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voneinander geschieden werden, so zählt die Sprache [* 2] im ganzen nur 68 offene Silben. Veränderungen in der Aussprache haben jene ursprüngliche Einfachheit modifiziert, z. B. sto für fito, szru für suru, oi für Wofoki. So bedeutend die Bildsamkeit des Japanischen, seine Fähigkeit zur Schöpfung zusammengesetzter und abgeleiteter Wörter, sein Formenreichtum ist, so ist doch die Erlernung seiner grammatischen Elemente nicht eben schwierig; denn der Agglutinationsprozeß ist überall durch einfache, durchgreifende Gesetze geregelt.
Allein das Verständnis, die Analyse der Texte wird oft sehr durch die geschilderten Eigentümlichkeiten des Lautwesens, durch den Mangel einer genügend feststehenden Orthographie und einer sichtbaren Abgrenzung der Wörter und Sätze (durch Trennungen und Trennungszeichen) erschwert. Dazu kommt, daß, wer sein Studium nicht nur auf die ältesten, rein japanischen Sprachdenkmäler beschränken will, notwendig auch der chinesischen Sprache und Schrift einigermaßen kundig sein muß. Die Beeinflussung des sprachlichen Ausdrucks durch Regeln der Etikette ist eine Eigenschaft, die das Japanische mit vielen Sprachen Asiens gemein hat; die Stellung des Redenden zum Angeredeten und beider zu dem Dritten, von dem etwa die Rede ist, will berücksichtigt sein. - Die Japaner bedienen sich verschiedener Syllabare, Irova genannt.
Jedes derselben besteht aus den Zeichen für die 48 Grundsilben, zu welchen noch das Schluß -n hinzukommt. Alle diese Zeichen sind der chinesischen Schrift entlehnt, und ihre Reihenfolge ist nach einem Verschen geordnet, das mit »iro va« anhebt. Die gebräuchlichsten Syllabare sind das Katakana (s. die »Schrifttafeln«),
eine Kürzung chinesischer Zeichen, meist nur in zweisprachigen Texten angewandt, und das Firakana, die im Verkehr üblichste Schrift, dabei die schwierigste; denn in ihr kann jede Silbe durch eine größere oder geringere Anzahl Zeichen der chinesischen Schnellschrift (Thsao) ausgedrückt werden. Doppelpunkte und Ring zur Rechten des Buchstabens dienen dazu, aus f: b, p, aus t: d, aus k: g, aus s: z zu machen. Um das Verständnis chinesischer Texte und deren Ablesung in japanischer Sprache zu erleichtern, ist ein Notensystem erfunden worden.
Neuerdings herrscht in Japan [* 3] eine starke Strömung zu gunsten der Einführung der europäischen (lateinischen) Schrift. An der Spitze der Bewegung steht die Gesellschaft Romaji-kai, die durch eine Zeitung für Verbreitung ihrer Bestrebungen wirkt. Grammatiken: von Alvarez (Amacusa 1593), Rodriguez (Nagasaki 1604, Macao 1620, Par. 1825), Collado (Rom [* 4] 1632), Oyan-guren (Mexiko [* 5] 1738), de Rosny (Par. 1857, 4. Ausg. 1872), Donkar Curtius (Leid. 1857, Par. 1861), Alcock (Schanghai [* 6] 1861), Hoffmann (Leiden [* 7] 1868; deutsche Ausg., das. 1877; mit dem Nachtrag: »Japanische Studien«, das. 1878), Brown (Schanghai 1863), Aston (Lond. 1872), Noack (Leipz. 1886), Chamberlain (Lond. 1887). Wörterbücher: von Calepini (Amacusa 1595, Rom 1870, Par. 1870);
anonyme: Nagasaki 1603, Manila 1630;
von Collado (Rom 1632-38), Meadhurst (Batav. 1830, 1839), Goschkewitsch (Petersb. 1857), de Rosny (Par. 1857), Pagès (das. 1858), Hepburn (2. Aufl., Lond. 1872), Satow und Massakata (»English-Japanese dictionary«, 2. Aufl., das. 1879), Lehmann (Tokio [* 8] 1877).
[Litteratur.]
Unsre Kenntnis von der japanischen Litteratur ist noch immer eine verhältnismäßig oberflächliche.
Zahlreiche Hände sind jahraus jahrein thätig, ihre Schätze zu Tage zu fördern und uns zugänglich zu machen; allein den Umfang und Wert des gewaltigen Materials können wir kaum erst ahnen, geschweige denn bemessen. Dieselbe Regsamkeit, Gewandtheit und Empfänglichkeit, mit der die Japaner sich heute die Errungenschaften europäischen Wissens und Denkens zu eigen machen, haben sie auch damals bewährt, als sie zuerst chinesische Kultur und dann buddhistisch-indische Religion auf ihren Boden verpflanzten. Und was diesem selbst ureigen ist, seine Geschichte, seine Geographie, sein Natur- und Kulturleben, haben sie früh schon in den Bereich ihrer vielseitigen Schriftstellerei gezogen. Selbständige Denker auf philosophisch-theologischem Gebiet sind uns nicht bekannt; es scheint, daß man sich mit der Durchsuchung und Verarbeitung chinesischer und indischer Quellen begnügt hat. Neuerdings halten öffentlich angestellte Prediger populäre Vorträge über Gegenstände der Moral, und die uns davon vorliegenden Proben können in ihrer Lebensfrische, ihrer Gemütsinnigkeit und ihrem gesunden Humor geradezu als Muster volkstümlicher Beredsamkeit bezeichnet werden. Die einheimische (Schinto-) Mythologie hat sorgfältige Bearbeitungen erfahren. Die Geschichtschreibung folgt dem chinesischen Muster; sie ist sehr reich vertreten, aber chronikmäßig trocken. Geographie und Naturwissenschaften sind immer, soviel wir wissen, beschreibend, nicht spekulativ behandelt; die japanische Landeskunde ist mit großer Liebe gepflegt, und die zahlreichen Werke dieser Gattung versprechen eine wertvolle Ausbeute. Überall ist die encyklopädische Tendenz vorherrschend, und eigentliche Encyklopädien sind in Japan ebenso beliebt und womöglich noch verbreiteter als in China, nur scheinen sie mehr dem praktischen als dem wissenschaftlichen Interesse und nebenbei der Befriedigung einer harmlosen Neugier zu dienen. Daher die Vorliebe für illustrierte Bücher, deren Abbildungen trotz der naivsten Zeichenfehler meist lebendig und sprechend sind. Zu den Werken dieser Art gehören auch die technologischen Sammelwerke, deren Studium auch für uns nicht ohne praktischen Nutzen bleiben dürfte. Auch hier jedoch herrscht mehr gewissenhafte Empirie als wissenschaftliche Untersuchung vor. Die Lehrthätigkeit scheint seither mehr im Anweisen als im Beweisen bestanden zu haben, und nur an dem Studium der chinesischen Weltweisen wurde der kritische Sinn bei der gebildeten Jugend geübt. Diese Beschäftigung mit ausländischen Schriftstellern war aber für die Pflege der Sprachkunde ebenso förderlich, wie sie für die Sprache selbst nachteilig wurde; denn letztere nahm eine Menge Wörter und Redensarten aus dem so ganz anders gearteten Chinesischen in sich aus. Aber gerade der Gegensatz zwischen den beiden so vermählten Sprachen mochte wiederum das Bedürfnis zum Studium beider wecken. Daher zahlreiche lexikalische und sogar grammatikalische Arbeiten, welche sich nächst dem Japanischen und Chinesischen auch auf das Sanskrit, das Koreanische, die Ainosprache und neuerdings auf die wichtigern europäischen Sprachen erstreckt haben. Mit viel Verständnis und Liebe ist für die Bedürfnisse der niedern Volksklassen und der Kinder Sorge getragen. Für ein wahres Spottgeld kauft der arme Mann ein dickes Buch, das so ziemlich alles enthält, weswegen er ein Buch zu Rate ziehen möchte, unter anderm auch ein (chinesisches) Fremdwörterbuch, die Anweisung zu den gewöhnlichen mathematischen Operationen, Briefsteller etc. Illustrierte Volksbücher im engern Sinn erzählen bald Erfundenes, bald interessante historische Begebenheiten. Für die Jugend ¶
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ist nicht nur durch Unterrichtsschriften, sondern auch durch Bilder- und Märchenbücher reichlich gesorgt. Für den Geist der Poesie scheinen namentlich zwei Haupteigentümlichkeiten des Volksgeistes bestimmend gewesen zu sein: eine fast schwärmerische Empfänglichkeit für Naturschönheiten und der bekannte romantisch-heroische Sinn der Japaner. Erstere äußert sich vor allem in der Lyrik, deren Genießbarkeit für uns wohl oft dadurch beeinträchtigt wird, daß die Dichter zwischen den Erscheinungen der Natur und den menschlichen Stimmungen Beziehungen finden, für welche uns das Verständnis abgeht.
Die um die Mitte des 8. Jahrh. n. Chr. entstandene berühmte Liedersammlung »Man-yof'-siu« gehört hierher. Von den Kriegs- und Soldatenliedern sind unsere Kenntnisse noch gering; ein wahres Nationalepos scheint nicht zu existieren. Der Roman aber, dem wir auch einen Teil jener Volksbücher zuzählen dürfen, ist sehr reichlich vertreten. Die Bücher dieser Gattung scheinen in drei Klassen zu zerfallen. Es sind zunächst solche von gelehrt historischer Art, welche ähnlichen Erzeugnissen der chinesischen Litteratur nachgebildet zu sein scheinen. Manche Werke dieser Klasse, z. B. die äußere und die innere Geschichte Japans, sind rein chinesisch geschrieben, daher nur bedingt der japanischen Litteratur zuzuzählen. Die schon erwähnten Erzählungen fürs Volk reihen sich ihnen an. Von ihnen sind mehrere in Mitfords vortrefflichen »Tales of Old Japan« (deutsch, Leipz. 1875) übersetzt.
Die »Geschichte von den sechs Wandschirmen« (»Uki yo gata roku mai biyau bu«) von Riutei Tanesiko, welche bereits drei Übertragungen in europäische Sprachen (von Pfizmaier, Valenziani und Turrettini) erfahren, gehört der dritten Gattung an; es ist ein Gesellschaftsroman, reines Erzeugnis der dichterischen Erfindung und in einer Art rhythmischer, sehr wohlklingender Verse geschrieben. Neuerdings gilt das kolossale »Faku-ken-den« (»Geschichte der acht Hunde«) [* 10] von Bakkin für ein Meisterwerk dieser Art. Das Drama ist sehr beliebt, aber uns noch nicht hinreichend bekannt.
Das Wortspiel, bei uns nur einer untergeordneten Art des Witzes dienend, versieht wie in der chinesischen, so auch in der japanischen Dichtung eine sehr wichtige Funktion. Beide Sprachen sind, dank ihrer lautlichen Armut, gleich geeignet, durch die nämlichen Laute zweierlei gleich treffende und passende, oft recht ernste Gedanken auszudrücken. Daß auch die japanische Litteratur ihre schmutzigen Auswüchse hat, darf weder verneint, noch verschwiegen werden; anzuerkennen ist nur, daß dort im Volk Schmutz als Schmutz gilt und nicht, wie nur zu oft bei uns, in lüsterner Weise beschönigt wird.
Sieht man von dieser Schattenpartie ab, so muß man rühmen, daß in den belletristischen Büchern, soweit sie uns zugänglich geworden sind, ein frischer, gesunder Geist herrscht, Heldenmut, aufopfernde Treue, strenges, empfindliches Ehrgefühl, Mitleid und Milde gegen Schwache und Notleidende, mannhafte Ergebung in das Schicksal, tief wurzelnde Achtung vor Gesetz und Sitte, Verachtung, oft schneidige Satire gegen alles Kleinliche und Gemeine: das sind die Gesinnungen, die sich darin spiegeln.
Gewaltthaten oft der gräßlichsten Art, der aufbrausenden Natur des stets streitbaren Volkes entsprechend, werden oft genug erzählt; allein immer ist das Erhabene oder das Rührende Genosse des Entsetzlichen, und die überströmende Kraft, [* 11] die seither in blutigen Fehden oder in heroisch-theatralischem Vollzug der Selbstentleibung (s. Harakiri) ihre Genüge suchte, wird hinfort, in ein ruhiges Bett [* 12] geleitet, das hochbegabte Inselvolk zu wirksamem Wettstreit auf den Gebieten europäischen Forschens und Schaffens beseelen.
Eine zusammenfassende Beschreibung oder Geschichte der japanischen Litteratur ist noch nicht erschienen.
Vgl. »Transactions of the Asiatic Society of Japan« (bisher 13 Bde.);
Hoffmann, Catalogus librorum et manuscriptorum japonicorum (Leiden 1845);
Pagès, Bibliographie japonaise (Par. 1859),
und die Bibliographie bis 1862 von R. Gosche (in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 20, Supplement, Leipz. 1868);
»Bibliotheca japonica. Verzeichnis einer Sammlung japanischer Bücher in 1408 Bänden« (Wien [* 13] 1875);
Chamberlain, The classical poetry of the Japanese (Lond. 1880).