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ist nicht nur durch Unterrichtsschriften, sondern auch durch Bilder- und Märchenbücher reichlich gesorgt. Für den Geist der Poesie scheinen namentlich zwei Haupteigentümlichkeiten des Volksgeistes bestimmend gewesen zu sein: eine fast schwärmerische Empfänglichkeit für Naturschönheiten und der bekannte romantisch-heroische Sinn der Japaner. Erstere äußert sich vor allem in der Lyrik, deren Genießbarkeit für uns wohl oft dadurch beeinträchtigt wird, daß die Dichter zwischen den Erscheinungen der Natur und den menschlichen Stimmungen Beziehungen finden, für welche uns das Verständnis abgeht.
Die um die Mitte des 8. Jahrh.
n. Chr. entstandene berühmte Liedersammlung »Man-yof'-siu« gehört
hierher. Von den
Kriegs- und Soldatenliedern sind unsere Kenntnisse noch gering; ein wahres Nationalepos
scheint nicht zu existieren. Der
Roman aber, dem wir auch einen Teil jener
Volksbücher zuzählen dürfen, ist sehr reichlich
vertreten. Die
Bücher dieser
Gattung scheinen in drei
Klassen zu zerfallen. Es sind zunächst solche von gelehrt historischer
Art, welche ähnlichen Erzeugnissen der chinesischen Litteratur nachgebildet zu sein scheinen.
Manche
Werke dieser
Klasse, z. B. die äußere und die innere Geschichte
Japans, sind rein chinesisch geschrieben, daher nur bedingt
der japan
ischen Litteratur zuzuzählen. Die schon erwähnten
Erzählungen fürs
Volk reihen sich ihnen an. Von ihnen sind mehrere
in
Mitfords vortrefflichen »Tales of
Old
Japan«
[* 2] (deutsch, Leipz. 1875) übersetzt.
Die »Geschichte von den sechs Wandschirmen« (»Uki yo gata roku mai biyau bu«) von Riutei Tanesiko, welche bereits drei Übertragungen in europäische Sprachen (von Pfizmaier, Valenziani und Turrettini) erfahren, gehört der dritten Gattung an; es ist ein Gesellschaftsroman, reines Erzeugnis der dichterischen Erfindung und in einer Art rhythmischer, sehr wohlklingender Verse geschrieben. Neuerdings gilt das kolossale »Faku-ken-den« (»Geschichte der acht Hunde«) [* 3] von Bakkin für ein Meisterwerk dieser Art. Das Drama ist sehr beliebt, aber uns noch nicht hinreichend bekannt.
Das
Wortspiel, bei uns nur einer untergeordneten Art des
Witzes dienend, versieht wie in der chinesischen, so auch in der japan
ischen
Dichtung eine sehr wichtige
Funktion. Beide
Sprachen sind, dank ihrer lautlichen
Armut, gleich geeignet, durch die nämlichen
Laute zweierlei gleich treffende und passende, oft recht ernste
Gedanken auszudrücken. Daß auch die japan
ische Litteratur
ihre schmutzigen
Auswüchse hat, darf weder verneint, noch verschwiegen werden; anzuerkennen ist nur, daß dort im
Volk Schmutz als Schmutz gilt und nicht, wie nur zu oft bei uns, in lüsterner
Weise beschönigt wird.
Sieht man von dieser Schattenpartie ab, so muß man rühmen, daß in den belletristischen Büchern, soweit sie uns zugänglich geworden sind, ein frischer, gesunder Geist herrscht, Heldenmut, aufopfernde Treue, strenges, empfindliches Ehrgefühl, Mitleid und Milde gegen Schwache und Notleidende, mannhafte Ergebung in das Schicksal, tief wurzelnde Achtung vor Gesetz und Sitte, Verachtung, oft schneidige Satire gegen alles Kleinliche und Gemeine: das sind die Gesinnungen, die sich darin spiegeln.
Gewaltthaten oft der gräßlichsten Art, der aufbrausenden Natur des stets streitbaren Volkes entsprechend, werden oft genug erzählt; allein immer ist das Erhabene oder das Rührende Genosse des Entsetzlichen, und die überströmende Kraft, [* 4] die seither in blutigen Fehden oder in heroisch-theatralischem Vollzug der Selbstentleibung (s. Harakiri) ihre Genüge suchte, wird hinfort, in ein ruhiges Bett [* 5] geleitet, das hochbegabte Inselvolk zu wirksamem Wettstreit auf den Gebieten europäischen Forschens und Schaffens beseelen.
Eine zusammenfassende
Beschreibung oder Geschichte der japan
ischen Litteratur ist noch nicht erschienen.
Vgl. »Transactions of the Asiatic Society of Japan« (bisher 13 Bde.);
Hoffmann, Catalogus librorum et manuscriptorum japonicorum (Leiden [* 6] 1845);
Pagès, Bibliographie japonaise (Par. 1859),
und die Bibliographie bis 1862 von R. Gosche (in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 20, Supplement, Leipz. 1868);
»Bibliotheca japonica. Verzeichnis einer Sammlung
japan
ischer
Bücher in 1408
Bänden«
(Wien
[* 7] 1875);
Chamberlain, The classical poetry of the Japanese (Lond. 1880).