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Volkes vielfach zugewandt; doch rekrutiert sich auch jetzt noch das Kriegs- und Beamtenheer vornehmlich aus ihr. Der Adel, Ka-zoku (»Blume der Familien«),
bestand in der Feudalzeit aus dem Hofadel (Kuge) mit 155 Familien und dem Feudaladel (Buke oder Daimiô) mit 255 Familien (im J. 1862). Die Beseitigung des Shôgunats und Feudalwesens veränderte seine Stellung in hohem Grad und machte eine Reorganisation desselben notwendig. Diese erfolgte in den letzten Jahren in der Weise, daß man fünf Rangstufen schuf und in die drei letzten derselben auch diejenigen Personen nebst Familien einreihte, welche, obgleich früher nur Samurai, sich um den Mikado und das Land seit 1868 besonders verdient gemacht haben. Hierher gehört z. B. der jetzige Premierminister und Minister des kaiserlichen Hauses, Graf Ito, sowie Graf Saigo, der Marineminister, ein Bruder des im geschichtlichen Abschnitt (S. 167) erwähnten Urhebers des Aufstandes von Satsuma.
Die siniko-japanischen Namen dieser fünf Adelsklassen und ihre europäischen Äquivalente sind:
1) Ko-shaku oder Ko, Fürst, 11 Familien;
2) Ko-shaku oder Ko, Marquis, 24 Familien, wobei Ko im Chinesischen ein andres Zeichen hat;
3) Haku-shaku oder Haku, Graf, 76 Familien;
4) Shi-shaku oder Shi, Vicomte, 324 Familien;
5) Dan-shaku oder Dan, Baron, 74 Familien; zusammen 509 Familien. Den Fürstentitel erhielten: a) die Go-seke oder fünf vornehmsten Kugefamilien (Kujô, Konoye, Takotsukasa, Nijô, Ichijô), aus denen der Mikado nach altem Gesetz und Brauch seine Frau nimmt (die jetzige Kaiserin ist eine Ichijô); b) die Familien Sanjô und Iwakura, zweier Kuge, welche am Hof [* 2] des Mikado zur Zeit der Restauration eine hervorragende Rolle spielten und später als erste Beamte des Landes bis in die Neuzeit wirkten; c) Tokugawa, der letzte Shôgun; d) Shimadzu, der letzte Daimiô von Satsuma, und Shimadzu (Saburo), dessen Onkel, sowie Mori, die Daimiôfamilie von Nagato.
Abgesehen von den Aino (s. d.) auf Jeso und den südlichen Kurilen, sind die heutigen Bewohner Japans ein einheitliches Volk nach Sprache, [* 3] Kleidung, Sitte und Lebensweise und zwar von der Tsugarustraße bis gegen Formosa hin, hervorgegangen aus einer frühzeitigen asiatischen Einwanderung über Korea nach südlichen und südwestlichen Landesteilen und ihrer Vermischung mit Eingebornen, welche den Aino zugerechnet werden. Ob auch malaiische Elemente von S. her und polynesische hinzukamen, bleibt unerwiesen (s. Tafel »Asiatische Völker«, [* 4] Fig. 13, 14). Nach ihren körperlichen Eigenschaften gehören die Japaner der mongolischen Völkerfamilie an, sind von mittlerm, gedrungenem Wuchs, die Männer im Durchschnitt 158 cm, die Frauen des Volkes 145 cm, die der vornehmen Klasse 147,4 cm groß.
Ihre Hautfarbe ist hellgelb mit großen Abstufungen, so daß sie sich einerseits derjenigen der Europäer nähert, anderseits der tiefgelben oder hellbraunen der Chinesen und Malaien. Das Haar [* 5] ist schwarz und schlicht; sein Wuchs ist auf dem Kopf dicht und kräftig, dagegen schwach und dünn an andern Körperteilen. Doch gibt es einzelne Japaner mit schönem Vollbart. Auf die Pflege des Kopfhaars hat der Japaner, im Gegensatz zum Aino, immer viel Sorgfalt verwendet. In der Neuzeit breitet sich die westeuropäische Haartracht immer mehr aus. Im Vergleich zum Europäer und Gesamtwuchs erscheint der Kopf des Japaners groß, zum brachykephalen Typus geneigt. Augen und Nase [* 6] zeigen ganz den mongolischen Charakter. Jene sind geschlitzt und mit ihren Längsachsen zur Nase geneigt. Diese ist in der Regel breit und flach, doch findet man auch hier Annäherungen an den kaukasischen Typus.
Vgl. E. Balz, Die körperlichen Eigenschaften der Japaner (in den »Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft Ostasiens«, Heft 28 u. 32).
Bedeutender als im Körper weicht der Japaner in seinen geistigen Eigenschaften von den übrigen ostasiatischen Völkern ab und zeigt uns eine ganze Reihe sympathischer Züge. Man rühmt mit Recht den Reinlichkeitssinn und natürlichen Anstand, das höfliche, freundliche und humane Benehmen, das heitere, glückliche Familienleben, die Ehrerbietung und Zuvorkommenheit der Kinder gegen ihre Eltern, der Untergebenen gegen ihre Vorgesetzten, den Rechtssinn, die Achtung vor der geistigen Überlegenheit, die Freude an den Schönheiten der Natur, das hohe Bildungsbestreben und die Vaterlandsliebe des japanischen Volkes. Dagegen verbindet der Japaner mit unverkennbarem Talent und Streben gar häufig nicht die nötige Ausdauer, begnügt sich oft mit der Schale, statt zum Kern vorzudringen, und wird hierdurch leicht oberflächlich. In den vielen Jahrhunderten seiner Kultur bewies das japanische Volk mehr Nachahmungstalent als schöpferische Kraft. [* 7]
Die japanische Schrift- und Umgangssprache ist aus einem einheimischen Idiom, dem Yamato, und dem Chinesischen hervorgegangen, mit 72 Silbenzeichen für jenes und den bekannten Wortsymbolen für dieses. Das Yamato hat weder Guttural- noch Nasallaute; seine Silben enden alle in Vokale, und es hat sich auch die japanische Aussprache des Chinesischen bis auf das finale n ihm völlig angepaßt. Die japanische Sprache ist agglutinierend, hat gewisse Flexionsendungen, ist aber im Wortschatz und in grammatischen Formen arm. Wie der Chinese statt r stets l ausspricht, so fällt umgekehrt dem Japaner der L-Laut schwer (weiteres s. Japanische Sprache und Litteratur).
Der Japaner lebt mäßig und frugal. Seine Nahrungsmittel [* 8] sind vornehmlich in Wasser gekochter Reis, Hirsearten, besonders im Gebirge, verschiedene Hülsenfrüchte, Knollengewächse, Gurkenarten und Pilze, [* 9] ferner Fische, [* 10] Krusten- und Weichtiere. Brot, [* 11] Milch, Butter und Käse waren unbekannt, Fleischspeisen wenig in Gebrauch. Zur Würze des Mahls dienen vornehmlich gesalzene Rettiche (Daikon), Früchte der Eierpflanze (Nasu), Gurken u. a., als Genußmittel grüner Thee ohne Zuthat, Sake oder Reisbier und Tabak, [* 12] den beide Geschlechter gern rauchen.
Die Kleidung der Landbevölkerung wird immer noch vorwiegend aus selbstverfertigter grober Hanfleinwand gemacht und mit einheimischem Indigo [* 13] gefärbt. Sie besteht oft nur aus einem Kittel und weiten Hosen. [* 14] Bei den Wohlhabendern spielen hellfarbige, schön gemusterte Baumwoll- und Seidenstoffe die Hauptrolle. Ein schlafrockähnliches Oberkleid, der Kimono, wird von Männern und Frauen getragen und ist nur im Schnitt und dem Gürtel, [* 15] welcher dasselbe am Leibe befestigt, bei beiden Geschlechtern verschieden.
Die Füße sind entweder nackt oder mit Socken bedeckt, bei denen nach Art der Fausthandschuhe die große Zehe von den übrigen getrennt wird, um den Riemen zur Befestigung der Stroh- oder Holzsandalen dazwischen durchzuführen. Die Kopfbedeckung ist sehr verschieden, doch begnügt sich der Arbeiter gewöhnlich mit einem Tuch um die Stirn. Die vornehmere städtische Bevölkerung [* 16] ahmt mehr und mehr die europäische Tracht nach. Zu den hervorragendsten Eigenschaften der Japaner gehört ihre Reinlichkeitsliebe. Sie zeigt sich an der Person durch ¶
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häufiges Waschen und Baden, [* 18] im Haus, Garten [* 19] und Feld sowie an der Arbeit. Das Wohnhaus [* 20] ist niedrig, leicht aus Holz [* 21] aufgebaut, ein- bis zweistöckig, mit schwerem Stroh-, Schindel- oder Ziegeldach, ohne Keller und Schornstein. Die Fenster werden durch Schiebethüren ersetzt, deren Gitterwerk man mit Bastpapier überzieht. Da die Häuser sich meist eng aneinander schließen, ist die Feuersgefahr groß und gehören verheerende Brände in den größern Städten zu den häufigen Erscheinungen. Die Größe der Zimmer, ja der ganze Grundriß der Häuser richtet sich in J. nach den Tatami oder Binsenmatten von durchweg ca. 2 m Länge und 1 m Breite, [* 22] womit die gedielten Böden bedeckt werden. Wie die Kleidung, so ist auch die Wohnung des Japaners mehr für den Sommer als für den Winter berechnet. In letzterm erscheint sie unbehaglich, zugig und kalt, ohne zweckentsprechende Heizvorrichtungen, ohne Komfort.
Kulturverhältnisse. Gewerbliche Thätigkeit.
J. gehört gleich Korea dem chinesischen Kulturkreis an. Nachdem seine Bewohner, gemäß ihrer alten sagenhaften Geschichte, unter Führung von Jimmu Tennô im Gebiet des Gokinai das Reich Yamato gegründet und ihre Nachkommen dasselbe befestigt und erweitert hatten, erschienen diese als ein kriegsgeübtes Volk und Eroberer um das Jahr 200 n. Chr. in Korea, das von da ab jahrhundertelang unter teilweiser Abhängigkeit von J. blieb. Die eigenartige chinesische Kultur mit ihren beiden Hauptträgern, dem Buddhismus und der Philosophie des Kunfutse und Mengtse, gelangte von diesem Ereignis an und meist durch koreanische Vermittelung nach J., wo es nicht allzulange dauerte, bis sie sich befestigt und über das Land verbreitet hatte. Mit ihr kehrte auch die chinesische Schrift und Litteratur ein, chinesische Lebens- und Staatsanschauung. Die Staatsverfassung, das Zeremoniell des Hofs, die Rechtspflege, Ethik und Heilkunde, Künste, Gewerbe und Landwirtschaft, ja die ganze Lebensweise empfing oder änderte man nach chinesischem Vorbild.
Der Buddhismus wirkte vornehmlich auf die produzierende Masse des Volkes ein und schuf genügsame, fröhliche Arbeiter in Feld und Werkstatt. Die chinesische Philosophie dagegen erfaßte die vornehmern Klassen, nährte den Kastengeist und Ahnenkultus, welcher schon lange vor ihrem Eintreten bestand. Er wird oft als eine zweite Religion der Japaner mit dem Namen Schintôismus (»Weg der Götter«) oder Kamidienst bezeichnet, obgleich ihm eine Glaubens- und Sittenlehre fehlt und er nur nach der Art, wie er in Tempeln, Gebeten und Opfern sich äußert, einer Religion vergleichbar ist.
Dem ersten Glaubenseifer bei Ausbreitung des Buddhismus folgten, wie im Christentum, Spaltung und Befehdung in Sekten, Entartung und sittlicher Verfall der Priester. Hand [* 23] in Hand hiermit gingen die Schwächung der weltlichen Autorität und verheerende Bürgerkriege. In diese Periode fällt die Entdeckung des Landes durch Mendez Pinto und die Ausbreitung des Christentums durch portugiesische Jesuiten seit der Landung F. Xavers (1549; vgl. S. 165). Der Buddhismus, von seinem gefährlichen Gegner, dem Christentum, durch die drei ersten Tokugawa-Shôgune befreit, schlug unter dem Schutz des Shôgunats in Jedo neue Wurzeln.
Nach der Restauration der Mikadoherrschaft versuchte die Regierung auf seine Kosten den Schintôismus neu zu beleben, fand aber allmählich, daß dessen hohle Zeremonien das religiöse Bedürfnis des Volkes nimmer dauernd befriedigen können. So folgte denn in dem Maß, in welchem man das christliche Abendland mehr kennen und die Wirkungen des Christentums schätzen lernte, auch in Bezug auf dieses eine allmähliche Annäherung. Sie äußerte sich 1876 durch Zurücknahme aller frühern Erlasse und Verwarnungen gegen dasselbe und durch die Annahme des Sonntags als offiziellen Feiertags statt des frühern 1., 6. (ichi, roku), 11., 16., 21., 26., 31. Tags des Monats, vor allem aber in der Religionsfreiheit, welche in letzter Zeit verkündigt wurde.
Die große Menge des Volkes und mehr noch der Gebildeten ist in religiösen Dingen völlig indifferent; aber die Einsichtsvollern erkennen bereits, daß ohne das Christentum die erstrebte Kultur des nötigen Haltes und edelsten Triebes entbehrt. Sind auf religiösem Gebiet die Veränderungen mehr negativer, zerstörender Art gewesen, so hat die Regierung dagegen auf dem des Unterrichts seit 15 Jahren einen rühmlichen Eifer entwickelt und trotz vielen Experimentierens sehr erfreuliche Resultate erzielt.
Von 5,952,000 schulpflichtigen Kindern im Alter von 6-14 Jahren erhielten 1883 nicht weniger als 3,037,270, also 51 Proz., den vorschriftsmäßigen Unterricht. Es gab 30,156 Elementar-, 173 Mittel-, 80 Normal-, 80 Gewerbe-, 7 höhere Töchter- und 1278 gemischte Schulen, eine Turnanstalt, ein Konservatorium für Musik, ein Polytechnikum und eine Universität (das Dai-gaku). Letztere zählte 178 Lehrer und 1650 Studenten, von denen die Mehrzahl Medizin studierte. Die medizinische Schule steht von Anfang an unter deutscher Leitung; alle Vorlesungen in ihr erfolgen in deutscher Sprache. Sie genießt mit Recht hohe Achtung und hat nicht wenig dazu beigetragen, die große Annäherung der Japaner an Deutschland [* 24] auf vielen Gebieten zu fördern. Die Ausgaben für öffentlichen Unterricht beliefen sich 1883 auf 10,800,000 Jen (43,200,000 Mk.).
Von ganz besonderm Interesse ist das japanische Kunstgewerbe, dessen Produkte während der letzten zwei Jahrzehnte im christlichen Abendland eine außerordentliche Verbreitung gefunden und auf unsre Geschmacksrichtung, namentlich in der Dekoration, einen tiefgreifenden Einfluß geübt haben. Auf den großen Weltausstellungen bewunderte man Kunstsinn und Kunstfertigkeit der Japaner, das naturtreue Leben, die wirkungsvolle Kraft und staunenswerte Farbenharmonie ihrer Verzierungen und erkannte vielfach ihren Erzeugnissen die ersten Preise zu, namentlich in der Lackmalerei, Keramik, [* 25] Email- und Bronzeindustrie; dem Waffenschmieden, der Holz-, Elfenbein-, Bein- und Steinschneiderei sowie in der Weberei [* 26] und Färberei.
China [* 27] ist die ursprüngliche Heimat dieser Industriezweige wie früheres Vorbild und Lehrmeister in jederlei japanischer Kultur. Aber während der langen Friedens- und Abschlußperiode ihres Landes (von 1600 bis 1854) haben die Japaner jene kunstgewerblichen Industriezweige selbständig weiterentwickelt und in den meisten ihre ehemaligen Lehrer weit überflügelt. Hauptförderer waren der buddhistische Kultus und die Daimiôs oder Feudalherren. In der Dekoration herrscht ein gesunder Realismus vor.
Der Japaner ist ein großer Natur- und insbesondere ein Blumenfreund. Was er in Wald und Feld, im Gärtchen und Hain bewundert und scharf erfaßt hat, gibt er mit Pinsel und sicherer Hand wieder. Stilisierte Ornamente [* 28] liegen ihm ferner; doch wendet er zur Flächendekoration nicht bloß geradlinige Motive, wie das buddhistische Henkelkreuz, sondern auch Arabesken an. Seine Neigung zum Humoristischen und Grotesken sowie die häufige Abweichung von jeder symmetrischen ¶