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übrigens freie, öffentliche Religionsübung; auch begründet die Konfession keinen Unterschied in der Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte. Die Prärogativen des zu Rom [* 2] residierenden Papstes als des geistlichen Oberhauptes der katholischen Kirche sind durch das Gesetz vom neu geregelt, auf welchem Gesetz auch das Verhältnis der Kirche zum Staat beruht. Danach ist die Person des Papstes heilig und unverletzlich; die italienische Regierung erweist dem Papste die souveränen Ehren und garantiert ihm eine jährliche Dotation von 3,225,000 Lire sowie den steuerfreien Genuß der Paläste Vatikan [* 3] und Lateran und der Villa von Castel Gandolfo, welche Örtlichkeiten der Jurisdiktion des Staats nicht unterworfen und ebenso mit Immunitätsrechten ausgestattet sind wie jene Räume, die vom Papst nur zeitweilig bewohnt werden, oder in welchen ein Konklave oder ein Konzil abgehalten wird.
Der Papst ist in der Ausübung seiner geistlichen Funktionen vollkommen frei; ebenso ist der freie Verkehr des heiligen Stuhls mit dem Episkopat und der ganzen katholischen Welt garantiert. Die Gesandten des Papstes und die der fremden Mächte bei ihm genießen alle völkerrechtlichen Privilegien. Der Kirche kommt die freie Ernennung zu allen geistlichen Ämtern und Pfründen zu. Das königliche Exequatur und das königliche Placet sind abgeschafft. Im Königreich I. bestehen 47 Erzbistümer, 217 Bistümer und 11 Abteien mit bischöflicher Jurisdiktion; die Zahl der katholischen Weltgeistlichen beträgt gegen 100,000. Die Klöster sind durch das königliche Dekret vom aufgehoben worden, mit Ausnahme einiger wenigen für Krankenpflege und Unterricht. Den Mitgliedern der aufgelösten Klöster wurden vom Staat Jahrespensionen angewiesen, wofür die Klostergüter dem Staatsvermögen einverleibt worden sind. Die Bettelorden und Frauenklöster sind auf den Aussterbeetat gesetzt. Die Jesuiten sind gesetzlich unterdrückt und ihre Güter für Staatseigentum erklärt worden.
Bildung und Unterricht.
Das Unterrichtswesen ist im allgemeinen durch das Gesetz vom (bekannt unter dem Namen »legge Casati«) geregelt und die Unterrichtsverwaltung durch die Dekrete vom 22. Sept. und organisiert, wonach in jeder der 69 Provinzen ein Schulrat, bestehend aus dem Präfekten als Vorsitzenden, dem Studienaufseher und sechs Räten, zusammengesetzt ist, als dessen Repräsentanten die Delegaten in den Bezirken und die Schulinspektoren in den Kreisen fungieren. Der Stand der Volksbildung ist bis jetzt kein befriedigender, da nach der Volkszählung von 1881 unter der Gesamtbevölkerung von 28,459,628 Seelen 19,141,157 Analphabeten (67,3 Proz.) und, wenn man die Kinder unter sechs Jahren abrechnet, noch immer 15,040,784 Analphabeten (61,9 Proz.) ermittelt wurden.
In den einzelnen Landesteilen ist die Zahl der Analphabeten sehr verschieden. Die günstigsten Bildungsverhältnisse finden sich in den nördlichen Landschaften (Piemont 32,3, Lombardei 37, Ligurien 44,5, Venetien 54,1 Proz. Analphabeten von den über sechs Jahre alten Personen), während die Zahl der Analphabeten zunimmt, je weiter man dem Süden zuschreitet (ehemaliges Königreich Neapel [* 4] 79,5, Sardinien [* 5] 79,8, Sizilien [* 6] 81,2 Proz.). Die Zahl der öffentlichen Volksschulen betrug 1883: 42,390 mit 1,017,402 männlichen und 856,321 weiblichen Schülern.
Hierzu kommen noch 8870 Privatschulen mit 352,402 Schülern, dann 10,618 Abend- und Sonntagsschulen für Erwachsene mit 398,487 Schülern. Der Besuch der Elementarschulen ist obligatorisch, der Unterricht findet unentgeltlich statt (die Sorge für die Schulen liegt den Gemeinden ob) und zerfällt in einen niedern und einen höhern mit je zwei Jahrgängen. Zur Erziehung und zum Unterricht der Töchter der gebildeten Stände sind die höhern Töchterschulen bestimmt, von welchen die erste 1861 in Mailand [* 7] vom Munizipium errichtet wurde, während gegenwärtig schon 77 mit 3579 Schülerinnen bestehen.
Zur Heranbildung der Volksschullehrer dienen die Normalschulen und zwar 124, davon 69 Staatsanstalten mit 9416 Eleven. Der klassische Sekundärunterricht umfaßt die Gymnasien (734) als die untere Stufe mit fünf Jahrgängen und die Lyceen (341) als die obere Stufe mit drei Klassen, zusammen mit 58,784 Schülern, der realistische Sekundärunterricht die technischen Schulen (423, davon 70 königliche) mit 25,876 Schülern, dann die technischen Institute (66) mit 7358 Schülern.
Für den höhern Unterricht bestehen vor allem 17 königliche Universitäten, 11 vollständige mit den 4 Fakultäten, die theologische ausgeschlossen, die philosophische geteilt, in Bologna, Catania, Genua, [* 8] Messina, [* 9] Neapel, Padua, [* 10] Palermo, [* 11] Pavia, Pisa, [* 12] Rom und Turin, [* 13] 3 mit nur 3 Fakultäten (keine philologisch-philosophische) in Cagliari, Modena und Parma, [* 14] 3 mit 2 Fakultäten (Jurisprudenz und Medizin) in Macerata, Sassari und Siena. Alle 17 Universitäten zählten 1883-84: 1274 Lehrkräfte und 13,104 Hörer.
Die älteste Universität ist die in Bologna aus dem Jahr 1119; die am stärksten frequentierten sind die Universitäten von Neapel mit 3641, Turin mit 2086 und Rom mit 1058 Studierenden. Die ganzen Universitätsverhältnisse wurden im Oktober 1875 neu geregelt. Als Hochschulen sind weiter anzusehen: die 4 freien Universitäten in Ferrara [* 15] und Perugia (mit je 3 Fakultäten), Camerino und Urbino (mit 2 Fakultäten) mit zusammen 230 Studenten, das königliche höhere Studieninstitut in Florenz [* 16] (mit 3 Sektionen für Philosophie und Philologie, Medizin und Chirurgie, Naturwissenschaften), die wissenschaftlich litterarische Akademie in Mailand (einer Fakultät für Philosophie und Litteratur entsprechend), das königliche höhere technische Institut in Mailand, die königlichen Ingenieurschulen in Turin, Neapel, Padua, Bologna, Rom, Palermo und Pavia, das königliche Industriemuseum in Turin.
Endlich besteht eine große Zahl von Fach- und Speziallehranstalten, wovon besonders zu erwähnen wären: das Collegio romano (auch Gregorianische Universität genannt), die Schule für Sozialwissenschaften in Florenz, die städtische höhere Kunstgewerbeschule zu Mailand, die höhere Handelsschule zu Venedig, [* 17] die höhere nautische Schule zu Genua, die königlichen Ackerbauschulen in Mailand und Portici, die höhere Schwefelbergbauschule zu Palermo, das Musikinstitut zu Florenz und die Militärschulen (s. unten).
Als Hilfsanstalten für den Unterricht bestehen ca. 500 Bibliotheken, darunter die bedeutendsten die vatikanische Bibliothek in Rom (220,000 Bände, 25,600 Manuskripte), die aus den Bibliotheken der aufgehobenen Klöster gebildete Biblioteca Vittorio Emanuele in Rom (500,000 Bände, 5000 Manuskripte), die Nationalbibliothek in Florenz (300,000 Bände, 14,000 Manuskripte), die Markusbibliothek in Venedig (260,000 Bände, 8000 Manuskripte), die Nationalbibliothek in Neapel (260,000 Bände, 10,000 Manuskripte), die Ambrosianische Bibliothek in Mailand (160,000 Bände, 15,000 Manuskripte), die Universitätsbibliothek in Bologna (150,000 Bände, 6000 ¶
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Manuskripte) u. a. Sehr zahlreich sind in I. die wissenschaftlichen Gesellschaften (Akademien), deren jede Stadt eine oder auch mehrere besitzt. Zeitungen erschienen 1856 in I. nur 331, eine Zahl, die 1880 auf 1454 angewachsen war. Von letztern waren 560 politische, 262 litterarische und artistische, 219 fachwissenschaftliche, 185 landwirtschaftliche und gewerbliche, 78 kirchliche, 89 humoristische und illustrierte und 61 pädagogische Blätter. Täglich erschienen 149 (1883: 159) Zeitungen.
Auf Rom kommen 200, Mailand 140, Neapel 120, Turin 94, Florenz 79 Blätter. Wie I. von jeher das klassische Land der Kunst gewesen ist, so ist es auch noch heute, obwohl sich seit Jahrhunderten alle Museen der Welt aus I. bereichert haben, reich an Kunstschätzen, und jede nur irgendwie ansehnliche Stadt besitzt ein Museum für Gemälde, Skulpturen und Antiquitäten. Die bedeutendsten finden sich in Rom (vatikanische und kapitolinische Sammlungen, lateranisches Museum, Galleria Borghese, Doria, Colonna, Corsini etc.), Florenz (Uffizien, Pitti, Akademie, Bargello), Neapel (Nationalmuseum), Venedig (Akademie, Dogenpalast), Mailand (Brera), Turin, Bologna, Genua, Verona, [* 19] Parma, Perugia, Siena, Palermo etc.
Die Faktoren, welche die ursprüngliche Begabung eines Volkes umzuwandeln und seinen Nationalcharakter zu beeinflussen im stande sind, das Klima, [* 20] die gesamte Naturumgebung, die historischen Geschicke, mußten in I. besonders wirksam sein. In so mildem Klima, an der Hand [* 21] einer Natur, welche alle Bedürfnisse reichlich befriedigte, ohne allzu harte, abstumpfende, die Elastizität des Geistes wie des Körpers brechende Arbeit, mußte sich jene Empfänglichkeit, jene Beweglichkeit entwickeln, welche den Italiener charakterisiert.
Weich und geschmeidig, zarter organisiert, wie sein Körper, ist auch sein Geist; rasch auflodernd in Leidenschaft, zu guter wie böser That leicht hingerissen, fehlt es ihm aber nicht selten an Zähigkeit und Tiefe. Mäßig und nüchtern, wie es dem Klima entspricht, ist der einzelne bedürfnislos und vermag sich leicht dem Gefühl der Unabhängigkeit hinzugeben. Wenn auch diese Bedürfnislosigkeit in Nahrung, Kleidung und Obdach leicht zu einem Hemmschuh der Kulturentwickelung werden kann, wie dies in Süditalien [* 22] schwer zu leugnen ist, so ermöglicht sie doch anderseits ungestörte Hingabe an ideale Bestrebungen, Pflege des Wohlthätigkeitssinnes, der Wissenschaften, der Künste. Namentlich Sinn für die Kunst, Sinn und Pflege des Schönen, in welcher Form immer, ist einer der hervorstechendsten Charakterzüge des Italieners. Nicht nur in den Städten, selbst in der Anlage und Umzäunung der Felder, in der Bauart des einfachen Bauernhauses prägt sich dies aus. Und die Natur unterstützt ihn dabei, sie gibt ihm die schöne Form, das trefflichste Material an die Hand.
Bodenkultur.
Durch die klimatischen wie die Bewässerungsverhältnisse und das Relief des Landes wird auch die Bodenkultur bestimmt. Dieselbe unterscheidet sich in ihrem Betrieb wie in Bezug auf ihre Erzeugnisse sehr wesentlich von derjenigen Mitteleuropas und steht in Oberitalien [* 23] auf der denkbar höchsten Stufe der Entwickelung, in Süditalien dagegen ist sie häufig noch sehr primitiv. Das Charakteristische daran ist das Überwiegen der Baumkultur, die Anwendung künstlicher Bewässerung, der Anbau von 2 oder 3 Früchten zu gleicher Zeit, namentlich im S., sowie die Erzielung mehrerer Ernten hintereinander in demselben Jahr.
Dort kann man den Boden mit Gerste [* 24] bestellt sehen, dazwischen Weinreben und über diesen Ölbäume, insofern bei der intensiven Sonnenglut leichte Beschattung wünschenswert ist und diese drei Früchte zu ganz verschiedener Zeit reifen. Die Baumkultur spielt eine so große Rolle, daß 1877 ein Fünftel der Gesamtausfuhr auf ihre Früchte kam. Diese Baumkulturen, die namentlich auch häufig in Terrassen an den Berghängen emporsteigen, erstrecken sich besonders auf Oliven, Feigen, Pfirsiche, Aprikosen, Mandeln, Maulbeeren, Johannisbrot und den Weinstock, zu denen dann an der Riviera und den bewässertern ^[richtig: bewässerten] Ebenen und Thälern Süditaliens die sehr wichtige Kultur der Limonen, Orangen, Mandarinen und japanischen Mispeln sowie auf trocknem, selbst felsigem Boden die als Nährpflanze außerordentlich wichtige Opuntie hinzukommen, während unsre mitteleuropäischen Obstarten nach S. hin immer mehr in höhere Gegenden zurückweichen.
Viele Gegenden erhalten durch diese Fruchtbäume einen waldartigen Anblick. Eine sehr große Rolle spielen auch Gemüse, Erbsen, Artischocken, Blumenkohl, Salat u. dgl., welche im S. im Winter fast besser gedeihen als im Sommer, während die massenhaft angebauten Tomaten und Kukurbitaceen jeder Art auf den Sommer beschränkt sind. Kartoffeln werden nur in Oberitalien im großen gebaut, weiter nach S. sind sie in vielen Gegenden fast unbekannt und werden durch Opuntien ersetzt.
Von Cerealien baut man besonders Weizen, Mais (mehr in Ober- und Mittelitalien), Gerste (sehr wichtig im S.) und Reis im Pogebiet. Die intensivste Bodenkultur herrscht im Pogebiet, in Toscana, Kampanien, der Conca d'Oro von Palermo und ähnlichen Gegenden, die durchaus gartenartig angebaut sind, wo kein Stückchen Land unbenutzt bleibt und unter beständiger Bewässerung auf dem fruchtbaren Schwemmland höchster Ertrag erzielt wird. Die Kostspieligkeit der Bewässerungsanlagen hat aber den Grund und Boden meist in der Form großer Güter in den Besitz reicher Adligen und Städter gebracht, welche dieselben in vielen kleinen Parzellen so hoch verpachten, daß der Pachter bei harter Arbeit kaum das Leben fristet und die Masse der Bevölkerung [* 25] in diesem Garten [* 26] Europas im Elend schmachtet. Im Gegensatz zu diesen Gegenden stehen aber die Hügellandschaften des innern Sizilien, auf denen nur Weizen mit Ausschluß aller Bäume in primitiver Weise gebaut wird, und die nach der Ernte [* 27] im Sommer und Herbst der Steppe gleichen, noch mehr aber die nur als Winterweide brauchbaren, im Sommer von Malaria heimgesuchten Ebenen Apuliens, die Pontinischen Sümpfe, die Campagna von Rom und die Maremmen.
Die Landwirtschaft ist die Haupterwerbsquelle der Bevölkerung, und bei der allgemeinen Fruchtbarkeit des Bodens sind selbst in Sardinien und Sizilien die unangebauten Flächen geringer, als man gewöhnlich annimmt. Das produktive Land beträgt 87 Proz. des Gesamtareals, unproduktiv sind nur die genannten Sumpfgegenden und die höhern Gebirge. Aber auch in erstern sind schon allenthalben Austrocknungsarbeiten vorgenommen, wie neuerdings in der römischen Campagna, wie überhaupt in den letzten zwei Jahrzehnten derartige kulturtechnische Arbeiten, in denen die Italiener Meister sind, mit größerer Energie in Angriff genommen worden sind.
Vom Gesamtareal entfallen auf Acker- und Gartenland 36,9 Proz., auf Weinland 6,3, auf Wiesen und Weiden 25, auf Olivenhaine 3 und auf Waldungen 15,7 Proz. Der Ackerbau liefert alle Getreidearten, Reis in großer Menge zur Ausfuhr (bis 800,000 metr. Ztr.), ¶