wesentliche des amerikanischen Systems. Sie setzten die amerikanisch-belgische Beziehungslosigkeit zwischen Staat und Kirche in die beiderseitige Selbständigkeit um. Daß dabei der Staat das Verhältnis der von ihm getrennten, aber beabsichtigten Kirche einseitig zu bestimmen habe, verstand sich für Baden und Württemberg von selbst; denn ihre Gesetzgebung war aus der Erfahrung hervorgegangen, daß auf dem Weg des Vertrags mit Rom [* 8] kein Friede zu erreichen sei.
Römischerseits setzte man jetzt das vor den Verträgen von 1857 und 1859 beobachtete Verfahren fort, erklärte diese Verträge, nicht aber die neue Staatsgesetzgebung für bindend, erreichte jedoch nicht, daß durch die Unzufriedenheit der katholischen Unterthanen die Regierungen zum Rückzug veranlaßt wurden, hat dann aber, da das katholische Volk empfand, daß seine Religionsfreiheit in der That nicht gekränkt war, in Württemberg wie in Baden, obwohl in verschiedenen Formen, sich in die nunmehrige Lage der kirchlichen Genossenschaft bis auf weiteres zu schicken begonnen. Unterdes verlor der Papst infolge des italienischen Kriegs von 1859 nicht nur den größten Teil des Kirchenstaats, sondern mußte es auch erleben, daß das neuentstandene Königreich Italien [* 9] gleichfalls das Prinzip der Toleranz proklamierte und das moderne Kirchenstaatsrecht annahm.
Diese Ereignisse veranlaßten Pius IX., je weniger die nunmehrige Praxis seinen Ideen entsprach, desto deutlicher diese Ideen selbst auszusprechen und damit der kirchlichen Genossenschaft das Programm aufzustellen, für dessen Durchführung der Kampf gegen den Staat zu kämpfen sei. Er that dies zunächst negativ, indem er in einer Encyklika vom die desfallsigen »Zeitirrtümer« verwarf und eine klassifizierte Übersicht (Syllabus) derselben hinzufügte.
Nachdem der Syllabus, von einigen Staaten abgewehrt, von andern, z. B. von Preußen, [* 10] welches noch immer seine Politik des Gehenlassens fortsetzte, unbehindert, eine Zeitlang gewirkt hatte, auch mit dem Ausgang des preußisch-österreichischen Kriegs von 1866 die Hoffnung einer Wiederherstellung des alten, dienstpflichtigen Deutschen Reichs unter Österreich [* 11] zu Grabe getragen war, wurde 1867 von Rom her die Absicht laut, den Syllabus ins Positive umsetzen, d. h. also das mittelalterliche Kurialsystem des Kirchenstaatsrechts im Kleide der Gegenwart proklamieren zu lassen. Zu diesem Zweck wurde 1868 ein allgemeines Konzil in den Vatikan [* 12] berufen und im Dezember 1869 eröffnet.
Dies Konzil hat unter völliger Verwerfung des Episkopalsystems die Bischöfe lediglich für unselbständige Bevollmächtigte des Papstes erklärt, also die absolute Zentralisation der kirchlichen Gesellschaftsverfassung vollendet und die von der päpstlichen Kurie schon seit langem gezogene, als Kirchenlehre aber bis dahin nicht anerkannte Konsequenz der Formel, daß der Papst Stellvertreter Christi sei, dahin angenommen: wenn er in diesem seinem Stellvertreteramt (ex cathedra) über Dogmen oder über Dinge des ethischen Gebiets (mores) Entscheidungen gebe, so seien solche Aussprüche göttliche Wahrheit. Da diese persönlich-päpstliche Infallibilität (Unfehlbarkeit) als ein bis dahin von einem Teil der Kirchenlehrer nur verkanntes, in der That aber von jeher gültig gewesenes Dogma charakterisiert worden, also auch auf alle ältern ex cathedra gegebenen Papstentscheidungen anzuwenden ist, so bedarf es jetzt der Sache nach jener ursprünglich beabsichtigten Umsetzung des Syllabus nicht mehr; denn die Bulle »Unam sanctam« des Papstes Bonifacius VIII. von 1302, welche die Unterordnung des weltlichen Regiments unter die kirchliche Autorität zum Gegenstand hat, und die übrigen päpstlichen Dekretalen des Mittelalters, in welchen das kuriale System dokumentiert wird, haben nun ohnehin die Bedeutung göttlicher Wahrheiten erhalten.
Der Partei, welche behauptet, daß diese Resultate des Vatikanums nichts Neues seien, ist zuzugeben: sie wurden von kurialer Seite schon seit langem für die richtige Lehre [* 13] erklärt. Aber neu ist, daß sie, abgesehen von der kleinen Anzahl sogen. Altkatholiken, als solche von der katholischen Gesamtkirche offiziell anerkannt werden. Jene Eine über die Welt ausgebreitete katholische Kirchengenossenschaft bekennt also gegenwärtig als einen Fundamentalgrundsatz, für welchen sie genossenschaftlich eintritt, daß in allem, was der Papst für Sache der Genossenschaft erklärt, sie nur ihm, nicht dem Staat zu gehorchen habe, während anderseits der Staat ihre Genossenschaftsordnungen, mit seinem weltlichen Arm dienend, aufrecht zu erhalten verpflichtet sei.
Hiergegen würde der Staat vielleicht nichts zu thun brauchen, würden nicht für die Genossenschaft Gebiete dabei in Anspruch genommen wie das der Ehe, der Schule, der Gewissensfreiheit, von denen er sich nach seinen eignen Pflichten nicht verdrängen lassen darf. Der Staat, sei die Regierung katholisch oder protestantisch, vermag wohl dem Katholiken als Einzelnen volle Freiheit der Religionsübung zu gewähren;
er vermag der kirchlichen Genossenschaft und ihrer institutiven Entfaltung freieste soziale Bewegung zu gestatten, soweit sie jenen religiösen Bedürfnissen entgegenkommt;
er hat jene wie diese Freiheit zu schützen;
aber er muß weiter gehenden Forderungen, wenn er sich nicht selbst aufgeben will, widerstehen und Pflichten und Rechte der Staatssouveränität gegen die Ansprüche der kirchlichen Gesellschaft verteidigen.
Sobald daher die Zwecke, für welche das Vatikanum vorbereitet wurde, 1869 verlautbarten und die dem päpstlichen Hofe von verschiedenen Seiten zugegangenen Warnungen kein Gehör [* 14] fanden, faßte die ¶
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preußische Regierung den Weg einseitiger Staatsgesetzgebung ins Auge, [* 16] hielt sich während der Dauer des Konzils die Hände frei und ging, als nach beendetem französischen Krieg die Kirchengenossenschaft mit ihren Angriffstruppen in dem Abgeordnetenhaus und dem Reichstag mittels der politischen Partei des Zentrums Stellung faßte (Mitte 1871), entschlossen vor. So kam es zu einem förmlichen Konflikt zwischen der staatlichen Autorität und der römischen Kurie, für welchen die Bezeichnung Kulturkampf üblich geworden ist.
Der sogen. Kanzelparagraph, d. h. ein Nachtrag zum deutschen Strafgesetzbuch (Reichsgesetz vom eröffnete die Reihe der kirchenpolitischen Gesetze gegen die hierarchischen Bestrebungen der Kurie. Der Geistliche, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufs öffentlich Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird hier mit schwerer Strafe bedroht. 1872 folgte das Reichsgesetz, betreffend die Ausweisung der Jesuiten, und in Preußen wurde in demselben Jahr das Schulaufsichtsgesetz erlassen, welches der Regierung die Möglichkeit gab, berufsmäßige Kreisschulinspektoren an die Stelle von geistlichen Aufsichtsbeamten zu setzen.
Sodann wurden 1873 die preußischen Maigesetze erlassen, welche recht eigentlich als Kampfgesetze anzusehen sind. Namentlich gilt dies von dem Gesetz vom über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. In diesem Gesetz wurde von jedem Geistlichen eine gewisse Universitätsbildung verlangt sowie die Anzeige von der Ernennung eines Geistlichen an den Oberpräsidenten (Anzeigepflicht). Letzterer sollte gegen die Anstellung namentlich dann Einspruch erheben können, wenn gegen den Anzustellenden Thatsachen vorliegen würden, welche die Annahme rechtfertigten, daß derselbe den Staatsgesetzen oder den innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen Anordnungen der Obrigkeit entgegenwirken oder den öffentlichen Frieden stören werde (Einspruchsrecht).
Ein weiteres Gesetz vom betraf die kirchliche Disziplinargewalt und setzte einen königlichen Gerichtshof für die kirchlichen Angelegenheiten (in Berlin) [* 17] ein, durch welchen ungehorsame Bischöfe, welche sich jenen Bestimmungen nicht fügten, abgesetzt wurden. Zudem gestattete ein Reichsgesetz vom betreffend die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, den renitenten Geistlichen gegenüber gewisse Aufenthaltsbeschränkungen, ja sogar die Landesverweisung (sogen. Expatriierungsgesetz).
Das preußische Gesetz vom verbot ferner alle Orden [* 18] oder ordensähnlichen Kongregationen, abgesehen von solchen, welche sich der Krankenpflege widmen. Endlich ist auch noch des preußischen Gesetzes vom (sogen. Brotkorbgesetz oder Sperrgesetz) zu gedenken, welches die Innebehaltung von Staatsbezügen renitenten Geistlichen gegenüber verfügte und für die im Interesse solcher Geistlichen zu erhebenden Kirchensteuern die obrigkeitliche Beitreibung versagte.
Selbst das Reichsgesetz, welches die Zivilehe einführte und die Beurkundung des Personenstandes in die Hände der weltlichen Behörde legt, war durch den Kulturkampf veranlaßt. Inzwischen nahm dieser Kampf immer größere Dimensionen an. Die Verhältnisse der katholischen Kirche gerieten in Preußen in förmliche Destruktion. In der geschicktesten Weise hielt der Führer der Klerikalen, Windthorst, die ultramontanen Parteigenossen im Reichstag wie im preußischen Abgeordnetenhaus zusammen, und ein Einlenken in friedlichere Bahnen schien auch dem Fürsten Bismarck geboten.
Mit dem Regierungsantritt des Papstes Leo XIII. trat der Wendepunkt ein. Schon im Sommer fanden zwischen dem Fürsten Bismarck und dem päpstlichen Nunzius Masella Verhandlungen statt, welche 1879 mit dem Kardinal Jacobini fortgesetzt wurden. Die Zentrumsfraktion unterstützte die Steuer- und Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers, und der bisherige preußische Kultusminister Falk, welcher bei der kirchenpolitischen Gesetzgebung und ihrer Durchführung wesentlich beteiligt gewesen war, erhielt seine Entlassung.
Diese Gesetze selbst sind seitdem wesentlich abgeschwächt worden. Namentlich gab ein preußisches Gesetz vom dem Staatsministerium die Möglichkeit einer Milderung mancher strengen Gesetzesvorschrift, so insbesondere die Wiederaufnahme eingestellter Staatsleistungen zu kirchlichen Zwecken. Durch Beschluß des Staatsministeriums sollte in einem katholischen Bistum, dessen Stuhl erledigt oder gegen dessen Bischof durch priesterliches Urteil auf Unfähigkeit zur Bekleidung des Amtes erkannt ist, die Ausübung bischöflicher Rechte und Verrichtungen demjenigen gestattet werden können, welcher den ihm erteilten kirchlichen Auftrag nachweisen würde. In erledigten Pfarreien oder in solchen Pfarreien, deren Inhaber durch das Einschreiten der Staatsgewalt an der Ausübung seines Amtes verhindert ist, sollten geistliche Amtshandlungen durch Stellvertreter straffrei verrichtet werden dürfen.
Endlich wurden den Krankenpflegegenossenschaften gewisse Konzessionen gemacht. Ein weiteres Gesetz vom gestattete von der wissenschaftlichen Staatsprüfung gewisse Dispense. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß ein vom König begnadigter Bischof, welcher durch gerichtliches Urteil aus seinem Amt entsetzt war, damit auch als staatlich anerkannter Bischof seiner Diözese gelte. Noch weiter ging ein Gesetz vom und unbeirrt durch die Bemerkungen über den »Gang [* 19] nach Canossa« ließ die preußische Regierung ein weiteres Friedensgesetz vom folgen, welches mit Unterstützung des Bischofs Kopp von Fulda [* 20] im Herrenhaus zu stande kam, nachdem die Kurie die Anzeigepflicht bei der Besetzung der geistlichen Stellen zugestanden hatte.
Die Wiedereröffnung der Priesterseminare und der theologischen Lehranstalten ist dadurch statuiert worden, desgleichen die Zulässigkeit der Errichtung von Konvikten für Zöglinge, welche Gymnasien, Universitäten und theologische Lehranstalten besuchen, die Freigabe des Lesens stiller Messen und des Spendens der Sterbesakramente, so daß diese Handlungen auch von Geistlichen, die im Widerspruch mit den Gesetzen angestellt worden sind, straflos vorgenommen werden können; die Abschaffung des kirchlichen Gerichtshofs und der Berufung an den Staat gegen Entscheidungen der kirchlichen Behörden, welche Disziplinarstrafen gegen einen Kirchendiener verhängen.
Dazu kam ferner die Aufhebung der durch das Gesetz vom vorgeschriebenen Staatsprüfung, ferner die Bestimmung, durch welche die Versagung kirchlicher Gnadenmittel außer Strafe gestellt wird, die Überweisung des Vorsitzes im Kirchenvorstand an den Pfarrer, resp. dessen Stellvertreter und endlich die Gewährung weiterer Vergünstigungen an die Krankenpflegerorden. Die guten Beziehungen zwischen der preußischen Staatsregierung und dem römischen Stuhl wurden namentlich durch die Übertragung des Schiedsrichteramtes in der Karolinenfrage ¶