staatswirtschaftlich gerechtfertigt, wenn der
Staat die
Produkte auf diese
Weise billiger oder besser dem
Bedarf entsprechend
erhalten oder wenn er nur so auf die sichere Befriedigung seines
Bedarfs rechnen kann.
Vgl.
Haushofer, Der Industriebetrieb
(Stuttg. 1874);
Bourcart, Die
Grundsätze der Industrieverwaltung (Zür. 1874);
Arbeiterfrage.Die i. A. ist die
soziale Frage für die im gewerblichen
Großbetrieb
(Fabriken,
Salinen,
Berg-
und
Hüttenwerke, größere Hausindustrielle und Handwerksunternehmungen) beschäftigten Lohnarbeiter, somit ein Teil der
oft schlechthin als
»soziale Frage« bezeichneten
Arbeiterfrage (s. d.). Die besondere Behandlung derselben
an dieser
Stelle wird sich nur auf eine Charakterisierung der verschiedenen reformbedürftigen Mißstände wirtschaftlicher
und moralischer
Natur und der zu ihrer Beseitigung geeigneten Maßregeln erstrecken.
Dieselben können zunächst darin bestehen, daß das
Einkommen dieser
Klassen, welches fast ausschließlich Arbeitseinkommen
(vgl.
Arbeitslohn) ist, nicht genügend sichergestellt ist
(Verschiebungen in der
Produktion, Änderungen
in
Technik und
Verkehr,
Erfindungen,
Krisen, welche
Arbeiter entbehrlich machen;
Gefahr der Erkrankung für
Arbeiter, infolge deren
der
Verdienst auf einige Zeit in Wegfall kommt, etc.), daß dasselbe nicht zureicht, um
den der errungenen Kulturstufe entsprechenden
notwendigen Lebensbedarf zu decken, und daß es keine Aussicht auf
Steigerung bietet.
Das thatsächliche
Einkommen der Lohnarbeiter ist außerordentlich verschieden. Unzweifelhaft reicht bei vielen Arbeiterklassen
der
Lohn hin, um bei sparsamer und wirtschaftlicher Lebensweise ein wirkliches Kulturleben und oft auch noch die Ansammlung
von Ersparnissen zu ermöglichen. Es ist vielfach höher als das von kleinen Handwerkern und Beamten.
Doch gibt es in fast allen Industriezweigen auch
Arbeiter, deren
Lohn bei einer mittelstarken
Familie nur gerade die Befriedigung
der dringendsten Bedürfnisse in dürftigster
Weise, bei starker
Familie aber nicht einmal diese gestattet; es ist dies die
Klasse der sogen. mechanischen, der ungelernten Lohnarbeiter, des eigentlichen
Proletariats.
Nur für sie gilt das sogen.
eherne Lohngesetz, welches von den meisten Sozialisten fälschlich als für alle Lohnarbeiter
bestehend behauptet wird (vgl.
Arbeitslohn). Doch liegt die
Ursache der Unzulänglichkeit des
Lohns nicht darin, daß letzterer
durch freien
Vertrag bestimmt wird, sondern sie liegt einerseits in der geringen Arbeitsfähigkeit dieser
Personen, anderseits darin, daß in der
Regel infolge übermäßiger Volksvermehrung ein Mehrangebot von Arbeitskräften vorhanden
ist und nun diese
Arbeiter durch ihre eigne
Konkurrenz den
Lohn herabdrücken. In andern
Klassen wird das geringe
Einkommen nur
bei besonders kinderreichen
Familien zum
Übelstand. In beiden
Fällen sind die Bedrängten an den ungünstigen
Einkommensverhältnissen nicht schuldlos.
Einzelne
Arbeiter können sich wohl zu Unternehmern emporschwingen
(Krupp,
Borsig etc.), auch kann ein kleiner Teil zu den bessern
und einträglichern
Stellungen eines Vorarbeiters, Aufsehers,
Meisters in den
Fabriken gelangen. Doch hat der bei weitem größere
Teil der industriellen
Arbeiter schon frühzeitig die höchste
Stufe des
Einkommens erreicht und keine Aussicht,
ein höheres zu erlangen.
Nun kann aber bei eintretender Arbeitsunfähigkeit
(Krankheit,
Alter,
Tod) das
Einkommen ganz in Wegfall
kommen, wenn nicht die
Arbeiter, bez. ihre
Familien dagegen durch Unterstützungskassen, Versicherungsanstalten oder sonst
(Invalidenversorgung) geschützt sind.
Endlich ist hervorzuheben, daß isolierte, d. h. nicht in
Gewerkvereinen organisierte, Lohnarbeiter in der
Regel von den vorübergehenden günstigen
Konjunkturen aus dem Produktenmarkt ihres Industriezweigs keinen Vorteil haben, unter
den ungünstigen aber mit leiden.
Vgl. über thatsächliche
Löhne unter andern:
Ducpétiaux,
Budgets économiques des classes
ouvrières en Belgique (Par. 1855);
Weitere Übelstände können darin bestehen, daß auf
Kosten von
Gesundheit und
Sittlichkeit die Arbeitszeit
zu lange bemessen ist und keine genügenden Ruhetage
(Sonntage) gewährt werden. Zwar ist je nach der Art der
Arbeit und der
Anstrengung die berechtigte
Grenze der Arbeitszeit verschieden für die verschiedenen Arbeiterklassen, doch dürfte im allgemeinen
bei eigentlicher
Fabrik- und Bergwerksarbeit die
Forderung einer zehnstündigen wirklichen
Arbeit, also
eines nur zwölfstündigen Arbeitstags (zwei
Stunden Ruhepausen), nicht unbillig sein.
Sonntagsarbeit sollte nur da stattfinden, wo die
Technik einen ununterbrochenen Betrieb erheischt, und hier auch nur in der
Weise, daß ein regelmäßiger Schichtwechsel vor sich geht und dieArbeiter nur einen
Sonntag um den andern
arbeiten.
Gesetzgebung (über
Kinder- und
Frauenarbeit),
Agitation der
Arbeiter
(Gewerkvereine) und humanitäre Bestrebungen haben
zwar schon manche Besserung erzielt, doch ist die
Arbeit noch nicht überall in wünschenswerter
Weise geregelt. In
Deutschland
[* 7] ist die
Regel eine zehn- bis elfstündige wirkliche Arbeitszeit, in der Textilindustrie steigt sie nicht
selten bis 12 und 13
Stunden, und regelmäßige Sonntagsarbeit besteht auch noch vielfach da, wo die
Technik sie nicht gebieten
würde.
Auch Nachtarbeit sollte nur da stattfinden, wo sie aus technischen
Gründen unentbehrlich ist, und dann mit regelmäßigem
Schichtwechsel, so daß die Nachtarbeiter einer
Woche die Tagarbeiter in der nächsten sind. Die Art der
Beschäftigung kann
Sittlichkeit,
Gesundheit und
Leben gefährden, indem die
Arbeit allzu eintönig und einförmig ist, in ungesunden
Räumen unter Einatmung schädlicher
Stoffe, ohne genügende
Sicherung gegen gefährliche
Maschinen etc. stattfindet (s.
Gewerbekrankheiten)
oder auch männliche und weibliche
Arbeiter, Erwachsene und
Kinder zusammen arbeiten.
findet sich unter anderm in den angeführten Werken von Engels und Marx, in den Berichten der englischen Fabrikinspektoren und
der großen Enquetekommissionen;
vgl. fernerL.Faucher, Études sur l'Angleterre (2. Aufl., Par. 1856, 2 Bde.);
Viele Lohnarbeiter,
insbesondere solche, welche keinem Arbeiterverband angehören, befinden sich trotz Freizügigkeit, Freiheit des Arbeitsvertrags
in einer Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern, die schädlich auf Lohnhöhe, Arbeitszeit, Art der Arbeit
und persönliche Behandlung einwirkt. Hauptursache derselben sind Einseitigkeit der Ausbildung, die Abgelegenheit einer Fabrik
oder eines Bergwerks von andern Unternehmungen, in denen der Arbeiter Beschäftigung suchen könnte, Mangel an Zeit, andre Arbeit
zu suchen, Gebundenheit an einen Ort durch Land- oder Hausbesitz.
Für Verbesserung der Arbeiterwohnungen (s. d.) ist zwar in neuerer Zeit viel geschehen, aber trotzdem
entspricht eine große Zahl, wenn nicht die Mehrzahl derselben keineswegs den im Interesse der Gesundheit und Sittlichkeit an
sie zu stellenden Anforderungen. Gerade die Wohnungsfrage ist noch wichtiger als die Lohnfrage, indem viele
Übelstände (große Sterblichkeit, Unsittlichkeit etc.) dadurch verursacht werden, daß die Wohnungen ungesund, schmutzig
und zu klein sind.
Die Arbeiter sind meist genötigt, ihren Lebensbedarf im kleinen bei Krämern einzukaufen; dabei müssen sie oft höhere Preise,
noch dazu gewöhnlich für schlechtere Ware, zahlen. Früher hielten auch wohl Unternehmer oder deren
Aufseher solche Kramläden und verpflichteten ihre Arbeiter, in denselben die Waren zu kaufen. Leider ist diese Maßregel häufig
zu einem Mittel der Ausbeutung geworden, indem den Arbeitern schlechte Waren zu hohem Preis verkauft wurden (Trucksystem).
Zu unterscheiden sind solche, welche bei verheirateten Arbeitern, bei männlichen Arbeitern überhaupt
und bei unverheirateten weiblichen Arbeitern vorkommen. Bei verheirateten Arbeitern stehen Häuslichkeit und Familienleben
oft im Widerspruch mit den Forderungen von Sittlichkeit und Kultur. Die Ursache hiervon liegt häufig in Unzulänglichkeit des
Einkommens oder übermäßiger Ausdehnung
[* 9] der Arbeitszeit der Familienväter; aber nicht selten wirken doch auch andre Ursachen
mit, wie frühe leichtsinnige Eheschließungen, Mangel des Bewußtseins der sittlichen Pflichten der Eheleute
und Eltern, Unwirtschaftlichkeit der Frauen und Unfähigkeit derselben, dem Mann ein ordentliches, behagliches Hauswesen zu
bereiten, regelmäßige Erwerbsthätigkeit der Frau außerhalb der Wohnung etc. Ein schwerwiegender Übelstand beruht darin,
daß die Kinderzahl diejenige Grenze übersteigt, welche Kultur und Lohnhöhe gestatten.
Folge hiervon ist eine beklagenswerte Ausbeutung der Arbeitskraft der armen Kinder, große Kindersterblichkeit, häufige Krankheiten
und frühzeitiger Tod
der Frauen, dann aber auch der Nachteil, daß jede dauernde Steigerung des Lohns über eine Höhe, bei der
nur gerade der notwendige Lebensbedarf für die Durchschnittsfamilie notdürftig gedeckt wird, erschwert oder gar
unmöglich gemacht wird. Dazu gesellt sich die mangelhafte Ausbildung der Kinder. Die Schule allein reicht für die Ausbildung
meist nicht hin.
Der Familie fällt insbesondere die Pflege der sittlichen Eigenschaften als wesentliche Aufgabe zu. Diese wird aber leider nur
zu oft in ungenügender Weise erfüllt, ja es wird häufig noch verdorben, was Schule und kirchlicher Einfluß
Gutes geschaffen.
Vgl. darüber namentlich die englischen Enqueten: »Childrens Employment Commission« (first report: »Mines«,
1862, 3 Bde.; second report, 1843, 3 Bde.);
»Agriculture, Employment of women and children« (4 reports, 1867-70).
Auch der Mangel an Gelegenheit und Fähigkeit zu einer das Leben verschönernden Erholung und weitern
Ausbildung in den freien Stunden ist oft zu beklagen und ein für die ganze Existenz dieser Klassen schwer ins Gewicht fallender
Übelstand.
Bei männlichen Arbeitern überhaupt, verheirateten wie unverheirateten, finden sich oft unter andern als unmoralische Erscheinungen:
geringer Arbeitsfleiß, Unwirtschaftlichkeit, Mangel an Sparsinn, wo das Einkommenan sich ein Sparen gestatten
würde, geringer Trieb zu besserer Ausbildung etc.;
eine feindselige bis zu fanatischem Hasse sich steigernde Gesinnung gegen
die besitzenden Klassen und Mißtrauen, auch gegen uneigennützige, humane Reformmaßregeln;
Bei unverheirateten Arbeiterinnen kommen außer einer inhumanen Arbeitszeit und Arbeitsart in Betracht einerseits die mangelnde
Gelegenheit, sich in den freien Stunden die für ihren künftigen Beruf als Hausfrauen notwendigen Eigenschaften und Fähigkeiten
anzueignen, anderseits eine weitverbreitete geschlechtliche Unsittlichkeit, welche ihre Gesundheit schädigt, uneheliche Geburten
herbeiführt und das künftige Familienleben gefährdet. Befördert wird dieselbe nicht selten durch
die Art ihrer Beschäftigung (unkontrollierter Verkehr mit männlichen Arbeitern), durch die Art ihrer Schlafstellen etc.
Doch wäre es verfehlt, nur gegen die arbeitende Klasse allein Vorwürfe zu erheben; auch die Arbeitgeber und besser situierten
Gesellschaftsklassen lassen sich schwere Sünden zu schulden kommen, so, wenn erstere ihr Verhältnis zu
ihren Arbeitern nur als ein rein juristisches Vertragsverhältnis und nicht zugleich als ein moralisches auffassen, wenn
sie sich begnügen, ihre vertragsmäßigen Verpflichtungen zu erfüllen, ohne sich weiter um die soziale Lage ihrer Arbeiter
zu bekümmern und an der Hebung
[* 10] ihrer Lage mitzuwirken.
Der Mißstand wird viel größer, wenn die Unternehmer in rücksichtsloser Weise ihre Arbeiter nur als
Produktionsmittel ausbeuten, dieselben geringschätzig behandeln und ihnen überdies durch eigne Unsittlichkeit und Unwirtschaftlichkeit
ein schlechtes Beispiel geben. Die höhern Klassen sollten sich dessen bewußt sein, daß sie im eignen Interesse handeln, wenn
sie auch für die untern Klassen besorgt sind, und daß ohne ihre Mitwirkung keine genügende Besserung
in der Lage der letztern zu erzielen ist. Nur wenn jene Klassen von dieser Pflicht erfüllt handeln, kann die soziale Reform
gelingen.
¶