Durch Anfeuchten, Körnen und Erhitzen dieses Stärkemehls erhält man die Tapioka. Dies Präparat kommt nicht nur aus Brasilien,
sondern auch aus Guayana, Martinique, Guadeloupe, Travancore, Reunion, Westafrika und Neukaledonien, wo überall M. utilissima
angebaut wird, in den Handel. Man unterscheidet weiße Rio- und braune Bahia-Tapioka. Sehr viel Tapioka (Marksago) kommt
jetzt aus Ostindien zu uns. Die rein weißen, aus einem gröblichen, nicht zusammengebackenen Mehl bestehenden Tapiokasorten
des französischen Handels werden in Frankreich aus Kassawamehl bereitet. Auch mischt man dort Tapioka mit Mohrrübenschnitzeln,
Kakaomehl etc. (Tapioca Crecy, T. au cacao), und vielfach bereitet man in Frankreich und Deutschland ein der echten
Tapioka völlig ähnliches Präparat aus Kartoffelstärke. Man benutzt die Tapioka zu Suppen etc.
(Kassa, v. ital. cassa), zunächst das Behältnis,
in welchem Geld und Geldeswert aufbewahrt wird;
demnächst der Vorrat an barem Geld, welcher in einem Geschäft vorhanden ist,
zu dem Zweck, die laufenden Ausgaben zu bestreiten und die laufenden Einnahmen demselben hinzuzufügen;
dann diejenige Abteilung eines Geschäfts, in welcher bares Geld angenommen und verausgabt wird;
bei einer Behörde diejenige
Stelle, welche mit dem Akte des Vereinnahmens und Verausgabens betraut ist, sowie das von ihr benutzte Lokal;
endlich das Amt,
die in dem vorgedachten Sinn zu verwalten.
Sehr häufig wird Kasse oder Kassa schlechthin für Barvorrat
gesetzt; es gehören dazu unter allen Umständen das bare Geld und diejenigen Geldzeichen, welche in dem Großverkehr anstandslos
statt baren Geldes angenommen werden. Ob Barren, fremde Münzen, Geldzeichen, die nur bedingungsweise unterzubringen sind, bei
einer Zettelbank auch die eignen, nicht in Zirkulation befindlichen Noten zur Kasse zu rechnen sind, darüber
schwankt der Sprachgebrauch. Kassenbuch, das Geschäftsbuch, welches über Einzahlungen in die Kasse und Auszahlungen
aus derselben, Kassenkonto, dasjenige Konto des Hauptbuches, welches über den Stand der Kasse Auskunft gibt (s. Buchhaltung). Per
Kasse handeln heißt gegen sofortige bare Zahlung handeln; man sagt dafür auch: ein Kassageschäft (einen
Tageskauf) machen. Das Kassageschäft bildet den Gegensatz zum Zeitgeschäft, bei welchem beide Teile ihre Leistung hinausschieben
(vgl. Börse, S. 236), demgemäß auch zum Differenzgeschäft, ferner zum Geschäft auf Kredit, bei welchem die Leistung desjenigen
Teils hinausgeschoben wird, der bares Geld zu zahlen hat.
[* ] (Cassel, hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der preuß. Provinz Hessen-Nassau (bis 1866 des ehemaligen Kurfürstentums
Hessen) sowie des gleichnamigen Regierungsbezirks (s. unten), des Stadt- und Landkreises Kassel, liegt,
von der Fulda durchströmt, in einem weiten, schönen Thalbecken an den sanften Abhängen dreier Hügel, des Ahnabergs gegen
N., des Kratzenbergs gegen NW. und des Weinbergs gegen SW., 156 m ü. M., und ist Knotenpunkt der Linien
Kassel-Frankfurt a. M., Hannover-Kassel, Schwerter Warburg-Kassel, Kassel-Dietendorf und Kassel-Waldkappel der Preußischen Staatsbahn.
Die Oberneustadt, der höchst gelegene Teil Kassels, auf der sanften Abdachung des Weinbergs sich ausbreitend, ist der Länge
nach durch vier Parallelstraßen, die Obere Königs-, die Karls-, die Frankfurter und Bellevuestraße, durchschnitten,
von
denen die letztere unmittelbar über dem schönen Auepark auf dem steilen Südostrand des Weinbergs liegt. Nordöstlich
schließt sich an die Oberneustadt die sogen. Freiheit, die sich von S. gegen N. ausdehnt, ziemlich regelmäßig gebaut ist
und gegen O. an die eigentliche, am Fulda-Ufer sich hinziehende Altstadt stößt, deren enge und dunkle
Gassen keinen freundlichen Eindruck machen.
Die dreibogige Wilhelmsbrücke (89 m lang, 14 m breit, 1788-1804 erbaut) führt zur Unterneustadt auf dem rechten Ufer der
Fulda, dem tiefstgelegenen und darum alljährlich von den Überschwemmungen des Flusses bedrohten Stadtteil. Der neueste Teil
Kassels, das Hohenzollernviertel, in welchem die Ausdehnung der Stadt zusehends durch sehr schöne Straßen
und Gebäude zunimmt, liegt im W., zwischen dem Bahnhof und der Wilhelmshöher Allee, steigt aufwärts und gibt der Stadt ein
wahrhaft imponierendes Aussehen.
Unter den Straßen der innern Stadt nimmt die 1600 m lange und 19 m breite Königsstraße den ersten Rang
ein. Von den Plätzen sind zu nennen: der Friedrichsplatz, 324 m lang und 151 m breit. Seine Mitte ziert das Standbild des
Landgrafen Friedrich II., von Nahl in karrarischem Marmor ausgeführt;
nach SO. wird er abgeschlossen durch das von Bromeis in
Gestalt eines römischen Triumphbogens erbaute Auethor, mit welchem nach dem Krieg von 1870/71 das Siegesdenkmal
(von Siemering) vereinigt wurde;
der Karlsplatz, nahe der Oberneustädter Kirche, mit dem einfachen Denkmal des um Kassel hochverdienten
Landgrafen Karl;
der Friedrich-Wilhelmsplatz, mit schönen Anlagen und dem nach einem Entwurf von Professor Schneider 1881 ausgeführten
Löwenbrunnen, an dem in vier weiblichen Figuren die Hauptflüsse der Provinz, Fulda, Werra, Eder und Lahn,
symbolisch dargestellt sind;
der Ständeplatz, mit vier Reihen schöner Linden bepflanzt, als südöstliche Fortsetzung des
vorgenannten;
der zirkelrunde, in der Mitte der Stadt zwischen der Obern und Untern Königsstraße liegende, 131 m im Durchmesser
haltende Königsplatz, in dessen Mitte dem Rufenden ein sechsfaches Echo entgegenschallt;
der Meßplatz;
der Opernplatz am Theater in der Obern Königsstraße, mit dem Bronzestandbild des Komponisten Spohr (von Hartzer);
der Martinsplatz
etc. -
Kassel besitzt 7 evangelische und eine kath. Kirche, doch zeichnet sich keine derselben durch architektonischen Wert aus.
Die
größte Kirche, die St. Martinskirche, birgt unter anderm die Gebeine des Landgrafen Philipp des Großmütigen,
an den ein im Chor befindliches Denkmal erinnert. In der lutherischen Kirche befinden sich zwei Ölgemälde von Tischbein. Ein
ansehnlicher Bau ist die in der Untern Königsstraße liegende, 1839 vollendete Synagoge. Unter den übrigen Gebäuden Kassels
ist zunächst das ehemalige kurfürstliche Residenzschloß am Friedrichsplatz zu nennen, das aus zwei
Teilen besteht: einem ältern, 1769 erbauten, von außen unansehnlichen und schmucklosen, und dem sogen.
Roten Palais, welches 1821 aus geschliffenen Sandsteinquadern aufgeführt wurde. Die Stammburg der hessischen Landgrafen, 1277 erbaut,
später erweitert und vom Landgrafen Philipp und dessen Sohn Wilhelm IV. durchaus erneuert, stand zwischen
Steinweg und Fulda an der Aue; 1811, während König Jérôme von Westfalen darin Hof hielt, brannte das Schloß fast ganz
ab. An seiner Stelle ließ Kurfürst Wilhelm I. 1820 den großartigen Neubau der Kattenburg, 173 m lang, 126 m breit, in Angriff
nehmen, der aber nie über das Erdgeschoß fortgesetzt wurde. Die moderne Ruine wurde in der neuesten Zeit abgetragen, um
dem großartigen Justiz- und Regierungsgebäude Platz zu machen. Neben dem ehemaligen kurfürstlichen
Palais steht das 1769-79 erbaute, an der Fassade 95 m lange Museum Fridericianum, dessen Frontispiz auf sechs hohen ionischen
Säulen ruht und mit den Bildsäulen der Philosophie, Astronomie, Geschichte, Architektur, Malerei und Bildhauerkunst geziert ist.
Dasselbe enthält eine der größten Sammlungen chronologisch geordneter Gipsabgüsse nach der Antike,
reiche Sammlungen von Naturalien und Kunstgegenständen (antike Statuen, Bronzen, Gemmen, Münzen, Holzschnitzereien des Mittelalters
und der neuern Zeit, altdeutsche Waffen etc.) und in einem 91 m langen Saal die Landesbibliothek (ca. 100,000 Bde.), unter deren
vielen wertvollen Handschriften das »Hildebrandslied« als die bedeutendste hervorzuheben ist. (Von 1814 bis 1829 waren die
Gebrüder Grimm an dieser Bibliothek angestellt.) An das Museum schließt sich die Sternwarte an, wozu ein Thorturm der alten
Festungswerke benutzt ist.
Dieser Turm enthält eine reiche Sammlung mathematischer, physikalischer und optischer Instrumente. Bemerkenswert sind ferner:
das aus verschiedenen Teilen bestehende Schloß Bellevue;
die neue, im italienischen Renaissancestil aus
den Steinen der abgetragenen Kattenburg erbaute Gemäldegalerie mit Werken von Rubens, van Dyck, Jordaens, F. Hals, Rembrandt, Tizian,
Ruisdael, Ribera und andern Meistern ersten Ranges, davor das Denkmal des Oberpräsidenten v. Möller;
das Ständehaus, das 1770 erbaute
Rathaus, das öffentliche Schlachthaus etc.
Die Bevölkerung beläuft sich (1885) mit der Garnison (2 Infanteriebataillone Nr. 83, 4 Eskadrons Husaren
Nr. 14, 2 Abteilungen Feldartillerie Nr. 11 und ein Trainbataillon Nr.
11) auf 64,083 Seelen (gegen 46,378 im Jahr 1870), darunter 56,684 Evangelische, 5529 Katholiken und 1870 Juden. Industrie und
Handel befinden sich in stetigem Wachsen. Kassel hat Eisengießereien und Maschinenfabriken (darunter die Henschelsche
Maschinenfabrik mit 1600 Arbeitern), 2 Anstalten für den Bau von Eisenbahnwagen, Fabrikation von mathematischen Instrumenten,
Pianofortes, Thonwaren, Tabak und Zigarren, Federstahl, Korsett- und Krinolinfedern und Metallwaren, Papier und Buntpapier, Gelatine
und Leim, Faßwaren, Glacehandschuhen, Wichse etc., Jutespinnerei und -Weberei, Kartonagenfabriken, eine große lithographische
Kunstanstalt, Bierbrauerei etc. Von Bedeutung sind auch der Gartenbau und die Kunstgärtnerei.
Der Großhandel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle und andre Geldinstitute, erstreckt sich auf
Getreide, Kleesaat, Mühlenfabrikate, Wolle, Kolonialwaren, Baumaterialien und Eisenwaren, Felle, Leder, Lumpen etc. Alljährlich
finden in Kassel 2 Messen und ein Wollmarkt statt. Bemerkenswert ist auch die große Zahl von Buch- und Kunsthandlungen.
Der Verkehr in der Stadt und mit den bedeutenden Orten der nächsten Umgebung wird gehoben durch eine Straßenbahn und drei
Pferdebahnlinien; eine Hebung des Flußverkehrs steht durch die in Aussicht genommene Kanalisierung der Fulda von Kassel bis Münden
in nächster Zeit zu erwarten.
Kassel hat 2 Gymnasien, ein Realgymnasium, eine Realschule, eine Gewerbe- und Handelsschule, ein israelitisches
Lehrerseminar,
ein Lehrerinnenseminar, 5 höhere Töchterschulen, eine Akademie der bildenden Künste, einen Verein für hessische
Geschichte und Landeskunde, einen Gartenbauverein, eine Kriegsschule, eine Fachschule für Mädchen, ein Gewerbemuseum, eine
Naturaliensammlung, ein königliches Hoftheater etc. An andern Anstalten befinden sich dort:
eine Strafanstalt, ein Diakonissenhaus, ein Kinderhospital, eine Kaiserin Augusta-Stiftung (zur Ausbildung
von Schwestern vom Roten Kreuz), eine Irrenpfleganstalt, eine Entbindungsanstalt u. a. Die städtischen Behörden
zählen 13 Magistratsmitglieder und 24 Stadtverordnete. An andern Behörden befinden sich dort: das Oberpräsidium für Hessen-Nassau,
die Regierung und das Konsistorium des Regierungsbezirks und das Landratsamt des Landkreises ein Oberlandes-
und ein Landgericht, eine Provinzial-Steuer- und eine Oberpostdirektion, eine Forstinspektion, ein Hauptsteueramt, ein Bergrevier,
eine Generalkommission zur Ablösung von Servituten, ein Landesrabbinat etc. Außerdem haben dort ihren Sitz: das Generalkommando
des 11. Armeekorps, das Kommando der 22. Division, der 43. und 44. Infanterie-, der 22. Kavallerie- und der 11. Feldartillerie-Brigade.
Zum Landgerichtsbezirk Kassel gehören die 34 Amtsgerichte zu Abterode, Allendorf, Arolsen, Bischhausen, Eschwege, Felsberg, Friedewald,
Fritzlar, Grebenstein, Großalmerode, Gudensberg, Hersfeld, Hofgeismar, Karlshafen, Kassel, Korbach, Lichtenau, Melsungen, Naumburg i. H.,
Nentershausen, Netra, Niederaula, Niederwildungen, Oberkaufungen, Rotenburg, Schenklengsfeld, Sontra, Spangenberg, Veckerhagen, Volkmarsen,
Wannfried, Witzenhausen, Wolfhagen und Zierenberg.
In der nächsten Umgegend (s. das Spezialkärtchen auf der Karte »Hessen-Nassau«) von Kassel bieten zunächst
die Friedhöfe, dort »Totenhöfe« genannt, manche Stätte von Interesse. Auf dem Alten Friedhof, jetzt fast innerhalb der Stadt
gelegen, ruht Johannes v. Müller; ein Denkmal auf dem Grub ließ ihm 1852 König Ludwig I. von Bayern errichten.
Der Neue Friedhof vor dem Holländischen Thor birgt die Ruhestätte Ludwig Spohrs. Von besonderm Reiz ist die Karlsaue, ein Park,
welcher den südwestlichen hoch gelegenen Teil der Stadt in der Tiefe begrenzt, sich eine weite Strecke längs der Fulda hinzieht
und reich ist an herrlichen Baumgruppen. An seinem Eingang vom Auethor aus befindet sich das von Professor
Kaupert in Frankfurt a. M. ausgeführte Hessendenkmal, ein sterbender Löwe in weißem Marmor, auf einem Sockel von Basaltkonglomerat,
zum Gedächtnis der auf dem Forst vor dem Leipziger Thor auf Befehl Napoleons I. während der westfälischen Zeit erschossenen
hessischen Patrioten.
Der Park wurde unter dem Landgrafen Karl von dem Versailler Gartenkünstler Lenôtre 1709 angelegt und enthält
das schön restaurierte, im echtesten Rokokostil erbaute Orangerieschloß und in einem der beiden später hinzugefügten
Seitenpavillons das sogen. Marmorbad mit guten Skulpturen von Monnot. Von dem Park aus gelangt man, der Frankfurter Allee folgend,
nach dem stillen Schönfeld (auch Augustenruh genannt), Sommerschlößchen der verstorbenen Kurfürstin
Auguste. Entfernter liegen die Schlösser Wilhelmshöhe (s. d.) und das von dem Landgrafen Wilhelm VIII. 1753 im italienischen
Stil erbaute Schloß Wilhelmsthal.
[Geschichte.]
Die erste Kunde von der Stadt Kassel datiert von 913, wo König Konrad I. hier verweilte; es heißt damals Cassala.
Kaiser Heinrich II. schenkte
mehr
1008 einen Güterhof daselbst dem Kloster Kaufungen. Zu Anfang des 13. Jahrh. wurde Kassel von den Landgrafen von Thüringen zur
Stadt erhoben. Nach dem Erlöschen des thüringischen Hauses kam an die Landgrafen von Hessen. Schon Landgraf Heinrich I. (gest.
1308) legte am jenseitigen Ufer eine Neustadt an, verknüpfte dieselbe durch eine Brücke mit der Altstadt
und baute die Burg von neuem auf. Heinrich II. gründete 1328 auf der linken Seite der Fulda die sogen. Freiheit und erbaute
hier die St. Martinskirche, mit welcher er 1364 ein Chorherrenstift verband. Kassel widersetzte sich 1376 einer vom
Landgrafen Hermann willkürlich ausgeschriebenen Steuer, wurde aber durch Hinterlist überwältigt und seiner
Freiheit beraubt.
Eine Einmischung benachbarter Fürsten zu gunsten der vertriebenen Bürger blieb fruchtlos; erst Landgraf Ludwig gab Kassel seine
Freiheiten zurück. 1527 nahm die Stadt die Reformation an. Durch den Landgrafen Philipp den Großmütigen wurden die seitherigen
Befestigungswerke ansehnlich verstärkt; nachdem sie infolge der Halleschen Kapitulation (1547) auf kaiserlichen
Befehl geschleift worden waren, wurden sie sofort nach der Befreiung des Landgrafen aus der kaiserlichen Gefangenschaft wiederhergestellt,
indes erst durch seinen Sohn Wilhelm IV. zur Vollendung gebracht.
Dieser verschönerte die Stadt durch verschiedene größere Bauten, und Landgraf Moritz suchte deren Wohlstand durch die Aufnahme
vertriebener Niederländer zu heben (1615). 1648 wurde hier zwischen den hessischen Landgrafen ein Vergleich geschlossen, durch
welchen der Nachlaß des Landgrafen Ludwig IV. von Marburg geteilt wurde. Der Anfang des Aufschwungs der Stadt zu ihrer gegenwärtigen
Bedeutung fällt in die Regierungszeit des Landgrafen Karl, unter welchem die Aue, das Orangerieschloß,
die großartigen Anlagen am Habichtswald und durch die Aufnahme vieler aus Frankreich vertriebener Hugenotten (1688) die prächtige
Oberneustadt entstanden. Im Siebenjährigen Krieg wurde Kassel im Juli 1757 zum erstenmal, aufs neue, zum
dritten- und zum viertenmal von den Franzosen besetzt. Im März 1761 wurde es vom Grafen Wilhelm von
Bückeburg (vergeblich), im September und Oktober 1762 vom Prinzen Friedrich von Braunschweig belagert und 7. Nov. d. J. durch Kapitulation
eingenommen. Am wurde Kassel durch ein französisches Heer besetzt und zur Hauptstadt des neuen Königreichs Westfalen
erhoben.
Schon langte der russische General Tschernitschew vor an, vertrieb, während König Jérôme
(s. Bonaparte 4) eiligst nach Koblenz entfloh, die westfälischen Truppen vor der Stadt und zwang 30. Sept. den General Alix zur Kapitulation.
Am 1. Okt. hielt Tschernitschew unter dem Jubel der Bevölkerung seinen Einzug, verließ Kassel aber schon zwei
Tage danach, und bereits am 7. waren die Truppen von Alix wieder da. Die Ausführung der strengen Strafdekrete, welche dieser
über die rebellische Stadt verhängte, hinderte Jérôme, der am 16. Okt. zurückkehrte, doch nur, um die Stadt am 26. für
immer zu verlassen; am 27. folgten ihm die letzten Truppen. Am 28. Okt. abends erschienen die ersten Truppen
der Verbündeten, worauf 21. Nov. auch der Kurfürst wieder in seine Residenz einzog.
In den Jahren 1830 und 1831 war Kassel gleich andern Städten Kurhessens der Schauplatz von Unruhen, gleichwie seine Einwohner sich
auch an der Erhebung des Jahrs 1848 lebhaft beteiligten. Während der Verfassungskrisis und der Spannung
zwischen Preußen und dem Bund ward Kassel von preußischen sowie 22. Dez. auch von bayrischen und österreichischen Truppen
besetzt, welche bis Juli 1851 blieben. Am rückte die preußische Division
Beyer, die von Wetzlar kam, ohne Widerstand
zu finden, in ein, und nach der Einverleibung des Kurfürstentums in den preußischen Staat ward Kassel Hauptstadt der neugebildeten
Provinz Hessen-Nassau und des gleichnamigen Regierungsbezirks.
Vgl. Piderit, Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Kassel (2. Aufl.
von Hoffmeister, Kassel 1882);
Hahndorf, Kassel vor 50 Jahren (das. 1863);
Fr. Müller, Kassel seit 70 Jahren (das.
1876-79, 2 Bde.);
Bähr, Eine deutsche Stadt vor 60 Jahren (2. Aufl., Leipz. 1886);
Brunner, Kassel im Siebenjährigen Krieg (Kassel
1884);
»Neuester Führer durch Kassel etc.« (7. Aufl., das.
1885).
Der Regierungsbezirk Kassel (s. Karte »Hessen-Nassau«) umfaßt 10,115 qkm (nach älterer Angabe 10,126 qkm) oder 183,69
QM. mit (1885) 801,199 Einw. (1880:
822,951 Einw.), darunter 648,948 Evangelische, 130,781 Katholiken und 18,899 Juden) und besteht aus den 24 Kreisen: