Thatsachen »hinweisen«. Ein auf die Zusammenstellung von Indizien gebauter
Beweis heißt
Indizienbeweis (indirekter, künstlicher, mittelbarer, rationaler
Beweis). Die ältere
Doktrin pflegte verschiedene
Einteilungen der Indizien zu machen. So unterschied man zwischen
Anzeigen der
Schuld und Unschuld (Gegenanzeigen), zwischen
allgemeinen und besondern Indizien, je nachdem sie im allgemeinen auf eine verbrecherische
Handlung oder
gerade auf ein bestimmtes
Verbrechen hindeuteten, zwischen nahen und entfernten
Anzeigen, je nachdem der dadurch begründete
Verdacht ein dringender war oder nicht.
Außerdem werden die Indizien eingeteilt in vorausgehende, z. B. früherer schlechter Lebenswandel
des Beschuldigten, gleichzeitige, z. B. Fußspuren am
Orte der That, und nachfolgende, wie z. B. dieFlucht
des Verdächtigen nach der That. Je gewisser das einzelne I. und je wahrscheinlicher der daraus gestützte
Schluß ist, je
mehr Indizien zusammenstimmen, und je weniger
Widersprüche darunter hervortreten, desto größer wird die
Wahrscheinlichkeit
der
Thatsache, auf welche geschlossen wird,
und sie kann bis zu dem
Grad steigen, welchen wir bei Beurteilung
von
Thatsachen der
Erfahrung als
Gewißheit anzusehen pflegen.
Während das
römische Recht den
Richter anwies, nach seiner Überzeugung zu urteilen, bildeten sich in
Deutschland
[* 2] bestimmte
Regeln aus, nach welchen der
Richter die
Wahrheit einer
Thatsache zu beurteilen habe, und die peinliche
GerichtsordnungKarls V.
(sogen.
Carolina) verordnete, daß der nicht geständige Angeschuldigte einer Missethat nur »mit
zweyen oder dreyen glaubhaftigen guten
Zeugen, die von einem waren wissen sagen«, d. h. dieselbe aus eigner
Wahrnehmung bezeugen,
oder durch
Augenschein und
Sachverständige überführt und deshalb verurteilt werden könne.
Eine solche Überführung ist jedoch beim Leugnen des Beschuldigten nur in den seltenstenFällen möglich,
und man suchte daher durch die
Folter und später durch eindringliche, künstliche
Verhöre auf ein
Geständnis hinzuwirken.
Erfolgte ein
Geständnis nicht, so wurde nur eine gelindere (außerordentliche)
Strafe verhängt. Je mehr aber allmählich
die Überzeugung um sich griff, daß diese außerordentlichen
Strafen inkonsequent und ungerecht und die
Erpressung des
Geständnisses unerlaubt und trügerisch seien, je mehr
Mittel zur Erforschung der
Wahrheit die ausgebildete
Polizei und die
fortgeschrittenen
Naturwissenschaften darboten: um so mehr wurde man geneigt, den
Indizienbeweis zuzulassen. Es war daher einer
der wesentlichsten Fortschritte, daß in dem jetzt üblichen mündlichen
Strafverfahren die gesetzliche Beweistheorie abgeschafft
und der rechtsgelehrte
Richter nicht minder als der
Geschworne lediglich auf seine Überzeugung von der
Wahrheit oder Unwahrheit einer
Thatsache verwiesen wurde.
Da aber diese Überzeugung sich aus dem Gesamtergebnis der vorgeführten
Beweise zu bilden hat, so ist es immer noch von Bedeutung
und
Pflicht des
Richters, nach den
Gesetzen der
Erfahrung und des
Denkens die
Anzeigen zu prüfen, so daß
die Würdigung der Indizien, welche früher ein
Bestandteil formaler Beweisführung war, auch jetzt noch die Grundlage der
innern Erwägungen eines gewissenhaften
Richters ist. Die deutsche Strafprozeßordnung enthält die ausdrückliche Bestimmung
(§ 260): »Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das
Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff
der
Verhandlung geschöpften Überzeugung«.
anzeigen, angezeigt erscheinen lassen (s.
Indikation).
So ist z. B. ein
Verbrechen »indiziert«, wenn
die Umstände eines Todesfalls dafür sprechen, daß eine fremde
Hand
[* 5] den
Tod herbeigeführt habe. Vgl.
Indiz.
Sammelname für die
Völker, deren
Sprachen dem indogermanischen
Stamm angehören,
nämlich in
Europa
[* 8] die Griechen, die italischen
Stämme, die
Kelten,
Albanesen (Illyrier),
Germanen und Slawo-Letten, in
Asien
[* 9] die
Inder,
Iranier und Armenier. Der
Ausdruck I., welcher diesen
Sprach- und Volksstamm durch die am weitesten östlich wohnende
und die am weitesten nach W. vorgeschobene Sprachfamilie bezeichnen sollte, ist heutzutage nicht mehr
ganz zutreffend, da die
Kelten, deren indogermanischen
Charakter man erst neuerdings erkannte, in der
Bretagne, in
Wales und
Irland, also noch weiter nach W. hin wohnen als die
Germanen.
Einige, namentlich englische und französische, Sprachforscher gebrauchen daher lieber die Bezeichnung Indoeuropäer, andre
den
AusdruckArier (s. d.), der jedoch speziell die
Inder und
Perser bezeichnet. Die Zeit, in welcher die
Vorfahren der indogermanischen oder indoeuropäischen
Stämme ein
Volk bildeten, liegt weit hinter ihren historischen oder
Sagenüberlieferungen zurück; es lassen sich daher über ihre Urheimat und ihre allmähliche
Zerstreuung nur
Vermutungen aufstellen.
Lange hielt
man es für wahrscheinlicher, daß die uralte
Völkerwanderung der I. von O. nach W., als daß
sie von W. nach O. ging, und die besten
Autoritäten in Sprachwissenschaft und
Völkerkunde neigten sich der
Ansicht zu, daß
die Urheimat der I. in
Zentralasien,
[* 10] etwa im Quellengebiet des
Oxus, an den Abhängen des
Hindukusch, zu
suchen sei. Hier wäre die erste
Spaltung eingetreten, indem die
Ahnen der europäischen I. (im
Norden
[* 11] des
KaspischenMeers?)
nach W. zogen und sich in
Europa durch eine
Reihe weiterer
Spaltungen in die vorerwähnten
Völker schieden, dagegen die
Arier,
d. h. die Vorfahren der sehr nahe verwandten
Inder und
Perser, zurückblieben und sich allmählich teils
nach W. zu über
Iran, teils in südlicher
Richtung über
Indien ausbreiteten.
Die Armenier, die am nächsten mit den
Iraniern verwandt sind, scheinen jedoch erst spät nach
Armenien gekommen zu sein, da
die ältesten in
Armenien gefundenen
Inschriften in einer nichtindogermanischen
Sprache
[* 12] abgefaßt sind; nicht viel
früher scheint
Kleinasien von I. besetzt worden zu sein und zwar von
Europa aus, da das
Phrygische
[* 13] und andre indogermanische
Sprachen, die dort im
Altertum herrschten, mit den europäischen
Sprachen näher verwandt sind. Aus diesen und andern
Gründen,
namentlich auch wegen der Übereinstimmung der ältesten indogermanischen
Kultur mit derKultur der europäischen
Pfahlbauten,
[* 14] verlegen neuere
Forscher die Urheimat der I. nach
Europa. Von besonderm
Interesse sind die Ergebnisse, welche die
Ausscheidung der gemeinsamen
Wörter für die Kenntnis des Kulturzustandes der I. liefert. Aus dem auf diese
Weise festgestellten
Sprachschatz der I. erfahren wir, daß sie ein Hirtenvolk
¶
mehr
waren, das aber auch Wagen mit Rädern gebrauchte und Anfänge des Ackerbaues und das Kupfer
[* 16] kannte. Die Bande des Bluts und der
Familie hielten sie heilig, und selbst die entferntern Verwandtschaftsgrade wurden sorgfältig unterschieden; auch gab es Geschlechtsverbände,
Häuptlinge und Fürsten. Man zählte nach dem dekadischen System mindestens bis 100. Die Religion war polytheistisch,
ein Dienst der Naturmächte, z. B. des »Himmelsgottes«
(sanskr. Dyaus, griech. Zeus).
[* 17]
Der Versuch, die indogermanischen Sprachwurzeln mit den Wurzeln andrer Sprachstämme,
[* 18] namentlich des semitischen, zu vermitteln,
hat bisher kein Resultat geliefert. Flektierend wie der semitische Sprachtypus, repräsentiert der indogermanische Sprachenbau
mit ersterm zusammen die höchste Stufe in der Entwickelung des menschlichen Sprachvermögens, ist aber
von dem semitischen Typus nach Laut und Form wesentlich verschieden. Die Entdeckung des indogermanischen Sprachstammes verdankt
man hauptsächlich dem Dichter Friedr. Schlegel (vgl. dessen »Sprache und Weisheit der Inder«, Heidelb. 1808); den eingehenden
Nachweis, daß die Grammatik und der ganze Bau dieser Sprachen bis auf die kleinsten Einzelheiten vollkommen
übereinstimmt, gab Fr. Bopp (s. d.) in seiner »Vergleichenden
Grammatik«. Der Wortschatz der indogermanischen Urzeit ist am eingehendsten zusammengestellt worden von Fick (»Vergleichendes
Wörterbuch der indogermanischen Sprachen«, 3. Aufl., Götting. 1874-76, 3 Bde.).