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Exilarchen, der unter den Kalifen fürstliches Ansehen genoß, und dessen Amt schon seit langem das Ziel des Ehrgeizes und der Reichen war, vertreten. Die Vertretung der rechtlichen und religiösen Interessen der J. lag dem Gaon, d. h. Exzellenz, ob. Von diesen Geonim fungierte Mar Isaak, nach der Einnahme von Firuz Schabur vom Kalifen bestätigt, als erster in Sura. Parteilichkeiten sollen die Bildung einer antirabbinischen Sekte im Judentum, der Karäer (s. d.), welche die Schrift ohne die Tradition erklärten, unter Anan ben David (761) veranlaßt haben. Mit der Entstehung des Karaismus fällt die angebliche Bekehrung der Chasaren (Kusarim) und ihres Chagans Balan der Zeit nach zusammen. Das Chasarenreich stand einige Jahrhunderte unter einer jüdischen Regierung, ward um 969 von dem russischen Großfürsten Swajatovslaw von Kiew [* 2] besiegt und nach abermaliger Erhebung 1016 von Russen und Byzantinern völlig ausgelöst.
In den Euphratländern wohnten J. in Neu-Ninive (Mosul) und Bagdad, von den Kalifen beschirmt. Mohammed Almuktafi (1136-60) räumte einem angesehenen, gelehrten Juden das Exilarchat mit dem Sitz in Bagdad für das ganze Kalifat wieder ein. Dem Exilarchen lag ob die Anstellung der Geistlichen und Richter, die Einziehung verschiedener Abgaben, von denen er den größten Teil empfing. Den J. in Jemen ward 1172 von den Schiiten (s. d.) der Islam aufgedrungen, dem sie nur äußerlich dienten.
Die ägyptischen J. standen unter einem eignen, vom Kalifen bestätigten Oberhaupt, dem Nagid, welcher gegen festen Gehalt von den Gemeinden (Kairo, [* 3] Alexandria, Damar, Machale u. a.) dieselbe Amtsthätigkeit wie der babylonische Exilarch übte. In Kleinasien, Syrien und Palästina [* 4] zählte man in den vom Christentum beherrschten Gebieten weniger J. als in den unter dem Islam stehenden Bezirken. Im christlichen Antiochia waren die wenigen J. Glasarbeiter, die zahlreichern J. in Tyros trieben Landwirtschaft, die in und um Palmyra zeigten kriegerischen Sinn in ihren Fehden mit Christen und Mohammedanern, unter den J. in Damaskus waren viele Talmudgelehrte. Die Beseitigung der Würde eines Resch galuta infolge von Wahlstreitigkeiten hob vollends die äußere Einheit der J. des hochasiatischen Morgenlandes auf. Unter den Mongolen, welche 1258 mit der Eroberung Bagdads dem Kalifat ein Ende machten, verschlimmerte sich die Lage der J. nicht.
d) Geschichte der Juden während des Mittelalters bis zu ihrer Vertreibung aus Spanien.
Mit der Bevölkerung [* 5] Spaniens, das J. schon als römische Bürger zahlreich bewohnten, lebten sie in vollem Einvernehmen, bis die katholische Geistlichkeit (Konzil von Illiberis 320) die freundschaftlichen Beziehungen zu lösen versuchte. Die arianischen Westgoten gewährten ihnen volle Gleichheit und verwandten sie gern im öffentlichen Dienste. [* 6] Die Beschränkungen (Verbot des Sklavenhaltens, der Mischehen und Ausschluß von jeder öffentlichen Amtsthätigkeit) durch den König Reccared (590), Glaubenszwang und Vertreibungen seitens der Könige Sisebut (612) und Chintila (638) änderten das glückliche Verhältnis, das erst, nachdem der den J. feindliche Roderich in der Schlacht bei Jeres de la Frontera (711) den Arabern unterlegen war, durch diese wiederhergestellt wurde.
Den J., welche nur eine Kopfsteuer zu bezahlen hatten, ward Religionsfreiheit und eigne Gerichtsbarkeit zugesichert. Die Verbesserung ihrer politischen Lage erweckte in ihnen den Eifer, sich voll und ganz am wissenschaftlichen Leben zu beteiligen, das sich hauptsächlich um Philosophie, Philologie und Poesie bewegte. Der gelehrte Arzt Chisdai ben Isaak war unter den Kalifen Abd ur Rahmân III. und Alhakim (961-976) als Finanzmann beschäftigt, als Nasi (»Oberhaupt«) der J. hoch geschätzt.
Ihm folgte in dieser Würde unter dem Kalifen Haschim der Besitzer einer großen Seidenweberei, Jakob ibn Gau. Die Abhängigkeit der J. von den morgenländischen Akademien hörte auf, als das Talmudstudium durch Männer wie Moses aus Cordova u. a. größere Verbreitung fand. In Malaga, [* 7] wohin er vor den Berbern, die um 1020 Cordova verwüstet hatten, geflohen war, bekleidete Samuel ha Levi, genannt Hanagid, »der Fürst«, die Würde eines Ministers; ähnliche Vergünstigungen wurden vielen J. zu teil.
Vorübergehend hatten die J. in Granada [* 8] (1066) Verfolgungen zu erdulden, waren aber im übrigen Spanien [* 9] so ziemlich geschützt. Alfons VI. von Kastilien, welcher den ersten Schlag gegen die mohammedanische Herrschaft führte, bediente sich jüdischer Diplomaten, führte die Gleichheit der J. vor dem Gesetz durch, vertraute seine Person und Politik einem jüdischen Leibarzt und kehrte sich nicht an den Unwillen des Papstes Gregor VII., der auf dem Konzil zu Rom [* 10] (1078) neue Judenbeschränkungen durchgesetzt hatte; ja, er sicherte den J. Toledos, das er 1085 eroberte, die verbürgten Freiheiten.
Die J., welche unter Almorawidischer Herrschaft einflußreiche Stellungen bekleideten und geschützt waren, wurden nach dem Fall der andalusischen Hauptstadt Cordova (1148) von den über Nordafrika im südlichen Spanien vordringenden Almohaden zum Islam oder Exil verurteilt. Das geistige Leben der J. stand jetzt auf hoher Stufe (s. Jüdische Litteratur, S. 296 f.). Kastilien, Leon, Aragonien und Navarra boten den zahlreichen J. eine meist ruhige Heimat. Die J. aus der kastilischen Hauptstadt Toledo, [* 11] die von über 12,000 J. bewohnt wurde, waren unter Alfons VIII. (1166-1214) ihrer Bildung und Begabung wegen protegiert.
Alfons X. (1252-84) ließ sich von einem jüdischen Leibarzt behandeln und die astronomischen (Alfonsinischen) Tafeln von einem Juden bearbeiten. In Aragonien, das sie anfangs geschützt hatte, dauerten unter Jakob I. auf Betrieb der Dominikaner auch nach der erfolglosen Disputation zu Barcelona [* 12] (1263) zwischen Nachmanides und dem Konvertiten Pablo Christiani Bekehrungsversuche und Bedrückungen fort. Ziemlich ruhig verfloß für die J. Spaniens, abgesehen von den Verfolgungen in Navarra (1328) und bei Anschuldigung der Brunnenvergiftung (1348) in andern Gemeinden, das Leben und war bis auf die Greuel des Bruderkriegs zwischen Peter dem Grausamen und Heinrich von Trastamara (1366-69), an dem sich auch kastilische J. beteiligten, erträglich. 1391 predigte der Erzbischof von Niebla in Sevilla [* 13] gegen die J., und der aufgereizte Pöbel fiel hier sowie in Cordova, Gerona, Ascelona, Barcelona, in andern spanischen Städten und auf den Balearischen Inseln über sie her.
Die dem Verderben Entronnenen flüchteten sich meistens nach Nordafrika und waren dort glücklicher als ihre Brüder in Spanien, welche zum Schein sich taufen ließen; denn diese Neuchristen (Anussim, Marannen, s. d.) wurden mit Mißtrauen betrachtet und verfolgt, so daß sie häufiger die Flucht oder, zum alten Glauben zurückgekehrt, das elende Schicksal ihrer Glaubensgenossen erwählten. 1412 in besondere Stadtviertel (Juderias) zurückgedrängt, durch Bekehrungsversuche (unter andern Disputation von Tortosa vom Februar 1413 bis November ¶
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1414, 68 Sitzungen umfassend), Judengesetze und Abzeichen an der Kleidung entwürdigt, mußten sie in der 1480 förmlich eingeführten Inquisition den größten Feind sehen. Nach dem Fall Granadas (1491) erwirkte der Großinquisitor Torquemada trotz der Bemühungen des hochgeachteten frühern Finanzministers Isaak Abravanel vom König Ferdinand V. ein Ausweisungsdekret, welches mit 2. Aug. ablief, und dem zufolge mehr als 300,000 J. heimats- und besitzlos auswandern mußten. Sie flohen nach Marokko, [* 15] der Berberei, Italien, [* 16] der Türkei [* 17] und Portugal, arm und verachtet, namenlosem Elend preisgegeben. Hier, in Portugal, endeten die guten Zeiten, welche die J. namentlich unter Sancho II. (1223-45) und Dionysius (1279-1325) erlebt hatten, nach Alfons' V. (gest. 1481) Tod.
Wie die spanischen J., hatten auch sie unter dem fanatisierenden Einfluß der Geistlichkeit zu leiden. König Johann II. hatte die Flüchtlinge aus Spanien gegen hohe Geldsummen auf acht Monate in Portugal aufgenommen, duldete sie aber nicht länger im Lande. Die einheimischen J. wurden unter Johanns II. Nachfolger, dem früher judenfreundlichen Emanuel d. Gr., 1495 aus Portugal verjagt. Der Inquisition gelang es hier und in Spanien, ihre Wut gegen die Scheinchristen ein Jahrhundert später zu kühlen und sie zur Auswanderung zu zwingen. Die Niederlande [* 18] boten den meisten dieser getauften J. eine neue Heimat.
Justinian (527-565) beschränkte im ganzen byzantinischen Reich die den J. gewährten Freiheiten, stellte sie den Ketzern gleich, schloß sie von allen Ehrenämtern, insofern dieselben nicht mit bedeutenden Lasten verknüpft waren, aus und suchte sie zu bekehren, welche Politik seine Nachfolger Justinus II., Heraklios, Leo der Isaurier fortsetzten. Heraklios erneuerte nach der Vertreibung der Perser, für welche die J. Partei genommen hatten, 628, kurz bevor Palästina, Syrien und Ägypten [* 19] von den Arabern erobert wurden, das Hadrianische Edikt, nach welchem kein Jude Jerusalem [* 20] betreten durfte, und nötigte viele J., nach Ägypten auszuwandern.
Ende des 8. Jahrh. zogen viele verfolgte J. in das Chasarenland (s. oben). Die spätern politischen Ereignisse des byzantinischen Reichs, welches zahlreiche jüdische Gemeinden in Thessalien, Makedonien, Thrakien zählte, trafen auch die J. mit. In Korinth, [* 21] Lepanto, Negroponte, Salonichi, Gallipoli, auf Mytilene, Chios, Samos, Rhodos, in Theben, wo geschickte jüdische Seiden- und Purpurfabrikanten waren, in Konstantinopel [* 22] (im Judenquartier [Stanor] Peras) hat der Pöbel die nicht unter dem Schutz des Gesetzes stehenden J. oft genug ungestraft mißhandeln dürfen.
Mit der Gründung des Ostgotenreichs konnte sich die Lage der J. in Italien nicht wesentlich verschlimmern. J. wohnten bereits zahlreich in Rom, Mailand, [* 23] Genua, [* 24] Verona, [* 25] Ravenna, Neapel, [* 26] Salerno, Trani, Otranto, Tarent, Palermo, [* 27] Messina, [* 28] Agrigent und in andern Ortschaften, weniger zahlreich im geschäftsstillen italienischen Norden, [* 29] in Lucca, [* 30] Mantua, [* 31] Pisa [* 32] und Venedig. [* 33] Auch die Herrschaft der Langobarden brachte ihnen keinen Nachteil. Ebenso haben sie unter den fränkischen Herrschern, abgesehen von oft wiederholten Bekehrungsversuchen des Klerus und von lokalen Verfolgungen (Bologna 1171), ruhig gelebt.
Später waren sie verpflichtet, jedem neuen Kaiser und Papst, unter dessen Schutz sie standen, zu huldigen. Seit dem 13. Jahrh. mußten sie laut Konzilbeschlusses Abzeichen tragen, seit dem 15. Jahrh., angeblich zu ihrem Schutz, in einer abgeschlossenen Stadtgegend (Ghetto) wohnen. Vollständig frei lebten sie später in Venedig und Livorno, [* 34] von Ferdinand I. geschützt. König Robert von Neapel bewahrte ihnen seine Zuneigung bis über das Grab hinaus. Auch die meisten Päpste haben die J. mild behandelt, so Gregor I., Alexander II., Alexander VI., welcher spanische Emigranten in Rom aufnahm, Innocenz VIII. u. a. Dagegen haben Gregor VII., Innocenz III., der sie des geheimen Verkehrs mit den Albigensern verdächtigte, die härtesten Beschlüsse auf den Konzilen gegen sie durchsetzte und die ihnen gewogenen Fürsten, wie Raimund VI. von Toulouse [* 35] und Roger von Béziers, maßregelte, u. a. einen feindlichen Standpunkt gegen die J. eingenommen. Unter dem Schutz gebildeter Herrscher glänzten in Italien bedeutende jüdische Gelehrte und Dichter; die jüdische Jugend studierte auf den Universitäten, und der italienische Handel nahm durch die J. einen bedeutenden Aufschwung. Von der Insel Sizilien, [* 36] wo sie frei unter Arabern und Normannen gelebt hatten, wurden sie 1493 von Ferdinand dem Katholischen vertrieben.
Frankreich mögen J. wohl schon vor oder zu der Zeit Cäsars aufgesucht haben. Sie wohnten früher in der Auvergne, in Carcassonne, Arles, Orléans, [* 37] Paris, [* 38] Marseille, [* 39] Béziers und Narbonne. Ihre römischen Rechte sind ihnen auch in der ältesten fränkischen und burgundischen Verfassung nicht geschmälert worden. J. waren Handwerker, Ökonomen, Kaufleute, die oft eigne Schiffe [* 40] besaßen, Ärzte und Krieger und standen mit der Bevölkerung in freundschaftlichem Verkehr, den freilich die Geistlichkeit später zu stören suchte.
Sie war es auch, welche die merowingischen Herrscher gegen die J. einnahm und die letzten Karolinger sowie die Kapetinger ihnen abgeneigt machte. Im südlichen Frankreich, in der Provence und Languedoc, standen die J. in regem geistigen Verkehr mit ihren Volksgenossen in Spanien, trieben Ackerbau und bedeutenden Handel, wurden aber nicht selten von den Launen der Grafen und den Bekehrungsversuchen der Bischöfe (Agobert von Lyon [* 41] 830) behelligt. Karl d. Gr. hat mit seinem klaren politischen Blick die Bedeutung seiner jüdischen Unterthanen gewürdigt und zur sozialen Hebung [* 42] derselben beigetragen; er gab sogar einer Gesandtschaft an Harun al Raschid einen Juden bei, erbat sich vom Kalifen einen jüdischen Gelehrten und erhielt ihn in R. Machir, der in Narbonne eine talmudische Akademie gründete.
Für Belehrung und Einrichtung einer regelmäßigen Gemeindeverfassung seiner jüdischen Unterthanen in Deutschland [* 43] soll Karl aus Lucca die gelehrte Familie Meschullams ben Kalonymus nach Mainz [* 44] berufen haben. Die von Karl begründeten Verhältnisse gestalteten sich unter Ludwig dem Frommen, dessen Gemahlin Judith eine besondere Vorliebe für das Judentum zeigte, noch günstiger: er schützte die J. gegen die Anmaßungen der Vasallen und Geistlichen, gewährte ihnen Freizügigkeit, gab ihnen Privilegien in Bezug auf Handel und Gewerbe und ließ von einem Magister Judaeorum ihre Angelegenheiten verwalten.
Nach dem Vertrag von Verdun [* 45] (843) sanken die J. desto mehr in das Elend, je höher die Macht der Herzöge und der Kirche stieg und diese, mit der Reichsregierung vereint, Jagd auf ihr Vermögen machten und der Wut des Pöbels, der bei falschen Anschuldigungen und sonst wiederholt über sie herfiel, freien Lauf ließen. Die Kapetinger Ludwig VI. und Ludwig VII. (1108-80) thaten viel für die Sicherheit der J. in Frankreich; sie gaben ihnen ausgedehnte Rechte, eigne Bürgermeister (prévóts). Mit Philipp August, der sie anfangs begünstigte, wandte sich aber in Frankreich das Glück der J. Eingekerkert, ¶