mehr
zu verlangen, und da dieser als Anhänger der Union und Friedrichs V. von der Pfalz den Zorn des Kaisers Ferdinand II. auf sich gezogen, sprach ihm auch 1623 ein reichshofrätliches Erkenntnis die ganze Erbschaft zu, die er mit Hilfe ligistischer Truppen in Besitz nahm, und in der er statt des reformierten Marburg [* 2] die lutherische Universität Gießen [* 3] gründete. Auch erhielt Ludwig V. vom Kaiser die Ermächtigung zur Einführung der Primogenitur in seinem Haus, was das Land vor den verderblichen Teilungen bewahrte.
Auf Ludwig V. folgte sein Sohn Georg II., der Gelehrte (1626-61). Während des ganzen Dreißigjährigen Kriegs blieben die Landgrafen von Hessen [* 4] der kaiserlichen Partei treu und verfeindeten sich bitter mit ihren Kasselschen Vettern, ohne doch ihr Land vor den Verheerungen des Kriegs bewahren zu können. Auch die kaiserlichen Heerführer konnten in jener schweren Zeit auf des Kaisers Verbündete keine Rücksicht nehmen, so daß der Landgraf Georg zuletzt den Kaiser direkt um Schonung für sein verödetes Land anging.
Ferdinand III. willfahrte seinen Bitten, soviel es in seiner Macht stand, mußte es aber geschehen lassen, daß Georg durch Separatverträge mit Frankreich und Schweden [* 5] sich Schonung seitens der Feinde des Kaisers erkaufte. Hierzu kam der stets erneuerte Erbschaftsstreit mit Hessen-Kassel. Erst der Westfälische Friede 1648 führte einen Ausgleich zwischen Georg und der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel, der Vormünderin ihres unmündigen Sohns, auf eine für Hessen-Darmstadt immerhin noch vorteilhafte Weise herbei, indem dasselbe die größere Hälfte Oberhessens behielt. Die Universität Marburg verblieb unter gemeinschaftlicher Verwaltung; dagegen wurde dem Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, vorbehaltlich der Alternierung, die ihm früher zugestandene Präzedenz im Rang und in der Vertretung nach außen wie im Reich zugestanden. Die folgenden 13 Jahre, das letzte Drittel seiner Regierung, benutzte Georg mit Erfolg, die seinem Lande durch den Krieg geschlagenen Wunden zu heilen.
Sein Sohn Ludwig VI. (1661-78) setzte des Vaters Bemühungen um die Hebung [* 6] des Landes in materieller und geistiger Beziehung fort durch Begünstigung von Einwanderungen, das Verbot des Kriegsdienstes außer Landes, eine neue Regelung des verfallenen Schul- und Kirchenwesens, eine neue Hofgerichtsordnung etc. Getreu den Traditionen seiner Vorfahren, wußte er aus den Überschüssen seiner Regierung von neuem einen Hausschatz zu sammeln, welcher ihm wie jenen Gelegenheit bot, sein Land durch den Ankauf benachbarter Besitzungen (Eberstadt, Rodau, Frankenstein) noch besser abzurunden.
Sein Sohn Ludwig VII. starb als Jüngling vier Monate nach Antritt seiner Regierung, und statt des zweiten Bruders, des erst elfjährigen Ernst Ludwig (1678-1738), regierte bis 1688 als Vormünderin die Mutter Elisabeth Dorothea von Sachsen-Gotha. Auch Ernst Ludwig zeichnete sich gleich seinen Vorgängern durch die Standhaftigkeit und Entschiedenheit aus, mit welcher er im Gegensatz zur Kasseler Linie dem kaiserlichen Interesse ergeben war; doch hatte das Land während der Kriege mit Frankreich 1688-1714 viel zu leiden, die Landeshauptstadt ward zweimal von den Franzosen genommen und gebrandschatzt, der Hof [* 7] zur Flucht nach Oberhessen genötigt.
Einigen Ersatz brachten dem Lande die Kolonien der Waldenser zu Rohrbach, Weinbach, Walldorf etc., während der Landgraf den französischen Refugiés aus Furcht vor Ludwig XIV. den Eintritt in sein Land verwehrte. Übrigens ist Ernst Ludwig der erste, der die alte Einfachheit und Wirtschaftlichkeit seines Geschlechts mit dem von Ludwig XIV. aufgebrachten Glanz und Pomp vertauschte. Französische Sitte begann an seinem Hof die gute altdeutsche Einfachheit zu verdrängen.
Bauten, Theater [* 8] und die Begünstigung aller schönen Künste verschlangen nicht nur die Ersparnisse der frühern Zeiten, sondern stürzten auch das Land zum erstenmal in Schulden. Seinem Beispiel folgte auch sein Sohn Ludwig VIII. (1738-68), der, obwohl er schon als Erbprinz durch Vermählung mit der Erbtochter des letzten Grafen von Hanau [* 9] Lichtenberg über ein Einkommen von 300,000 Gulden verfügte, das sich nach dem Anfall der größern Hälfte der Erbschaft (die kleinere fiel nach 20jährigem Erbstreit an Hessen-Kassel) noch bedeutend erhöhte, doch infolge übermäßiger Jagdlust und der Vergeudung großer Summen für Oper und Schauspiel sich selbst und das Land in große Schulden stürzte. In der äußern Politik schloß auch er sich ganz an Österreich [* 10] an und hatte daher im österreichischen Erbfolgekrieg von den französischen Heeren zu leiden, dann im Siebenjährigen Krieg französische Besatzungen in seine Festungen aufzunehmen.
Sein Sohn Ludwig IX. (1768-90) war in manchen Stücken das Gegenteil seines Vaters, einfach, abgehärtet, ein großer Soldatenfreund und Freund Friedrichs II. Er ließ es sich angelegen sein, durch ein strenges, thätiges, selbstherrliches Regiment das, was sein Vater verschuldet, wieder gutzumachen, und es gelang ihm wirklich, die zerrütteten Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Seine Residenz Pirmasens, [* 11] Mittelpunkt der hanau-lichtenbergischen Besitzungen, die er zu Lebzeiten seines Vaters verwaltet hatte, behielt er auch während der ganzen Dauer seiner Regierung bei und that viel zur Hebung der Bevölkerung [* 12] und der Kultur dieser Lande.
Sein aufgeklärtes Regiment schaffte eine Menge von Mißbräuchen, besonders in der Justiz, ab; er beseitigte den unter der Herrschaft seines Vaters eingerissenen Jagdunfug und suchte durch die Regelung der Verwaltung, durch die Heranziehung trefflicher Beamten und Gelehrten aus Nord- und Mitteldeutschland sein Land auf die Höhe Preußens [* 13] zu bringen. Sein Hof war der Sammelpunkt der hervorragendsten deutschen Künstler und Dichter, die schönste Zierde desselben seine Gemahlin, die vortreffliche Karoline von Pfalz-Zweibrücken, die »große Landgräfin«, die Freundin Friedrichs d. Gr. Gegen das Ende seiner Regierung, kurz nach dem Ausbruch der französischen Revolution, verlor der Landgraf durch Beschluß der französischen Nationalversammlung seine Rechte und Einkünfte aus dem im Elsaß belegenen Teil der hanauischen Besitzungen (Buchsweiler, Brumath, Pfaffenhofen etc.). Sein Sohn Ludwig X. (1790 bis 1830) schloß sich den Heeren der alliierten Preußen [* 14] und Österreicher (1792) an, als es galt, die französische Revolution zu bekämpfen und die ihm entrissene Grafschaft Hanau-Lichtenberg wiederzuerlangen.
Doch sah er sich beim Rückzug der Alliierten 1793 genötigt, der feindlichen Übermacht zu weichen. Das ganze Land wurde gleich den Nachbargebieten von den Franzosen besetzt und gebrandschatzt; die aus dem Land fortgeführten Männer bürgten als Geiseln für die Neutralität von Fürst und Land. Der Friede von Lüneville (1801) brachte ihm als Entschädigung für die an Frankreich abgetretenen linksrheinischen und einige andre an Baden [* 15] und Nassau-Usingen abgetretene Lande das Herzogtum ¶
mehr
Westfalen, [* 17] einen Teil des ehemals mainzischen Gebiets und einige andre Parzellen mediatisierten Kirchengutes, im ganzen statt der abgetretenen 2200 qkm mit 100,000 Einw. etwas über 5500 qkm mit 218,000 Einw. Durch einen Tauschvertrag mit Baden 1803 arrondierte der von Bonaparte bevorzugte Fürst sein Land noch besser und brachte zugleich die frühere Reichsstadt Wimpfen in seinen Besitz.
Die neuen Landschaften bildeten zusammen mit den alten die drei Provinzen: Starkenburg, Oberhessen und Westfalen. Als Mitglied des Rheinbundes wurde dem Landgrafen 1806 die Souveränität zugestanden, worauf er (14. Aug.) den Titel Großherzog Ludwig I. annahm. Zugleich hob er mit einem Federstrich die formell noch bestehende, doch seit 1628 nicht mehr aktive landständische Verfassung auf und erwarb die Souveränität über sämtliche noch reichsunmittelbare Grafen und Freiherren innerhalb der Grenzen [* 18] seines Gebiets. Dafür mußten die hessischen Truppen bis Ende 1813 auf den verschiedensten Kriegsschauplätzen für Napoleon kämpfen. Erst schloß sich Ludwig I. den Alliierten an. Die Bestimmungen des Wiener Kongresses führten noch einige für das Land vorteilhafte Gebietsaustausche herbei, die den Territorialbestand um ein Geringes minderten, die Bevölkerungsziffer etwas erhöhten. Der Großherzog mußte das Herzogtum Westfalen an Preußen, einige südlich gelegene Ämter an Bayern [* 19] abtreten und erhielt dafür ehemalige Mainzer, Wormser, Pfälzer Gebiete und die Oberhoheit über einige bisher Reichsunmittelbare, wogegen er die Selbständigkeit der hessischen Seitenlinie Hessen-Homburg anerkennen mußte. Wegen seiner am linksrheinischen Ufer gelegenen Besitzungen nannte er sich seit »Großherzog von und bei Rhein«.
Ludwig zeigte sich fortan redlich bemüht, nicht nur die tiefen durch den Krieg dem Wohlstand des Landes geschlagenen Wunden zu heilen, sondern auch durch zeitgemäße Verwaltungsreformen dem modernen Geist Rechnung zu tragen. Auch gab er dem Land eine neue ständische Verfassung mit zwei Kammern, deren zuerst sehr beschränkte Rechte er jedoch auf Rat des Ministers v. Grolmann erweiterte, worauf die revidierte Verfassung den Ständen von Grolmann als Landesgrundgesetz feierlich übergeben wurde.
Auf dem ersten Landtag wurden das Steuersystem und die Heereskonskription neu geordnet und eine neue Gemeindeordnung vereinbart. Hierauf ward eine Zentralregierung, ähnlich wie im benachbarten Hessen-Kassel, neuorganisiert. An Stelle des bisherigen alleinigen Kabinetts traten vier Departementsminister mit solidarischer Verantwortlichkeit; die Einrichtung eines Staatsrats zur Vorberatung von Gesetzen und allgemein wichtigen Angelegenheiten wurde beschlossen, eine Oberrechnungskammer und eine Staatshauptkasse eingerichtet.
Trotz der während der Kriegsjahre bedeutend angewachsenen Staatsschuld blieb das Staatsbudget doch stets im Gleichgewicht, [* 20] so daß die Finanzgesetze zum schnellen Abschluß gediehen, eine allmähliche Tilgung der Schuld in Aussicht genommen werden konnte. In wirtschaftlichen Dingen zeigte der Großherzog einen klaren und unbefangenen Sinn. Auf die preußischen Zollvereinsbestrebungen ging er sofort freudig ein und war einer der ersten, die 1828 dem neuen Zollverein freiwillig beitraten. Besonders zeigte er sich für die Besserung der Lage des Bauern- und Arbeiterstandes besorgt, und wie schon früher die Ablösbarkeit bäuerlicher Fronen, so setzte er jetzt die Aufhebung sämtlicher Staats- und Jagdfronen durch.
Ihm folgte sein Sohn Ludwig II. (1830-48), der unter dem Eindruck der auf die Julirevolution folgenden Unruhen in den Nachbarlanden in etwas reaktionärere Bahnen einlenkte und die Bundesbeschlüsse gegen die Presse [* 21] und Vereine bereitwilligst ausführte. Die Opposition des Landtags dagegen wurde im November 1833 mit der Auflösung desselben, der Pensionierung der zur Kammeropposition gehörigen Beamten und der Verschärfung der Polizeimaßregeln gegen demokratische Umtriebe beantwortet.
Die Folge war, daß die Regierung wieder die Majorität in den Kammern erlangte und die Geschäfte in Ruhe erledigte. Wichtig war die Auseinandersetzung zwischen Staats- und fürstlichem Domanialvermögen, indem der Großherzog ein Drittel seines bisherigen Hausbesitzes dem Land als Schuldentilgungsfonds überließ. Neuen Anlaß zur Aufregung gab die Vorlage eines neuen Zivilgesetzentwurfs in dem Ende 1846 berufenen Landtag, der einzelne freisinnige Rechtsbestimmungen des in Rheinhessen geltenden Code Napoléon zu gunsten älterer deutscher und kirchlich beschränkterer Institutionen aufhob.
Dennoch wurde der Entwurf mit Ausnahme des die Aufhebung der Zivilehe in Rheinhessen betreffenden Paragraphen von beiden gefügigen Kammern angenommen. Obwohl das Vorgehen der Regierung in dem Hungerjahr 1847 so energisch und erfolgreich war, daß Unruhen völlig vermieden wurden, so gaben doch politische Debatten im Landtag von 1847 sowie der von der Opposition heraufbeschworne blutige Schatten [* 22] Weidigs (s. d.) bald neuen Stoff zu Unruhen. In dem Ende Dezember 1847 zusammenberufenen neuen Landtag befand sich eine zahlreiche Opposition unter Führung des Vorkämpfers der Liberalen, Heinrichs v. Gagern. Aber erst der Ausbruch der Pariser Februarrevolution gab auch hier der Volkspartei den Mut, offen mit ihren Forderungen hervorzutreten. In keinem Land vollzog sich der Umschwung schneller und ordnungsmäßiger, doch auch in wenigen nur war der Sieg der Reaktion in den Jahren 1850-66 entschiedener und rücksichtsloser als in Hessen.
Bereits stellten die Führer der Liberalen in der Kammer den Antrag auf Berufung einer Nationalvertretung und Ernennung eines Bundesoberhauptes. Am 5. März gab die Regierung der Macht der öffentlichen Stimme nach; durch ein Edikt wurde die Mitregentschaft des Erbgroßherzogs, der nach Ludwigs II. Tod als Ludwig III. Großherzog wurde, verkündet und von letzterm sofort die Erfüllung der hauptsächlichsten liberalen Forderungen zugesagt. An Stelle des langjährigen reaktionären Ministers du Thil ward Heinrich v. Gagern als Minister des Innern ins Kabinett gezogen, dem im Mai Jaup, ein tüchtiger Staatsmann, folgte. Am 7. März wurde das Militär auf die Verfassung vereidigt.
In der deutschen Frage ging man im Verein mit Württemberg [* 23] und Nassau auf der von Gagern gezeichneten Bahn vor. Trotzdem kam es besonders im Odenwald und Vogelsgebirge zu Volksaufständen mehr sozialistischer als politischer Natur, die nur durch Waffengewalt gedämpft werden konnten. Um Freiheit für seine Reformthätigkeit zu gewinnen, vertagte Jaup im Juli die Kammern und führte darauf eine Reihe wichtiger Reformen: die Reorganisation der Verwaltung, die Aufhebung des Jagdrechts, eine neue Kirchen- und Schulorganisation, mündliches und öffentliches Verfahren im Strafrecht ¶