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den Weltverkehr vermittelt hatten, zum verderblichen
Kleinhandel und
Wucher, den sie,
weil er durch ihre
Religion strengstens
verboten war, erst vom 13. Jahrh. an lernten, und den die Reichspolizeiordnung von 1530 zu
beseitigen strebte, insofern sie die
Ernährung »mit ziemlicher Hantierung und
Handarbeit« forderte. In religiöser und gesellschaftlicher
Beziehung litten die J. unter vielen Beschränkungen. Sie bewohnten eigne Stadtviertel
(Ghettos), die
ihnen angeblich zum
Schutz angewiesen waren, aber den Verfolgern die
Opfer gleich vereint überlieferten; man verhöhnte und
beschimpfte sie in Bildern,
Worten und Thaten, ließ ihnen oft nur die
Wahl zwischen
Tod und
Taufe, belästigte sie mit Bekehrungsversuchen,
untersagte ihnen während der Passionszeit das Erscheinen an öffentlichen
Plätzen, suchte
sie von jeder
Gemeinschaft mit
Christen auszuschließen, verbot ihnen das Halten christlicher Dienerschaft sowie den jüdischen
Ärzten die
Behandlung christlicher
Patienten und befahl ihnen,
Abzeichen, über deren Form und
Farbe besondere
Verordnungen erschienen,
zu tragen. Hin und wieder wählte man
Männer aus der Zahl der begabten, gewandten und unterrichteten
J. und verwendete sie im Finanzdienst, als Steuereinnehmer und Münzbeamte.
Mit seltenem Opfermut haben auch die J. Deutschlands [* 2] die Greuel und Verfolgungen ertragen, mit denen das ganze christliche Mittelalter sie überhäufte. Falsche [* 3] Beschuldigungen, religiöse Unduldsamkeit und die Sucht nach jüdischem Besitz haben weltliche und kirchliche Würdenträger und fanatisierte Volkshorden veranlaßt, sie zu peinigen und zu vernichten. 1012 vertrieb sie Heinrich II. aus Mainz [* 4] und wahrscheinlich auch aus andern Städten; 1066 ließ ihnen der Bischof von Trier [* 5] die Wahl zwischen Christentum und Verbannung.
Die Kreuzfahrer plünderten, tauften oder mordeten sie zur Ehre Gottes und vertilgten ganze Gemeinden in Speier, [* 6] Worms, [* 7] Mainz, Köln, [* 8] Trier, Regensburg [* 9] u. a. O. Bald nachher scheinen sich aber überall wieder J. angesiedelt und ruhig bis zum zweiten Kreuzzug gelebt zu haben. Der aus Italien [* 10] zurückgekehrte Kaiser Heinrich IV. gestattete den zwangsweise getauften J. die Rückkehr zum alten Glauben und verpflichtete in Mainz (1103) Fürsten und Bürger, ähnlichen Greueln vorzubeugen.
Aber alle Bemühungen konnten die
Schrecken der folgenden
Kreuzzüge und die vielen lokalen Verfolgungen, welche der
Glaube,
die J. gebrauchten zu rituellen
Zwecken Christenblut (ein
Wahn, der noch 1823 in Rußland, 1834 am
Rhein, 1842 in
Damaskus, 1882 und 1883 in
Ungarn
[* 11]
[Tisza-Eszlar] auftauchte), und andre Beschuldigungen verursachten, nicht verhindern. Wir nennen
von diesen Verfolgungen und
Ausweisungen nur die von
Boppard 1179,
Erfurt,
[* 12]
Wien
[* 13] 1196,
Nürnberg
[* 14] 1198 u. 1289,
Halle
[* 15] 1205, Gotha
[* 16] 1212,
Erfurt 1221 und 1266,
Mecklenburg
[* 17] 1225,
Breslau
[* 18] 1226 und öfter,
Fulda
[* 19] 1235,
Frankfurt
[* 20] a. M. 1241, Belitz 1243,
Hildesheim
[* 21] 1258,
Weißenburg
[* 22] 1260,
Magdeburg
[* 23] 1261 und 1301,
Lorch 1276,
Bacharach 1283,
München
[* 24] 1285, Bern
[* 25] 1287 und 1294,
Nördlingen
[* 26] 1290 und
1384,
Kolmar
[* 27] 1292,
Weißensee 1303,
Prag
[* 28] und
Wien 1305, Süddeutschland 1309,
Steiermark
[* 29] 1310. Unter Anführung des fränkischen
Edelmanns
Rindfleisch wurden die J., der Hostienschändung bezichtigt, 1289 in
Franken,
Bayern
[* 30] und
Österreich,
[* 31] von 1336 bis 1338 von den sogen. Armleder im Elsaß, in
Schwaben,
Franken, 1337 von dem
Orte
Deggendorf aus in
Bayern und
Österreich, 1346 von
den
Geißelbrüdern, den
Flagellanten, schwer heimgesucht.
Bei den Opfern, die der schwarze Tod (1348) forderte, schob man die Schuld auf die J., sie der Brunnenvergiftung anklagend, erpreßte durch die Folter Geständnisse, verwarf ihre Verteidigung und die entlastenden Beweise der geschicktesten Ärzte und benutzte überall die Gelegenheit, um durch Mord von Tausenden von J. die Raublust zu befriedigen. Ihres Geldes wegen gewährte man aber bald überall, wo man sie früher verjagt hatte, den J. wieder eine Zuflucht; selbst die Kurfürsten bewarben sich um das Recht, J. aufnehmen zu dürfen, was ihnen in der Goldenen Bulle gestattet wurde.
Aber schon 1384 und 1385 fanden in Franken und Schwaben, später, meistens auf Beschluß der Obrigkeit, im Mainzer Stift (1420), unter dem Erzherzog Albrecht in Österreich (1420 u. 1421), in Freiburg [* 32] i. Br. (1424), Zürich [* 33] (1424 und 1435), Köln (1426), in Sachsen [* 34] (1432), in Speier und Zürich (1435), in Mainz (1438), Augsburg [* 35] (1439), in ganz Bayern (1450) und auf Veranlassung des fanatischen Reisepredigers, des Franziskanermönchs Johann von Capistruno (1452-55), in Schlesien [* 36] nach den üblichen Plünderungen neue Austreibungen statt.
Auch die Schweiz [* 37] hat seit 1348 und Steiermark seit 1496 Judenverfolgungen aufzuweisen (Winterthur und Schaffhausen [* 38] 1401, Zürich 1442, wo ihnen später [1451 und 1490] der Aufenthalt gestattet wurde, Genf [* 39] 1490, Thurgau 1491). Die Baseler Kirchenversammlung von 1434 verpflichtete zur thätigen Judenbekehrung. Mit der seit dem 13. Jahrh. immer mehr um sich greifenden Entehrung ging das innere Leben der J., das sich bis dahin in seltener Weise entfaltet hatte, einem allmählichen Verfall entgegen. In der Abgeschiedenheit des Mittelalters verkümmerte wohl die Sprache [* 40] der J. zu einem verderbten Jargon (s. Jüdisch-deutscher Dialekt); aber der Geist blieb frisch, förderte Sittenreinheit, Opferfreudigkeit, Gemeinsinn, Fleiß, Wohlthätigkeit und vor allem jene seltene Kraft [* 41] des Duldens, die bis in die neueste Zeit hinein sich noch oft bewähren mußte.
e) Geschichte der Juden in der Neuzeit.
Politisch und geistig unfrei finden wir zu Anfang des 16. Jahrh. die J. in
Arabien,
Indien, in der
Bucharei,
Tatarei und in
Abessinien.
Nordafrika hatten sie schon bei den Verfolgungen auf der
Pyrenäischen Halbinsel aufgesucht
und sich in den dort zahlreichen
Judengemeinden niedergelassen. Mulei Archei nahm sich der J. in
Fes und
Tafilet Mitte des 17. Jahrh. an; in
Marokko
[* 42] wird die
jüdische
Bevölkerung
[* 43] von einem
Scheich und zwölf Abgeordneten der
Städte vertreten; in der
Berberei und
Algier wurden sie bedrückt, hier seit 1830 unter französischer Herrschaft befreit.
Die Türkei, [* 44] wohin sie von Spanien [* 45] aus sich wandten und große Gemeinden in Konstantinopel, [* 46] Salonichi, Smyrna, Adrianopel, Damaskus u. a. O. bildeten, zeigt uns die J. als einflußreiche Handelsherren und Fabrikanten, durch die Gunst der Sultane (Selim, Soliman I.) auch zu Staatsämtern (Joseph Nasi [gest. 1579] sogar zum Herzog von Naxos) erhoben. Hier aber verflachte sich das anfangs blühende wissenschaftliche Leben im Studium der Kabbala (s. d.), wodurch es möglich wurde, daß Schwärmer, wie Rubeni und Molcho, Glauben und Anhang fanden. Der kabbalistischen Richtung huldigten auch Sabbatai Z'wi (s. d.) aus Smyrna (1648) und die Sekte der Sabbatäer, woraus im 18. Jahrh. die beiden andern Sekten, die der Frankisten, gestiftet von Joseph Frank, und die der Chasidäer, gestiftet von Israel Baalschem, hervorgingen. Unter dem Druck türkischer Beamten haben die J. in Palästina, [* 47] unthätig und von Unterstützungen lebend, ihre traurige Lage bis heute nicht ändern können. ¶
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Nach Italien brachte die bekehrungssüchtige Inquisition harte Judengesetze mit; für die jüdischen Schriften wurden nach Einführung der Zensur die Scheiterhaufen (z. B. in Rom, [* 49] Venedig, [* 50] Bologna 1553-60), für die J. selbst die Ghettos (s. oben) errichtet (zuerst Venedig 1516), in welchen sie mit wenigen Ausnahmen (Padua [* 51] 1684) vom Pöbel unbehelligt wohnten. In der Schweiz, wo sie nur in einigen Kantonen geduldet wurden, sind sie aus Basel [* 52] 1616, Appenzell [* 53] 1622, Zürich 1634, Schaffhausen 1655 ausgewiesen worden.
Peter I. ließ die J. in Rußland wieder zu, Elisabeth vertrieb sie (1743), Katharina II. gestattete nochmals ihre Ansiedelung. Die J. in Polen, welche während des Mittelalters aus Deutschland [* 54] Zuwachs erhielten, waren zu Anfang des 17. Jahrh. politisch gut gestellt, vermittelten den Verkehr, trieben neben Ackerbau Gastwirtschaft, Handel und Handwerk, blieben unbehelligt von der Zensur und hatten eigne Gerichtsbarkeit. Furchtbar hatten sie während der Kosakenverfolgung unter Chmelnizky (1648-61) in Polen, Podolien, Wolhynien, der Ukraine und Litauen zu leiden.
Vor den Schergen der Inquisition und andern Peinigern fanden Scheinchristen (s. oben) und J. in Frankreich (Bayonne und Bordeaux [* 55] 1550) und in Holland Aufnahme, gründeten in den Niederlanden Gemeinden und wurden Mitbeförderer des blühenden holländischen Handels. In England fanden, auf Verwendung des gelehrten Menasse ben Israel (s. d.) aus Amsterdam [* 56] bei Cromwell, J. wieder Aufnahme (1655), während auf der Pyrenäischen Halbinsel die Autodafees (Glaubensakte der Hinrichtung) für Ketzer und J. fortdauerten. Holländische [* 57] J. wanderten 1642 nach Brasilien, [* 58] englische 1639-64 nach Cayenne.
In Deutschland kamen der von der Reformation erzeugte freiere Geist und die Mahnung Luthers (in seiner 1523 erschienenen Schrift »Daß Christus ein geborner Jude sei«),
die J. als Blutsfreunde und Brüder zu behandeln, christliche Liebe an ihnen zu üben, sich ihrer freundlich anzunehmen und sie mit werben und arbeiten zu lassen, den Unterdrückten so bald nicht zu gute. Man beschuldigte sie immer noch, Hostien geschändet (Joachim von Brandenburg [* 59] ließ deshalb 1510 in Berlin [* 60] 30 J. verbrennen und verwies alle andern seines Landes) und Christen gemordet zu haben, nahm nur eine beschränkte Zahl auf und vertrieb die andern oder duldete sie an manchen Orten gar nicht.
Die Zünfte und viele Handelszweige blieben ihnen immer noch verschlossen, die lästigsten und entehrendsten Gesetze behielten Rechtskraft, und die mannigfachsten Abgaben (über 60 verschiedene Steuern) wurden von ihnen erhoben. Trotz des von Karl V. ihnen gewährten Reichsschutzes wurden sie 1551 aus Bayern, 1555 aus der Pfalz, 1573 aus der Mark, 1670 aus den österreichischen Erblanden vertrieben. Die österreichischen J. wurden in der Mark von Friedrich Wilhelm II. 1671 aufgenommen.
Unduldsame Judenordnungen finden sich noch bis in die Mitte des 18. Jahrh., so in Preußen [* 61] 1730 und 1750, in Bayern 1732, Dresden [* 62] 1746 und 1772, Leipzig [* 63] 1682 und in Österreich 1755. Der Anfang ihrer geistigen und politischen Befreiung fällt in das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts. Moses Mendelssohn (s. d.) hat durch seine litterarische Thätigkeit zur geistigen Hebung [* 64] der J. ungemein viel beigetragen; er hat in einer Zeit, in welcher bereits die Philosophie für die Freiheit der Menschheit eingetreten war, mit gleichgesinnten Freunden, wie Dohm und Lessing, unermüdlich für ihre Besserstellung gearbeitet und durch sein Wirken Emanzipationsbemühungen in Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden angeregt.
Die Zeitverhältnisse waren diesen Bemühungen günstig. Die französische Nationalversammlung, in der Mirabeau für die J. sprach, proklamierte diese 1791 als französische Bürger. Napoleon hat durch die Einberufung einer Notabelnversammlung unter dem Vorsitz Furtados (1806) und die Bildung eines aus 71 Personen bestehenden Synedrions, dem David Sinzheim präsidierte, ihre Verhältnisse geregelt. Ist ihr Bürgerrecht auch vorübergehend beschränkt worden (1808), so ist es doch während der Revolutionszeiten (1830 und 1848) nicht geschmälert, sondern erweitert worden (Gleichstellung der Rabbiner mit den übrigen Geistlichen). Gleiche Fortschritte machte die Emanzipation der J. in Belgien [* 65] und Holland nach der Vereinigung mit Frankreich, wo ihre vollständige Gleichstellung aber erst durch das Grundgesetz von 1814 ausgesprochen wurde. In demselben Jahr wurden sie in Dänemark [* 66] emanzipiert.
Die russische Regierung gewährte den J. (1805-1809) viele gewerbliche Freiheiten, erlaubte ihnen den Besuch höherer Lehranstalten, förderte die Errichtung jüdischer Schulen u. gestattete einem Juden aus Sklow, Nahum Funkelstein (1808), die Anlegung jüdischer Kolonien bei Nikolajew, wo J., wie in Kaukasien und Grusien, vom Ackerbau leben (vgl. Elk, Die jüdischen Kolonien in Rußland, Frankf. a. M. 1886). Die harten Maßregeln gegen polnische Unterthanen jüdischen Glaubens sind wohl mehr aus politischen als aus glaubensfeindlichen Gründen zu erklären; letztern verdankten freilich die Petersburger J. ihre harte Behandlung, die in Kiew [* 67] ihre Vertreibung (1843). Alexander II. war bemüht, die Lage seiner jüdischen Unterthanen zu verbessern; mit seinem Tod wurden die russischen J. rechtlos.
Kaum hatte Alexander III. den Thron [* 68] bestiegen und Ignatiew zum Minister ernannt, so wurde ein Teil des Zarenreichs von der antijüdischen Bewegung ergriffen. Um die Osterzeit 1881 wurden die J. im Süden und Westen Rußlands (Warschau, [* 69] Kiew, Odessa, [* 70] Jelissawetgrad, Jekaterinoslaw u. a. O.) mißhandelt, getötet, beraubt; ihre Wohnstätten wurden verbrannt oder sonstwie zerstört. Die verfolgten Opfer fanden keinen Schutz der Regierung und wanderten in benachbarte Länder, durch Hilfe ihrer Glaubensgenossen nach Palästina und Amerika; [* 71] viele Vertriebene wurden später repatriiert.
Das vom Zaren einer Deputation Petersburger J. (unter Führung des Barons Günzburg) gegebene Versprechen, der elenden Lage der russischen J. ein Ende zu machen, ist noch nicht erfüllt worden. In Österreich sind die Grundsätze des Toleranzedikts Kaiser Josephs II. von 1782, welche die Hebung des gedrückten Volkes bezweckten, es für Landwirtschaft und Gewerbe, besonders aber für deutsches Leben und deutsche Sitten gewinnen sollten, in der Folge nur langsam zur Geltung gekommen.
Heute sind die J. des österreichischen Kaiserreichs gleichberechtigt mit den übrigen Staatsbürgern. Deutschland wurde durch die französische Revolution zur Judenemanzipation gedrängt. Nachdem diese bereits 1808 in den von Frankreich behaupteten deutschen Gebietsteilen erfolgt war, ward sie auch in Hessen [* 72] (1808), Frankfurt (1811), in Baden [* 73] (1808 und 1811) und Preußen durch das Edikt vom durchgeführt. Trotz des Art. 16 der deutschen Bundesakte, welcher bestimmte, daß die Lage der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland übereinstimmend zu regeln sei, fand eine solche Regelung in den einzelnen Ländern nur langsam ¶