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Jahre lang blieb der »Orlando furioso« im alleinigen Besitz der begeisterten Italiener und verdunkelte nicht bloß die schwachen Nebenbuhler, welche sich nach Ariost auf diesem Feld versuchten, sondern auch die zum Teil sehr rühmlichen Arbeiten aller frühern Dichter dieser Art, bis endlich Torquato Tasso (1544-95) mit seinem Epos »Gerusalemme liberata« ihm die Palme streitig machte, so daß noch jetzt das Urteil zwischen beiden Meisterwerken in Italien schwankt. Von denen, welche den Zwischenraum zwischen Ariost und Tasso, ohne doch irgendwie mit ihnen vergleichbar zu sein, ausfüllen, mögen hier genannt werden: Lodovico Dolce (gest. 1568), welcher fast in allen Fächern der Litteratur, Poesie und Prosa gearbeitet hat, und Vicenzo Brusantini aus Ferrara (gest. 1570), welcher das »Decamerone« in Verse setzte und eine geistlose Fortsetzung des Ariost: »Angelica innamorata«, schrieb. Auch mögen hier noch »Guerin Meschino«, die Bearbeitung eines alten Volksbuches von der durch Geist und freies Leben bekannten Dichterin Tullia d'Aragona (gest. 1565), und der »Amadigi«, ein romantisches Heldengedicht von Bernardo Tasso (gest. 1569), dem Vater Torquatos, erwähnt werden, letzteres eine Nachbildung des bekannten spanischen Romans »Amadis von Gallien«, welche den edelsten Geist keuscher Ritterlichkeit atmet, aber über seines Sohns »Gerusalemme liberata« vergessen ward. Von den zahlreichen, jetzt längst vergessenen Epikern, die durch die letztgenannte Dichtung angeregt wurden, mögen C. Gonzaga (»Il fido amante«), Giovanni Giorgini (»Il mondo nuovo«), Giovanni Fratta (»La Malteïde«) und Francesco Potenzano (»Gerusalemme distrutta«) genannt werden.
Während Männer wie Trissino und Tasso allen Ernstes bemüht waren, ihrem Volk ein würdiges und nationales Heldengedicht zu schaffen, regte sich als Gegensatz in andern die dem Nationalcharakter bei weitem mehr eigentümliche und zusagende Lust an Scherz, Ironie und Karikatur. Was roh und derb schon bei Burchiello, feiner und witziger bei Pulci, leiser und anmutiger bei Ariost sich ausgesprochen, das ward, als eigentümliche Gattung des Burlesken, von einigen Dichtern dieser Zeit auch auf das Epische angewendet und hat noch im folgenden Jahrhundert ganz besonders Ausbildung und Beifall erlangt. Der erste hier zu Nennende ist der auch unter dem Namen Merlino Coccajo bekannte Mönch Teofilo Folengo (gest. 1544), einer der ersten und glücklichsten Bearbeiter der sogen. makkaronischen Poesie. Außer diesem sind nur noch drei kleine burleske Heldengedichte aus dieser Zeit zu nennen: »La Gigantea« von Benedetto Arrighi, den Krieg der Giganten gegen die Götter, »La Nanea«, den mit Hilfe der Zwerge erfochtenen Sieg der Götter über die Giganten, von unbekanntem Verfasser, und »La guerra de' mostri«, den Sieg der Ungeheuer über die von den Göttern vergebens wieder erweckten Giganten besingend. Zu diesem letztern Gedicht bekannte sich der geistreiche, gebildete Ant. Francesco Grazzini (gest. 1583), auch bekannt unter seinem akademischen Namen il Lasca (die Barbe). Ehrenvolle Erwähnung verdient endlich Tansillos (gest. 1570) von den Zeitgenossen überaus geschätztes erzählendes Gedicht »Le lagrime di San Pietro«.
Das in diesem Jahrhundert immer mehr und immer allgemeiner absterbende politische Interesse, die ziemlich allgemeine Sittenverderbnis, besonders auch des geistlichen Standes, die daraus entspringende Sucht, das Unsittliche zum Gegenstand einer lustigen Unterhaltung zu machen, und die fast in allen Ständen tief gesunkene Achtung vor Religion und Kirche erzeugten eine Anzahl spottender, satirischer und frecher Gedichte (capitoli) in Terzinen, worin meist entweder ernste Gegenstände lächerlich oder höchst schmutzige auf eine witzige und leichtfertige Weise behandelt werden. Hierher gehört vor allen der schon oben genannte Francesco Berni, welcher von den Italienern als der zierlichste, anmutigste und zugleich natürlichste unter allen ihren burlesken Dichtern bezeichnet wird, so daß die ganze Gattung nach ihm »Poesia bernesca« heißt. Ihm ziemlich nahe steht sein Freund Giovanni d'Arcano, genannt Mauro (gest. 1536). Auch der noch später zu erwähnende Firenzuola könnte hier wegen einiger burlesken Gedichte angeführt werden. Züchtiger, aber auch weniger elegant sind die Dichtungen des Cesare Caporali (gest. 1601). In weiter Ferne dagegen von diesen trotz ihrer Fehler doch immer anmutigen und geistreichen Dichtern steht der berüchtigte Pietro Aretino (gest. 1557) als Verfasser der schmutzigen »Ragionamenti« etc. Seiner würdig, aber nicht so glücklich wie er war sein Freund und später erbitterter Feind Niccolò Franco, welcher wegen seiner verleumderischen Gedichte 1569 in Rom gehenkt wurde. Auch die altrömische Satire, als besondere Kunstform, konnte in einer dem Altertum so eifrig nachstrebenden und mit demselben wetteifernden Zeit nicht ohne Nachahmer bleiben. Antonio Vinciguerra (blühte um 1490) schrieb sechs Satiren in einem ernsten, herben, unpoetischen Ton. Heiterer und harmloser ist Ercole Bentivoglio (gest. 1573), dessen sechs Satiren zu dem Besten in dieser Gattung gehören. Auch Ariosts anmutig geschriebene, meist gegen die Geistlichkeit gerichteten Satiren erfordern Erwähnung. Unbedeutend sind die ähnlichen Arbeiten von Sansovino, Lodovico Dolce, Lodovico Paterno, Andrea dell' Anguillara u. a., wovon sich mehreres in den Sammlungen von Sansovino u. a. findet. Als geistreichster und witzigster Satiriker jener Zeit ist aber Pietro Nelli aus Siena (genannt Andrea da Bergama) zu nennen, der seine Pfeile gleich Ariost hauptsächlich gegen die Geistlichen wie gegen die Advokaten richtet und den Übergang von der gelehrten Satire zur Volksburleske bildet. - Die didaktische Poesie wurzelt bei den Italienern ebenfalls ganz in der Nachahmung der Alten; Vergil ist hier, mit geringen Ausnahmen, das vorzüglichste Vorbild gewesen; eine echt nationale Richtung hat diese an sich schon mehr künstliche als naturgemäße Dichtungsart wenigstens bei den Italienern nie gefunden. Zu den ersten Produkten in dieser Gattung gehört die »Coltivazione« des schon oben erwähnten Alamanni; sein glücklichster Nebenbuhler ist Giovanni Ruccellai (gest. 1526) in seinen »Apl«. In derselben Gattung der Poesie versuchten sich noch Erasmo da Valvasone (gest. 1593) mit »La Caccia«, Girolama ^[richtig: Girolamo] Muzio mit »Dell' arte poetica«, Bernardino Baldi (gest. 1617) mit »Nautica«. Von Alessandro Tesauro (gest. 1621) hat man den Anfang eines Gedichts über den Seidenbau (»Seréïde«) in zwei Büchern. Der einzige, welcher ein Nachahmer des Lukrez genannt werden könnte, ist Paolo del Rosso, der in seinem Gedicht »La fisica« die Physik des Aristoteles in Versen behandelt. Endlich ist hier noch zu erwähnen Luigi Tansillo (gest. 1568) wegen seiner didaktischen Gedichte: »Il podere« und »La balia« sowie des witzigen, aber obscönen »Vendemmiatore«.
Das dramatische Feld ward im 16. Jahrh. zwar auf eine sehr mannigfaltige Weise angebaut, ohne
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daß jedoch, mit geringen Ausnahmen, sehr bedeutende Arbeiten daraus hervorgegangen wären. In der ersten Hälfte des 16. Jahrh. wurden Versuche mit Dramen in lateinischer Sprache gemacht. Die bekanntesten dieser Arbeiten sind: »Ergastus« und »Philotimus«, zwei Dramen von dem Jesuiten Francesco Benzi; schön in der Sprache ist auch der »Imber aureus« von Antonio Tilesio aus Cosenza; alle aber werden an Eleganz übertroffen von dem »Christus« des Bischofs Coriolano Martirano (gest. 1551). In italienischer Sprache ist die Tragödie von vielen Dichtern bearbeitet worden, aber von keinem mit durchgreifendem Erfolg. Fast alle suchten sich peinlich den Alten anzuschließen, wodurch ihre Arbeiten kalt, mager und rhetorisch wurden und ohne inneres Leben blieben, weshalb auch das Volk sich gleichgültig von diesen gelehrten Produkten abwandte. Überhaupt ist weder in dieser noch in den folgenden Perioden ein wahrhaft nationales Trauerspiel in Italien geschrieben worden. Das erste italienische Stück, welches den Namen einer Tragödie überhaupt verdient, ist die »Sofonisba« des Trissino, dem sein Freund Ruccellai mit »Rosamunda« und »Oreste« folgte. Einen erstaunlichen, für das vornehme Publikum charakteristischen Erfolg errang Lodovico Dolce (gest. 1568) in Ferrara mit seiner »Marianna«; aber noch besser gelang es Giambattista Giraldi (genannt Cinzio), Rührung hervorzubringen mit seinem berühmten Trauerspiel »Orbecche« (1541). Zu ihrer Zeit sehr in Wert gehalten war auch die »Acripanda« von A. Decio da Orti, in der Wollust und Grausamkeit auf widerliche Weise gemischt sind. Bedeutend höher steht Torquato Tassos »Torrismondo«, worin die tragische Idee der antiken Tragödie in die romantische Sphäre hinübergezogen erscheint. Einen eignen Weg versuchte Sperone Speroni (gest. 1588), der mit seiner »Canáce« ebenso großen Beifall wie heftigen Widerspruch fand. Zu den bessern Tragödien dieser Zeit wird auch der »Edipo« des Giov. Andrea dell' Anguillara gerechnet. Endlich darf hier die »Orazia« des schon genannten P. Aretino nicht übergangen werden, die einen ehrenvollen Platz unter den Tragödien jener Zeit einnimmt. Nicht geringer ist die Zahl derer, welche, ebenfalls auf dem Weg der Alten, sich in der Komödie versuchten. Die Ehre, der erste auf diesem Feld gewesen zu sein, ist streitig zwischen dem Kardinal Bibbiena, Ariosto und Machiavelli; jedoch scheinen die Ansprüche der beiden erstern die ältesten und begründetsten. Die hierher gehörigen Produkte Ariosts sind: »Cassaria«, »I suppositi« und »Il negromante«; das des Kardinals Bibbiena (Bernardo Dovizi, gest. 1520) ist »Calandra« und die Machiavellis (gest. 1527) sind betitelt: »Mandrágola« und »Clizia«, beide in Prosa. Bei weitem weniger bedeuten die ganz verunglückten, nach den »Menächmen« des Plautus gebildeten »Simillimi« des Trissino; großen Beifalls jedoch erfreuten sich zu ihrer Zeit die Komödien des P. Aretino (»Il marescalco«, »Ipocrito« etc.), Francesco d'Ambra (gest. 1559), dessen Stücke: »Il furto«, »I Bernardi« und »La cofanaria« sich durch reine Sprache und komische Kraft auszeichnen, Lodovico Dolce (»Ragazzo«, »Ruffiano«), Ercole Bentivoglio (gest. 1572), Annibale Caro (gest. 1566, »Straccioni«) u. a., ganz besonders aber des Grazzini (»Gelosia«, »Sivilla«, »Arzigogolo«), der den Weg der sklavischen Nachahmung der Alten verließ und alle Lustspieldichter seiner Zeit an Leichtigkeit und Natürlichkeit des Dialogs übertraf. Einer der fruchtbarsten und talentvollsten Komödiendichter war der Florentiner Giammaria Cecchi (gest. 1587), der Verfasser des zügellosen Stücks »L'Assiuolo«. Endlich möge hier noch der Seltenheit wegen ein niedrig-komisches Stück, »Il candelajo«, in Prosa, von Giordano Bruno (gest. 1600) genannt werden. Alle die bisher erwähnten Stücke wurden nicht in Theatern und von Schauspielern, sondern an fürstlichen Höfen, in Privatgesellschaften, an Akademien und von Gelehrten, Hofleuten, wohl auch zuweilen von fürstlichen Personen aufgeführt. Die Akademie der Rozzi (»Rohen«) zu Siena hatte schon im Anfang des Jahrhunderts Stücke, zum Teil im Volksdialekt, geschrieben und in ihrem Lokal, ja selbst in Rom vor Leo X. dargestellt. Ihre Nachfolger, die Intronati, fuhren auf demselben Weg fort. Während die Vornehmern sich an dieser Commedia erudita, wie sie genannt wird, ergötzten, hatte das Volk seine eignen Schauspiele. Wie roh diese meist wohl auf öffentlichen Plätzen, in hölzernen Buden etc. aufgeführten Possen auch gewesen sein mögen, so zeigt doch das wenige, was wir davon wissen, und das, was sich später daraus entwickelt hat, daß es an derber Lust, an kräftigem Volkswitz, an echt komischer Kraft darin nicht fehlte. Schon im 16. Jahrh. waren die wichtigsten jener Masken: Pantalone, der ehrliche venezianische Kaufmann, Brighella und Arlecchino, Bergamasker Bedienten, jener pfiffig, dieser ein Tölpel, beide zusammen Zanni genannt, und noch mehrere andre, wie Scapino, ein spitzbübischer Bedienter, Tartaglia, der Stammler, etc., im allgemeinen Gebrauch. Die Stücke, welche dargestellt werden sollten, waren nicht aufgeschrieben, nur die Folge und der Hauptinhalt der Szenen wurde aufgezeichnet; ein solcher Zettel hieß Scenario, das Stück selbst Commedia a soggetto oder Commedia dell' arte, und den Schauspielern blieb überlassen, die ihnen angewiesenen Personen und Szenen nach eigner Lust auszuführen. Unter den Verfassern solcher meist verloren gegangener Stücke wird Flaminio Scala als der geistreichste und genialste genannt. Andre ebenfalls für wirkliche Schauspieler und also fürs Volk, daher auch in Lokalmundarten geschriebene Stücke sind die des Schauspielers Angelo Beolco, mit dem Zunamen il Ruzzante (der »Possenreißer«, gest. 1542), meist im paduanischen Dialekt, und die des Andrea Calmo (gest. 1571) in venezianischer Mundart. Ein andres Gegenstück der Commedia erudita war die von Spanien her eingeführte romantische Tragikomödie, die besonders von Raffaelle Borghini (»La donna costante«, 1582) und Sforza degli Oddi aus Perugia (gest. 1610) gepflegt wurde. Wie die Monstrositäten dieser Dichtgattung, so deutete noch eine andre Abart des Dramas auf den beginnenden Verfall der Poesie hin, das sogen. Hirtendrama, das durch die klassische Schäferdichtung »Arcadia« des Neapolitaners Jacopo Sanazzaro (gest. 1530), eine Sammlung von zwölf Eklogen, verknüpft durch einen Schäferroman, hervorgerufen wurde und besonders bei Hoffesten beliebt war. Die ersten Dichtungen dieser Art sind die »Favola di Cefalo« oder »L'Aurora« von Niccolò da Correggio (gest. 1506) und der »Tirsis« des Grafen Castiglione, letzterer eigentlich nur ein Dialog dreier Hirten in Ottaven, mit Chören und Tänzen untermischt; ferner »I due pellegrini« von Luigi Tansillo, die ebenfalls nur ein längerer Dialog zweier Liebenden sind. Auf diese ersten Versuche folgen nun wahrhaft dramatische Pastoralen, so die »Egie« des Giambattista Giraldi (gest. 1573), in Versen, »Il sagrificio« von Agostino