(Hypochondriasis, griech., v. hypochondrium
[s. d.], lat. Morbus eruditorum s. flatuosus), ein den Geisteskrankheiten nahestehendes Nervenleiden, welches sich vorzugsweise
bei Männern findet, und über dessen eigentlichen Sitz jederzeit unter den Ärzten sehr verschiedene Meinungen obgewaltet
haben. Bald sollte der ein Gallenübel, bald Stockung und Verstopfung der Unterleibsgefäße und Drüsen
zu Grunde liegen. Die eine medizinische Schule sah in der Hypochondrie einen Eingeweidekrampf mit übermäßiger Darmgasentwickelung,
die andre ein organisches Gehirnleiden, eine dritte eine schleichende Entzündung der Darmschleimhaut.
Die Hypochondrie ist wesentlich in einer abnormen Thätigkeit der psychischen Funktionen begründet und bildet einen
Übergang zu den eigentlichen Geisteskrankheiten. Der Beginn des hypochondrischen Leidens äußert sich etwa auf folgende Weise:
Die Heiterkeit des Geistes wird gestört durch den sich bei jeder Gelegenheit aufdrängenden Gedanken an ein Leiden des eignen
Körpers. Der Kranke bestrebt sich, den Sitz seines Leidens genau zu bestimmen. Magen und Darmkanal werden
gewöhnlich zuerst für erkrankt gehalten, da sich der Hypochondrie schon im Beginn übermäßige Gasentwickelung
in den Därmen hinzugesellt.
Säurebildung im Magen stellt sich ein; der Stuhlgang ist meist fest, doch hier und da mit Diarrhöe abwechselnd. Nach dem
Essen klagen die Kranken über Druck und Vollsein in der Magengrube, Spannung unter den Rippen. Abgang von
Blähungen nach unten und nach oben erleichtert die Kranken bedeutend wie auch das Erfolgen des Stuhlgangs. Der Schlaf ist unruhig,
nicht erquickend. Das Aussehen ist noch gut, der Körper normal genährt, Appetit vorhanden, wenn auch oft unregelmäßig.
Ganz charakteristisch für die Hypochondrie ist das ungemein häufige Wechseln des Sitzes der eingebildeten Krankheit.
Ein leichter Katarrh lenkt die Aufmerksamkeit des Kranken auf seine Lungen, er vergißt seine Unterleibskrankheit und fürchtet
sich einzig und allein nur vor der Tuberkulose; er fühlt Schmerzen in der Brust, untersucht ängstlich seinen Auswurf und fragt
häufig seine Umgebung, ob er nicht abmagere. Bald aber stellt sich öfters Kopfschmerz ein, leichter Schwindel,
Hitze und Pulsieren der Arterien, lauter Zeichen, daß ein Schlagfluß auf dem Weg ist.
Oder das Herz klopft eine Zeitlang stärker, die Brust ist beklemmt, daher die Furcht vor Herzerweiterung. Der Kranke quält
seine Umgebung, weil sie nicht genug Sorgfalt für den schwer Leidenden besitzt; Ärzte werden soviel
wie möglich gebraucht und populär-medizinische Werke mit ängstlichem Eifer zu Rate gezogen, denn der Kranke will sich auf
alle Weise vor dem Tod retten. Dieses nervöse Leiden kann jahrelang, ja das ganze Leben hindurch bestehen. Man darf es als festgestellt
ansehen, daß gewisse körperliche Leiden allerdings bei der Hypochondrie vorhanden sind, und daß die von ihnen abhängigen abnormen
Empfindungen den nächsten Anstoß zur Hypochondrie geben.
Gewiß thut man den Hypochondern Unrecht, wenn man ihre Leiden nur ihrer Einbildung zuschreibt. Sie fühlen sich allerdings
krank, aber die Ursache dieser Empfindungen läßt sich in der Regel nicht klar durchschauen oder steht
doch wenigstens außer Verhältnis mit der Schwere des subjektiven Krankheitsgefühls. Die Hypochondrie befällt fast nur das männliche
Geschlecht vom Eintritt der Geschlechtsreife an, bei erblicher Beanlagung kommt sie sogar vor dieser Entwickelungszeit zum Ausbruch.
Sie kann entstehen durch alle Einflüsse, welche schwächend auf das Nervensystem wirken. Starke Anstrengung
des Geistes durch übermäßiges, besonders mit Nachtwachen verbundenes Studium disponiert dazu, zumal wenn gleichzeitig Mangel
an Bewegung in der freien Luft hinzukommt. Handwerker mit sitzender Lebensweise sind der Hypochondrie oft unterworfen. Sorgen und Kummer,
Heimweh und Liebesgram erzeugen die Hypochondrie ebenso häufig wie allzu reichliches Leben in Unthätigkeit und
geschlechtliche Ausschweifungen.
Fortgesetzte Überladung des Magens mit schwerverdaulichen, fetten Speisen, zu häufiger Arzneigebrauch, Schwächung des Magens
durch Fasten u. dgl. rächen sich durch Hypochondrie. Dieselbe
kommt häufiger in den nördlichen Ländern vor als in den südlichen; feuchtes, nebeliges Klima, wie das Englands, scheint
ihr besonders günstig zu sein. In Zeiten von herrschenden gefährlichen Epidemien tritt die Hypochondrie sehr vermehrt
auf; die Furcht vor der syphilitischen Krankheit, vor Vergiftung begünstigt sie.
Die Hypochondrie ist von großer Hartnäckigkeit und begleitet den Betreffenden oft bis an seines Lebens Ende. Sie schädigt die ethische
und intellektuelle Persönlichkeit des Kranken durch die überreizte und übertriebene Vorstellung der
körperlichen Leiden zu krassem Egoismus, sie hemmt die Leistungsfähigkeit bis zu teilnahmlosem Hinbrüten, sie zeitigt Lebensüberdruß
und kann in wirkliche Verrücktheit oder Geistesschwäche übergehen. In jedem Fall ist geringe Aussicht auf dauernde Besserung
vorhanden, namentlich ist bei der Hypochondrie, wie bei andern Geisteskrankheiten, der Versuch, das Leiden mit Logik
und Vernunftgründen zu
mehr
bekämpfen, absolut aussichtslos. Der häufige Wechsel der Ärzte, das übermäßige Medizinieren, das Haschen nach neuen Mitteln
und die zahllosen diätetischen Fehler sind meist Hindernisse einer erfolgreichen Behandlung und einer möglichen Heilung.
Die Heilung ist daher eine der schwierigsten Aufgaben für den Arzt. Der Kranke verlangt gewöhnlich fort und fort Arzneien
von demselben, und mit Arzneien wird bei der Hypochondrie doch im ganzen sehr wenig ausgerichtet.
Man ergründe vor allem die Ursache der und suche diese soweit wie möglich zu entfernen. Ist übermäßige geistige Anstrengung
der Grund der Hypochondrie, so rate man ernstlich zur Mäßigung. Man suche den Kranken zu zweckmäßiger
Abwechselung zwischen geistiger und körperlicher Beschäftigung zu bewegen; er suche Erheiterung und Zerstreuung durch Spiele,
welche den Körper mäßig in Bewegung setzen, wie Kegeln, Billard u. dgl. Fleißiges Spazierengehen in
Gesellschaft von Freunden, Fußreisen in angenehme Gegenden, auch die Jagd sind für Leidende dieser Art ein treffliches Heilmittel.
Gute Erfolge erzielt man zuweilen mit Kaltwasserkuren oder Seebädern, seltener mit eisenhaltigen Mineralquellen.
Immer aber berücksichtige man auch die Diät des Kranken; jeder Hypochonder leidet mehr oder weniger an Verdauungsbeschwerden.
Der Kranke halte sich an eine einfache, kräftige, aber nicht zu fette und gewürzreiche Mahlzeit. Alle blähenden Speisen müssen
streng gemieden werden, also namentlich grüne Gemüse, Kohlarten, Hülsenfrüchte, Zwiebeln, ebenso die
schwerverdaulichen Fleischarten, Fische und Mehlspeisen.
Kaffee und Thee trinke der Hypochonder mäßig oder meide beide lieber ganz. Gutes Bier, leichter Wein, besonders roter, werden
gewöhnlich gut vertragen. Reichliche Abendmahlzeiten schaden; der Schlaf darf nicht zu lang sein, die Betten und
das Schlafzimmer nicht zu warm. Exzesse in der Liebe sind immer schädlich. Arzneimittel sind zu Hilfe zu nehmen, um die lästigen
Symptome des begleitenden körperlichen Leidens zu bekämpfen. Die gewöhnlich hartnäckige Verstopfung suche man auf eine möglichst
milde Weise zu heben, so durch Klystiere von kaltem Wasser, absorbierende Pulver, mäßige Dosen von Rhabarber
und Aloe; Abführmittel dürfen nie zu lange fortgebraucht werden, weil sie leicht tiefer greifende Störungen der Darmschleimhaut
nach sich ziehen.
Die krankhafte Gasbildung wird gelindert durch die bekannten blähungtreibenden Mittel: Fenchel, Anis, Kümmel, Melisse, Pfefferminze
etc. in Theeform, Reiben des Unterleibs mit wollenen Tüchern, lauwarme Bäder, Klystiere etc., Magnesia,
Austernschalenpulver bei abnormer Säurebildung. Sobald sich Zeichen einer ausgesprochenen Geistesstörung einstellen (Selbstmordideen
etc.), ist die Unterbringung des Kranken in eine Irrenanstalt dringend geboten.