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kirchlichen in die weltlichen Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst fing an, sich von der Theologie zu emanzipieren, und es fiel der Kirche immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenz in sich zu tragen. Die Periode der Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staat gegenüber etwas Hierarchisches. Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker regte, und so entstanden Kirchlein in der Kirche, z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart verzweifelnd, die Kirche eines neuen Jerusalem [* 2] in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten.
Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der Kirche zu bearbeiten und es selbst über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt.
II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.
(Vgl. hierzu die Beilage »Zeittafel der Kirchengeschichte«)
Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.
Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtlichen Thatsachen voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach welchen die großen Epochen der religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin gethan und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, welche wir kennen.
Die christliche Kirche ist im eminenten Sinn des Wortes »das Ding mit den vielen Ursachen«, davon die Philosophie weiß, und es bedarf einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster Linie, darum aber nichts weniger als in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man Kirche nennt. Im Gegenteil war es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer Seite, daß die Entstehung der Kirche mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei.
Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines »Himmelreichs«, abbildeten, von seinen Weissagungen, welche demselben Reich ein »Kommen mit Macht« noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht stellten, zehrten diese Gemeinschaften.
Die eigne Produktionskraft aber that sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus, der Inspiration, der Prophetie, welches sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit an die Autorität des Alten Testaments nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen, mannigfaltig nüancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus ablehnend gegenüber.
Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischen Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation, welche sich die »Großkirche«, die »allgemeine«, die »katholische Kirche« (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh. steht dieselbe wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns.
Aber wie ganz andre Züge weist das Christentum nunmehr in dieser neuen Gestalt auf, in welcher die ursprüngliche Abgeschlossenheit gegen die Welt, wenn nicht in der Theorie, so doch faktisch bereits aufgegeben war! Was uns hier entgegentritt, das ist ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist zumeist griechisch-römischer Geist spürbar, nicht etwa jüdischer.
Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt, der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine Kirche ist geworden, welche nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft der Hoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, thatsächlich eine ganz eigentümliche Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, welche sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen Weltreichs stritten, die Palme [* 3] davonzutragen.
Demnach repräsentierte die »Großkirche« eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt für die Massen, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der katholischen Kirche dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand [* 4] war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die höchsten Güter des Christentums geradezu unzugänglich geblieben wären. Die Kirche ist das für eine Rolle in ¶
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der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der Weltherrschaft versehene, allerorts praktisch zurechtgelegte Christentum. Nichts ist begreiflicher, als daß das Römerreich nicht freiwillig abdankte zu gunsten der sich anmeldenden geistigen Großmacht; es waren bekanntlich gerade die echtesten Erben und Fortleiter der alten Traditionen römischer Politik, welche in der christlichen Kirche eine Todfeindin erkennen und sie bis aufs Blut bekämpfen zu müssen glaubten.
Aber eigenste Kraft [* 6] und eine Verkettung günstiger Umstände verhalfen letzterer zum Sieg. Ein genialer Eroberer that den kühnen Wurf; erstellte sich anfänglich über die Parteien, um je länger, desto mehr in der christlichen Kirche die eigentliche Trägerin aller zukunftsvollen Mächte zu erkennen und in ihrer bereits bestehenden Einheit die Unterlage einer erst herzustellenden Einheit des Reichs zu suchen. Die Bischöfe der Kirche sollten den wankenden Kaiserthron stützen, ihm im Glauben der Völker den eingebüßten Kredit wieder verschaffen. Was Konstantin (306-337) wollte, das war eine handliche Staatskirche. Aber nur in der östlichen Hälfte des Reichs konnte seine Idee Durchführung finden, und zwar war es wesentlich das Dogma, bei dessen Ausbildung die byzantinischen Kaiser und fast mehr noch ihre Frauen sich beteiligten.
Zweite Periode: bis auf Karl den Großen.
Wir schreiten damit von der ersten Epoche der alten Kirche hinüber zu der zweiten. Die Ansätze des dogmenbildenden Prozesses hatte schon jene gesehen (s. Dogma, Dogmatik, Dogmengeschichte). Die Verweltlichung des Christentums auf dem Gebiet der Lehre [* 7] und Vorstellung war eingeleitet worden von der Gnosis (s. d.). Ihr ist die kirchliche Theologie nur nachgewachsen. Sie hat in mildern, populärern Formen, in gemäßigtem Tempo wiederholt, was die Gnosis in kühnen Sprüngen gewagt hatte: eine Darstellung der neuen Weltanschauung mittels der Formen griechischer Religionsphilosophie und Mysterienweisheit.
Während aber von der kirchlich werdenden Christenheit vor allem das ganze Judentum als Religion mit Beschlag belegt, die ganze alttestamentliche Geschichte als Vorgeschichte der in Anspruch genommen wurde, rechnete der Gnostizismus dieses Alte Testament vielmehr in das von ihm noch viel heftiger als von der Kirche verworfene Judentum ein und ging deshalb der Kirche mit Bildung eines eignen, eines neutestamentlichen Kanons sogar voran. In den Wirren des mit der Gnosis geführten Kampfes erfuhr die Kirche erstmalig das Bedürfnis, ihr einfaches Taufbekenntnis durch Erweiterungen zu erläutern und in eine die kirchlich korrekte Überlieferung fixierende Glaubensregel umzuwandeln. An diese Glaubensregel setzt sich sofort die noch ganz embryonale und fragmentarische Theologie der antignostischen Kirchenväter, eines Justinus, Irenäos, Tertullian, an. Erst durch das Medium der als »Neues Testament« kanonisierten Schriften der apostolischen und nachapostolischen Epoche im Verein mit der Glaubensregel werden jetzt auch die treibenden Ideen des Urchristentums selbst in dieser Kirche eine wirksame Macht.
Aber den gut christlichen Elementen, mit welchen auf diesem Weg das Dogma ausgestattet wurde, halten die sich mehrenden griechischen die Wagschale. Hand in Hand mit der im Verlauf des 3. Jahrh. sich vollziehenden Umbildung der in einen heiligen Staat erfolgt eine Umsetzung der Glaubensregel in die hellenisch fundamentierte, aus der Stoa und aus dem Platonismus abzuleitende Religionsphilosophie eines Clemens und Origenes. Den Kristallisationspunkt für diesen Prozeß bildet die von Tertullian, Hippolyt u. a. in die Glaubensregel eingeführte Lehre vom Logos (s. d.), mit welcher der Kern der kirchlichen Weltanschauung ins Dasein getreten ist.
Denn damit war die Anweisung gegeben, das Göttliche in Christus als die im Weltbau und in der Geschichte der Menschheit verwirklichte Vernunft Gottes zu denken; s. Christologie. Der Menschwerdung des Logos entspricht aber als ihr Erfolg schon bei Irenäos die Vergöttlichung des Menschen. Je länger, desto mehr rückt dieser Gedanke in den Mittelpunkt der Theologie der Kirchenväter (s. d.), und in gleichem Maß wird der einfach religiöse und sittliche Inhalt des Evangeliums durch einen dicken Überwurf von Metaphysik und Theosophie verdeckt.
Mysteriöse, aber reale Umbildung des Menschen in unvergängliches Wesen, abgebildet in den geheimnisvollen Naturvorgängen der Sakramente (s. d.) und bewerkstelligt durch ihren Genuß, sollte die Gabe Gottes in Christus sein. Dieser symbolischen Magie eines zum guten Teil den heidnischen Mysterien nachgebildeten Kultus entsprach ein Erlöser, welcher in seiner Person die menschliche Natur mit der göttlichen vereinigt, genauer jene vergottet hat. Dies führt auf Wesenseinheit des Sohns mit dem Vater, auf Doppelnatur Christi, kurz auf alle jene Formeln, welche seit dem Konzil von Nicäa dem eigentlich dogmenbildenden Zeitalter einleuchtend und annehmbar erschienen, um die höchste Anschauung vom Werte der christlichen Religion und der durch sie vermittelten Heilsgüter auszudrücken. S. Nicäisches, Nicäisch-Konstantinopolitanisches, Chalcedonisches Glaubensbekenntnis.
Einer irrtümlichen Geschichtsphilosophie entsprungen ist die oft gehörte Meinung, diese und ähnliche Formeln hätten unter den Bedingungen, welche bei der dogmatischen Entfaltung des christlichen Bewußtseins maßgebend und wirksam gewesen sind, gerade so ausfallen müssen, wie sie thatsächlich ausgefallen sind. In Wahrheit hätte sich die Andacht der Kirche aber z. B. mit dem gottähnlichen Christus des Arianismus ebensogut befriedigen können wie bei dem gottgleichen des Athanasius, und wie die Dinge zu Nicäa lagen, hat sogar alles zu der erstern Formel gedrängt.
Daß die letztere siegreich wurde, ist dem persönlichen Eingreifen des Konstantin wie später des Theodosius zu verdanken. Ebenso hatte im Nestorianisch-Eutychianischen Streit bereits der Monophysitismus den Sieg in den Händen, als er ihm nachträglich auf der vierten ökumenischen Synode durch das im Bund mit dem römischen Bischof erfolgende Einschreiten der Kaiserin Pulcheria wieder entwunden wurde. Gegenteils ist der monophysitische Rückschlag, welcher dann auf der fünften ökumenischen Synode eintrat, das persönliche Werk Justinians und Theodoras gewesen.
Der monotheletische Streit ist durch die Politik des Kaisers Heraklios hervorgerufen und in seinem Verlauf ganz durch die Kaiser Constans und Constantinus Pogonatus bestimmt worden. Den Bilderstreit haben erstmalig und endgültig die beiden Kaiserinnen Irene und Theodora abgeschlossen. Das Abendland ist dieser Entwickelung des Dogmas, wie es der zweiten Hälfte der Geschichte der alten Kirche ihr bezeichnendes Gepräge verleiht, nur einfach zustimmend gefolgt, und was es Selbständiges auf diesem Gebiet leistete, die Sünden- und Gnadenlehre des Augustinus, das hat im kirchlichen Leben und in der theologischen Praxis keineswegs zu einer so großen Entfernung von der griechischen Theologie geführt, als es gemäß dem ¶