gen für die
Auflösung des Kanons
(Rätselkanon), welche schließlich bis zur Unmöglichkeit des Verstehens auf die
Spitze
getrieben wurden. Allmählich ging dann der
Name auf die
Komposition selbst über, deren alter
Name Fuga (s.
Fuge) oder Conseguenza
war. Je nach dem
Intervall, in welchem die zweite
Stimme höher oder tiefer einsetzt als die erste, unterscheidet
man den Kanon im
Einklang, bei welchem die
Stimmen thatsächlich dieselben
Töne vortrugen, aber so, daß die zweite (imitierende)
Stimme einen halben oder ganzen
Takt oder mehr nach der andern einsetzt; beim in der
Oktave bringt die zweite
Stimme die
Melodie
eineOktave höher oder tiefer; der in der Unterquinte transponiert dieselbe um eine
Quinte nach der Tiefe,
wobei eine weitere Unterscheidung zu machen ist, ob nämlich die nachfolgende
Stimme alle
Intervalle genau wiedergibt oder
dieselben nach den Verhältnissen der herrschenden
Tonart einrichtet.
Gleichermaßen gibt es Kanons in der Oberquinte,
Quarte, Ober- und Untersekunde etc. Der drei- und mehrstimmige
Kanon verbindet in der
Regel mehrere der genannten
Arten. Weitere
Varianten entstehen durch
Verlängerung
[* 2] oder
Verkürzung der Notenwerte
in der nachahmenden
Stimme
(Canon per augmentationem oder diminutionem) oder durch
Umkehrung aller
Intervalle (al inverso, per
motum contrarium), so daß, was vorher stieg, dann fällt, oder gar so, daß die zweite
Stimme die
Melodie
von hinten anfängt
(Canon cancricans,
Krebskanon).
Der Kanon hat entweder keinen
Schluß, sondern läuft in den Anfang zurück, in welchem
Fall er auch wohl scherzweise in Kreisform
notiert wird (Kreiskanon, Fuga circularis,
Canon infinitus), oder er kann zwar
ad libitum repetiert werden,
hat aber durch
Fermaten angedeutete
Schlußnoten, oder
endlich er hat einen angehängten freien
Schluß (coda). Der Doppelkanon
ist die kontrapunktische
Verbindung zweier Kanons. Seine höchste
Blüte
[* 3] feierte der in den Meisterwerken der niederländischen
Kontrapunktisten des 15. und 16. Jahrh.; doch hat er bis in die neueste Zeit
hinein noch eingehende
Pflege gefunden und wird neben der
Fuge vor
Abschluß der Kontrapunktstudien von der
Schule thunlichst
berücksichtigt.
Die Alten nannten das
Monochord Kanon, weil vermittelst desselben die mathematischen Intervallbestimmungen
(Oktave = ½ der Saitenlänge etc.) bestimmt wurden; deshalb wurden auch die Pythagoreer,
deren musikalische
Theorie auf dem Kanon fußte,
Kanoniker genannt, im
Gegensatz zu den Harmonikern
(Aristoxenos und seine
Schule),
welche von der
Mathematik in der
Musik nicht viel hielten.
In der
Mathematik, vorzüglich in der
Algebra, ist Kanon eine allgemeine
Formel, die bei
Lösung einer Aufgabe herauskommt, und
nach welcher die unter der allgemeinen Aufgabe begriffenen
Exempel auszurechnen sind. -
In der bildenden
Kunst bezeichnet das
Wort Kanon
Statuen, die als
Muster gelten, vorzüglich in Hinsicht auf
die Verhältnisse des menschlichen
Körpers (s.
Proportion). Die Bezeichnung rührt von einem berühmten Werk des griechischen
Bildhauers Polyklet, der
Statue eines Speerträgers (Doryphoros, s. d.), her, welche ihrer den Künstlern
als Vorbild dienenden
Proportionen wegen den Beinamen Kanon erhielt. (Vgl.
Friederichs, Der Doryphoros des
Polyklet, Berl. 1863) Auch die
Künstler des alten
Ägypten
[* 5] hatten ihren Kanon, eine feststehende
Regel der Verhältnisse des menschlichen
Körpers.
Sie pflegten nämlich nach bestimmt proportionierten
Modellen zu arbeiten, die sie in ein
Netz von
Quadraten einzeichneten,
um so für jeden
Punkt die entsprechende
Lage festzuhalten. Für die menschliche Gestalt bildete die
Einheit
dieses
Kanons nach einigen die
Länge des
Fußes, nach andern des mittlern
Fingers. Nach Diodor hätten die Ägypter den
Körper
vom
Scheitel bis zur
Sohle in 21¼ Teile zerlegt. Aber die mancherlei
Zeichnungen und
Skulpturen, die noch unvollendet und mit
solchen Quadratierungen versehen erhalten sind, weichen in der Zahl der
Quadrate, welche auf die Körperlänge kommen, zwischen 15 und 23 so
erheblich voneinander ab, daß man zwei oder drei verschiedene Proportionsregeln, welche die Ägypter nacheinander befolgt
hätten, aufstellen zu müssen geglaubt hat. Als zwei verschiedene
Kanons der
Proportion kann man jedoch
nur im allgemeinen die ältere
Epoche der ägyptischen
Kunst, welche mehr
Kraft
[* 6] und
Fülle auszeichnet, und die jüngere, welche
Eleganz und Zierlichkeit anstrebt, gelten
lassen. -
In der
Philologie versteht man unter Kanon das von den alexandrinischen
Grammatikern herrührende kritische Verzeichnis der alten
Schriftsteller. -
In der Rechtssprache ist Kanon Bezeichnung für eine jährliche Geldabgabe von
Grundstücken,
Häusern, also s. v. w.
Erb-,
Grundzins,
Gült etc. -
In der
Buchdruckerkunst versteht man darunter eine Art großer
Lettern, mit denen ehedem die
Meßkanons
gedruckt wurden, die jetzt aber gewöhnlich nur auf
Titeln, Anschlagzetteln etc. Anwendung finden; kleine Kanon hält 32 oder
auch 36, grobe Kanon 40 oder 48 typographische
Punkte (vgl.
Schriftarten).