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durch eine glaubenstreue militärische Macht sich selbständig behaupten zu können. Indem aber Viktor Emanuel die Annexion von Neapel [* 2] und Sizilien [* 3] unmöglich ohne den Besitz der römischen Marken und Umbriens verwirklichen konnte, und da eine republikanische Bewegung, wie sie Garibaldi im Schilde führte, dem Kaiser Napoleon III. im Kirchenstaat äußerst mißfällig und gefährlich erschien, so verständigten sich Frankreich und I. abermals dahin, daß Viktor Emanuel die Marken und Umbrien besetzen sollte, um hierauf anstatt der Diktatur Garibaldis ein geordnetes monarchisches Regiment in Neapel einzurichten.
Nur sollte Rom und [* 4] das sogen. Patrimonium Petri, das die Franzosen besetzt halten würden, unangetastet bleiben. Kaum waren zwei sardinische Korps an den Grenzen [* 5] des Kirchenstaats erschienen, als in Umbrien und den Marken die Insurrektion ausbrach. Am 18. Sept. lieferte der italienische General Cialdini bei Castelfidardo dem General Lamoricière eine Schlacht, in welcher die päpstliche Armee völlig zersprengt wurde. Ancona, [* 6] wohin sich Lamoricière nur mit wenigen Truppen flüchtete, mußte sich bereits 29. Sept. ergeben.
Danach ging die Besetzung von Neapel rasch von statten. Nur bei Isernia stellten sich königstreue neapolitanische Truppen dem General Cialdini in den Weg. Am 7. Nov. zog Viktor Emanuel in Neapel ein, nachdem eine allgemeine Volksabstimmung sich für die Verbindung Neapels und Siziliens mit Sardinien [* 7] ausgesprochen hatte. Die Festung [* 8] Gaeta trotzte allein der siegreichen Armee und der Idee der italienischen Einheit. Die Belagerung der starken Feste begann aber sofort, und kapitulierte Franz II. mit 8000 Mann.
So war durch eine Reihe von ungeheuern Erfolgen die italienische Einheit bis auf Rom und Venedig [* 9] vollendet. Die Stellung, welche die verschiedenen europäischen Mächte zu der neuesten Gestaltung der Dinge einnahmen, war natürlich eine sehr verschiedene; bloß England erkannte die vollzogenen Thatsachen nicht nur sofort unbedingt an, sondern hieß dieselben auch gut. Im übrigen ward bald durch Kongreßvorschläge, bald durch Separatverhandlungen jede Einmischung hintangehalten, und das Schicksal Italiens [* 10] entschied sich im großen Ganzen wesentlich durch das Land selbst.
Nur auf Rom verzichtete Napoleon keinen Augenblick und behielt durch seine Besatzung den maßgebenden Einfluß nicht bloß auf I., sondern auch auf den Papst. Am versammelte sich das erste italienische Parlament in Turin. [* 11] Senat und Deputiertenkammer genehmigten den Vorschlag der Annahme des Titels eines Königs von I. für Viktor Emanuel und seine gesetzlichen Nachfolger mit allen Stimmen gegen die von zwei Senatoren, und 14. März nahm der König den Titel an. Hiermit war das Königreich I. gegründet, wenn auch noch nicht vollendet.
Die Vollendung der italienischen Einheit.
Weder durch seine Lage noch durch seine Geschichte konnte Turin, die bisherige Hauptstadt Sardiniens, Anspruch darauf erheben, auch die Hauptstadt des geeinigten I. zu sein. Dies konnte nur Rom sein, und der Ruf nach dessen Besitz wurde sofort laut. Cavour selbst war genötigt, sich noch über diese die Gemüter heftig bewegende Frage auszusprechen. Am 26. März entwickelte er ein Programm, durch welches die Lösung derselben im Weg friedlicher Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und geistlichen Macht herbeigeführt werden könnte, indem dem Papst und der katholischen Kirche gegen den Verzicht auf die weltliche Herrschaft vollkommene Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat in allen geistlichen Dingen zugestanden würde, und ermahnte zu Geduld und Mäßigung.
Allein der Papst und die ganze katholische Partei in Europa [* 12] hatten jeden Ausgleich längst zurückgewiesen, und Cavour hatte nicht die Genugthuung, irgend eine Verständigung angebahnt zu sehen, als er starb. Sein Verlust schien für I. unersetzlich, und es war schwierig, zu der Leitung der halbfertigen Zustände einen Nachfolger zu finden. Indes Staatsmänner wie Ricasoli, Rattazzi, Minghetti, Menabrea, Lanza u. a., wie sehr sie auch verschiedenen Parteirichtungen angehörten, wußten dennoch die Hauptsache: die Einheit Italiens, über allen Parteihader emporzuhalten und zu fördern.
Wiewohl die verschiedenen Versuche, Rom zum Mittelpunkt des neuen Reichs zu machen, zunächst scheiterten und die Aktionspartei im Parlament nur mühsam vor Übereilungen bewahrt werden konnte, entwickelte sich I. doch in zehn Jahren in einer bewunderungswürdigen Weise Schritt für Schritt, aber allerdings auch unter außerordentlich glücklichen Konstellationen der europäischen Verhältnisse und unter dem seltensten Wohlwollen der französischen, englischen und deutschen Staatsmänner.
Als Garibaldi 1862 die römische Frage mit Gewalt zu lösen suchte, trat ihm die Regierung Italiens mit Energie entgegen und bewies, daß sie die Leitung der Geschicke ihren Händen nicht entreißen lassen wollte. Die Schar Garibaldis, welche in Kalabrien gelandet war, wurde von den königlichen Truppen 28. Aug. bei Aspromonte angegriffen und zersprengt, Garibaldi selbst verwundet und gefangen. Anderseits fand Napoleon sowohl in den beginnenden deutsch-dänischen Verwickelungen als auch in den amerikanischen Verhältnissen Grund, sich I. wieder mehr zu nähern und der öffentlichen Meinung des Landes Rechnung zu tragen.
Nach längern Verhandlungen wurde eine Konvention zwischen Frankreich und I. (Septemberkonvention) geschlossen, welche durch ein Kompromiß die Frage der Hauptstadt lösen und die römische Frage beseitigen sollte. Frankreich verpflichtete sich durch dieselbe, binnen zwei Jahren Rom zu räumen, wogegen I. versprach, das päpstliche Gebiet nicht anzutasten und gegen Angriffe von außen zu schützen, endlich die Reorganisation des päpstlichen Heers geschehen zu lassen, wofern dasselbe nicht einen für I. bedrohlichen Charakter annehme.
Durch ein nachträgliches Protokoll versprach die italienische Regierung, die Hauptstadt Italiens binnen sechs Monaten von Turin nach Florenz [* 13] zu verlegen. Wiewohl nun in I. die letztere Bestimmung als ein Verzicht auf das Übergewicht der piemontesischen Erblande des Königs willkommen war, fürchtete man doch sehr, daß damit die Gewinnung Roms in unabsehbare Ferne gerückt wäre. In Turin aber, das wohl zu gunsten Roms, aber nicht Florenz' auf seinen Vorrang zu verzichten bereit war, kam es 20.-21. Sept. 1864 und im Januar 1865, als das Parlament die Verlegung der Hauptstadt genehmigte, zu ernstlichen Unruhen, so daß der König die bisherige Hauptstadt ohne Abschied und Kundgebung verliße ^[richtig: verließ] und in Florenz seinen Aufenthalt nahm.
Napoleon hatte der italienischen Regierung für ihre Nachgiebigkeit in der römischen Frage seinen Beistand bei der Erwerbung Venedigs versprochen. Der neue Minister, Lamarmora, hoffte, daß Österreich [* 14] sich zu einer friedlichen Abtretung gegen eine hohe Geldentschädigung verstehen werde. Indes hielt es dieses für seiner nicht würdig, ohne einen neuen ¶
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Waffengang auf die Provinz zu verzichten, wenn es auch selbst auf dauernden Besitz Venetiens nicht mehr rechnete. Mit Zustimmung, ja auf Antrieb Napoleons knüpfte daher das italienische Ministerium Verhandlungen mit Preußen [* 16] an, dessen gespanntes Verhältnis zu Österreich jeden Augenblick zu einem Krieg führen konnte; da sowohl Napoleon als Lamarmora die Kraft [* 17] Preußens [* 18] unterschätzten, so hegten sie die Zuversicht, daß I. ohne große Anstrengungen, während die deutschen Mächte in langwierigem Kampf sich aufrieben, Venedig werde gewinnen können. Am kam das Bündnis zwischen Preußen und I. zustande. Es war ein Offensiv- und Defensivtraktat, in welchem sich Preußen das Recht der Initiative vorbehielt; für den Fall eines österreichischen Angriffs jedoch sollte jeder Teil gleichberechtigt sein, die Hilfe des andern Kontrahenten zu fordern.
Nachdem der von Napoleon vorgeschlagene Kongreß an dem Widerspruch Österreichs gescheitert war, erging 20. Juni die Kriegserklärung Italiens an Österreich mit dem Bemerken, daß die Feindseligkeiten am 22. ihren Anfang nehmen würden (Italienischer Krieg von 1866). Die italienische Armee, 330,000 Mann stark, worunter 250,000 Feldtruppen und an 30,000 Freiwillige unter Garibaldi, wurde von dem König selbst geführt, dem Lamarmora als Generalstabschef zur Seite stand, neben dem aber Cialdini als Kommandant des 4. Korps eine gewisse Selbständigkeit behauptete.
Zwischen den beiden genannten Generalen bestand nicht die nötige Einigkeit. Der von Lamarmora entworfene Feldzugsplan bestand darin, daß die Hauptarmee den Mincio überschreiten und durch das Festungsviereck nach der Etsch vordringen sollte, wo sich der über den untern Po und die Etsch mit dem 4. Korps vordringende Cialdini am linken Ufer mit ihr vereinigen sollte. Aber der Erzherzog Albrecht hatte die numerisch bei weitem schwächere österreichische Armee durch glückliche Aufstellung in die Lage gesetzt, sich nach Erfordernis auf den einen oder andern Teil der geteilten italienischen Macht zu werfen, und brachte 24. Juni bei Custozza [* 19] dem Hauptheer des Königs unter Lamarmora eine so entscheidende Niederlage bei, daß die italienische Offensive fürs erste gänzlich aufgegeben werden mußte.
Währenddessen fiel in Böhmen [* 20] bei Königgrätz [* 21] 3. Juli die Entscheidung. Unmittelbar nach derselben trat Österreich Venetien dem Kaiser Napoleon ab, indem es dessen Vermittelung I. gegenüber in Anspruch nahm. Der italienische Minister Ricasoli weigerte sich aber, den vertragsmäßigen Verpachtungen gegen Preußen untreu zu werden, und erneuerte die militärischen Operationen. Am 7. Juli überschritt Cialdini den untern Po und besetzte das Venezianische mit Ausnahme der Festungen, da die Österreicher das von ihnen bereits abgetretene Land fast ohne Schwertstreich räumten. Die Italiener dachten schon daran, sich nicht bloß mit Venetien zu begnügen, sondern alles italienisch sprechende Gebiet Österreichs, Welschtirol und Istrien, [* 22] an sich zu reißen.
Zu weitern Kämpfen kam es jedoch nur in Tirol [* 23] und zur See. Trotz der großen Hoffnungen, welche man in I. auf die Tüchtigkeit der Flotte setzte, hatte sich diese doch unthätig in Ancona aufgehalten, während die österreichische Flotte bei Pola [* 24] vor Anker [* 25] lag. Als nun der Admiral Persano von dem italienischen Ministerium Befehl erhielt, in See zu stechen und die befestigte Insel Lissa [* 26] an der dalmatischen Küste wegzunehmen, wurde er von dem österreichischen Admiral Tegetthoff angegriffen und erlitt bei Lissa eine vollständige Niederlage (20. Juli). In I. erhob sich ein stürmischer Unwille gegen Persano, er wurde daher mit vielen seiner Flottenoffiziere vor ein Kriegsgericht gestellt und abgesetzt. In dem Waffenstillstand zu Cormons, 12. Aug. auf vier Wochen abgeschlossen, verzichtete Viktor Emanuel auf alle Erwerbungen außerhalb Venetiens und räumte die in Südtirol und Istrien besetzten Gebiete. Der definitive Friede kam aber erst 3. Okt. in Wien [* 27] zu stande. In demselben ward die Abtretung des Lombardisch-Venezianischen Königreichs innerhalb seiner bisherigen Grenze nochmals bestätigt, wogegen I. sich verpflichtete, die auf jener Provinz haftenden Schulden zu übernehmen. Um die Schwierigkeit der früher stattgefundenen Zession Venetiens an Napoleon zu heben, wurde 21. und 22. Okt. noch eine Volksabstimmung in Venetien angeordnet, welche nur eine Minderheit von 69 Stimmen gegen die Einverleibung in das Königreiche ergab. Am 7. Nov. hielt Viktor Emanuel seinen feierlichen Einzug in das befreite Venedig.
Kaum war Venetien erworben, so drängte die ungeduldige Aktionspartei zur sofortigen Lösung der römischen Frage. Der Septemberkonvention gemäß hatte, nachdem eine päpstliche Armee, zumeist aus eifrig kirchlichen Freiwilligen, gebildet worden war, die französische Besatzung Rom und den Kirchenstaat geräumt. Zum erstenmal seit Jahrhunderten war der Boden Italiens frei von fremden Truppen. Die italienische Regierung wollte sich zunächst mit diesem Erfolg begnügen und begann von neuem Verhandlungen mit der Kurie über eine friedliche Verständigung, die freilich von dieser schroff zurückgewiesen wurde.
Die Radikalen aber drängten zum Handeln. Garibaldi sammelte im Oktober 1867 eine Freischar, überschritt mit dieser 22. Okt. die Grenze des Kirchenstaats und rückte gegen Rom. Während die päpstliche Armee den Garibaldinern entgegenzog, landete zu ihrer Unterstützung ein Korps von 6000 Franzosen in Civitavecchia, und mit dessen Hilfe siegten die päpstlichen Truppen 3. Nov. bei Mentana über die Garibaldische Freischar, welche gänzlich auseinander gesprengt wurde. Der Rest des Kirchenstaats ward nun wieder von den Franzosen besetzt.
Die wenig verhüllte Begünstigung, welche der damalige Ministerpräsident, Rattazzi, Garibaldi hierbei hatte zu teil werden lassen, ohne doch den Mut offenen Beistandes zu haben, brachte I. Frankreich gegenüber in eine höchst demütigende Lage, und die Unfähigkeit des jungen Königreichs, seine Selbständigkeit allein mit eignen Kräften zu behaupten, trat offen zu Tage. Die Zerrüttung der Finanzen, das ungeheure Defizit, die Eifersucht der Parteihäupter, die Indolenz und Arbeitsscheu eines großen Teils des Volkes erschwerten eine rasche Erstarkung des jungen Staatswesens.
Der Prozeß Persano, die Affaire Lobbia enthüllten bedenkliche Schäden in den herrschenden Kreisen. Die altpiemontesische Partei, die sogen. Consorteria, erwies sich zwar noch am meisten tüchtig in der Durchführung der notwendigen Reorganisation; aber sie war verhaßt im Volk wegen ihrer sklavischen Unterwürfigkeit unter den Willen Frankreichs, und auch die reorganisatorischen Maßregeln, wie die Einziehung der Klöster, Ersparungen im Kriegsetat etc., konnten naturgemäß nicht sofort alle Übelstände beseitigen.
Wiederum kam aber das Glück den Italienern zu Hilfe. Als 1870 der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland [* 28] ausbrach, war Viktor Emanuel geneigt, den Dank, den er Napoleon III. und der französischen Nation zu schulden glaubte, damit abzuzahlen, daß er ihnen gegen Deutschland bewaffneten Beistand leistete. Dies verhinderte das Ministerium Lanza-Sella, ließ ¶