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Kultusangelegenheiten ist durch bestimmte Vorschriften geregelt. Den Übergang von dem stillen Gebet zu dem öffentlichen Gottesdienst bildet die unter dem Namen der geistlichen Übungen künstlich gegliederte Andacht. Den methodisch-didaktischen Leitfaden gewährt Loyolas »Geistliches Übungsbüchlein« (»Exercitia spiritualia«),
welchem schon 1548 Papst Paul III. mittels einer Bulle gleichsam kanonische Weihe, die Generalkongregation von 1594 aber weitere Ausführung verliehen hat. Es enthält eine nach vier Wochen, der religiös-geistlichen Dienstzeit, geordnete förmliche Anweisung zur Prüfung des eignen Gewissens und zum Beten, ganz dazu angethan, alle Willensfreiheit gänzlich niederzuschlagen und einen teils schwärmerisch fiebernden, teils leidenden Gemütszustand zu erzeugen, der jeden Eindruck des brüderschaftlichen Geistes duldet und den letzten Tropfen individuellen Bluts freudig der geistlichen Kelter überläßt.
Diese geistlichen Übungen konnten um so weniger ihre Wirksamkeit verfehlen, je planmäßiger das wissenschaftlich-pädagogische Element von dem Orden [* 2] entwickelt und für praktische Endergebnisse benutzt wurde. Wollte man den Siegesgang der Reformation aufhalten, so erschien vor allem wirksamste Konkurrenz auf dem Gebiet des Unterrichts notwendig. Von Anfang an hat daher der Orden sein Augenmerk auf die Erziehung und Bildung der heranreifenden Generationen gerichtet und das Gelübde des Jugendunterrichts in seine Ordensregel aufgenommen. Um möglichst viele Zöglinge zu gewinnen, ward der Unterricht möglichst wohlfeil, im Prinzip sogar unentgeltlich erteilt, und zwar den Kindern aller Stände.
Abgesehen aber war es besonders auf Söhne aus bessern Ständen und talentvolle Köpfe, und der allbestimmende, die ganze pädagogische Betriebsamkeit leitende Gedanke war der Ordenszweck. Hatte bei der Wiederaufnahme des Studiums des klassischen Altertums in Italien [* 3] und Deutschland [* 4] teils die ästhetisch-sprachliche, teils die kritisch-historische Seite das Übergewicht erhalten, so trat in den Jesuitenschulen der Humanismus, seinem geschichtlichen Charakter geradezu entgegen, in den Dienst des römisch-mittelalterlichen Kirchentums.
Freilich war es fast ausschließlich das Lateinische, nicht das Griechische, was die Gesellschaft pflegte. War doch das Latein zugleich Kirchen- und Gelehrtensprache des ganzen Abendlandes. Als solche paßte es vortrefflich zu den römischen Tendenzen des Ordens: die nationale Bildung ward überall zurückgedrängt und die katholische Theologie unumschränkte Königin der Wissenschaften. Die Ausbildung einer schlagfertigen Geistlichkeit und einer von Ehrfurcht vor dem priesterlichen Stand erfüllten, unterwürfigen Laienschaft, dies ist das Ziel aller Lehranstalten.
Ihre Grenzen [* 5] und Befugnisse, ihre Hilfsbücher, Arbeits- und Mußestunden, Strafen und Belohnungen etc., alles ist durch feste Vorschriften gegen Ungewißheit oder Willkür sichergestellt. Selbst in Dingen, welche nicht dem Glauben und der Frömmigkeit angehören, soll jeder Lehrer, auf eignes Urteil verzichtend, die Ansichten bewährter Meister und die Gebräuche katholischer Schulen darlegen. So wurden Aristoteles auf philosophischem, Hieronymus auf exegetischem, Thomas auf dogmatischem Gebiet Vorbilder des großen Gedankenregenten in Rom, [* 6] für dessen Dienst sie erzogen wurden.
Der unter dem General Aquaviva 1584 ausgearbeitete Studienplan (Ratio atque institutio studiorum societatis Jesu) lehnte sich so eng an humanistische Vorbilder, wie die Schulordnung des evangelischen Straßburgers Joh. Sturm und die Schola aquitanica (Collège de Guienne), an, daß er von der spanischen Inquisition getadelt und vom Papst Sixtus V. verworfen ward. Erst eine zweite Bearbeitung von 1599 erlangte wirkliche Geltung. Mit wenigen Zusätzen vom Jahr 1616 und einigen die Grundsätze nicht berührenden Änderungen des Generals Roothaan vom Jahr 1832 gilt die Ratio studiorum noch heute.
Nach ihr sind die der J. so eingerichtet, daß die niedern Studien (studia inferiora) den fünf oder sechs Gymnasialklassen (Principia, Rudimentum, Syntaxis, Humanitas, Rhetorica), die höhern Studien (studia superiora, d. h. Philosophie und Theologie) den beiden Lycealklassen (Facultas artium und Theologia) zufallen. Die drei untern Gymnasialklassen werden auch unter der Bezeichnung Grammatik, wie die beiden obern unter dem Namen Humanität zusammengefaßt.
Die Gymnasialklassen bis auf die zweijährige Rhetorik haben einjährigen Lehrgang. Die philosophischen Studium ^[richtig: Studien] sind auf zwei, die theologischen auf vier Jahre berechnet. Allenthalben suchte man den freiern Gebrauch der gewonnenen Kenntnisse und rhetorisch-dialektische Gewandtheit zu erzielen. Diesem Zweck dienten namentlich die sogen. akademischen Vereine, in welchen die Zöglinge unter der Vorsteherschaft eines Lehrers und nach ihren verschiedenen Stufen als Grammatiker, Humanisten, Rhetoriker, Philosophen, Theologen Aufgaben in mündlicher und schriftlicher Rede behandelten, Vorträge hielten und beurteilten, Sätze verteidigten und angriffen etc. Als Zuchtmittel gebrauchte man vorwiegend Ehrgeiz und Eitelkeit und führte nach den Kenntnissen und Sitten bestimmte Klassenplätze sowie Prämien ein.
Auch hier hatte jeder Schüler seinen Nebenbuhler und in ihm zugleich seinen Aufseher und Denunzianten. Auf Wetteifer (aemulatio) beruhte die ganze Disziplin. (Über jesuitische Erziehung vgl. Reinhold, K. L. Reinholds Leben, Jena [* 7] 1825, S. 5 ff.) So erhielt der Orden nach und nach einen Stamm von Zöglingen, welchen in den meisten katholischen Ländern die Leitung des Unterrichts zufiel, und die dabei einer religiös-körperschaftlichen Richtung folgten, deren Endergebnisse weniger der Wissenschaft als dem kirchlichen Leben förderlich werden mußten.
Der letzte Hebel [* 8] des wachsenden Einflusses des Jesuitenordens war endlich der, daß er die Mission oder Heidenbekehrung in den Bereich seiner Thätigkeit zog. Dies hatte schon in dem ursprünglichen Gedanken Loyolas gelegen, und in dem Mitbegründer des Ordens, Franz Xaver (s. d.) erstand ihm einer der größten und erfolgreichsten, Heidenmissionäre, die das Christentum aufzuweisen hat. Aber auch auf dem im äußersten Notfall betretenen Weg der den Deckmantel des Glaubenseifers umwerfenden Eroberung oder einer schlauen Handelspolitik haben die J. in Ost- und Westindien, [* 9] in Japan [* 10] wie in China und Abessinien dem Christentum und ihrer Gesellschaft Tausende von Anhängern gewonnen.
Dabei wandte man alle erdenklichen Mittel und Künste der Bekehrung an, verschmolz althergebrachte Vorstellungen und Gebräuche mit christlich-katholischen Begriffen und Gewohnheiten, bahnte sich in Ostindien [* 11] bald als christlicher Brahmane zu den Großen, bald als Freiheit verkündender Apostel zu den unterdrückten Volksmassen den Weg, trat in Japan als Lehrer und Vollstrecker eines strengen Sittengesetzes den wollüstiger Trägheit sich hingebenden Priestern entgegen und machte Partei bei dem der üppigen geistlichen Standesgenossenschaft grollenden Adel, gewann ¶
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in China durch Meßkunst und Sterndeuterei Eingang und Ansehen, übernahm im spanischen Südamerika [* 13] die Anwaltschaft der unterdrückten Eingebornen, handhabte gelegentlich auch das christliche Gebot der Bruderliebe durch Kampf wider Sklaverei und Gründung des sozialistisch-theokratischen Jesuitenstaats Paraguay. [* 14]
Geschichte und Ausbreitung des Jesuitenordens.
Nach dem Tode des Stifters zählte die Gesellschaft über 1000 Mitglieder: unter welchen sich jedoch nur 35 Professen befanden, 100 Wohnsitze (Häuser) und 14 Provinzen, von welchen 7 auf die Pyrenäische Halbinsel, wo sie sich am schnellsten ausbreitete, und die spanisch-portugiesischen Kolonien kamen. Andre und unter den folgenden Generalen neu hinzukommende Provinzen verteilen sich über Italien, Frankreich, Ober- und Niederdeutschland. Die Mittelpunkte der jesuitischen Wirksamkeit, die Kollegien, gingen, zumal da man überdies das Andenken der freigebigen Gönner durch Messen und Prunkfeste ehrte, meist aus freiwilligen Gaben und Schenkungen hervor. So stifteten z. B. Kaiser Karl V. zu Palermo, [* 15] der Bruder desselben, König Ferdinand, zu Prag, [* 16] Wien [* 17] und Innsbruck, [* 18] die Erzherzogin Magdalena, Ferdinands Schwester, zu Hall [* 19] Kollegien. In Spanien [* 20] wurde das 1542 gegründete Kollegium zu Saragossa [* 21] im Lauf der Zeit die Mutteranstalt von 25 andern Kollegien. In Portugal, wo die Gesellschaft an dem König Johann III. den ersten freigebigen Gönner und an dem Enkel desselben, Sebastian (gest. 1578), einen unterthänigen Schüler gewann, dienten die Kollegien zu Lissabon, [* 22] Evora, Oporto, [* 23] Braga und Coimbra als Stützen und Werkstätten einer wahrhaft theokratischen Macht, der nicht nur Glaube und Wissenschaft, sondern auch Leben und Sitten des portugiesischen Volkes gehorchten. In Italien bildete das durch den Herzog, nachmaligen dritten Ordensgeneral (gest. 1572), zu Rom gestiftetete ^[richtig: gestiftete] Kollegium (1551) den Mittelpunkt, von welchem aus auf 120 Pflanzschulen eingewirkt wurde.
Daneben diente das nur von jungen Deutschen besuchte deutsche Kollegium (s. Collegia nationalia) in Rom als ein Hauptrüstzeug für die Ordenszwecke jenseit der Alpen. [* 24] In Frankreich blühten um den Anfang des 17. Jahrh. 35 reiche Kollegien. In Deutschland breitete sich der Jesuitenorden von drei Zentralpunkten, Ingolstadt, [* 25] Wien und Köln, [* 26] aus. Nachdem die Gesellschaft mit Beihilfe der bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Albrecht V. durch die gelehrten Brüder Jay, Salmeron und Canisius auf der Universität Ingolstadt steigendes Ansehen erworben und daselbst ein Kollegium gegründet hatte (1556), wurden auch in München [* 27] (1559), Dillingen (1563) und Augsburg [* 28] (1579) Filialanstalten errichtet und der höhere wie der untere Schulunterricht in die Hand [* 29] genommen, indes Wien, wo Canisius (s. d.) ein rasch aufblühendes Kollegium (1551) stiftete, den Weg nach Prag (1556), Olmütz, [* 30] Brünn [* 31] in Mähren [* 32] (1561), Tyrnau in Ungarn [* 33] (1561), Graz in [* 34] Steiermark, [* 35] Innsbruck und Hall in Tirol [* 36] bahnte.
Von Köln aus, wo der Orden zuerst das akademische Kollegium der drei Kronen [* 37] (1556) und bald die gesamte Universität unter seine Aufsicht brachte, entstanden Pflanzungen in Trier [* 38] (1561), Mainz [* 39] (1561), Speier, [* 40] Aschaffenburg [* 41] und Würzburg, [* 42] ferner in Antwerpen, [* 43] Löwen, [* 44] St.-Omer, Cambrai und Tournai. Auch in dem von Polen abhängigen Preußen [* 45] siedelten sich die J. zu Braunsberg [* 46] an, wo ihnen Bischof Hosius von Ermeland ein Kollegium stiftete (1565), und fanden bald danach auch Eintritt in Posen, [* 47] Pultusk, dem livländischen Riga [* 48] und Wilna [* 49] (1570). Dagegen blieben Rußland, Norddeutschland, Skandinavien und Großbritannien [* 50] dem Orden nach kurzen Schwankungen verschlossen.
Überall ging das Hauptbestreben des Ordens dahin, dem Protestantismus Gebiete wieder zu entreißen, die er früher erobert hatte. Seit der Vorsteherschaft des fünften Generals, Aquaviva (1582-1615), welcher den drei Spaniern Ignaz Loyola, Laynez und Borgia nach der schwachen Regierung Mercurians (1573-81) folgte und seine monarchische Stellung allen Anfechtungen der spanischen Ordensbrüder gegenüber aufrecht erhielt, begann die faktiös vielgeschäftige Richtung schrankenlosen Ehrgeizes und abgefeimter, ohne sittlichen Rigorismus wirksamer Verstandesreflexion, eine Zeit, fruchtbar an Intrigen, Gewaltthaten und Erfolgen, aber in vieler Beziehung auch im direkten Gegensatz zu der Konstellation stehend, welche die Geburtsstunde des Ordens bezeichnet hatte. Der Wendepunkt fällt in das Generalat Vitelleschis (1615-45), unter welchem sich sogar die Professen der Verpflichtung der Armut entbanden und der Allgewalt des Generals eine Schranke zogen. Damals (1616) zählte der Orden 39 Provinzen, 1593 Mitglieder, 803 Häuser, worunter 15 Profeßhäuser, 467 Kollegien, 63 Missionen, 165 Residenzen und 136 Seminare.
Diese Richtung des Ordens aber war es, die, abgesehen von dem nur zu natürlichen Neid, welcher ihm aus seiner gebietenden Macht- und Ausnahmestellung in der Kirche erwuchs, den J. unter der nicht jesuitischen Geistlichkeit und den alten Mönchsorden viele Gegner erweckte. So erklärte die Universität zu Paris [* 51] den ganzen Orden für unnütz, und als es demselben 1562 gleichwohl gelang, in Frankreich festen Fuß zu fassen, mußte er auf den Gebrauch seiner meisten Freiheiten verzichten.
Nachdem die J. sich schon in Portugal unter den Königen Johann III. und Sebastian in politische Händel gemischt hatten und nach des letztern Tode die Hauptursache gewesen waren, daß dieses Reich der spanischen Krone überliefert wurde, gerieten sie auch in Verdacht, in Frankreich an der Ermordung Heinrichs III. teilgenommen zu haben. Wegen des Mordversuchs ihres Schülers Châtel auf Heinrich IV. wurden sie 1594 feierlich aus Frankreich verbannt, allein schon 1603 gestattete ihnen derselbe König wieder die Rückkehr.
Der Teilnahme an der Ermordung desselben durch Ravaillac konnte man sie nicht überführen; das Buch des Jesuiten Mariana, welches den Fürstenmord verteidigt, halfen sie selbst mit verdammen, und durch Schmeicheleien gegen die Höfe sowie vorzüglich durch eine raffinierte, auf die Schwächen der Vornehmen berechnete beichtväterliche Praxis wußten sie sich in dem Besitz der Macht zu erhalten. So beherrschten sie vom Beichtstuhl aus nicht bloß die Bourbonen bis auf Ludwig XV., sondern errangen womöglich noch größere Erfolge in Deutschland, wo die Kaiser Ferdinand II. und Ferdinand III. ganz unter ihrem Einfluß standen, und wo sie im Dreißigjährigen Krieg die Seele der Liga waren.
Durch den Pater Lamormain wurde der Sturz Wallensteins herbeigeführt und das schwankende Bayern [* 52] in der Bundesgenossenschaft mit Österreich [* 53] erhalten. Unterdessen traf sie in Frankreich ein empfindlicher Schlag durch den Jansenismus (s. Jansen 1). Beschuldigungen wurden gegen sie laut, die sie nicht widerlegen konnten; die in den »Lettres provinciales« von Pascal gegen sie erhobenen Anklagen waren das Signal zum Sturm. Man tadelte laut ihr theatralisches Unterrichtswesen, die Seichtigkeit ihrer Lehrart, die kasuistische ¶