mehr
Gesamtproduktion im Wert von 20-25 Mill. Mk. hauptsächlich in Worms, [* 2] Mainz [* 3] und Offenbach [* 4] betrieben wird. Zu Lackleder werden jährlich etwa 3 Mill. Stück Felle, wovon auf Worms allein etwa 2½ Mill. kommen, zu gefärbtem Leder in Mainz allein über 900,000 Stück Ziegen- und Schaffelle verarbeitet. Auch in der Verfertigung von Sattlerarbeiten ragt Hessen [* 5] stark hervor.
Von großer, weit über die Grenzen [* 6] des Landes hinausreichender Bedeutung sind ferner die zu Mainz in der blühendsten Weise in zahlreichen Fabriken mit über 1100 Arbeitern betriebene Fabrikation von Luxusmöbeln und die Offenbacher Portefeuillefabrikation, die in Deutschland [* 7] auf diesem Gebiet den ersten Rang einnimmt und die Wiener Portefeuille-Industrie in Bezug auf den Betrag der Gesamtproduktion sogar noch übertrifft. Die Tabaks- und Zigarrenfabrikation (in etwa 200 Fabriken) bildet einen der wichtigsten Industriezweige des Landes.
Erstere konzentriert sich hauptsächlich in den Städten Offenbach, Gießen [* 8] und Alsfeld, letztere, zum größten Teil für den Export arbeitend, in den Kreisen Heppenheim, Bensheim, Offenbach, Darmstadt, [* 9] Gießen, Worms und Bingen. [* 10] Eines ausgebreiteten Rufs erfreuen sich die Erzeugnisse der chemimischen ^[richtig: chemischen] Industrie. Die bemerkenswertesten Etablissements, zum Teil ersten Ranges, befinden sich in Darmstadt (Alkaloide, pharmazeutische und technische Präparate), Mainz (Essigsäure, essigsaure Salze und Methylpräparate), Oppenheim (Chinin, Chinidin etc.), Pfungstadt im Kreis [* 11] Darmstadt und Marienberg im Kreis Bensheim (Ultramarin), Neuschloß bei Lampertheim (Mineralsäure, Soda, Chlorkalk), [* 12] Offenbach (Anilinfarben- und Alizarinfabrik) und Worms (Wasserglaskompositionen und Wasserglasseife).
Die Fabrikation von Zündhölzern wird schon seit längerer Zeit in Hessen in großer Ausdehnung, [* 13] besonders in den Kreisen Darmstadt und Dieburg, betrieben und ist durch den beträchtlichen überseeischen Export von Bedeutung. Ansehnliche Seifensiedereien, ihrem Umfang nach wohl heute noch eine der ersten Stellen in der deutschen Seifenfabrikation einnehmend, befinden sich in Offenbach. Von großer Wichtigkeit wegen des bedeutenden Exports nach Rußland, Amerika [* 14] und besonders nach Australien [* 15] ist ferner die Erzeugung von Schuhwaren, welche mit einer Produktion von über 3 Mill. Mk. hauptsächlich in Mainz, Offenbach, Darmstadt und Worms ihren Sitz hat. Auch die Hutfabrikation wird in großem Umfang in Darmstadt und Offenbach betrieben und hat das Entstehen zahlreicher und ansehnlicher Hasenhaarschneidereien in Offenbach, Rüsselsheim und Seligenstadt veranlaßt.
Was die Industrie in Konsumtibilien anbelangt, so ist wegen des bedeutenden Exports zunächst die Bierbrauerei [* 16] hervorzuheben, welche hauptsächlich in Mainz, Weisenau, Worms, Pfungstadt, Gießen und Darmstadt in größerm Maßstab [* 17] betrieben wird. Sehr ausgebreitet in einer Menge von Wasser- und Dampfmühlen ist die Mehlbereitung, ebenso die Essigsiederei und Branntweinbrennerei. Die Fabrikation von moussierenden Weinen wird in beträchtlichem Umfang, besonders in Mainz in sechs Fabriken, betrieben.
Kartoffel- und Stärkemehl sowie Stärkezucker werden in Gernsheim und Osthofen, Kaffeesurrogate (insbesondere Zichorien) in Offenbach, Worms, Rüsselsheim, Bingen etc., Schokolade in Mainz und Darmstadt und Konserven in Mainz fabriziert. Einen namhaften Industriezweig bildet die Metzgerei und Wurstfabrikation in Schotten mit einem jährlichen Umsatz von 6-700,000 Mk. Die Textilindustrie ist, abgesehen von einzelnen bedeutendern Etablissements, von mehr lokaler Bedeutung.
Tuchfabriken finden sich vorzugsweise in den Kreisen Schotten und Alsfeld und mehr noch im Kreis Erbach. Die Fabrikation von baumwollenen Zeugen wird im Odenwald und in den oberhessischen Kreisen Alsfeld und Lauterbach betrieben. Die Leinenindustrie ist in Oberhessen zu Haus und bildet einen wichtigen Erwerbszweig der Bevölkerung [* 18] in den Kreisen Alsfeld und Lauterbach (insbesondere Schlitz). Außerdem werden Posamentier-, Strumpf- und Filzwaren, Stramin und Wachstuch in Offenbach, Kokosmatten und Teppiche in Rüsselsheim, Korsette in Offenbach und Gießen, Handschuhe in Friedberg [* 19] und Darmstadt und Metallknöpfe in Bessungen und Offenbach fabriziert.
Eine Strohhutfabrik besteht in Offenbach. Für die Bewohner des Vogelsbergs ist ferner das Fertigen von Holzwaren und Schnitzarbeiten, für die des Odenwaldes die Herstellung feiner Elfenbeinschnitzereien ein nicht unwesentlicher Erwerbszweig. Die Industrie von Stein-, Thon- und Glaswaren bietet außer der Zementfabrikation in Amöneburg bei Biebrich [* 20] (wohl der bedeutendsten in Deutschland), in Budenheim bei Mainz und in Offenbach, einigen Fayenceöfenfabriken in Darmstadt, Mainz, Worms und Gießen, einer Steingutfabrik in Auerbach, [* 21] einer Glasperlenfabrik in Mainz, Töpfereien und den überaus zahlreichen Ziegeleien und Feldbackstein- und Kalkbrennereien im Land nichts Bemerkenswertes.
Vorzügliche Tapeten liefern Darmstadt, Offenbach und Mainz; Bunt- und Luxuspapier Offenbach; Spielkarten Darmstadt. Die Fabrikation von gewöhnlichem Papier und von Papiermasse ist vorzugsweise vertreten in den Kreisen Darmstadt und Bensheim sowie in Wimpfen und Nidda. An lithographischen Anstalten, Buch- und Notendruckereien fehlt es nicht, und es wird in diesem Fach namentlich in Mainz, Offenbach, Darmstadt, Gießen und Worms Vorzügliches geleistet.
Handel und Verkehr.
Über den Umfang des besonders in Mainz sehr lebhaften Handelsverkehrs geben folgende Daten Aufschluß. Die Zahl der in den Berufszweigen des Handels und Verkehrs mit ihrer Hauptbeschäftigung erwerbstätigen Personen betrug 1882: 31,492, mit ihren Angehörigen etc. 98,631 oder 10,61 Proz. der Gesamtbevölkerung. Handels- etc. Betriebe wurden 24,378 gezählt, davon 15,177 Haupt- und 9201 Nebenbetriebe. Die Ausfuhr aus dem Großherzogtum über Bremen [* 22] betrug 1885: 1,918,146 Mk. Als hauptsächlichste Artikel sind hierbei zu nennen: gegerbtes Leder, Lederwaren, Wein, Zigarren, präparierte Droguerien, Farbwaren, Hasen- und Kaninchenhaare (1,218,762 Mk.), Galanterie- und Kurzwaren, Geräte und Mobilien.
Die Einfuhr über Bremen bezifferte sich 1885 auf 1,539,740 Mk. und bestand vorwiegend aus Tabak [* 23] (929,531 Mk.), rohen Droguerien, Reis, Ölen, Petroleum, Schafwolle, Holzwaren und Zigarrenkistenbrettern. 1885 betrug in den drei Rheinhäfen bei Mainz, Worms und Bingen die Zufuhr zu Berg 208,716 Ton., zu Thal [* 24] 108,696 T., zusammen 317,412 T.; die Abfuhr zu Berg 5101 T., zu Thal 37,186 T., zusammen 42,287 T.; die gesamte Güterbewegung mithin 359,699 T. In Mainz, wo sich auch eine Dampfschiffahrtsgesellschaft befindet, betrug die Gesamtzahl der im J. 1885 angekommenen und abgegangenen Dampf- und Segelschiffe 7887, der Flöße 52, das Gesamtgewicht der mit denselben angekommenen Güter 180,243 T., der abgegangenen Güter 24,213 T., der Floßbestand 1063 T. Das Post- ¶
mehr
und Telegraphenwesen steht unter der Verwaltung des Reichs. Die Länge der im Betrieb befindlichen Eisenbahnen beträgt 837, die der Staatsstraßen 1859 km. Sonstige Förderungsmittel des Handels sind die Bank für Handel und Industrie und die Bank für Süddeutschland (beide zu Darmstadt) sowie die sechs Handelskammern in Darmstadt, Offenbach, Gießen, Mainz, Worms und Bingen. Außerdem befinden sich in eine Haupt- (in Mainz) und vier Nebenstellen (in Darmstadt, Offenbach, Gießen und Worms) der Reichsbank.
Das in Hessen seit 1817 bestehende, auf dem metrischen System beruhende Maß- und Gewichtssystem hat durch die Reichsgesetze vom und wodurch für ganz Deutschland einheitliches Maß und Gewicht eingeführt wurde, nur teilweise eingreifende Abänderungen erfahren. Nachdem durch das Reichsmünzgesetz vom für das Deutsche Reich [* 26] die Goldwährung und Markrechnung eingeführt worden ist, hat der Übergang von dem frühern 52½-Guldenfuß zur Reichsmarkrechnung in Hessen stattgefunden.
Von den Humanitäts- und Wohlthätigkeitsanstalten sind hervorzuheben: die Staatsunterstützungskasse in Darmstadt, die schon erwähnte Landeswaisenanstalt, das Landeshospital zu Hofheim, die Landesirrenanstalt zu Heppenheim, die schon genannten Taubstummenanstalten, die Blindenanstalt in Friedberg, das Kaufunger Stift (für arme adlige Töchter), die Ludwigs- und Mathilden-Landesstiftung, verschiedene Witwen-, Sterbe- und Krankenkassen, Krankenhäuser, Entbindungsanstalten, die Idiotenanstalt und die Knabenarbeitsanstalt zu Darmstadt etc.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Das souveräne Großherzogtum Hessen, zu einem solchen 1806 erhoben, bildet laut Verfassungsurkunde vom als ein unter einer und derselben Verfassung stehendes Ganze, eine unteilbare konstitutionelle Monarchie. Der Landesherr, welcher den Titel »Großherzog von und bei Rhein« mit dem Prädikat »Königliche [* 27] Hoheit« führt, genießt alle mit der königlichen Würde verbundenen Rechte, Ehren und Vorzüge und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt, die er unter den in der Verfassung festgesetzten Bestimmungen auszuüben hat. Er ist das Oberhaupt des großherzoglichen Hauses wie auch der evangelischen Kirche des Landes und bezieht eine Zivilliste von 1,096,288 Mk., welche, gleich den übrigen Bedürfnissen des Hofs, auf die als Familieneigentum anerkannten zwei Drittel der Domänen radiziert ist.
Die Regierung ist im großherzoglichen Haus erblich nach Erstgeburt und Linealerbfolge, auf Grund der Abstammung aus ebenbürtiger, mit Bewilligung des Großherzogs geschlossener Ehe. In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Regierung auf das weibliche Geschlecht über. Beim Erlöschen des Mannesstamms ist zur Thronfolge zunächst Hessen-Kassel berechtigt, sonst bestehen noch Erbverbrüderungen zwischen den hessischen Häusern, Sachsen [* 28] und Brandenburg, [* 29] die zuletzt 1614 erneuert wurden.
Gegenwärtiger Regent ist der Großherzog Ludwig IV., der seit regiert. Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Jedem ist vollkommene Gewissensfreiheit zugesichert, und die Freiheit der Person und des Eigentums ist keiner andern Beschränkung unterworfen, als welche Recht und Gesetz bestimmen. Die Verschiedenheit des Religionsbekenntnisses hat keine Verschiedenheit in den politischen und bürgerlichen Rechten zur Folge. Niemand soll seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die frühern Vorrechte der Standesherren etc., welche in der Ausübung von Hoheitsrechten bestanden, sind seit 1848 erloschen.
Die Stände des Großherzogtums bilden zwei Kammern, über deren Zusammensetzung das Gesetz vom neue Bestimmungen enthält. Danach besteht die Erste Kammer aus den Prinzen des großherzoglichen Hauses, den Häuptern der standesherrlichen Familien, dem Senior der freiherrlichen Familie v. Riedesel, einem protestantischen Geistlichen, welchen der Großherzog auf Lebenszeit mit der Würde eines Prälaten ernennt, dem katholischen Landesbischof, dem Kanzler der Landesuniversität, 2 von dem angesessenen Adel aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern und aus höchstens 12 vom Großherzog auf Lebenszeit berufenen ausgezeichneten Staatsbürgern.
Die Zweite Kammer besteht aus 10 Deputierten der Städte (Darmstadt 2, Mainz 2, Gießen, Offenbach, Friedberg, Alsfeld, Worms, Bingen je 1) und 40 Abgeordneten der kleinern Städte und Landgemeinden. Die Ernennung der Abgeordneten für die Zweite Kammer geschieht durch indirekte Wahl. Der Großherzog beruft, vertagt und löst die Ständeversammlung auf oder schließt dieselbe, die wenigstens alle drei Jahre einberufen werden muß. Erfolgt die Auflösung derselben, so wird binnen sechs Monaten eine neue einberufen, zu welcher neue Wahlen stattfinden müssen.
Ohne Zustimmung der Stände kann weder eine direkte noch indirekte Steuer ausgeschrieben oder erhoben werden. Das Finanzgesetz wird auf drei Jahre gegeben und muß zuerst der Zweiten Kammer vorgelegt werden, welche die Beschlüsse zu fassen hat, die von der Ersten Kammer nur im ganzen angenommen oder verworfen werden können. Im letztern Fall wird das Finanzgesetz in einer gemeinschaftlichen Sitzung beider Kammern, unter dem Vorsitz des Präsidenten der Ersten, diskutiert und der Beschluß nach absoluter Stimmenmehrheit gefaßt.
Ohne Zustimmung der Stände kann kein Gesetz, auch in Beziehung auf das Polizeiwesen, gegeben, aufgehoben oder abgeändert werden. Das Recht der Initiative steht dem Großherzog zu, während die Stände nur auf dem Weg der Petition auf neue Gesetze oder auf Abänderung und Aufhebung bestehender antragen können. Den Präsidenten der Ersten Kammer ernennt der Großherzog, den der Zweiten wählt derselbe aus drei ihm hierzu vorgeschlagenen Kandidaten. Die Sitzungen der Kammern sind öffentlich. Die Minister sind verantwortlich und können von den Ständekammern in Anklagestand versetzt werden.
Die oberste Staatsbehörde bildet das Staatsministerium. Innerhalb des Staatsministeriums bestehen das Ministerium des Innern und der Justiz und das Ministerium der Finanzen. Der Präsident des Staatsministeriums ist zugleich Minister des großherzoglichen Hauses und des Äußern. Das Ministerium des Innern und der Justiz zerfällt in zwei Sektionen, die Sektion für innere Verwaltung und die Sektion für Justizverwaltung. Bei der Sektion für innere Verwaltung bestehen besondere Ministerialabteilungen für Schulangelegenheiten (an Stelle der frühern Oberstudiendirektion) und für öffentliche Gesundheitspflege (früher Obermedizinaldirektion), bei dem Ministerium der Finanzen eine Abteilung für Bauwesen (früher Oberbaudirektion), eine Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung (früher Oberforst- und Domänendirektion) und eine Abteilung für Steuerwesen (früher Obersteuerdirektion). ¶