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er bald durch den Abschluß des von Anfang an totgebornen mitteldeutschen Zollvereins (bis 1834), bald durch die Zolleinigung der nördlichen Landeshälfte mit Norddeutschland, der südlichen mit Bayern [* 2] auszuweichen suchte. Die schädlichen Folgen dieser eigenwilligen Politik blieben nicht aus. Das Land wurde durch seine hohen Grenzzölle von den Nachbargebieten so gut wie isoliert, die partikularistischen Sonderzolleinigungen lösten sich nach wenigen Jahren wieder auf, und der Kurfürst mußte zufrieden sein, als ihm nach bedeutenden Verlusten für den Handel und die Industrie seiner Unterthanen von Preußen [* 3] der Zutritt zum Zollverein später gewährt wurde.
Die Willkür des ebenso eigenwillig wie sein Vater gearteten Wilhelm II. fand eine Stütze an der Gefügigkeit der Mehrzahl seiner Räte wie der Gerichte. Allein von Einfluß war neben einigen höfischen Kreaturen die kurfürstliche Mätresse, welche auf Kosten des hessischen Volkes mit in Mähren [* 4] erkauften Gütern beschenkt und zur Gräfin von Reichenbach-Lessonitz erhoben wurde. Die treffliche und vom Volk aufrichtig geliebte Kurfürstin, eine preußische Prinzessin, nahm mit dem Kurprinzen infolgedessen ihren Aufenthalt erst zu Berlin, [* 5] nachher zu Bonn [* 6] und später zu Fulda. [* 7]
Erteilung der Verfassung und Streit mit den Ständen.
Zu der großen Mißstimmung des Volkes über diese Vorgänge kam die Julirevolution von 1830, und es konnte unter diesen Umständen nicht fehlen, daß sie in Kurhessen zu Exzessen führte, die namentlich in Kassel, [* 8] Hanau [* 9] und Fulda stattfanden. Um diese Zeit lag der Kurfürst schwer erkrankt in Karlsbad danieder und kehrte erst nach der Landeshauptstadt zurück, in der zehn Tage vorher ein Volksaufstand durch die Umsicht des Bürgermeisters und die Entschlossenheit der Bürgergarde im Keim erstickt worden war.
Unter dem Druck der infolge eines hohen Notstandes täglich wachsenden Aufregung im Volk genehmigte der Kurfürst schon am folgenden Tag die Einberufung der Landstände, welche auch wirklich 16. Okt. zusammentraten und zum erstenmal auch Abgeordnete der bisher nicht vertretenen Grafschaft Schaumburg, der Fürstentümer Hanau und Fulda und der Grafschaft Isenburg unter ihren Mitgliedern zählten. Die Frucht dieses Landtags war die Verfassungsurkunde, die vom Kurfürsten unterzeichnet wurde.
Sie war verfaßt auf Grund eines von der Regierung Anfang Oktober 1830 den Ständen vorgelegten Entwurfs und hatte während der Beratung noch eine Reihe von Verbesserungen erhalten, so daß sie aus der ständischen Beratung als eine der trefflichsten und freisinnigsten in ganz Deutschland [* 10] hervorging. Die bisherige Vertretung der Stände nach Kurien hatte man fallen lassen, das Einkammersystem beibehalten, den verschiedenen Ständen die ihnen gebührende Vertretung gelassen, die Wahlperiode, abgesehen von Kammerauflösungen, auf drei Jahre festgesetzt.
Ein ständiger Landtagsausschuß hatte die ständischen Rechte in der Zwischenzeit zwischen den einzelnen Sessionen wahrzunehmen. Diese Rechte bestanden in der Mitwirkung bei der Gesetzgebung und der Steuerbewilligung. Das Staatsbudget ward alle drei Jahre vorgelegt und auf die nächsten drei Jahre bewilligt. Die volle Verantwortlichkeit der Minister diente als Bürgschaft für ein verfassungsmäßiges Regiment. Infolge des Erlasses dieser Verfassung, und da der Kurfürst auch mit seiner Gemahlin ausgesöhnt schien, herrschte allgemeine Freude, und das Volk sah einer glücklichen Zukunft entgegen. Aber der Einfluß der Gräfin Reichenbach, [* 11] welche nach Kassel zurückkehrte, bewog den Kurfürsten, seine Residenz nach Hanau zu verlegen und dem Kurprinzen Friedrich Wilhelm die Mitregentschaft und zugleich, bis er selbst in die Hauptstadt zurückkehren werde, die alleinige Regierung zu übertragen, was durch Gesetz publiziert ward, worauf 7. Okt. der Kurprinz-Mitregent seinen Einzug in Kassel hielt.
Der erste Landtag nach der neuen Verfassung, eröffnet, zeigte sich nach allen Seiten hin außerordentlich thätig. Als aber im Landtag über den unerträglichen Druck, unter dem die Presse [* 12] gehalten ward, sowie über die Ausnahmebeschlüsse des Bundestags Beschwerde erhoben ward, erfolgte 26. Juli die Auflösung des Landtags. Auf dem zweiten, auf einberufenen Landtag erhob sich gleich nach Beginn der Session Streit über den Urlaub für die Staatsbeamten, die Mitglieder des Landtags waren.
Die durch die Urlaubsverweigerung herbeigeführte Verzögerung der Eröffnung des Landtags bis 8. März gab Anlaß zu förmlicher Klagerhebung gegen den Minister Hassenpflug; die Regierung aber antwortete auf den am 18. März von den Ständen gefaßten Beschluß, daß dem Eintritt der Beamten auch ohne speziellen Urlaub nichts entgegenstehe, mit einer abermaligen Auflösung derselben. Auch auf dem dritten, auf einberufenen, aber erst 10. Juni eröffneten Landtag blieben die Mißhelligkeiten zwischen Ministerium und Ständen nicht aus, indem die letztern die frühern Anklagen gegen den Minister Hassenpflug nicht nur wieder aufnahmen, sondern auch neue gegen ihn erhoben, denen indes das Oberappellationsgericht keine Folge gab.
Friedlicher schien der Landtag für die zweite Finanzperiode von 1834 bis 1836 verlaufen zu sollen. 1834 ward als das wichtigste Werk eine Gemeindeordnung zu stande gebracht, welche, vier Jahrzehnte hindurch unverändert erhalten, den Stadt- und Landgemeinden einen verhältnismäßig hohen Grad von Selbständigkeit gewährte. Auch nach andern Richtungen machte sich ein frisches Vorwärtsstreben auf Grund der endlich erzielten größern Übereinstimmung zwischen Regierung und Kammer bemerkbar.
Vor allem machte sich der Finanzminister Meisterlin um die Regelung des verkommenen Finanzwesens, die Herstellung eines festen Jahresetats, die Vereinfachung der komplizierten und schwerfälligen Verwaltung, die Erhöhung der Einkünfte durch Ersparnisse und Hebung [* 13] der Einkommensquellen hochverdient. Aber er wurde bald durch die reaktionären Einflüsse des Hofs verdrängt und durch Motz ersetzt. Hassenpflug vereinigte nun das Departement der Justiz mit dem des Innern, so daß er unbehindert im Schoß des Ministeriums selbst seine Interpretationskünste an der Verfassung üben und immer neue Konflikte mit der Ständeversammlung herbeiführen konnte. Noch mehrere Monate tagte die Versammlung, ohne, durch Hassenpflug fast in jeder Beziehung gehemmt, irgend welche ersprießliche Thätigkeit entwickeln zu können; dann kündete ihr der Minister ihre Entlassung laut landesherrlicher Vollmacht an.
Inzwischen hatte der durch den Tod des Landgrafen Viktor Amadeus von Hessen-Rheinfels-Rotenburg bewirkte Heimfall des beträchtlichen Grundbesitzes desselben, welchen die Regierung als Fideikommiß des Kurhauses in Anspruch nahm, zu neuer Verwickelung zwischen ihr und den Ständen Anlaß gegeben. Überdies erhoben sich zwischen dem bleibenden ständischen Ausschuß und dem Ministerium Differenzen, die zu einer neuen ¶
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Anklage gegen den Minister Hassenpflug wegen Entlassung der Stände ohne Abschied führten, welche jedoch vom Oberappellationsgericht ebenfalls zurückgewiesen wurde. Da aber Hassenpflug fortfuhr, die verfassungsmäßigen Rechte auf jede Weise zu schmälern und die Stände geflissentlich mit möglichster Geringschätzung behandelte, auch die Eingriffe der Regierung in die Wahlen, die Epurationen der Gerichte, die Verfolgungen Mißliebiger nach wie vor fortdauerten, so ward die Mißstimmung im Volk immer größer und der Riß zwischen Regierung und Ständen immer tiefer.
Der Landtag für die dritte Finanzperiode, von 1837 bis 1839, ward noch unter dem Ministerium Hassenpflug zweimal, 11. März und, nachdem er 13. April wieder berufen worden, vertagt und nach Hassenpflugs Austritt aus dem Staatsdienst und der Wiedereinberufung der Stände unmittelbar nachdem der Beschluß durchgegangen war, daß die Einnahmen der Rotenburger Quart [* 15] dem Staat zufallen sollten, aufgelöst. Hassenpflugs Nachfolger v. Hanstein trat ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers. Als der Landtag für die vierte Finanzperiode (von 1840 bis 1842) eröffnet wurde, hatte die Regierung es durch Aufbietung aller nur möglichen Mittel, worunter namentlich der berüchtigte Prozeß gegen Jordan (s. d.) zu nennen ist, dahin gebracht, daß die Opposition ermüdet war; dessenungeachtet gelang es der Regierung auch jetzt nicht, in den streitigen Finanzfragen die Zustimmung des Landtags zu erhalten.
Schon zu Ende des Jahrs 1841 hatte Koch die Leitung des Ministeriums des Innern übernommen, und damit war ein milderes Element in die oberste Verwaltung gekommen. Die Wahlen zu dem Landtag der fünften Finanzperiode, der im Dezember 1842 vom Kurprinz-Mitregenten in Person eröffnet ward, hatten für die Regierung ein günstigeres Resultat ergeben, so daß sie bei einiger Mäßigung auf eine Majorität rechnen durfte. In der That setzte sie die finanziellen Anforderungen, namentlich die Erhöhung des Militäretats, leicht durch, stieß jedoch auch bei dieser sonst gefügigern Kammer auf Widerstand, als sie mißliebige Gesetzentwürfe gegen den ausgesprochenen Willen der Majorität durchzusetzen und allgemein gewünschte Reformen zu hindern Miene machte. So verging diese Landtagsperiode völlig fruchtlos, und die folgende, 1845-48, nahm denselben Verlauf. Nach einer neuen, vom Landtagskommissar Scheffer mit heftigen Invektiven gegen die Kammer verkündeten Auflösung erlangte die Regierung, da man bei den neuen Wahlen kein Mittel unversucht ließ, um die Wahl Mißliebiger zu hintertreiben, in der That eine Majorität; gleichwohl ward auch der im Mai 1847 eröffnete Landtag bald abermals vertagt. Scheffer, ein Anhänger des Hassenpflugschen Systems, ward an Kochs Stelle Minister.
Der Verfassungskampf.
Am starb in Frankfurt [* 16] a. M. Kurfürst Wilhelm II. Der Nachfolger Friedrich Wilhelm I. war, obwohl er als Mitregent den von der Verfassung vorgeschriebenen Revers vollzogen und dadurch gelobt hatte, jene selbst aufrecht zu erhalten und ihr gemäß zu regieren, als Kurfürst von Anfang an bestrebt, die unbequeme Verfassung zu beseitigen, und setzte sofort eine Kommission ein, welche Abänderungen der Verfassungsurkunde vorschlagen sollte. Es ist begreiflich, daß unter diesen Verhältnissen die Nachricht von den Februarereignissen in Paris [* 17] 1848 alsbald eine mächtige Erregung der Gemüter hervorrufen mußte.
Die Regierung, ohne Vertrauen und ohne Mut, sah sich außer stande, die drohend heranrollenden Wogen zu dämmen. Besonders in den südlichern Teilen des Kurfürstentums ging man mit großer Entschiedenheit zu Werke. Schon 3. und 4. März trafen Deputationen von Hanau und Marburg [* 18] in Kassel ein, und hier fand 5. März eine Bürgerversammlung statt, in welcher eine energische Petition an den Kurfürsten angenommen wurde; auch der Stadtrat beschloß eine Adresse, welcher der Bürgerausschuß beitrat.
Die Wirkung dieser stürmischen Demonstrationen war Scheffers Entlassung und die Einberufung der Ständeversammlung auf 11. März. Am 7. März aber erschien eine landesherrliche Verkündigung, durch welche eine Reihe zeitgemäßer Reformen teils eingeführt, teils für die nächste Zeit in Aussicht gestellt und mehrere gemäßigte und beim Volk beliebte Männer, Schwedes, v. Trott, Oberstleutnant Weiß, ins Ministerium berufen wurden. Doch diese Zugeständnisse genügten schon nicht mehr, und die Hanauer sprachen ihr Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit derselben offen aus und drohten mit Anschluß an Hessen-Darmstadt, wenn der Kurfürst die Forderungen des Volkes verweigere.
Verordnungen vom 11. März bewilligten nun eine allgemeine Amnestie, Religions- und Gewissensfreiheit, Aufhebung aller den Genuß verfassungsmäßiger Rechte, insbesondere des Petitions-, Einigungs- und Versammlungsrechts, beschränkenden Beschlüsse, Preßfreiheit u. a. Das Ministerium wurde durch die Führer der Opposition, Eberhard, Oberbürgermeister von Hanau, der zum Vorstand des Ministeriums des Innern ernannt wurde, und Wippermann als vortragenden Rat im Ministerium des Innern und landesherrlichen Kommissar bei der Ständeversammlung, ergänzt.
Bei dem guten Willen der Minister und der erzwungenen Zustimmung des Kurfürsten nahmen die Geschäfte einen gedeihlichen Verlauf. In der Landtagssession von 1848, die bis Ende Oktober währte, wurde eine große Zahl von Reformgesetzen glücklich durchgeführt, der Erlaß eines neuen Wahlgesetzes dem neuen, im November zusammentretenden Landtag vorbehalten. In der deutschen Frage hielt das Ministerium eine entschieden bundesstaatliche Richtung inne, von den elf Vertretern Kurhessens in der Nationalversammlung nachdrücklichst unterstützt.
Das neue Wahlgesetz, mit allgemeiner direkter Wahl und gleicher Zahl von Vertretern, je 16 für Städte, Landgemeinden und die höchst besteuerten Grundbesitzer und Gewerbtreibenden, wurde von der seit 29. Nov. tagenden Kammer angenommen, die als Reichsgesetz verkündeten deutschen Grundrechte wenige Tage darauf für Kurhessen publiziert, ebenso die Reichsverfassung und das Reichswahlgesetz. Das Scheitern dieser Verfassung und die Unruhen in verschiedenen Ländern veranlaßten das Ministerium, zur Wiederherstellung der Ruhe mehr und mehr der preußischen Politik sich anzuschließen. Am 6. Aug. ratifizierte der Kurfürst den Beitritt Kurhessens zum Dreikönigsbündnis.
Der am zwischen Österreich [* 19] und Preußen abgeschlossenen Konvention über die Bildung einer neuen provisorischen Zentralgewalt trat die kurhessische Regierung 20. Nov. bei, jedoch unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß die Ausübung der neuen Zentralgewalt die Verfassungsverhältnisse des Kurstaats nicht berühre. Differenzen mit dem Ministerium über die Persönlichkeiten, die Hessen-Kassel im Erfurter Staatenhaus vertreten sollten, gaben nun aber dem Kurfürsten Mitte ¶