mehr
den Anfang des
Jahrs 1516 erschienen die
»Epistolae obscurorum virorum«, an M. Ortuinus
Gratius,
Lehrer der schönen
Wissenschaften
zu
Köln,
[* 2] gerichtet, welcher seine humanistische
Bildung im
Dienste
[* 3] der alten
Scholastik verwertete. Hutten las sie (er war gerade
in
Bologna) mit innigem Behagen und verfaßte eine Anzahl ähnlicher
Briefe, welche sodann 1517 als 2. Teil
gedruckt wurden. Jedermann ahnte in Hutten den Verfasser, womöglich sogar des 1. Teils; doch ließ es sich damals
nicht und läßt sich noch heute nur zum geringsten Teil nachweisen. Die
»Epistolae« bilden ein Seitenstück zum »Triumphus
Capnionis«; in diesem greift Hutten die Gegner des
Humanismus mit
Ernst und
Pathos, mit den
Blitzen des Unwillens
und
Hasses an, in jenen bekämpft er sie mit den
Waffen
[* 4] der
Satire, enthüllt sie in ihrer ganzen barbarischen Lächerlichkeit
und ihrer sittlichen Unwürdigkeit.
Aus Italien [* 5] kehrte Hutten 1517 nach Deutschland [* 6] zurück; hier, in Augsburg, [* 7] setzte ihm Kaiser Maximilian den Lorbeerkranz aufs Haupt, verlieh ihm den Goldenen Ring, ernannte ihn zum Dichter und Universitätsredner und nahm ihn in seinen Schutz. Fortan ward der Kampf gegen Rom und [* 8] für das von der Kurie ausgebeutete deutsche Vaterland Huttens ausschließliche Lebensaufgabe. Auf dieser Bahn war der Eintritt in die Dienste des Erzbischofs Albrecht von Mainz [* 9] kein Hindernis; denn dieser Prälat, der bekanntlich den Anlaß zu Luthers Angriff auf den Ablaß gab, war innerlich über Roms Geldgier empört und mit Huttens kecker Kampfweise wohl zufrieden.
Dieser hatte soeben eine
Schrift des
Laurentius
Valla:
»De donatione Constantini quid veri habeat«, herausgegeben und damit die
weltliche Herrschaft des
Papstes,
dem er die
Schrift widmete, in ihrer Grundlage angegriffen. Nachdem er
während des
Augsburger
Reichstags, den er 1518 im
Gefolge des
Erzbischofs besuchte, in seiner
Schrift
»Ad principes germanos ut
bellum Turcis inferant exhortatoria« der deutschen
Nation ein
Bild ihrer Zerrissenheit vor
Augen geführt
und sie zur Einigkeit
und zum gemeinsamen
Kampf gegen den Glaubensfeind ermahnt hatte, verließ er, des Hoflebens müde (er
geißelte es damals in einem
Dialog), den
Dienst des
Mainzer
Erzbischofs und ging nach
Schwaben, wo er sich an dem
Feldzug gegen
Herzog
Ulrich beteiligte (1519). Hutten trat jetzt einerseits
Franz v.
Sickingen, der die politische
Wiedergeburt
Deutschlands
[* 10] anstrebte, näher, anderseits dem großen
Reformator
Luther. In mehreren Gesprächen, unter denen der »Vad
iscus,
oder die römische
Dreifaltigkeit« das bedeutendste ist, deckte der geniale Mann das unermeßliche materielle und moralische
Unheil auf, das von
Rom aus seit langem schon über
Deutschland hereingebrochen.
Hier zeigte Hutten, daß er mit
Recht seinen
Wahlspruch führte; diese
Schrift war ein
Manifest gegen
Rom, ein
würdiges Seitenstück der gewaltigen
Schriften, die
Luther wenige
Monate später (Juni 1520) in die
Welt sandte. Von fast gleicher
Bedeutung wie der »Vad
iscus«, aber noch vollendeter in der Form waren »Die
Anschauenden«; auch hier fehlte es nicht an Spottreden über den hochmütigen
Klerus (sein
Repräsentant
ist
Cajetan), aber die Hauptsache war eine Schilderung der deutschen Zustände, wie sie dem
Sonnengott von seinem erhöhten
Standpunkt aus erscheinen. In einer Vorrede, mit welcher eine Sammlung von Sendschreiben aus dem 14. Jahrh.
einleitete, warnte er die
Nation vor den schriftstellernden Schmeichlern und munterte sie zum
Kampfe für
die Geistesfreiheit auf
(»De schismate extinguendo etc.«, 1520).
Um der guten Sache noch größere Dienste zu leisten, begab er sich im Sommer 1520 an den Hof [* 11] des Königs Ferdinand nach den Niederlanden, wo man damals die Ankunft des neuen Kaisers, Karls V., erwartete. Aber bald kehrte er auf den Rat besorgter Freunde nach der Heimat zurück; denn in Rom hatten seine Pfeile nur zu gut getroffen, und des Papstes Rache ließ nicht lange auf sich warten. Leo X. forderte den Erzbischof Albrecht auf, die Frechheit der Lästerer, unter denen sein Diener Hutten der schlimmste sei, zu züchtigen.
Huttens Leben war bedroht, doch fand er einstweilen sichere Zuflucht auf der Ebernburg bei Franz v. Sickingen. Von hier aus veröffentlichte er ein Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, worin er die römischen Anschläge gegen ihn aufdeckte und seine Schriften verteidigte. Noch zu Ende d. J. (1520) begann er deutsch zu schreiben; die erste Schrift in der Muttersprache ist die »Klag vnd vormanung gegen den übermässigen gewalt des Bapsts«. Er wollte auf alle Schichten des deutschen Volkes wirken und verhüten, daß der ungelehrte Ritter und Bürger seine Schriften nur aus den entstellenden Berichten der Pfaffen kennen lerne.
Der Wormser Reichstag, die Besorgnis für Luthers Leben und den Ausgang der guten Sache riefen eine wahre Flut von Schmähschriften gegen die Römlinge, vor allen gegen den Legaten Aleander, aus Huttens Feder hervor; er leitete sie durch ein Sendschreiben an Kaiser Karl ein, in welchem er den jugendlichen Monarchen vor seinen schlimmen geistlichen Ratgebern warnte. Doch Karl nahm das Schreiben ungnädig auf und änderte seine Haltung gegen Luther auch dann nicht, als ihn Hutten in einem zweiten milder zu stimmen versuchte.
Luthers Verurteilung versetzte ihn in die größte Entrüstung. Aber vergebens bemühte er sich, einen Bund der Ritter und Städte herbeizuführen; Sickingen brachte zwar 1522 einen Bund der rheinischen Ritterschaft zu stande, doch sein Zug gegen den Erzbischof von Trier [* 12] mißlang. Hutten hatte, im Fall er in die Hände von Sickingens Feinden geriet, das Schlimmste zu befürchten und floh nach Basel, [* 13] wo ihm sein langjähriger Mitstreiter Erasmus, zu weichmütig für jene eiserne Zeit, die Aufnahme versagte; Zwingli dagegen gewährte dem mittellosen Flüchtling bereitwillig eine Zuflucht, doch er fand einen gebrochenen Mann.
Jahrelang hatte Huttens Feuergeist gegen die verheerende Krankheit angekämpft, welche Ausschweifungen dem heißblütigen Jüngling zugezogen hatten. Jetzt errang die Krankheit doch den Sieg und ließ sich nicht durch die Heilkraft der warmen Quellen aufhalten, welche Hutten in Pfäfers aufsuchte. Zwinglis milde und feste Hand [* 14] waltete auch ferner über dem unglücklichen Mann: er erwirkte ihm bei einem heilkundigen und wohlgesinnten Geistlichen Aufnahme auf der Insel Ufnau im Züricher See.
Wenige Monate nach Sickingens traurigem Untergang wachte ein schneller Tod den Leiden [* 15] des Freundes ein Ende (in den letzten Tagen des Augusts oder Anfang September 1523). Die Idee, für die allein. Hutten gelebt hatte, Deutschland zugleich kirchlich und politisch neu zu gestalten, ging mit ihm zu Grabe. Seine Werke hat zuletzt Böcking herausgegeben (Leipz. 1859-62, 5 Bde. mit 2 Supplementbänden); ein Verzeichnis der Schriften Huttens enthält Böckings »Index bibliographicus Huttenianus« (das. 1858). Die Gespräche sind übersetzt und erläutert von Strauß [* 16] (Leipz. 1860).
Vgl. D. Strauß, Ulrich von Hutten (4. Aufl., Bonn [* 17] 1878, 2 Bde.);
die Darstellungen von Huttens Leben durch Mohnike, Wagenseil, Bürck u. a. sind veraltet.
Die heldenhafte Persönlichkeit Huttens übte ¶
mehr
übrigens auch auf die neuere Dichtung eine mächtige Anziehungskraft, namentlich seit den 30er Jahren. In epischer Form wurde sein Leben behandelt von Ernst v. Brünnow in dem Roman »Ulrich v. Hutten« (Leipz. 1843),
von A. E. Fröhlich in den Gesängen »Ulrich v. Hutten« (Zürich [* 19] 1845),
von Schlönbach in einem gleichnamigen Epos (Berl. 1862),
am vortrefflichsten von K. F. Meyer in der lyrisch-epischen Dichtung »Huttens letzte Tage« (Leipz. 1871). Zum Helden eines Dramas machten ihn R. Gottschall (1842), Hutten Köster (Bresl. 1846, neu bearbeitet 1855), G. Logau (1848), K. Nissel (Leipz. 1861), K. Berger (Schaffh. 1864).