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Anklage gegen den Minister Hassenpflug wegen Entlassung der Stände ohne Abschied führten, welche jedoch vom Oberappellationsgericht ebenfalls zurückgewiesen wurde. Da aber Hassenpflug fortfuhr, die verfassungsmäßigen Rechte auf jede Weise zu schmälern und die Stände geflissentlich mit möglichster Geringschätzung behandelte, auch die Eingriffe der Regierung in die Wahlen, die Epurationen der Gerichte, die Verfolgungen Mißliebiger nach wie vor fortdauerten, so ward die Mißstimmung im Volk immer größer und der Riß zwischen Regierung und Ständen immer tiefer.
Der Landtag für die dritte Finanzperiode, von 1837 bis 1839, ward noch unter dem Ministerium Hassenpflug zweimal, 11. März und, nachdem er 13. April wieder berufen worden, vertagt und nach Hassenpflugs Austritt aus dem Staatsdienst und der Wiedereinberufung der Stände unmittelbar nachdem der Beschluß durchgegangen war, daß die Einnahmen der Rotenburger Quart [* 2] dem Staat zufallen sollten, aufgelöst. Hassenpflugs Nachfolger v. Hanstein trat ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers. Als der Landtag für die vierte Finanzperiode (von 1840 bis 1842) eröffnet wurde, hatte die Regierung es durch Aufbietung aller nur möglichen Mittel, worunter namentlich der berüchtigte Prozeß gegen Jordan (s. d.) zu nennen ist, dahin gebracht, daß die Opposition ermüdet war; dessenungeachtet gelang es der Regierung auch jetzt nicht, in den streitigen Finanzfragen die Zustimmung des Landtags zu erhalten.
Schon zu Ende des Jahrs 1841 hatte Koch die Leitung des Ministeriums des Innern übernommen, und damit war ein milderes Element in die oberste Verwaltung gekommen. Die Wahlen zu dem Landtag der fünften Finanzperiode, der im Dezember 1842 vom Kurprinz-Mitregenten in Person eröffnet ward, hatten für die Regierung ein günstigeres Resultat ergeben, so daß sie bei einiger Mäßigung auf eine Majorität rechnen durfte. In der That setzte sie die finanziellen Anforderungen, namentlich die Erhöhung des Militäretats, leicht durch, stieß jedoch auch bei dieser sonst gefügigern Kammer auf Widerstand, als sie mißliebige Gesetzentwürfe gegen den ausgesprochenen Willen der Majorität durchzusetzen und allgemein gewünschte Reformen zu hindern Miene machte. So verging diese Landtagsperiode völlig fruchtlos, und die folgende, 1845-48, nahm denselben Verlauf. Nach einer neuen, vom Landtagskommissar Scheffer mit heftigen Invektiven gegen die Kammer verkündeten Auflösung erlangte die Regierung, da man bei den neuen Wahlen kein Mittel unversucht ließ, um die Wahl Mißliebiger zu hintertreiben, in der That eine Majorität; gleichwohl ward auch der im Mai 1847 eröffnete Landtag bald abermals vertagt. Scheffer, ein Anhänger des Hassenpflugschen Systems, ward an Kochs Stelle Minister.
Der Verfassungskampf.
Am starb in Frankfurt [* 3] a. M. Kurfürst Wilhelm II. Der Nachfolger Friedrich Wilhelm I. war, obwohl er als Mitregent den von der Verfassung vorgeschriebenen Revers vollzogen und dadurch gelobt hatte, jene selbst aufrecht zu erhalten und ihr gemäß zu regieren, als Kurfürst von Anfang an bestrebt, die unbequeme Verfassung zu beseitigen, und setzte sofort eine Kommission ein, welche Abänderungen der Verfassungsurkunde vorschlagen sollte. Es ist begreiflich, daß unter diesen Verhältnissen die Nachricht von den Februarereignissen in Paris [* 4] 1848 alsbald eine mächtige Erregung der Gemüter hervorrufen mußte.
Die Regierung, ohne Vertrauen und ohne Mut, sah sich außer stande, die drohend heranrollenden Wogen zu dämmen. Besonders in den südlichern Teilen des Kurfürstentums ging man mit großer Entschiedenheit zu Werke. Schon 3. und 4. März trafen Deputationen von Hanau [* 5] und Marburg [* 6] in Kassel [* 7] ein, und hier fand 5. März eine Bürgerversammlung statt, in welcher eine energische Petition an den Kurfürsten angenommen wurde; auch der Stadtrat beschloß eine Adresse, welcher der Bürgerausschuß beitrat.
Die Wirkung dieser stürmischen Demonstrationen war Scheffers Entlassung und die Einberufung der Ständeversammlung auf 11. März. Am 7. März aber erschien eine landesherrliche Verkündigung, durch welche eine Reihe zeitgemäßer Reformen teils eingeführt, teils für die nächste Zeit in Aussicht gestellt und mehrere gemäßigte und beim Volk beliebte Männer, Schwedes, v. Trott, Oberstleutnant Weiß, ins Ministerium berufen wurden. Doch diese Zugeständnisse genügten schon nicht mehr, und die Hanauer sprachen ihr Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit derselben offen aus und drohten mit Anschluß an Hessen-Darmstadt, wenn der Kurfürst die Forderungen des Volkes verweigere.
Verordnungen vom 11. März bewilligten nun eine allgemeine Amnestie, Religions- und Gewissensfreiheit, Aufhebung aller den Genuß verfassungsmäßiger Rechte, insbesondere des Petitions-, Einigungs- und Versammlungsrechts, beschränkenden Beschlüsse, Preßfreiheit u. a. Das Ministerium wurde durch die Führer der Opposition, Eberhard, Oberbürgermeister von Hanau, der zum Vorstand des Ministeriums des Innern ernannt wurde, und Wippermann als vortragenden Rat im Ministerium des Innern und landesherrlichen Kommissar bei der Ständeversammlung, ergänzt.
Bei dem guten Willen der Minister und der erzwungenen Zustimmung des Kurfürsten nahmen die Geschäfte einen gedeihlichen Verlauf. In der Landtagssession von 1848, die bis Ende Oktober währte, wurde eine große Zahl von Reformgesetzen glücklich durchgeführt, der Erlaß eines neuen Wahlgesetzes dem neuen, im November zusammentretenden Landtag vorbehalten. In der deutschen Frage hielt das Ministerium eine entschieden bundesstaatliche Richtung inne, von den elf Vertretern Kurhessens in der Nationalversammlung nachdrücklichst unterstützt.
Das neue Wahlgesetz, mit allgemeiner direkter Wahl und gleicher Zahl von Vertretern, je 16 für Städte, Landgemeinden und die höchst besteuerten Grundbesitzer und Gewerbtreibenden, wurde von der seit 29. Nov. tagenden Kammer angenommen, die als Reichsgesetz verkündeten deutschen Grundrechte wenige Tage darauf für Kurhessen publiziert, ebenso die Reichsverfassung und das Reichswahlgesetz. Das Scheitern dieser Verfassung und die Unruhen in verschiedenen Ländern veranlaßten das Ministerium, zur Wiederherstellung der Ruhe mehr und mehr der preußischen Politik sich anzuschließen. Am 6. Aug. ratifizierte der Kurfürst den Beitritt Kurhessens zum Dreikönigsbündnis.
Der am zwischen Österreich [* 8] und Preußen [* 9] abgeschlossenen Konvention über die Bildung einer neuen provisorischen Zentralgewalt trat die kurhessische Regierung 20. Nov. bei, jedoch unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß die Ausübung der neuen Zentralgewalt die Verfassungsverhältnisse des Kurstaats nicht berühre. Differenzen mit dem Ministerium über die Persönlichkeiten, die Hessen-Kassel im Erfurter Staatenhaus vertreten sollten, gaben nun aber dem Kurfürsten Mitte ¶
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Februar 1850 die äußere Veranlassung, die Maske, die er gerade vor zwei Jahren hatte annehmen müssen, abzuwerfen und, gestützt auf die jetzt wieder erstarkte reaktionäre Partei, zum alten Regiment zurückzukehren.
Am erhielt die Ständeversammlung die Mitteilung, daß sämtliche Minister ihre Entlassung erbeten und erhalten hätten, daß das neue Ministerium bereits gebildet sei und die Geschäfte übernommen habe. An der Spitze desselben stand als Ministerpräsident und Minister des Innern und der Justiz der von der Volksmeinung geächtete Hassenpflug. Seine Kollegen waren unbedeutende Männer. Der Name Hassenpflug rief überall Staunen, Unwillen und Befürchtung hervor. Er versprach zwar 26. Febr. in der Ständeversammlung, die Verfassung vom zur Richtschnur seines Handelns zu nehmen, und wies den Gedanken an Ausnahmemaßregeln weit von sich; aber die Ständeversammlung schenkte seinen Worten so wenig Vertrauen, daß sie noch in derselben Sitzung mit allen Stimmen gegen eine das neue Ministerium in Widerspruch erklärte mit der landesherrlichen Verkündigung vom Aber weder diese noch spätere Mißtrauenserklärungen machten auf Hassenpflug irgend einen Eindruck; unbekümmert darum fuhr er fort, seine »Mission« zu erfüllen.
Dieselbe bestand einmal darin, sich von der preußischen Union loszulösen und die Wiederherstellung des Bundestags herbeiführen zu helfen, dann die lästige Verfassung von 1831 und die 1848 im Drang der Not gegebenen Reformen wieder zu beseitigen. Zu diesem Zweck wurde die Ständeversammlung aufgelöst, 4. Sept. die Forterhebung sämtlicher Steuern durch kurfürstliche Verordnung verfügt und 7. Sept. der Kriegszustand über das Land verfügt. Gleichzeitig verlegte der Kurfürst seine Residenz von Kassel nach Schloß Philippsruhe bei Hanau, und Hassenpflug rief den am 1. Sept. in Frankfurt zusammengetretenen sogen. engern Rat des Bundestags um Intervention an. In der That forderte dieser 21. Sept. die kurhessische Regierung auf, alle einer Bundesregierung zustehenden Mittel anzuwenden, um die bedrohte landesherrliche Autorität im Kurfürstentum sicherzustellen; eine kurfürstliche Verordnung vom 23. Sept. brachte diesen Bundesbeschluß zu allgemeiner Kenntnis. Vergeblich waren der Protest des Ständeausschusses gegen diese Einmischung und eine Adresse an den Kurfürsten.
Jetzt war die einzige Hoffnung der konstitutionellen Partei, daß Preußen die Vollziehung des Beschlusses des von ihm nicht anerkannten engern Rats vom 21. Sept. in Kurhessen nicht zulassen würde. Sie schien gerechtfertigt zu werden durch die Zusammenziehung von Truppen bei Wetzlar, [* 11] Paderborn [* 12] und im preußischen Thüringen. Hassenpflug schritt indessen unbeirrt auf seinem Weg vor. Am 30. Sept. erschien eine Verordnung, welche die Dekrete vom 4. und 7. Sept. der Kognition der Gerichte entzog und die Kompetenz der Militärgerichte erweiterte. Am 1. Okt. ward der verfassungstreue General Bauer der Stelle als Oberbefehlshaber entsetzt und General v. Haynau zu seinem Nachfolger ernannt, der Hassenpflug blindlings zu folgen entschlossen war.
Als hieraus 9. Okt. der größte Teil des hessischen Offizierkorps seinen Abschied einreichte und erklärte, daß es bis zu dessen Erteilung seinen Beistand zur Vornahme verfassungswidriger Akte nicht leihen werde, rief Hassenpflug 15. Okt. die bewaffnete Intervention des Bundestags an, die sofort gewährt wurde. Am 1. Nov. rückte ein bayrisch-österreichisches Korps von 25,000 Mann, mit ihnen als Bundeskommissar Graf Rechberg, in Hessen [* 13] ein. Zwar folgte 2. Nov. bereits der Einmarsch von zwei preußischen Divisionen unter General v. d. Groben, und 8. Nov. kam es zu dem bekannten Zusammenstoß der Preußen mit den Bundestruppen bei Bronnzell.
Aber Preußen wich zurück, und schon 9. Nov. trat Gröben den Rückzug an und überließ das Land Hassenpflug und den »Strafbayern«. Nun wurden die kurhessischen Truppen entlassen, die Steuern durch Bundesexekution eingetrieben und durch Strafeinquartierungen Behörden und Gerichte zur Anerkennung der Septemberverordnungen genötigt; wer es dennoch nicht that, wurde entlassen. Die Proteste des Ausschusses gegen alle diese Maßregeln verhallten ungehört. Am 28. Dez. mußte er, durch den Bundeskommissar suspendiert, seine Thätigkeit einstellen.
Dennoch suchte der mutige und standhafte Ausschuß seinen Widerstand gegen den Verfassungsbruch fortzusetzen, als die Regierung unter dem Vorwand, von dem Bundeskommissar Grafen Leiningen-Westerburg dazu aufgefordert zu sein, die Wahlen zu der spätestens zusammenzuberufenden Ständeversammlung auf unbestimmte Zeit verschob. Auf Grund seines verfassungsmäßigen Rechts erhob er eine Anklage gegen Hassenpflug beim Oberappellationsgericht. Graf Leiningen ließ jedoch die Mitglieder verhaften und vor das Bundesmilitärgericht stellen, das sie zu gelinder Geldstrafe verurteilte. Der Widerstand des Landes schien hiermit gebrochen, und die Exekutionstruppen wurden zurückgezogen. Hassenpflug glaubte jetzt allein mit dem Volk fertig werden zu können.
Reaktionäre Herrschaft und Sturz des Kurfürsten.
Die Bundesversammlung hatte im März 1852 die 1831er Verfassung mit den Zusätzen von 1848 u. 1849 außer Wirksamkeit gesetzt, dagegen dem von der Regierung vorgelegten Entwurf ihre Zustimmung erteilt. Diese provisorische Verfassung, welche das Zweikammersystem adoptierte, wurde 13. April publiziert, und auf Grund derselben wurden die Neuwahlen vorgenommen, die dann endlich die gewünschte Regierungsmajorität ergaben. Mit ihr konnte Hassenpflug alle Gesetze durchsetzen, die er brauchte; nur eins konnte er nicht, den Wohlstand des Landes herstellen, der durch die Ereignisse der letzten Jahre gebrochen war.
Eine verkehrte fiskalische Politik, die sich nicht scheute, den Grundstock des Staatsvermögens zur Deckung augenblicklicher Bedürfnisse anzugreifen und neue Anleihen zu hohem Zinsfuß zur Deckung des jährlich wachsenden Defizits aufzunehmen, verschlimmerte den Zustand in fast unheilbarer Weise, während zu derselben Zeit der Landesherr einen Schatz von 20 Mill. Thlr. zusammenbrachte und einen beträchtlichen Teil der Einkünfte als Ertrag des ihm überlassenen Domänenanteils vorweg in Beschlag nahm.
Ende 1853 begann ein neuer Konflikt zwischen der Regierung und den Kammern, welche die Revision der oktroyierten Verfassung verlangten. Derselbe endete mit Kammerauflösung und kammerlosem Regiment bis zum September 1855; da auch die neuen Kammern sich nicht willfährig zeigten, wurden sie Ende Oktober nach sechswöchentlichem Beisammensein, ohne jeden praktischen Erfolg, wieder vertagt. Die Entlassung Hassenpflugs wenige Tage später hatte ein weniger scharfes Auftreten der Regierung, an deren Spitze Scheffer trat, zur Folge und führte zu einem vorläufigen Abschluß des letzten zweijährigen Verfassungskonflikts (Dezember 1856). Ein Teil der von den Kammern proponierten Verfassungsänderungen ward acceptiert und den Ständen die ¶