mehr
helfen könne. Homers Auffassung blieb maßgebend für die spätere poetische Darstellung der Göttin. Nur ist das Hauptinteresse, das sie hier beherrscht, während es bei Homer nur nebenbei spielt, die Eifersucht auf ihre Schönheit und ihre Rechte als Gattin des Zeus. [* 2] Side, die Gemahlin des Orion, wird von ihr in den Hades verbannt, weil sie ihr den Vorzug der Schönheit streitig macht, Gerane ebendeshalb in einen Kranich verwandelt. Vornehmlich erregen aber des Zeus Liebschaften ihre Eifersucht. So wird Kallisto, weil sie dem Zeus zu Willen gewesen, in eine Bärin verwandelt und auf ihren Betrieb von den Pfeilen der Artemis [* 3] getötet; gegen Jo, die als Kuh auf ihr Anstiften von einer Bremse verfolgt wird, gegen Leto, Alkmene, Galanthis, Danae, Europa, [* 4] Semele, die auf ihren heimtückischen Rat von Zeus ihr Verderben erfleht, u. a. verfährt sie mit demselben rücksichtslosen Haß.
Selbst auf des Zeus Liebling Ganymed ist sie eifersüchtig, wie sie aus Eifersucht auch die Kinder der genannten Frauen verfolgt, namentlich den Herakles. [* 5] Die Bedeutung dieser Hera [* 6] konzentriert sich ganz in dem Begriff der Gattin und Ehegöttin (Hera Teleia), der Walterin über die Heiligkeit der ehelichen Rechte und Gesetze. Als solche bleibt sie leidenschaftlicher Liebe fremd und weist als des Zeus treue, keusche Gattin des Ixion, Porphyrion, Ephialtes Angriff ab; nur eine spätere isolierte Sage weiß von ihrem Verhältnis zum Titanen Eurymedon, von dem sie den Prometheus geboren haben soll, und von ihrer Liebe zu dem schönen Knaben Aetos, der in einen Adler [* 7] verwandelt ward, zu erzählen.
Vielmehr sind die Kinder, als deren Mutter sie in der ältern Sage erscheint, alle auch Kinder des Zeus. So Ares, [* 8] Hebe, die Eileithyien, jene die reife, mannbare Jungfrau, diese die Geburtsgöttinnen, endlich Hephästos. [* 9] Hera ist auch Wächterin über die Geheimnisse des ehelichen Lebens. Sie erscheint darum auch als Helferin in den Nöten der Entbindung, und in Argos wurde sie geradezu als Eileithyia, als Geburtsgöttin, verehrt. Wenn sie den Dionysos [* 10] verfolgt und in Raserei stürzt und das gleiche Los über Athamas verhängt, weil er Erzieher des Gottes war, sowie über Ino, die denselben von Hermes [* 11] zur Pflege empfangen hatte, so erscheint sie als Wächterin der Reinheit des olympischen Stammes.
Vieles im Mythus der Hera wird mit Recht aus Naturerscheinung und Naturanschauung erklärt. So ist der eigentliche Grund der Streitigkeiten des Zeus und der Hera (von deren physikalischer Bedeutung freilich Homer keine klare Vorstellung mehr hatte) in der Naturbedeutung der beiden Gottheiten zu suchen. Bei der eigentümlichen Beschaffenheit des griechischen Himmels entwickeln sich alle Erscheinungen der Atmosphäre oder des Wolkenhimmels, Regen, Sturm etc., so heftig und stürmisch und in so gewaltigem Gegensatz, daß das Bild eines ehelichen Zankes der herrschenden Mächte ein sehr natürliches und ausdrucksvolles ist.
Wenn es z. B. heißt, daß Zeus die Hera im Grimm gepeitscht und ihren Sohn Hephästos vom Olymp heruntergeschleudert habe, so sollten damit wohl ursprünglich die Aufregungen des Himmels ausgedrückt werden, wenn Zeus in Stürmen und Wetterwolken einherfährt, die Luft gleichsam geißelt und mit Feuerstrahlen um sich wirft. Wenn ferner Zeus die Göttin am Himmel [* 12] aufhängt und sie in der Luft schweben läßt, so ist auch dies ein Bild von der Gewalt des höchsten Himmelsgottes, der die Luft und die Wolken gleichsam herabhängen läßt.
Der Versuch der Hera, in Verbindung mit Poseidon [* 13] und Athene [* 14] den Zeus zu fesseln, deutet wohl ebenfalls auf einen Aufruhr der Natur hin. Wenn Hera sich mit den finstern Mächten der Tiefe verbindet und verderbliche Mächte erzeugt, so ist dies ein Bild der gefährlichen, in dichten Nebeln über der Erde gelagerten Luft. Auch der Pfau, welcher ihr als Attribut beigegeben ist, und dessen Augen im entfalteten Schweif die Pracht des gestirnten Himmels bedeuten, hat eine Beziehung zu ihrem Wesen. Doch ist zuzugestehen, daß eine Reihe von Zügen im Mythus der auch auf sie als Mondgöttin paßt. Eine solche war ursprünglich auch die mit der griechischen Hera identifizierte italische Juno (s. d.).
Die plastischen Darstellungen der Hera, deren wir aber aus der guten griechischen Zeit nur sehr wenige haben, halten sich vornehmlich an die Homerische Schilderung: große, runde, offene Augen, strenger, majestätischer Gesichtsausdruck, ein etwas stark hervortretendes Kinn (die unbeugsame Entschlossenheit des Willens ausdrückend), Körperformen einer blühenden Matrone;
dazu züchtige Bekleidung: aufgeschürzter Chiton, [* 15] der nur Hals und Arme bloßläßt, mit weitem, die ganze Gestalt verhüllendem Obergewand, die königliche Kopfbinde (Stephane), öfters auch ein Schleier.
Der Granatapfel in ihrer Hand [* 16] ist das Symbol ehelicher Fruchtbarkeit, was auch jene verhängnisvollen Äpfel bezeichnen, welche Gäa bei ihrer Hochzeit hatte wachsen lassen. Die gewöhnlichsten Attribute sind außerdem: das Zepter als Zeichen der Herrschaft, die Patera oder Opferschale in der Hand, der Pfau zu ihren Füßen, auch wohl der Kuckuck (als Bote des Frühlings), Blumen und Blätter (als Symbole des Natursegens). Berühmt vor allen andern Bildern war die kolossale Goldelfenbeinstatue des Polyklet in ihrem Tempel [* 17] bei Argos, von der uns römische Münzbilder noch eine Vorstellung ge-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 3. Hera (Barberinische Juno; Rom, [* 18] Vatikan).] [* 19] ¶
mehr
ben. Hera erschien hier auf reich geschmücktem Thron [* 21] sitzend, die Stirn mit einem Diadem geschmückt, worauf die Chariten [* 22] und Horen [* 23] im Relief gebildet waren; in der einen Hand hielt sie einen Granatapfel, in der andern das Zepter, worauf der Kuckuck saß. Die Strenge dieser ältern Auffassung ist noch bewahrt in dem Farnesischen Herakopf in Neapel [* 24] (Fig. 1), während jüngere Werke mehr das Frauenhafte oder Königliche in [* 25] der Göttin betonen. Beides ist aufs schönste vereinigt in dem vielbewunderten, von einer Kolossalstatue stammenden Kopf der Hera Ludovisi in Rom (Fig. 2). Unter den statuarischen Darstellungen sind die bedeutendsten: die Barberinische Juno im Vatikan zu Rom (Fig. 3) und ein Marmortorso von Ephesos [* 26] in Wien; [* 27]
erstere gibt das Motiv der Hera Teleia (Juno Pronuba), deren berühmtestes Bild Praxiteles für Platää geschaffen hatte.
Eine eigentümliche Gestaltung der Göttin, die aber die Kunst wenig beschäftigt hat, ist die Hera Eileithyia (Juno Lucina). Unter den Mythen der Hera ist derjenige von der heiligen Hochzeit (hieros gamos) mit Zeus am häufigsten behandelt worden.
Vgl. Schömann, Das Ideal der Hera (Greifsw. 1847);
Roscher, Studien zur vergleichenden Mythologie, Heft 2 (Leipz. 1875);
Förster, Die Hochzeit des Zeus und der Hera (Bresl. 1867).
Der gesamte Kreis [* 28] der Heradenkmäler ist zusammengestellt in Overbecks »Griechischer Kunstmythologie«, 2. Buch: Hera (Leipz. 1873, mit Atlas). [* 29]