mehr
in Augustins Büchern »vom Staate Gottes« zum klassischen Ausdruck gekommen: als dem bereits gegenwärtigen Reiche Gottes, der Verwirklichung der obersten sittlichen Idee, dem höchsten Gut haben ihr sich alle andern Lebenssphären einfach unterzuordnen, und namentlich kann auch der Staat nur durch solche Unterordnung unter ein höheres Ziel Absolution für seine sündigen Ursprünge und niedrig menschlichen Zwecke finden. So kam die Kirche dazu, die Bewähr für ihre göttliche Mission bald genug im Sieg über den Staat zu suchen.
Zwar in den Jahrhunderten nach Karl d. Gr. erscheint auch sie vielfach in den allgemeinen Verfall hineingezogen, durch welchen die karolingischen Kulturansätze so rasch wieder verschüttet und begraben worden sind. Das dunkle Jahrhundert ist auch für die ein solches gewesen. Der Papst (s. d.), dessen Machtstellung bald den hervorragendsten Gradmesser für die Tiefe und Kraft [* 2] der von der auf das Völkerleben ausgehenden Wirkungen darstellen sollte, erscheint zu Anfang dieses Zeitraums noch als Lehnsmann des Kaisers und wird auch im weitern Verlauf mehr als einmal nach dessen Willen gewählt, ja geradezu von ihm ein- oder auch abgesetzt. Zugleich sah sich der Nachfolger St. Peters in alle die Parteihändel und blutigen Raufereien hineingerissen, welche damals die Geschicke Italiens [* 3] entschieden, und das halbe Jahrhundert der Pornokratie steht in der Geschichte da wie eine bittere Satire auf alle Heiligkeits- und Unfehlbarkeitsansprüche, welche der römische Stuhl, ja die christliche Kirche überhaupt erheben mochte.
Aber die Not der Zeit, welche das Übel geschaffen hatte, brachte auch die Heilung; sie stärkte den Einheitsdrang der Kirche, und bald war diese Glaubens- und Verfassungseinheit dasjenige Ideal der Völker des christlichen Abendlandes, welches der Verwirklichung am nächsten gebracht schien. Aber doch nicht das einzige unter den realisierten Idealen. Ein andres war ihm sogar zuvorgekommen; es war wieder das Mönchtum, aus dessen Schoß erst jenes stahlharte Papsttum hervorgegangen ist, welchem in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. der Sieg beschieden war.
Das karolingische Zeitalter kennt die Klöster zumeist als Lehen und Erben weltlicher Herren; die hohe Geburt und Stellung vieler Äbte, die Gelehrsamkeit, die in nicht wenigen Klöstern ihren Sitz aufgeschlagen hatte, die Reichtümer, die sich hier ansammelten, boten keine Entschädigung für die zunehmende Einbuße an innerm Gehalt. Aber jener Geist der Weltverachtung und Entsagung, daraus das klösterliche Leben ursprünglich hervorgegangen war, entsprach so manchen Neigungen auch der germanischen und romanischen Völker, welche sich jetzt an der Spitze der Christenheit bewegten.
Nimmermehr vermochte ein herabgekommenes, verwildertes Mönchtum auf die Dauer seinen Kredit zu behaupten. Daher eine lange Reihe von mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, dem Kloster seine Stellung und Bedeutung durch Erneuerung und Schärfung der Regel des heil. Benedikt zu sichern, endlich die energische Konzentration innerhalb des Ordens selbst durch die Kongregation von Cluny, daraus jener Hildebrand hervorgegangen ist, in dessen Persönlichkeit und Schöpfungen das mönchische Ideal der Weltverleugnung mit dem kirchlichen Ideal der Weltbeherrschung sich verbinden sollte. So hat von Cluny aus das Mönchtum sich des kirchlichen Regiments bemächtigt; es hat zuerst die Weltkirche dem eignen Vollkommenheitsideal angenähert, um sich dann selbst in der Gestalt der Bettelorden diesem erneuerten Papsttum unter Innocenz III. als wirksamstes Organ der Mission, Volksbelehrung und Ketzerbekämpfung zur Verfügung zu stellen.
Diese unter dem monarchischen Haupt zusammengefaßte Kirche war jetzt fragelos die erste Macht der Zeit. Sie allein spendete den Völkern des Abendlandes jahrhundertelang sämtliche geistige Nahrung und sittliche Bereicherung. Während auf staatlichem und bürgerlichem Gebiet die Christenheit sich möglichst differenzierte und nicht bloß jede Nation, sondern auch jeder Stand, jede Stadt, jede Genossenschaft danach strebte, möglichst für sich da zu sein, hielt die allenthalben in wesentlich gleichen Kultusformen zur Erscheinung kommende Kirche kraft derselben immer strenger hierarchisch zugespitzten Verfassung die auseinander strebenden Massen zusammen. In alle Verhältnisse des mittelalterlichen Staats ragte sie hinein, in alle Völkerkämpfe und Bürgerkriege mischte sie sich, oft genug nur, um ihr eignes Interesse zu wahren, aber nur selten, ohne in diesen zerrissenen Menschenhaufen die Ahnung erweckt und aufgefrischt zu haben, daß sie alle im Grund eine christliche Völkerfamilie zu bilden und gewisse Heiligtümer hoch zu halten und zu wahren haben, welche der damaligen Menschheit ohne die einseitig religiöse Fassung, darein die Kirche sie gebracht hatte, nur allzu leicht verloren gegangen wären.
Vierte Periode: bis zur Reformation.
In der zweiten Hälfte des Mittelalters, von den Zeiten der kulminierenden Papstmacht an, treten Licht [* 4] und Schatten [* 5] sich schon viel schärfer entgegen. Der Glanz des abendländischen Priesterstaats wirkt blendender, zumal seit dem Sieg über die Hohenstaufen; aber auch die Opposition nimmt weitere Dimensionen an, zeigt ein immer ernsteres und entschlosseneres Gesicht. [* 6] Im Beginn der Periode tritt uns die auf dem großen Laterankonzil von 1215 unter dem Präsidium des Papstes Innocenz III. (1198-1216) auf der höchsten Staffel der Machtvollkommenheit entgegen, die sie je erstiegen hat.
Die von den Päpsten ins Leben gerufenen Kreuzzüge hatten das Ansehen des Statthalters Christi an ihrem Teil gesteigert und teilweise selbst im Orient befestigt. War auch Jerusalem [* 7] wieder verloren gegangen, so war dafür in Konstantinopel [* 8] das lateinische Kaisertum aufgerichtet, und der byzantinische Patriarch ward in Rom [* 9] ernannt. Die gleichfalls von hier aus geleiteten Könige Europas verglich Innocenz mit dem Monde, der sein Licht von der Sonne, [* 10] die in Rom strahlt, zu Lehen trägt.
Der Kirche und ihrer Herrlichkeit dienten die Waffen [* 11] der Völker; sogar das Rittertum nahm religiöse Farbe und Weihe an in den geistlichen Ritterorden. Der Kirche diente aber auch die Wissenschaft in der Scholastik. Hat die letztere sich auch nicht mehr produktiv auf dem Gebiet der Glaubenslehre erwiesen (es sei denn im Artikel von den Sakramenten, der erst im Verlauf des Mittelalters allseitige Durchbildung empfing), so bestand doch der höchste Triumph dieser spezifisch mittelalterlichen Schulgelehrsamkeit wie in einer vollendeten Technik des Denkens, so weiterhin in der Dienstbarmachung und Ausbeutung dieser formalen Fertigkeit im Interesse der Kirchenlehre. Als Albert d. Gr. und Thomas von Aquino (1224-74) den großen Denker des Altertums, Aristoteles, der für das spätere Mittelalter die Summe alles erreichbaren menschlichen Wissens repräsentierte, glücklich vor den Triumphwagen der Kirche gespannt hatten, schien in der Geschichte des menschlichen Forschens, Wissens und Könnens ein Höchstes und Letztes erreicht, und es blieb nur der Wunsch übrig, die Sonne der ¶
mehr
katholischen Herrlichkeit möge dauernd im Zenith verharren.
Bereits aber konnte man die Eitelkeit eines solchen Begehrens ahnen. Dasselbe Konzil von 1215, welches einen allgemeinen Gottesfrieden heiligte, um die Kräfte der Christenheit ganz wider den Islam zu sammeln, mußte doch schon einen guten Teil dieser Kräfte hergeben, um in nächster Nähe Italiens die Waldenser und Albigenser zu bekämpfen. Mit Entsetzen erregender Wut und Grausamkeit wurde diese erste allgemeinere, von einem großen und gebildeten Volksstamm getragene Opposition niedergetreten. Um sie auf die Dauer niederzuhalten, haben Päpste und Konzile sofort die Inquisition ins Leben gerufen mit der furchtbaren und unentrinnbaren Härte ihres Gerichtsverfahrens, mit ihren dunkeln, engen Mauerzellen, darin die einen lebendig begraben, mit ihren Holzstößen, darauf die andern lebendig verbrannt wurden.
Immer furchtbarer traten seit jenen Tagen die menschenfeindlichen, dämonischen Züge im Angesicht derselben Kirche hervor, in welcher die christlichen Völker ihre gemeinsame geistige Mutter zu verehren gewohnt und verpflichtet waren. Es ist keineswegs eine leere Phrase der Aufklärung gewesen, wenn der christlichen Kirche nachgesagt wurde, daß sie es zeitweilig vermocht habe, in der Menschenbrust eine jeglicher Menschlichkeit Hohn sprechende Glaubenswut, einen Fanatismus und Mordgeist zu entzünden, welcher jeder Vergleichung mit dem, was andre Kulturreligionen hierin geleistet haben, spottet.
Was der alte Römerstaat in den drei ersten Jahrhunderten an der Christenheit gesündigt hat, das kommt kaum noch in Betracht gegenüber dem, was beispielsweise unter Innocenz III. und seinen Nachfolgern in Südfrankreich oder was unter Karl V. und Philipp II. in den Niederlanden geschah. Dieser zunehmende Blutgeruch war es nicht zum wenigsten, was edlere Geister der Kirche entfremdete, vorher noch der bei gesteigertem äußern Glanz immer greller in die Augen stechende Kontrast zwischen der Hoffart und Machtstellung des Klerus und dem nie ganz erloschenen Gedächtnis an den ursprünglichen Sinn der Stiftung Jesu.
Das »arme Leben Jesu«, die »Nachfolge Jesu«, das waren untötbare Vorstellungen und Forderungen, welche den nachhaltigsten Impuls lieferten zum Verdruß über diese Völker und Fürsten bald mit List, bald mit Gewalt bändigende, alles im Himmel [* 13] wie auf Erden dem eignen Vorteil opfernde Hierarchie. Schon jetzt hätten die Kaiser und Könige in ihrem Kampf gegen die Übergriffe des Papsttums viel ausrichten können, wenn sie die gärende Empörung in den Volksgeistern entfesselt oder wenigstens hätten gewähren lassen.
Aber ihnen waren diese Mächte, in deren Auftreten eine neue Zeit von fern sich ankündigte, fast noch unheimlicher als den Päpsten selbst. Die Besten machen davon keine Ausnahme. Friedrich I. Barbarossa inaugurierte seine Kirchenpolitik damit, daß er den gefährlichsten und geistesmächtigsten Feind, welchen das Papsttum während des ganzen Mittelalters in Italien [* 14] zu bekämpfen hatte, dem Blutgericht des Papstes auslieferte: Arnold von Brescias (1155) Schicksal war typisch.
Mitten in seinem Krieg mit Gregor IX. (1227-41) gab Friedrich II. das furchtbare Gesetz »über die Verbrennung der Ketzer«, in dessen Folge die Scheiterhaufen noch in der Reformationszeit rauchten. Bei einem so widerspruchsvollen Vorgehen verstand sich eigentlich die Niederlage der Staatsmacht von selbst; hinwiederum ist auch der Kurie ihr Sieg tödlich geworden. Wie die unbeschränkte Macht in Menschenhänden einst den Cäsarenwahnsinn erzeugt hatte, so ließ sie jetzt die Päpste vielfach jene Rücksichten vergessen, welche auch die auf schwindelnder Höhe stehenden Sterblichen, vor allem aber diejenigen, welche ihre Stellung religiösen Motiven verdanken, den sittlichen Mächten schulden.
Hatte früher die in nicht seltenen Fällen ihren Schild [* 15] über das vergewaltigte Recht gehalten, war sie ein Hort der Schutzlosen und Geringen gegen den rohen Despotismus der Machthaber gewesen, hatte sie im Namen des göttlichen und menschlichen Rechts die Großen dieser Erde vor ihren Richterstuhl citiert, so lag die Sache schon im 13. und 14. Jahrh. vielfach umgekehrt. Kaiser und Könige fanden gegenüber den Anmaßungen des römischen Stuhls ihren wirksamsten, nur leider in wenigen Fällen ganz ausgenutzten Beistand in dem bürgerlichen Selbstgefühl, in dem Sinn für nationale Ehre und Selbständigkeit, in dem unbestochenen Rechtsbewußtsein ihrer Unterthanen.
Seitdem vollends zuerst das Papsttum in Avignon zum Werkzeug der französischen Politik herabgesunken war, dann während des Schismas das ganze Heilsbedürfnis und Seligkeitsinteresse der Christenheit nur deshalb dazusein schien, um unter den raffiniertesten Vorwänden und erlogensten Aushängeschildern zweien Gegenpäpsten die Kassen zu füllen und die Mittel zu liefern, sich gegenseitig zu bekriegen, seitdem Reservationen, Präventionen, Devolutionen, Kommenden, Annalen und anderweitige Rechtstitel erfunden waren, um die Vergebung von Kirchenämtern zu einer unerschöpflichen Quelle [* 16] von Reichtümern für den Stuhl Petri werden zu lassen, war der Glaube der Völker an diesen heiligen Stuhl nicht bloß, sondern auch an die vielen heiligen Stühle, welche von dort aus an zahlungsfähige Bewerber vergabt wurden, erschüttert.
Mächtiger erhob sich von Jahr zu Jahr der Ruf nach Reformation der an Haupt und Gliedern. Das Papsttum selbst mußte das aufgedrungene Programm vollziehen helfen, und so kam es zu den großen Reformkonzilen von Pisa, [* 17] Konstanz, [* 18] Basel, [* 19] um deren Frucht freilich die Völker hinterher durch die schlaue Diplomatie der Kurie, zumal des vom Episkopalismus zum Kurialismus übergelaufenen Äneas Sylvias, schmählich betrogen worden sind. Zwar ging es nicht überall so rasch wie in Deutschland, [* 20] wo Kaiser Friedrich III. den Rückzug eröffnete, aber schließlich haben die reformierenden Konzile des 15. Jahrh. für alle christlichen Nationen ihre Bedeutung eingebüßt neben dem restaurierenden Konzil des 16. Jahrh., dem Trienter, dessen Beschlüsse trotz des oft längere Zeit fortgesetzten Widerstrebens einzelner Staaten zuletzt für die gesamte katholische Christenheit maßgebend geworden sind.
Fünfte Periode: bis zum Westfälischen Frieden.
Damit sind wir in die Epoche der Reformation (s. d.) übergetreten. Die Vorbedingungen zu der großen Wendung der Dinge, in deren Folge die abendländische Christenheit bis auf den heutigen Tag in zwei feindliche Heerlager geteilt erscheint, lagen nicht bloß auf dem negativen Gebiet der bittern Enttäuschung ob des Scheiterns der mit so großer Kraft und Zuversicht unternommenen Reformbestrebungen, der flammenden Empörung ob der ungescheut und offen zu Tage tretenden Entwürdigung aller Heiligtümer, die zuletzt in der Verkäuflichkeit der Gnaden gipfelte, des unabwendbaren Bankrotts der Scholastik, welche sich längst schon, statt an der Beweisbarkeit der Glaubenswahrheiten, an deren schlechthinniger Unbeweisbarkeit ergötzte, um daraus den rein supernaturalen und unbegreiflichen ¶