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Wohlthaten werden erlebt, wo sein Wort empfänglichen Boden findet. Wenn gerade solche Vorkommnisse von der Berichterstattung mit Vorliebe erfaßt und je länger, desto sagenhafter durchgebildet werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß derselbe wundersüchtige Trieb schon im geschichtlichen Leben Jesu selbst wirksam war und bald nach dem ersten Auftreten Jesu ihm trotz seiner abweisenden Erklärung (Matth. 16, 4;. Mark. 8, 12). selbst fortwährend neuere und größere Wunder ab- und ansah, zumutete und aufdrang (s. Evangelium).
Was aber die geschichtliche Beurteilung dieser Elemente im Leben Jesu betrifft, so ist alles gesagt, wenn man liest, daß solche »Wunder« geschahen, selbst ohne daß Jesus sie beabsichtigte (Mark. 5, 25. f.); daß er selbst in solchem Fall ebenso bescheiden wie wahr spricht: »Dein Glaube hat dir geholfen« (Mark. 5, 34);.
daß dagegen, wo er keinen Glauben fand, auch die Erfolge ausblieben, zum Teil zu seiner eignen Verwunderung (Mark. 6, 5. 6).
Er selbst hatte es auf eine Wirksamkeit durch das Wort abgesehen, das »Zeichen des Propheten Jonas«, welches hingereicht hatte, die Niniviten zur Umkehr zu bewegen. »Gottesreich, Vater und Menschensohn« - um das Dreigestirn dieser Grundbegriffe bewegte sich fortwährend der Himmel [* 2] seiner religiösen Gedankenwelt. Daß er dabei, um sein persönliches Sohnsbewußtsein zum Ausdruck zu bringen, gerade den dunkeln und vielgedeuteten Ausdruck »Menschensohn« (s. d.) wählte, beruht natürlich keineswegs auf einer Unterscheidung, welche er selbst etwa im Sinn der Kirchenlehre zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur getroffen hätte, sondern der gewählte Ausdruck deutet irgendwie die menschheitliche Wendung an, welche der jüdisch-partikularistische Messiasbegriff in seinem Mund annehmen sollte. Im Sinn des wahrhaft menschheitlichen Elements, welches er z. B. Mark. 2, 28,. wo er als Vertreter aller Rechte und Würde des Menschen erscheint, betont, faßte er seine Messianität auf, ohne dieselbe darüber im geringsten abzulösen von dem volkstümlichen Lebensgrund der alttestamentlichen und jüdischen Vorstellungswelt, welche vielmehr so sehr auch den Rahmen seiner eignen Vorstellungen bildete, daß er die Tragweite seiner eignen Wirksamkeit sowie diejenige seiner Jünger zunächst nicht über die Grenzen [* 3] des Volkes Israel ausgedehnt dachte (Matth. 10, 5. 6. 23; 15, 24).
Die Anerkennung, daß das messianische Heil unmittelbar auch für die Heiden bestimmt sein könne, ist nachweisbar von ihm selbst erst mit Deutlichkeit ausgesprochen worden beim Abschied aus Galiläa (Luk. 13, 25-30). und in Jerusalem [* 4] (Matth. 21, 41. 43). Während der ersten galiläischen Zeit dagegen ist Jesus ganz der echte Sohn seines Volkes, und die im Munde des letztern gebräuchlichen Bezeichnungen der Heiden sind auch ihm selbst nicht fremd geblieben (Matth. 7, 6;. 15, 26); auch die weltbürgerlichen Ideen, welche damals durch die Welt gingen, übten keinen nachweisbaren Einfluß auf ihn aus, das römische Staatsleben sowenig wie die griechische Wissenschaft.
Erst als der Himmel über seinem galiläischen Paradies anfing, trüber zu werden, als die dunkeln Wolkenschatten der pharisäischen Opposition und hierarchischen Verfolgungssucht darüber hinliefen und auch der Volksanhang anfing, seinen jederzeit zweifelhaften Charakter zu offenbaren, verändert sich allmählich die Stellung Jesu. Zwei Reiseunternehmungen, die Jesus von Kapernaum, seinem gewöhnlichen Aufenthalt, nach Osten und nach Westen unternahm, fanden ein unerwartet rasches Ende, indem die Bewohner des östlichen Seeufers sich seine Anwesenheit verbaten, die Einwohner von Nazareth dagegen, denen er als treuer Mitbürger die Zeichen der Zeit zu deuten sich verpflichtet glaubte, an der ihnen wohlbekannten niedern Herkunft und den das Gewöhnliche nicht übersteigenden Eindrücken, die sie aus seiner Jugend und von seiner Familie bewahrt hatten, Anstoß nahmen. Es begannen die Enttäuschungen, die feindlichen Zusammenstöße, die Rückzüge, wie wir denn in der That Jesum von jetzt an weniger ständig in Kapernaum, öfters dagegen am einsamen Nordufer des Sees, auch wohl in der am Einfluß des Jordans in den See gelegenen Stadt Bethsaida finden.
Die Opposition der eigentlichen Führer des Volkes, der pharisäischen Schriftgelehrten und Synagogenvorstände, hatte er hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß er im Sinn einer freien und gesunden, von innen kommenden Sittlichkeit sich über den ganzen unabsehbaren Kranz von Satzungen und Observanzen hinwegsetzte, mit welchen sie das Leben des Menschen auf Schritt und Tritt umgeben und zum mühseligsten Werkdienst herabgewürdigt hatten; daß er ferner trotz aller in der Sache nie verleugneten Pietät gegen das mosaische Gesetz doch dieselbe Kritik unbefangen auch an der gesamten Außenseite desselben übte und namentlich in dem Bewußtsein, daß nicht der Sabbat, sondern der Mensch Selbstzweck sei (Mark. 2, 27),. sich freien Geistes von aller Qual und Knechtung lossprach, welche die altheilige, im Lauf der Jahrhunderte nur immer peinlicher gewordene Sabbatsitte mit sich führte; daß er endlich die ganze Art von Sittlichkeit, womit die Pharisäer durch äußerliche Befolgung zahlloser kleinlicher Gebote und Verbote das Heil des messianischen Regiments für das Volk und das ewige Leben für den Einzelnen dem Himmel abzuringen und abzuzwingen gedachten, als ein ungenießbares, mühsames Gebräu, als ebenso fadenscheinigen wie hochmütigen und prunkenden Werkdienst, als einen durchaus zerfetzten und überall durchlöcherten Tugendmantel kennzeichnete, dem gegenüber er sogar die traurige Blöße des seiner Schuld bewußten und nach Vergebung seufzenden, aber auch seinerseits zur Vergebung geneigten Sünders als kostbar und vor Gott wertgehalten bezeichnete. »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!« Und das »leichte Joch«, das er ihnen anstatt des schweren auflegen will, besteht nicht etwa in einer neuen, verbesserten Auflage des Gesetzes, sondern in der Aneignung des sittlich-religiösen Gehalts seines ganz in der Richtung auf das Reich Gottes aufgehenden Lebens: »Lernet von mir«.
Je länger, desto vernehmbarer machen sich daher die Anklagen auf Zöllner- und Sünderfreundschaft, auf Entweihung des Sabbats, auf Bruch der überlieferten Satzungen, aus Widerspruch gegen das Gesetz geltend; es kommt in der Landschaft Genezareth, der eigentlichen Stätte seines bisherigen Wirkens, zu einigen herben Konflikten, infolge deren Jesus endlich im Spätherbst diese Zentralstätte seines Schaffens ganz aufgibt und den Winter über auf Fluchtwegen zubringt, die ihn bald westlich in das Gebiet der heidnischen Städte Tyros und Sidon, bald östlich in die Dekapolis, zuletzt auch nördlich an die Quellen des Kleinen Jordans, in die Nähe der glänzenden Stadt Cäsarea Philippi, führen. Hier richtete er, der bisher fast nur von seinem Werk und Reich, kaum je von seiner Person gesprochen hatte, die entscheidende Frage an den Kreis [* 5] der Zwölf, die ihm treu geblieben und bis dahin gefolgt waren, und jetzt entrang sich dem Munde des Sprechers derselben, des ¶
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galiläischen Fischers Simon, genannt Petrus, das richtige, von Jesus selbst herausgeforderte Wort und Bekenntnis, wonach sie in ihrem Meister niemand anders als den Messias selbst gefunden zu haben überzeugt waren.
Einstweilen war aber auch in der Seele Jesu eine neue Errungenschaft gemacht worden. Dem thatsächlich sich steigernden Unglauben des lauter Enttäuschungen bereitenden jüdischen Volkes war verheißend das religiöse Bedürfnis und manche erfahrene Empfänglichkeit der Heidenwelt gegenübergetreten; Samaritaner bewiesen mehr sittlichen Gehalt als Juden, der Hauptmann von Kapernaum, das kananäische Weib zeigten mehr Glaubenskraft, als er in Israel je gesehen hatte.
Jesus staunte, und in seinem Geist wurden um so lichter einzelne prophetische Worte, die ihm einen Beruf antrugen, welcher auch »die Heiden bringen sollte zu Gottes heiligem Berg«. Sein Geist rang sich los von den nationalen Schranken, wenngleich die Thränen, beim Anblick Jerusalems vergossen, beweisen, wie wenig leichten Herzens er das Gericht über sein Volk vollzog. Aber auch noch in einer andern Beziehung war es nicht mehr der alttestamentliche und nationale Messias, welcher bei Cäsarea Philippi aus der rätselhaften Hülle des »Menschensohns« ans Licht [* 7] trat.
Bereits damals stand der Todesentschluß fest, welcher daher auch dem aufsteigenden Messiasjubel der Jünger sofort als Dämpfer [* 8] entgegengesetzt wird (Mark. 8, 29-31). Jesus hatte verzichtet auf zeitlichen Erfolg. Die Tausende, die ihm noch immer zuströmten, die seine Worte und Thaten nach allen Winden [* 9] ausbreiteten, waren doch wieder Landsleute und Geistesverwandte jener Nazarethaner, unter welchen er eine der bittersten Erfahrungen seines Lebens gemacht hatte; sie waren nur die regbarsten Teile des sittlich rohen und harten Stoffes, woraus das ganze Volk gebildet war. Je länger, desto deutlicher trat an den Tag, daß das Volk in seiner überwiegenden Mehrheit sich nicht von der herrschenden Partei zu lösen vermochte, offen auf die Seite des Angreifenden sich zu schlagen nicht wagte, und so wurde denn in dieser letzten galiläischen Zeit der Gegensatz gegen die Farbenglut der nationalen Messiasträume in der That siegreich und bis dahin durchgekämpft, daß der Träger [* 10] des neuen, des sittlichen Messiastums, anstatt über die Höhen der Erde im Sturmschritt überwältigender Erfolge zu wandeln, vielmehr als demütiger und armer Diener der Menschheit das Kreuz [* 11] derselben zu schleppen und, erliegend unter der Last der heraufbeschwornen Feindschaft, an Einem Marterpfahl mit dem geringsten und zertretensten ihrer Glieder [* 12] zu enden entschlossen war.
Den Glauben an den gleichwohl im letzten Hintergrund stehenden, von und in Gott selbst verbürgten Sieg seiner Person und Sache, den Glauben an das »Reich Gottes« (s. d.) und seine Realisierbarkeit, rettete er, indem von nun an sich steigernde Weissagungen, in kühnster Bildlichkeit gehalten, eine glänzende Wiederkunft in Herrlichkeit in baldige, von Freunden und Feinden zu erlebende Nähe stellten. Dieser Glaube an die Wiederkunft in Herrlichkeit war somit die Form, in welcher der Widerspruch, an dem sein Messiastum zu scheitern schien, nämlich der Gegensatz des wirklichen Geschicks zu den messianischen Erwartungen und dem ganzen Gottesglauben des Volkes, sich wie für die älteste Gemeinde, so ohne Zweifel auch, falls nicht eine ganze Menge von Christussprüchen für unecht erklärt werden soll, für den Stifter derselben selbst ausgeglichen und ausgelöst hat.
Die lichte Zukunft im Auge, [* 13] hat Jesus die Katastrophe seines äußern irdischen Geschicks selbst heraufbeschworen. Denn wenn er nach längerm unsteten Aufenthalt im Norden [* 14] Galiläas, nach allen Erfahrungen, welche er über die Aufnahme seiner Reichspredigt beim Volk und über den Widerstand gegen sie bei den Gegnern gemacht hatte, den Entschluß faßte, vom Nordende seines Wirkungskreises aus in direktem Weg nach Süden Judäa und Jerusalem aufzusuchen, in der Hauptstadt selbst, am Sitz der Machthaber, zu erscheinen, zu deren herrschendem System seine ganze bisherige Wirksamkeit in dem entschiedensten Gegensatz stand, so kann dieser so folgenreiche Schritt nur aus der Überzeugung von der Notwendigkeit hervorgegangen sein, daß seine zur Entscheidung reife, nicht länger in der Schwebe zu haltende Sache nunmehr sich auch wirklich entscheiden müsse.
Als der Frühling wieder nahte, sehen wir ihn den letzten Abschied von Galiläa nehmen, bald darauf inmitten der Passahpilger in Jerusalem einziehen und bei dieser Gelegenheit die erste und letzte, ganz unmißverständliche messianische Demonstration wagen, ja sogar im Tempelvorhof selbst thätlich gegen die Praxis der bestehenden Autoritäten vorgehen. Die Katastrophe folgte fast auf dem Fuß nach, und schon die Sonne [* 15] des ersten großen Festtags der Osterwoche sah auf das Kreuz herab.
Jesus starb unter Vorangehen der kaltblütigen und grausamen sadduzäischen Priesterpartei, welche in ihm, dem Messias, zugleich die volkstümlichen, übrigens auch pharisäischen Reichsgedanken und Zukunftsschwärmereien treffen wollte und dabei den Vorteil hatte, von der pharisäischen Demagogie selbst thatkräftig unterstützt zu werden. Am letzten Abend vor seiner Verhaftung und Hinrichtung war er noch einmal mit dem engern Jüngerkreis allein, und hier war es, daß er in der unendlichen Ergriffenheit des Moments das letzte Mahl hielt, eine fortan zu seinem und des Opfers seines Lebens Gedächtnis festzuhaltende Liebes- und Opfermahlzeit, deren Gäste die errungene Gemeinschaft mit Gott, die Kindesstellung dem Vater gegenüber, die Vollendung des neuen Bundes der Gnade bis ans Ende der Tage fortfeiern sollten. Das Weitere s. Christentum und Christologie.
Litteratur.
Die Litteratur über das Leben Jesu ist seit 60 Jahren in steigendem Wachstum begriffen, schon an sich ein Zeichen einer Krisis, welche über das christliche Bewußtsein der Gegenwart hereingebrochen ist. Auf dem Standpunkt des ältern Rationalismus steht Paulus (»Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentums«, Heidelberg [* 16] 1828, 2 Bde.); ästhetisch-rationalistische Gesichtspunkte befolgt Hase [* 17] (»Das Leben Jesu, für akademische Vorlesungen«, 5. Aufl., Leipz. 1865; »Geschichte Jesu«, das. 1876). Die kritische Richtung konsequent verfolgend, hat Strauß [* 18] (»Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet«, Tübing. 1835-36, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840; für das deutsche Volk bearbeitet, Leipz. 1864; 4. Aufl. 1877) in scharfsinniger Polemik sowohl gegen die übernatürlichen Annahmen des Supernaturalismus als gegen die natürlichen Auslegungen des Rationalismus den faktischen Inhalt der Evangelien als Mythus aufgefaßt, in dessen vergrößerndem, durch alttestamentliche Vorbilder und messianische Erwartungen gebildetem Reflex nur wenige einfache Linien der geschichtlichen Wahrheit noch zu erkennen seien. Gleichzeitig mit Strauß hat Weiße (»Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch bearbeitet«, Leipz. 1838, 2 Bde.), von der Echtheit und Vorzüglichkeit des ¶