mehr
eine neue Sammlung für sich ins Werk zu setzen. Doch war auch sein Haus eine allezeit gastliche Stätte für turnerische und patriotische Freunde. 1848 wurde er von dem Wahlkreis seines Wohnorts in das deutsche Parlament gewählt; aber so sehr sich die Einheitsträume seiner besten Zeit jetzt verwirklichen zu können schienen, so wenig wußte er sich in die neue Zeit zu finden und gehörte nach stark radikalen Anwandlungen schließlich zu den konservativsten Elementen der Versammlung, in der er nur selten, z. B. zur Befürwortung des erblichen Kaisertums mit preußischer Spitze, das Wort ergriff. Er kehrte innerlich gebrochen und um einen guten Teil seiner Popularität, auch in turnerischen Kreisen, gebracht nach Freiburg [* 2] zurück, wo er starb.
Wenn durch die Schwächen, die in den letzten Jahrzehnten seines Lebens mehr und mehr hervortraten, wie durch die ungefügen, oft an das Rohe und Renommistische streifenden Seiten seines Wesens überhaupt die Erinnerung an seine Persönlichkeit bei seinen Zeitgenossen sicher getrübt worden ist, so gilt es einmal zu bedenken, daß man ihn in der besten Zeit seines Schaffens von dem eigentlichen Boden desselben losgerissen und zu einem Leben verurteilt hat, das für einen Mann seines Schlags nur Müßiggang und selbstgefälliges Zehren von altem Ruhm bedeuten konnte, und ferner, daß ihn eine Zeit gereift hat, in der es not that, in bewußtem Gegensatz zu Überfeinerung und Verweichlichung ein gesundes, wehrhaftes Geschlecht heranzuziehen.
Jahns
großes patriotisches
Verdienst kennzeichnet am besten der
Ausspruch in einem
Bericht der Bundestagskommission, daß er
es sei, »der die höchst gefährliche
Lehre
[* 3] von der
Einheit
Deutschlands
[* 4] aufgebracht«.
Sein
»Deutsches Volkstum«
und seine ganze Thätigkeit bis zu seiner
Verhaftung gaben ihm allerdings das
Recht, sich hieran ein wesentliches
Verdienst
zuzuschreiben, und wenn sein deutscher
Patriotismus in einem stark entwickelten preußischen und dazu in entschiedenem Franzosenhaß
seinen stärksten Rückhalt fand, so entspricht das doch nur dem Verlauf unsrer Einheitsbewegung. J.
ist auch der eigentliche geistige
Urheber der
Burschenschaft.
Auch seine Bemühungen um unsre Sprache [* 5] sichern ihm, wenn ihnen auch die feste wissenschaftliche Grundlage fehlt, das Verdienst, die Ergiebigkeit der Mundarten für die Bereicherung der Schriftsprache erkannt und durch zahlreiche lebensfähige Wortschöpfungen, besonders auf dem Gebiet der Turnkunst, gezeigt zu haben. Auch erhebt sich seine Sprache trotz unverkennbarer selbstgefälliger Künstelei doch nicht selten, wie z. B. in den bekannten Worten auf Friesen, zu wahrhaft klassischer Schönheit.
Die nachhaltigste
Erinnerung sichert ihm die
Turnkunst. Nicht nur, daß er durch Einführung von Geräten die
Entwickelung einer
großen Übungsmannigfaltigkeit anbahnte, so hat er durch den engen Zusammenhang, den er seinen turnerisch-erzieherischen
Bestrebungen mit dem nationalen
Gedanken und
Bedürfnis zu wahren wußte, und durch die begeisternde
Gewalt seiner Persönlichkeit
dem
Turnen erst seine bleibende Stätte in
Deutschland
[* 6] gesichert, und mit
Recht nennt man ihn
so den »Turnvater« und hat ihm
als solchem 1872 auf dem Turnplatz in der Hasenheide ein Erzstandbild von
Enckes
Hand
[* 7] auf einem Steinhügel
errichtet, zu dem Deutsche
[* 8] aus allen
Gauen und selbst aus überseeischen
Erdteilen Steinblöcke gesendet. Die 1863 gegründete
und in
Leipzig
[* 9] verwaltete Pensionskasse für Turnlehrer und deren Hinterbliebene nennt sich Jahn
-Stiftung (vgl.
»Turnzeitung« 1866, Nr.
8). Jahns
Werke wurden zum erstenmal gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben
von
Euler
(Hof
[* 10] 1883-87, 2 Bde.).
Sein
Leben
beschrieben
Pröhle (Berl. 1855) und
Euler (Stuttg. 1881, nur die Hauptzeit seines Wirkens bis 1819 eingehend behandelnd),
in kürzerer Fassung Angerstein (das. 1861),
Diesterweg (Frankf. 1864) und
Rothenburg
[* 11]
(Mind. 1871).
2) Heinrich Albert, Geschichts- und Altertumsforscher, geb. zu Bern, [* 12] war 1840-47 Unterbibliothekar der Stadtbibliothek daselbst, trat 1853 in den eidgenössischen Staatsdienst und bekleidete 1869-79 die Stelle eines Sekretärs im Departement des Innern. Er schrieb: »Der Kanton Bern" [* 13] (Bern u. Zür. 1850);
die »Chronik des Kantons Bern" (das. 1857);
»Die keltischen Altertümer der Schweiz« [* 14] (Bern 1860);
»Die Pfahlbaualtertümer von Moosseedorf« (mit Uhlmann das. 1857);
»Emmenthaler Altertümer und Sagen« (das. 1865);
»Bonaparte, Talleyrand et Stapfer« (das. 1869);
»Die Geschichte der Burgundionen« (Halle [* 15] 1874, 2 Bde.).
3) Otto, Archäolog, Philolog und Musikschriftsteller, geb. zu Kiel, [* 16] besuchte das dortige Gymnasium, dann Schulpforta und widmete sich zuerst zu Kiel unter Nitzsch, dann in Leipzig unter Hermann, seit 1833 zu Berlin [* 17] unter Lachmann und Gerhard philologischen und archäologischen Studien. Eine Reise durch Frankreich und Italien [* 18] (1836-39) und ein längerer Aufenthalt in Rom [* 19] führten ihn dem Studium der lateinischen Inschriftenkunde zu, als dessen Frucht später sein »Specimen epigraphicum in memoriam Kellermanni« (Kiel 1842) erschien.
Nach seiner Rückkehr 1839 habilitierte er sich zu Kiel, ging 1842 als außerordentlicher Professor der Archäologie und Philologie nach Greifswald [* 20] und ward hier 1845 ordentlicher Professor. 1847 als Professor der Archäologie nach Leipzig berufen, gründete er hier eine Archäologische Gesellschaft und ward Direktor des archäologischen Museums. Wegen Beteiligung an den nationalen Bestrebungen der Jahre 1848 und 1849 ward er 1851 seines Amtes entsetzt, worauf er in Leipzig privatisierte. Im J. 1855 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor der Altertumswissenschaft und Direktor des akademischen Kunstmuseums nach Bonn, [* 21] wo er auch die Übungen des archäologischen und von 1861 an in Gemeinschaft mit Ritschl die des philologischen Seminars leitete. 1867 wurde er an Gerhards Stelle nach Berlin berufen, starb aber, noch ehe er die neue Stelle angetreten, nach langem Siechtum in Göttingen, [* 22] wohin er zum Besuch seiner Freunde gereist war.
Von seinen zahlreichen archäologischen Arbeiten, welche für die Archäologie durch feinsinnige Kritik und durch sein ausgebildetes Kunstgefühl epochemachend sind, heben wir hervor: »Telephos und Troilos« (Kiel 1841);
»Die Gemälde des Polygnot« (das. 1841);
»Pentheus und die Mänaden« (das. 1842);
»Paris [* 23] und Oinone« (Greifsw. 1845);
»Die hellenische Kunst« (das. 1846);
»Peitho, die Göttin der Überredung« (das. 1846);
»Über einige Darstellungen des Parisurteils« (Leipz. 1849);
»Die Ficoronische Cista« (das. 1852);
»Beschreibung der Vasensammlung des Königs Ludwig« (mit ausführlicher Einleitung über Vasenkunde, Münch. 1854);
»Über den Aberglauben des bösen Blicks« (1855);
»Die Wandgemälde des Columbariums in der Villa Pamfili« (das. 1857);
»Der Tod der Sophonisbe« (Bonn 1859);
»Die Lauersforter Phalerä erläutert« (das. 1860);
»Darstellungen griechischer Dichter auf Vasenbildern« (Leipz. 1861);
»Römische [* 24] Altertümer aus Vindonissa« (Zürich [* 25] 1862);
»Über bemalte Vasen [* 26] mit Goldschmuck« (das. 1865);
»Über Darstellungen des Handwerks und Handelsverkehrs« (das. 1868) etc. Gesammelt sind dieselben zum ¶
mehr
Teil in den »Archäologischen Aufsätzen« (Greifsw. 1845) und in den »Archäologischen Beiträgen« (Berl. 1847). Kritisch-philologische Arbeiten sind seine Ausgaben des Persius (Leipz. 1843; 2. Aufl. von Bücheler, Berl. 1886),
Censorinus (das. 1845),
Florus (Leipz. 1852),
»Pausaniae descriptio arcis atheniensis« (Bonn 1860, 2. Aufl. 1880),
des »Brutus« (das. 1849; 4. Aufl., Berl. 1877) und des »Orator« von Cicero (das. 1851, 3. Aufl. 1869),
des Juvenal (das. 1851 u. 1868),
der »Periochae« des Livius (Leipz. 1853),
der »Psyche et Cupido« des Apulejus (das. 1856, 3. Aufl. 1884),
»Pausaniae descriptio arcis atheniensis« (Bonn 1860),
der »Electra« des Sophokles (das. 1861, 3. Aufl. 1882),
das »Symposion« von Platon (das. 1864, 2. Aufl. 1875) und des Longinus (das. 1867). Von seinen Gelegenheitsschriften verdienen die Reden über Winckelmann (Greifsw. 1844) und Gottfr. Hermann (Leipz. 1849; beide mit andern Reden etc. abgedruckt in »Biographische Aufsätze«, das. 1866, 2. Aufl. 1867) sowie sein Aufsatz »Die Bedeutung und Stellung der Altertumsstudien in Deutschland« (Berl. 1859) und die Schrift »Eduard Gerhard, eine Lebensskizze« (das. 1868) Erwähnung. Gesammeltes und Neues enthält sein Buch »Aus der Altertumswissenschaft« (Bonn 1868). Wertvolle Beiträge zur deutschen Litteraturgeschichte bilden die Abhandlung »Über Goethes Iphigenia« (Greifsw. 1843),
die Ausgabe von »Goethes Briefen an Leipziger Freunde« (Leipz. 1849, 2. Aufl. 1867),
denen sich die »Briefe der Frau Rat an ihre lieben Enkeleins« (das. 1855) und »Goethes Briefe an Chr. Gottl. v. Voigt« (das. 1868) anschlossen, sowie die Schrift »Ludwig Uhland« (Bonn 1863). Als Früchte seiner musikalischen Studien sind besonders die Schrift »Über Mendelssohns Oratorium Paulus« (Kiel 1842),
der Klavierauszug der zweiten Bearbeitung von Beethovens »Leonore«, mit den Abweichungen der ersten und kritischer Einleitung (Leipz. 1851),
die »Gesammelten Aufsätze über Musik« (das. 1866), namentlich aber die Biographie Mozarts (das. 1856-60, 4 Bde.; 2. verkürzte Aufl., das. 1867, 2 Bde.),
ein Meisterwerk der historisch-philologischen Methode und für die Musikgeschichte epochemachend, zu nennen.
Aus Jahns
Nachlaß gab sein Neffe Michaelis die »Griechischen Bilderchroniken« (Bonn 1873) heraus.
Vgl. A. Springer, Gedächtnisrede auf O. J. (»Grenzboten« 1869, Nr. 45).