Gegensatz zu dem je länger, desto ausschließlicher römisch gewordenen, von dem
Geiste des Jesuitismus und vielfach auch
von seinen
Händen geleiteten
Katholizismus, bez.
Ultramontanismus. In theologischer Beziehung dagegen hat sich protestantischerseits
wenigstens in der offiziellen Kirchlichkeit als Gegenschlag auf
Aufklärung und
Rationalismus,
Revolution und
Radikalismus zunächst
unter den
Auspizien der romantischen Geistesströmung und der auf die
NapoleonischeÄra folgenden Restaurationspolitik
eine so weit gehende Rückbewegung vollzogen, daß die Lebensbedingungen beider
Richtungen, der ultramontan-katholischen und
der orthodox-protestantischen, vielfach dieselben geworden sind.
Die nämliche Staatsräson begünstigte beide zugleich; dieselben einflußreichen Persönlichkeiten halfen beiden immer wieder
auf, so oft auch Geschichte undNaturwissenschaften das Todesurteil über sie gesprochen haben mochten;
dieselbe
Trägheit und Stumpfheit der großen
Massen ist es, worauf beide ihr Machtgefühl, ihre Siegesgewißheit, ihre Verachtung
aller der mannigfachen Mächte gründen, die ihnen im geschulten und gebildeten
Bewußtsein der Zeit unversöhnlich gegenüberstehen.
Aber unter letztern Mächten ist eine, welche schon jetzt der Kirche den
Rang im
Herzen der
Völker streitig
macht und ihr vielleicht auch auf die Dauer gewachsen bleiben dürfte: es ist der Drang nach nationaler Selbständigkeit,
wie er seit der Losreißung
Nordamerikas, seit der französischen
Revolution, seit der italienischen und deutschen Staatenbildung
zum
Mittelpunkt aller Weltereignisse, zur
Signatur der neuern Zeit geworden ist. Als eine der mächtigsten
Wirkungen dieses
Zuges der Zeit berührt die
Auflösung des
Kirchenstaats (1870) unsre unmittelbare Gegenwart. Aber auch der
französische
Klerus wird auf die Dauer seines
Gallikanismus (s. d.) nicht vergessen bleiben können, und in
Deutschland
[* 2] wird
sich trotz alles guten
Willens, sie zurückzudrängen, immer wieder aufs neue die
Frage stellen, wer
Herr
ist -
Kaiser oder
Papst.
Eine
Gefahr von ganz andrer Art wieder hat die in jener unsichtbaren Macht vor sich, welche die verselbständigte, dem religiösen
Gängelband angeblich oder wirklich entwachsene
Sittlichkeit der modernen Menschheit, das mehr künstlerisch und wissenschaftlich
als religiös gesättigte Kulturleben der Gegenwart, die alle
Dogmatik im
Grundsatz verwerfende neuere
Philosophie und moderne Weltanschauung, der historische
Sinn unsrer Zeit, der das
Christentum im Zusammenhang mit der allgemeinen
Geistesentwickelung des
Geschlechts und nach
Analogie andrer Weltreligionen zu verstehen sucht, konstituieren.
Thatsächlich wird die von
Strauß
[* 3] aufgeworfene
Frage: »Sind wir nochChristen?« von vielen
Tausenden, welche
sich äußerlich zur Kirche halten, mit nein beantwortet, und ebenso sind ihrer
Tausende, welche die
Frage zwar aufrichtig bejahen,
aber doch der Meinung sind, das
Christentum werde die Kirche überleben, die Kirche des 18. und 19. Jahrh.
sei nur noch der
Mond,
[* 4] nicht mehr dieSonne,
[* 5] und zwar der
Mond im abnehmenden
Licht;
[* 6] sie müsse allmählich
einige ihrer
Funktionen an die staatliche, andre an die künstlerische
Gemeinschaft übergeben etc. Wenn solche
Stimmen recht
behalten sollten, so ständen wir jetzt so ziemlich vor dem Ende der lebendigen
Kirchengeschichte; künftige
Jahrhunderte würden
nur noch Verwesungsgeruch empfinden, wo frühere erquickenden Lebensduft atmeten.
Zieht man jedoch diejenigen
Triebe und
Instinkte in Betracht, welche die ungeheure Mehrheit auch der zivilisierten Menschheit
als zugkräftig empfindet, von welchen sie sich thatsächlich bestimmen läßt, so erscheinen derartige
Fragen wenigstens
für jedwede für uns absehbare Zukunft doch nur fast als rein akademische
Erörterungen. DieZeiten des
»Kulturkampfes«, zumal des beendeten, sind jedenfalls solche, die noch ganz und voll in die
Kirchengeschichte hineingehören
und ebenso reichlichen wie ernsthaften
Anlaß bieten, diese
Kirchengeschichte, welche das Verständnis der Gegenwart eröffnet,
sich recht genau anzusehen und ihre Weisungen verstehen zu lernen.
Dorf im preuß. Regierungsbezirk
Koblenz,
[* 9]
Kreis
[* 10]
Altenkirchen, an der
Sieg und der
LinieHagen-Betzdorf der Preußischen
Staatsbahn, hat eine katholische und eine evang.
Kirche, ein
Amtsgericht, eine Oberförsterei, Eisenerzgruben, mehrere Hochöfen,
ein Feinblechwalzwerk, eine Lokomobilenfabrik, Kunstwollspinnerei, eine Holzstofffabrik,
Dampf- und
Wassermühlen
und (1885) 1225 Einw.
(Kirchenfabrik,
Fabrica ecclesiae), das
Vermögen der
Kirche, welches zur Bestreitung der gottesdienstlichen
Bedürfnisse und für die Unterhaltung der Kirchengebäude bestimmt ist;
Die oblonge Form der
Basilika blieb auch in den christlichen
Kirchen des romanischen, gotischen und Renaissancestils
die vorherrschende, während die zentrale Form des byzantinischen
Baustils den Grundtypus auch der
Moscheen bildete. Die seit
dem 4. Jahrh. geltenden, dem
Vorhof,
Heiligen und Allerheiligsten des jüdischen
Tempels entsprechenden drei Hauptteile einer
Kirche sind: die für den Aufenthalt der
Katechumenen und Büßenden bestimmte Vorhalle nebst Brunnenhof
und den zur Vornahme von
Taufen sowie zur
Aufbewahrung der heiligen Gerätschaften bestimmten Nebengebäuden (Baptisterien
und
Sakristeien), das für das versammelte
Volk bestimmte, meist die
Kanzel und die seit dem 9. Jahrh. in
Aufnahme gekommene
Orgel enthaltende
Schiff
[* 16] und das von ihm durch
Schranken (cancelli) getrennte
Chor mit den meist erhöhten
Räumen zur
¶
mehr
Vornahme gottesdienstlicher Handlungen und zum Sitz für die Priester. Hierzu kam seit dem 11. Jahrh. der Anbau von Türmen,
welche die schon seit dem 7. Jahrh. vorkommenden Glocken aufnahmen. Die ersten Kirchen waren längliche Vierecke, welche bei
größerer Breite
[* 18] durch Stützenreihen in mehrere Schiffe
[* 19] geteilt waren. Hierzu kam nach Organisierung
der Kirchengemeinden als Platz für deren Vorsteher die angebaute Apsis, welche auf die Katakomben- und Cömeterialkirchen zurückzuführen
ist.
Mit fortschreitender Entwickelung der Gemeinde teilte man die Vorhalle in Atrium und Narthex, während der Raum der Vorsteher
durch die Kanzellen von dem für die Gemeinde bestimmten Schiff getrennt und in ein besonderes, meist erhöhtes
Chor mit dem Altar
[* 20] übergeführt wurde. Im Lauf der weitern Ausbildung der kirchlichen Architektur trat zwischen Chor und Laienschiff
noch ein Querschiff, über dessen Mitte sich eine Kuppel erhob. Hierdurch erhielt der Grundriß die Form eines Kreuzes und ward
in der frühromanischen Zeit durch zwei an das Chor angebaute Türmchen vervollständigt.
Durch Verbindung der Turmgruppe mit der Vorhalle entwickelte sich die spätromanische und gotische Kirchenanlage. Die christliche Kirche
besteht hiernach im wesentlichen aus fünf Teilen, dem nach Osten gelegenen Chor mit dem Altar, dem Querschiff, dem Langschiff
sowie der nach Westen gelegenen Vorhalle mit den Glockentürmen, gestaltet sich aber im einzelnen verschieden
nach den kirchlichen Gebräuchen und Einrichtungen der besondern christlichen Konfessionen
[* 21] (s. Baukunst
[* 22] und zugehörige Tafeln).
2) eine durch den Lettner (Lektorium) von dem Chor geschiedene Mittelkirche mit dem nördlichen Schiff für die Frauen, dem südlichen
für die Männer und dem Mittelschiff für die Geistlichkeit;
3) die auf der Westseite gelegene, zum Durchgang für die Gemeinde bestimmte Vorhalle. Zu äußern Anbauten
gehören Kapellen, Sakristeien, Baptisterien und Schatzkammern (in englischen Kirchen die Galiläa, s. d.). Die griechisch-katholische
Kirchenanlage, welche meist über zentralem Grundriß sich erhebt, erfordert 1) eine zugleich als Taufhaus dienende Vorhalle;
2) ein für die Gemeinde bestimmtes Schiff, worin die Geschlechter entweder mittels der für die Frauen bestimmten
Emporkirchen oder mittels besonderer, durch das Schiff geführter, etwa 2,4 m hoher Scheidemauern vollständig getrennt und
die Fenster sehr hoch angelegt sind;
3) das durch einen geschlossenen Lettner oder durch Vorhänge von ihm getrennte Chor mit dem Altar. Zu den
Anbauten der griechischen Kirchen gehören die zum Ankleiden der Priester und zum Aufbewahren der heiligen Gefäße dienenden
Nebenapsiden. Die evangelische oder protestantische Kirchenanlage, welche bei ihrer Anknüpfung an die ursprünglichen christlichen
Gebräuche sich der Einrichtung des altchristlichen Gotteshauses am nächsten anschließt, ist die einfachste und besteht
hauptsächlich 1) in dem nach Osten gelegenen, etwas erhöhten geräumigen Teil, welcher über mindestens
zwei Stufen den Altar enthält und wenigstens demjenigen Teil der Gemeinde, welcher am heiligen Abendmahl teilnimmt, den nötigen
Raum gewähren muß;
2) in dem für die Predigt bestimmten Teil, welcher entweder mitten, hinter
oder neben dem Altar die Kanzel mit
den Sitzen für die Frauen im Schiff und den Sitzen für die Männer aus den durch Säulenreihen gestützten Emporen enthält;
3) in einer nach Westen gelegenen Vorhalle, meist darüber mit Turm und
[* 23] Gebläsekammer für die Orgel, welche in der Regel auf
der über dem westlichen Eingang, meist in gleicher Höhe mit der Emporbühne, angelegten Orgelbühne
aufgestellt ist. Die für den Aufenthalt des Geistlichen bestimmte Sakristei lehnt sich an den südlichen und hintern Teil
der Kirche, welchem auf der Nordseite ein Leichenhaus oder Archiv entspricht. Die Kirchenanlagen der übrigen christlichen Konfessionen,
z. B. der Reformierten (Calvinisten), der Anglikaner, Herrnhuter u. a., sind denen der vorgenannten Konfessionen
mehr oder minder verwandt; insbesondere ähneln diejenigen der beiden erstern den evangelischen, während in denjenigen der
letztern eine so strenge Scheidung der Geschlechter stattfindet wie bei der griechisch-katholischen Kirche.
Vgl. Lübke, Vorschule
zum Studium der kirchlichen Kunst (6. Aufl., Leipz. 1873);
Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des
deutschen Mittelalters (5. Aufl., das. 1883-85, 2 Bde.);
V. Schultze, Das evangelische Kirchengebäude (das. 1885);
v. Lützow, Meisterwerke der Kirchenbaukunst (2. Aufl., das.
1871);