mehr
Patroklos, dem Wendepunkt des Gedichts, dann die Aussöhnung des Achilleus mit Agamemnon und seine Rache an Hektor, die Leichenfeier des Patroklos und die Auslieferung und Bestattung des Leichnams des Hektor.
Schon im
Altertum war die
Ansicht vorhanden, daß
»Ilias« und
»Odyssee« nicht von demselben Dichter und nicht aus demselben
Zeitalter
herrühren; die Vertreter derselben, an ihrer
Spitze die
Grammatiker Xenon und
Hellanikos, nannte man
Chorizonten (die Trennenden).
Und in der That herrscht zwischen beiden Gedichten nicht nur eine unleugbare Verschiedenheit im
Ton, sondern auch in mannigfachen
Einzelheiten, die mindestens auf eine erheblich spätere Abfassung der
»Odyssee« hinweisen.
Die Vorstellungen von den Göttern sind in diesem Epos edler und vollkommener, das religiöse und sittliche Leben steht auf einer höhern Stufe; auch das häusliche und soziale Leben zeigt sich mehr entwickelt und ausgebildet, Schiffahrt und Handel sind ausgebreiteter Kenntnis ferner Länder und ihrer Produkte gewachsen. Auch die Wahrnehmung entging den alten Gelehrten nicht, daß in beiden Gedichten nicht alles auf der gleichen Stufe der Vollendung steht, daß es neben den herrlichsten Partien auch matte und weniger anziehende gibt, daß es an Störungen der Erzählung, ja an Widersprüchen nicht fehlt.
Während sie ab er derartige Mängel vielfach durch
Annahme von
Interpolationen nicht nur einzelner
Verse,
sondern auch ganzer
Partien zu beseitigen suchten, knüpften die neuern
Kritiker an dieselben eine
Reihe scharfsinniger
Hypothesen
über die Entstehung der Homerischen
Gesänge. Angeregt wurde die sogen. Homerische
Frage durch
Fr. A.
Wolf
(»Prolegomena ad Homerum«,
1795), welcher die Behauptung aufstellte, daß mündlich entworfene
Lieder des und seiner
Schule, der
Homeriden
auf
Chios,
Jahrhunderte hindurch von umherziehenden Säugern, den
Rhapsoden (s. d.), mündlich überliefert und erst nachträglich
durch
Peisistratos von
Athen
[* 2] um 540 in ihre gegenwärtige Gestalt zweier einheitlicher
Epen gebracht seien. Er gründete seine
Behauptung auf die jetzt längst erschütterte
Ansicht, daß der allgemeine
Gebrauch der
Schreibkunst
[* 3] sich
in
Griechenland
[* 4] erst im
Zeitalter der
sieben Weisen nachweisen
lasse, und auf Zeugnisse späterer Schriftsteller, welche
Peisistratos
als Sammler und Ordner der Homerischen Gedichte bezeichnen.
Sind auch Wolfs Ansichten in wesentlichen Punkten längst als unrichtig erwiesen, wie z. B. ausgemacht ist, daß die Homerischen Dichtungen in ihrer jetzigen Gestalt schon um Beginn der Olympiaden (753 v. Chr.) schriftlich vorhanden gewesen sein müssen, weil nach ihrem Muster und an sie anknüpfend die sogen. Kykliker größere Epen schriftlich abfaßten, so ist doch seine Methode der historischen Forschung die herrschende geblieben. Ihm folgend, haben manche Gelehrte, in der »Ilias« besonders Lachmann, den Versuch gemacht, die ursprünglich selbständigen Lieder auszuscheiden, während andre aus zwei von Homeros entworfenen Gedichten mäßigen Umfangs vom Zorn des Achilleus und der Heimkehr des Odysseus durch allmähliche Erweiterungen in den Sängerschulen die jetzige »Ilias« und »Odyssee« entstehen ließen oder eine Zusammensetzung aus kleinen Epen, einer Achilleis und Ilias für das eine und einer Telemachie und Heimkehr des Odysseus für das andre (so namentlich Kirchhoff),
nebst andern Zuthaten annahmen. Anderseits hat aber auch die Ansicht namhafte Vertreter (besonders Bergk und Nitzsch), daß »Ilias« und »Odyssee« von Anfang an als einheitliche Ganze bestanden, daß allerdings bei ihrer Abfassung schon vorhandene alte Lieder benutzt sein können und in der Folge mit ihnen vielfache Überarbeitungen und Erweiterungen vorgenommen wurden, bis sie noch vor Beginn der Olympiaden im wesentlichen die gegenwärtige Gestalt erhielten.
Was das erwähnte Verdienst des Peisistratos um die Homerischen Gedichte betrifft, so scheint durch die Thätigkeit der Rhapsoden im Lauf der Zeit eine gewisse Zerrüttung derselben herbeigeführt zu sein. Indem sie sich für ihre Vorträge einzelner Partien, der sogen. Rhapsodien, die vorzugsweise beliebten und ihrem Talent besonders zusagenden aussuchten, kamen die andern in die Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Überdies erlaubten sie sich, um den für ihre Vorträge ausgewählten Abschnitten eine bessere Abrundung zu geben, und aus andern Gründen mancherlei Veränderungen und Zusätze.
Schon Solon soll angeordnet haben, daß sich die Rhapsoden bei den öffentlichen Vorträgen genau an den überlieferten Text zu halten hätten. Um der eingerissenen Verwirrung endgültig zu steuern, ließ Peisistratos durch eine Kommission von mehreren Dichtern, an deren Spitze Onomakritos stand, eine Sammlung der zerstreuten Lieder und auf Grund der in den Händen der Rhapsoden befindlichen Aufzeichnungen eine Redaktion des Textes veranstalten. Außerdem verordnete er (oder vielmehr sein Sohn Hipparch), daß die Rhapsoden die Gedichte an den Panathenäen vollständig, im Zusammenhang und wörtlich genau, sich einander ablösend, vortragen sollten. Andre beschränken die Thätigkeit des Peisistratos auf die Herstellung eines revidierten Textes.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Rezension des Peisistratos die Grundlage für alle an verschiedenen Orten Griechenlands befindlichen Rezensionen der »Ilias« und der »Odyssee« bildete. Während eines Zeitraums von 2-3 Jahrhunderten nach Peisistratos erfuhren die Homerischen Gedichte keine durchgängige Bearbeitung; nur die sogen. Diaskeuasten (s. d.) nahmen oft sehr willkürliche Veränderungen im Text vor und machten neue Einschiebsel, denen gegenüber die Kritiker des alexandrinischen Zeitalters sich bemühten, den Peisistrateischen Text wiederherzustellen. Unter den gelehrten Kritikern zu Alexandria, für deren Studien Homeros den Mittelpunkt bildete, ragt durch Scharfsinn, feine Kenntnis des Homerischen Sprachgebrauchs sowie durch Geschmack und Besonnenheit vor allen Aristarchos hervor. Er hat den seit seiner Zeit gewöhnlichen Text festgestellt, und ihm schreibt man auch die Einteilung der beiden Gedichte in je 24 Bücher zu.
Der Einfluß der Homerischen Gedichte auf die Entwickelung des griechischen Volkes war ungemein groß. Es ist vollkommen richtig, was Herodot sagt, daß Homeros nebst Hesiod den Griechen ihre Götter gemacht hätten; d. h. die Autorität der beiden Gedichte war so mächtig, daß das, was hier von Göttern und göttlichen Dingen vorkam, für kanonisch gehalten wurde. Die religiösen Vorstellungen, welche jene beiden Dichter ausgebildet haben, blieben für die Hellenen zu allen Zeiten maßgebend.
Auch auf das sittliche und staatliche Leben übten die Homerischen Gedichte bedeutenden Einfluß aus, und überhaupt waren sie für die Griechen die Grundlage aller höhern Geistesbildung. Reichtum und Mannigfaltigkeit des Inhalts zeichnen sie aus; in einfacher Natürlichkeit, Wahrheit und plastischer Anschaulichkeit ist alles dargestellt. Ein großer Sinn atmet überall: bald sieht man die verderblichen Folgen der Gewaltthätigkeit und des Übermuts, bald die Macht der Mäßigung und Vernunft;
Gehorsam ¶
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und Freiheitsliebe, Kriegszucht und Heldenmut werden empfohlen; die Menschen erscheinen, wie sie sind, alles ist Handlung, nichts müßig; wir werden hingerissen, wir werden, ohne es zu merken, belehrt. Die Sprache [* 6] ist einfach und schlicht, dabei aber wohltönend, anmutig, gleichmäßig dahinfließend, wie denn überhaupt in diesen Gedichten, auch bei den wildesten Ausbrüchen der Leidenschaft, eine wohlthuende Ruhe des Ausdrucks herrscht. Diesen Vorzügen des Inhalts und der Form verdanken die Homerischen Epen ihre Bedeutung für alle Zeiten; sie sind ewig gültige Muster ihrer Gattung, und auch unsre Poesie ist, als sie auf falschen Wegen wandelte, insbesondere durch Homeros zur Einfachheit, Natur und Wahrheit zurückgeführt worden.
[Ausgaben und Übersetzungen.]
Von Ausgaben des Homeros sind nach der Editio princeps von Demetrios Chalkondylas (Flor. 1488, 2 Bde.) hervorzuheben: die von Homeros Stephanus (Par. 1588, 2 Bde.), welcher die Vulgata begründete, Clarke (Lond. 1729-40 u. öfter, zuletzt 1822), Ernesti (Leipz. 1759-64, 5 Bde.; neue Aufl., von Dindorf besorgt, 1824, 5 Bde.), Wolf (Halle [* 7] 1794, 2 Bde.; neue Aufl., Leipz. 1804-1807, 4 Bde.), Heyne (das. 1802-22, 9 Bde.), I. Bekker (Berl. 1843; 2. Aufl., Bonn [* 8] 1858, 2 Bde.), Dindorf (5. Aufl. von Hentze, Leipz. 1883 ff., 2 Bde.), Nauck (Berl. 1874-77, 2 Bde.). Die Ilias einzeln gaben heraus: Spitzner (Gotha [* 9] 1832-36, 4 Bde.), Fäsi (6. Aufl. von Franke, Berl. 1879 ff.), Köchly, der eine kleine Ilias in 16 Liedern konstruierte (»Iliadis carmina XVI«, Leipz. 1861), Döderlein (das. 1863-64),
La Roche (das. 1873-76, 2 Bde.; Schulausgabe, das. 1870-71 u. öfter),
Christ (das. 1884),
Düntzer (2. Aufl., Paderb. 1873-78),
Ameis und Hentze (3. Aufl., Leipz. 1885 ff.),
Rzach (das. 1886), Fick (»Die Homerische Ilias in der ursprünglichen Sprachform wiederhergestellt«, Götting. 1885 f., 2 Tle.); die Odyssee: Baumgarten-Crusius (Leipz. 1820-24, 3 Bde.),
Fäsi (8. Aufl. von Hinrichs, Berl. 1884 ff.),
Düntzer (2. Aufl., Paderb. 1875),
Ameis (6. Aufl. von Hentze, Leipz. 1874-75), La Roche (das. 1867-68, 2 Bde.), Fick (»Die Homerische Odyssee in der ursprünglichen Sprachform wiederhergestellt«, Götting. 1883), Weck (Gotha 1886 f.). Ausgaben der Hymnen von G. Hermann (Leipz. 1806), A. Baumeister (das. 1860), Abel (nebst Epigrammen und Batrachomyomachie, das. 1886), Gemoll (das. 1886); der Batrachomyomachie und der kleinern Homeros zugeschriebenen Gedichte von Draheim (Berl. 1874), deutsch zusammen von Thudichum (Stuttg. 1871). Die erste wirklich gute Übersetzung beider Epen lieferte J. Homeros Voß (Altona [* 10] 1793, 4 Bde.; seither oft wiederholt; Abdruck der Odyssee, hrsg. von Bernays, Stuttg. 1881), andre Donner (3. Aufl., Berl. 1885), Uschner (das. 1862), Minckwitz (Leipz. 1864), Wiedasch (Stuttg. 1869), Gortzitza (Ilias, in Strophenform, Lyck [* 11] 1860-61), Ehrenthal (Odyssee, Hildburgh. 1865; Ilias, Leipz. 1880), v. Carlowitz (Odyssee, in Reimen, Dresd. 1868), W. Jordan (Odyssee, Frankf. 1875; Ilias, 1881), Engel (Odyssee, in der Nibelungenstrophe, Leipz. 1885).
Vgl. Schröter, Geschichte der deutschen Homer-Übersetzung im 18. Jahrhundert (Jena [* 12] 1882).
Wörterbücher zu Homeros verfaßten: Duncan (»Novum lexicon graecum ex Dammii lexico Homerico-Pindarico etc. em. Rost«, Leipz. 1831),
Seiler (8. Aufl. des Crusiusschen Wörterbuchs, das. 1878),
Döderlein (»Homerisches Glossar«, Erlang. 1850-58, 3 Bde.),
Autenrieth (»Wörterbuch zu Homeros«, 2. Aufl., Leipz. 1877),
Ebeling (»Lexicon Homericum«, das. 1871 ff., 2 Bde.). Ausgaben der alten Scholien zur Odyssee von Buttmann (Berl. 1821) und Dindorf (Oxf. 1855, 2 Bde.); zu Ilias von Bekker (Berl. 1825, 2 Bde.) und Dindorf (Leipz. 1875-77, 4 Bde.).
[Litteratur.]
Vgl. F. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum (Halle 1795; 3. Ausg. von Peppmüller, das. 1884; neuer Abdruck mit Bekkerschen Noten, Berl. 1876; vgl. Volkmann, Geschichte und Kritik der Wolfschen Prolegomena, Leipz. 1874) und »Vorlesungen über die vier ersten Gesänge der Ilias« (hrsg. von Usteri, Bern [* 13] 1830-31, 2 Bde.);
Nitzsch, De historia Homeri (Hannov. 1830-37);
C. Lehrs, De Aristarchi studiis Homericis (Königsb. 1833, 3. Aufl., Leipz. 1882);
Nägelsbach, Anmerkungen zur Ilias (3. Aufl. von Autenrieth, Nürnb. 1864);
Nitzsch, Erklärende Anmerkungen zu Homeros' Odyssee (Hannov. 1826-40, 3 Bde.);
Goebel, Lexilogus zu Homeros (Berl. 1878-80, 2 Bde.);
Welcker, Der epische Cyklus oder die Homerischen Dichter (Bonn 1835-49, 2 Bde.; 1. Bd., 2. Aufl. 1865);
Düntzer, und der epische Cyklus (Köln [* 14] 1839);
Lachmann, Betrachtungen über Homers Ilias (mit Zusätzen von Haupt, 3. Aufl., Berl. 1874);
Friedländer, Die Homerische Kritik von Wolf bis Grote (das. 1853);
G. Curtius, Über den gegenwärtigen Stand der homerischen Frage (Wien [* 15] 1854);
Bonitz, Über den Ursprung der Homerischen Gedichte (6. Aufl. von Neubauer, das. 1885);
Niese, Entwickelung der Homerischen Poesie (Berl. 1882);
Christ, und die Homeriden (Münch. 1884);
Friedländer, Schicksale der Homerischen Poesie (»Deutsche [* 16] Rundschau«, Februar 1886);
Kirchhoff, Die Homerische Odyssee (2. Aufl., Berl. 1879);
Seeck, Die Quellen der Odyssee (das. 1886);
Nägelsbach, Die Homerische Theologie (2. Aufl. von Autenrieth, Nürnb. 1862);
Sybel, Die Mythologie der Ilias (Marb. 1877);
Völcker, Über Homerische Geographie und Weltkunde (Hannov. 1830);
v. Baer, Die Homerischen Lokalitäten in der Odyssee (Braunschw. 1878);
Hercher, Homerische Aufsätze (zur Topographie, Berl. 1881);
Friedreich, Die Realien in der Ilias und der Odyssee (2. Aufl., Erlang. 1855-56);
Buchholz, Die Homerischen Realien (Leipz. 1871-85, 3 Bde.);
Brunn, Die Kunst bei Homeros (Münch. 1868);
Helbig, Das Homerische Epos aus den Denkmälern erläutert (Leipz. 1884);
La Roche, Homerische Textkritik im Altertum (das. 1866);
Derselbe, Homerische Untersuchungen (das. 1869);
Gladstone, Homerische Studien (deutsch von Schuster, das. 1863);
Derselbe, Homeric synchronism (Lond. 1876; deutsch von Bendan, Jena 1877);
Hartel, Homerische Studien (2. Aufl., Berl. 1873);
I. Bekker, Homerische Blätter (das. 1863-72, 2 Bde.);
W. Jordan, Das Kunstgesetz Homers und die Rhapsodik (Frankf. 1869);
Hennings, Über die Telemachie (Leipz. 1858);
Düntzer, Homerische Abhandlungen (das. 1872);
Kammer, Die Einheit der Odyssee (das. 1873);
Bergk, Geschichte der griechischen Litteratur, Bd. 1 (Berl. 1873).
Von den zahlreichen künstlerischen Illustrationen zu Homeros verdienen Hervorhebung: Flaxman, Umrisse zu Homeros (Ilias, Rom 1793, 34. Blätter; Odyssee, Götting. 1803, 28 Blätter; neue Ausg. von beiden. Berl. 1865);
Tischbein, Homeros in Zeichnungen nach Antiken, mit Erläuterungen von Heyne (Götting. 1801-1805, 6 Hefte);
Inghirami, Galleria Omerica (Fiesole 1831-38, 3 Bde. mit 390 Kupfern);
Genelli, Umrisse zum Homeros (Stuttg. 1844; neue Ausg. 1867, 49 Kupfer); [* 17]
Prellers Landschaften zur »Odyssee« (die Kartons im Leipziger Museum, photographisch und in Farbendruck vervielfältigt; Holzschnittausgabe mit der Voßschen Übersetzung, Leipz. 1875). ¶