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angeblich aus Gewissensbissen, da eine Ehe mit der Witwe des Bruders nach den Gesetzen der Kirche verboten sei. Der eigentliche Beweggrund neben den politischen Motiven des Systemwechsels war aber seine Liebe zu der schönen Anna Boleyn (s. Anna 1). Nach langem Zögern übertrug Clemens VII. seinen Legaten Wolsey und Campeggio die Untersuchung über die Gültigkeit der Ehe des Königs und bevollmächtigte sie unter gewissen Bedingungen zur Auflösung derselben, hob aber nach einiger Zeit, ehe die Sache entschieden war, infolge seiner Annäherung an Karl V. die Untersuchungskommission wieder auf. Heinrich entsetzte hierauf Wolsey seines Amtes, zog sein Vermögen ein und ließ auf den Rat des Theologen Thomas Cranmer nach dem Gutachten der berühmtesten Universitäten durch einen englischen Gerichtshof seine Ehe mit Katharina für ungültig erklären, worauf er im Anfang 1533 zur Vermählung mit Anna Boleyn schritt.
Als der Papst darauf den König zur Verantwortung vor seinen Richterstuhl forderte, entschloß sich Heinrich, sein Reich von der geistlichen Oberherrschaft Roms frei zu machen; ja, er ließ sich sogar mit Beistimmung des Parlaments zum Protektor und Oberhaupt der »Anglikanischen Kirche« (s. d.) ernennen; Cranmer wurde Primas des Reichs. Aber diese Trennung vom Papsttum, an welcher der Bannfluch, den der Papst gegen Heinrich aussprach, nichts änderte, sollte keineswegs eine Lossagung vom Katholizismus bedeuten;
dogmatisch blieb Heinrich noch lange Zeit ein Gegner der protestantischen Reformation, deren Anhänger er ebenso fanatisch wie die Roms verfolgte;
erst später neigte er sich mehr den Protestanten zu.
Der Tod der Königin Katharina schien die Streitigkeiten mit dem Kaiser zu beendigen, und wirklich machte dieser auch Anträge zur Erneuerung der frühern freundschaftlichen Beziehungen;
Heinrich zeigte jedoch wenig Neigung dazu. Um diese Zeit warf der König sein Auge [* 2] auf das Hoffräulein Johanna Seymour und ließ gegen Anna auf Grund einiger von ihren Feinden erhobener Anklagen auf eheliche Untreue einen Prozeß einleiten, dessen Resultat ihre Hinrichtung war.
Schon tags darauf vermählte er sich mit Johanna Seymour und ließ sodann durch einen Beschluß des stets von seinem Willen abhängigen Parlaments seine beiden frühern Ehen für unrechtmäßig und die daraus entsprossenen Kinder, die Prinzessinnen Maria und Elisabeth, für illegitim erklären. Zugleich räumte ihm das Parlament das Recht ein, seine Krone durch ein Testament zu geben, wem er wollte, sowie alle Güter, Rechte, Ehrenstellen und Freiheiten nach eignem Gutdünken zu verschenken; endlich stellte es fest, daß jeder, der das Ansehen des Papstes verteidigen oder die Oberherrschaft des Königs über die englische Kirche bezweifeln würde, mit dem Verlust seines Vermögens bestraft werden sollte.
Neue Versuche der Katholiken, sich zu erheben, endeten 1536 unglücklich. Endlich wurde durch die Geburt eines Sohns, des spätern Königs Eduard VI., Heinrichs sehnlichster Wunsch erfüllt, aber schon zwei Tage darauf starb die Königin. Das vom Parlament dem König zugestandene Recht, daß seine Verordnungen die Kraft [* 3] beständiger Gesetze haben sollten und er die Ungehorsamen nach eignem Gutdünken strafen könne, machte ihn zum unumschränkten Monarchen, und das Leben und Eigentum aller seiner Unterthanen war seiner Willkür völlig preisgegeben.
Inzwischen gewann eine wirklich protestantische Partei unter der Führung des Staatssekretärs Thomas Cromwell Einfluß auf den König. Cromwell bestimmte Heinrich zu einer Vermählung mit der Prinzessin Anna von Kleve, deren Vater und deren Schwager, der Kurfürst von Sachsen, [* 4] wichtige Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes waren. Heinrich ging die Ehe ein, obwohl die Prinzessin ihm äußerlich sehr wenig gefiel. Dieselbe war aber äußerst unglücklich, und sobald Heinrich die Gefahr, die ihm durch einen kaiserlichen Angriff 1540 gedroht, vorübergegangen glaubte, rächte er sich für die ihm angethane Gewalt.
Cromwell ließ er vor dem Parlament des Verrats anklagen und ohne Verhör und Beweis für schuldig erklären und hinrichten; von Anna schied er sich gleich darauf, im Juli 1540, und vermählte sich schon im nächsten Monat mit Katharina Howard, einer Nichte des Herzogs von Norfolk, die ihn durch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit gefesselt hatte und ihn zu einer antiprotestantischen Haltung bewog; doch vermochte auch diese fünfte Gemahlin Heinrichs ihn nicht dauernd zu fesseln, sondern ward der Untreue angeklagt und, schuldig befunden, im Januar 1542 hingerichtet.
Ein Krieg mit Schottland erreichte seinen Zweck, auch dort die päpstliche Macht zu stürzen, nicht; ebenso blieb ein zweiter mit dem Kaiser gegen Frankreich 1544 unternommener Krieg ohne günstiges Ergebnis. In demselben Jahr vermählte sich der König, zum sechstenmal, mit Katharina Parr, der Witwe des Lords Latimer, aus dem Geschlecht der Nevils. Da H. nur einen männlichen Nachkommen hatte, so ließ er den beiden früher für illegitim erklärten Prinzessinnen Maria und Elisabeth für den Fall, daß Prinz Eduard ohne Erben sterben sollte, die Thronfolge durch einen Parlamentsbeschluß wieder zusichern. In seiner letzten Lebenszeit scheint Heinrich wieder auf eine Aussöhnung mit dem Papst bedacht gewesen zu sein. Er starb Ihm folgte sein Sohn Eduard VI.
Vgl. Turner, History of Henry VIII. (neue Ausg., Lond. 1835, 2 Bde.);
Thomson, Memoirs of the court of Henry VIII. (das. 1826; deutsch, Leipz. 1827, 2 Bde.);
Tytler, Life of King Henry VIII. (neue Ausg., Edinb. 1861);
Audin, Histoire de Henri VIII et du schisme d'Angleterre (4. Aufl., Par. 1876);
Collette, Henry VIII. (Lond. 1864);
Brewer, Calendar of letters, foreign and domestic, of the reign of Henry VIII. (das. 1862 ff.);
Derselbe, The reign of Henry VIII. from his accession to the death of Wolsey (das. 1884, 2 Bde.).
[Flandern.]
26) Graf von Flandern und Hennegau, geb. 1174, begleitete 1201 seinen Bruder Balduin auf dem vierten Kreuzzug und wurde, als derselbe 1205 von den Bulgaren gefangen und getötet worden war, zuerst Reichsverweser und dann 1206 als Nachfolger desselben auf den lateinischen Kaiserthron in Konstantinopel [* 5] erhoben. Er herrschte mild und versöhnlich, erwarb sich das Vertrauen der Griechen und behauptete die Oberhoheit über die lateinischen Vasallenstaaten sowie über Epirus. Gegen die auswärtigen Feinde, die Bulgaren, und den Kaiser Theodor Laskaris von Nicäa kämpfte er glücklich. Er starb 1216.
[Frankreich.]
27) I., König von Frankreich, dritter Sohn des Königs Robert und Konstanzes von Toulouse, [* 6] Enkel Hugo Capets, geb. 1005, war erst Herzog von Burgund und folgte, nachdem er schon 1027 gekrönt und zum Mitregenten ernannt worden, 1031 seinem Vater auf dem französischen Thron. [* 7] Zwar erregte seine herrschsüchtige Mutter zu gunsten seines jüngern Bruders, Robert, einen Aufstand; Heinrich behauptete jedoch mit Hilfe des Herzogs Robert von der Normandie seine Ansprüche. Seine Regierung ist eine fortlaufende Kette von Kämpfen gegen den Adel und die in ¶
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dieser Periode sich entwickelnde Macht der Geistlichkeit. Er starb 1060 zu Vitry, nachdem er kurz zuvor seinen Sohn Philipp I. als Nachfolger hatte krönen lassen. Heinrich war seit 1051 mit Anna, Tochter des Großfürsten Jaroslaw von Rußland, vermählt.
28) Heinrich II., König von Frankreich, zweiter Sohn Franz' I. und Claudias, der Tochter Ludwigs XII. von Frankreich, geb. zu St.-Germain en Laye, bestieg den Thron 1547 zu einer Zeit, wo von der Spaltung der Religionsparteien und der immer weiter um sich greifenden spanisch-österreichischen Macht dem französischen Reiche große Gefahr drohte. Heinrich war von ritterlicher Gesinnung, nicht ohne Thatkraft, feurig und herrschsüchtig, aber ohne Ausdauer, unklar und fremdem Einfluß, namentlich seiner Geliebten Diana von Poitiers und des Connetables von Montmorency, zugänglich.
Kaum hatte er 1548 einen in Guienne ausgebrochenen Aufstand unterdrückt, so begann er aufs neue den Krieg mit England, der im März 1550 die Rückgabe der Stadt Boulogne an die französische Krone zur Folge hatte. Am schloß Heinrich mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen und dessen protestantischen Bundesgenossen das Bündnis zu Chambord gegen den Kaiser, fiel zum Schutz der Freiheit der deutschen Nation, wie ein von Fontainebleau aus erlassenes Manifest besagte, im März mit 35,000 Mann in Lothringen ein, eroberte Toul [* 9] und Verdun [* 10] und besetzte Nancy [* 11] und die Gegend von Hagenau [* 12] bis Weißenburg, [* 13] während der Connetable Metz [* 14] durch Verrat nahm. Im Feldzug von 1554 stellte Heinrich drei Armeen ins Feld, die Artois, Hennegau und Lüttich [* 15] verwüsteten und die Kaiserlichen mehrfach schlugen.
Mit weniger Glück ward seit 1552 der Krieg in Italien [* 16] geführt. Erschöpft schloß Heinrich endlich im Februar 1556 mit dem Kaiser zu Vaucelles einen fünfjährigen Waffenstillstand, brach denselben aber auf Anstiften des Papstes Paul IV. und ließ den Herzog von Guise mit 20,000 Mann zur Eroberung Neapels in Italien einrücken. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der überlegenen Feldherrnkunst des spanischen Führers, des Herzogs von Alba. [* 17] Und noch unglücklicher als in Italien verlief der Krieg an der niederländischen Grenze.
Der Connetable von Montmorency erlitt bei St.-Quentin eine gänzliche Niederlage, die den König so außer Fassung brachte, daß er dem Herzog von Guise die Statthalterschaft über das ganze Königreich übertrug. Dieser führte nun den Krieg mit Glück, entriß den Engländern 1558 das 210 Jahre in deren Besitz gewesene Calais [* 18] und eroberte Diedenhofen. [* 19] Inzwischen machten sich sowohl bei Heinrich, der in seinem Reich die Protestanten durch scharfe Edikte zu unterdrücken bemüht war, als bei seinem Gegner Philipp II. Stimmen in friedlichem Sinn geltend, welche die Waffen [* 20] dieser beiden katholischen Fürsten gegen das protestantische Europa [* 21] zu vereinigen wünschten. So wurde zwischen Frankreich, Spanien [* 22] und England der Friede zu Cateau-Cambrésis geschlossen. Heinrich trat für die Rückgabe von Ham, St.-Quentin, Castelet und die Freilassung des bei St.-Quentin gefangenen Connetables das eroberte Piemont und überhaupt 198 feste Plätze ab. Zur Befestigung des Friedens wurde Heinrichs älteste Tochter, Elisabeth, mit Philipp II. von Spanien vermählt. Heinrich hatte bei dieser Gelegenheit ein dreitägiges Turnier veranstaltet und erschien während desselben selbst in den Schranken. Sein Gegner, der Graf von Montgomery, hatte das Unglück, dem König eine schwere Verletzung durch einen Stoß ins rechte Auge beizubringen. Zehn Tage darauf starb an dieser Verwundung. Heinrich war seit 1533 mit Katharina von Medicis vermählt, die ihm nach längerer Unfruchtbarkeit sieben Kinder, vier Söhne und drei Töchter, gebar; ihm folgten nacheinander seine Söhne Franz II., Karl IX., Heinrich III.
29) Heinrich III., König von Frankreich, als Prinz Herzog von Anjou, dritter Sohn des vorigen und Katharinas von Medicis, geb. zu Fontainebleau, war nicht ohne Anlagen, erhielt aber unter der Leitung seiner Mutter Katharina eine mangelhafte Erziehung. Kaum 18 Jahre alt, übernahm er das Kommando gegen die Hugenotten, siegte 1569 bei Jarnac und Moncontour und nahm an den Greueln der Bartholomäusnacht hervorragenden Teil. Nachdem seine Werbung um die Hand [* 23] Elisabeths von England gescheitert, wurde er infolge der Ränke und Bestechungen seiner Mutter 1573 zum polnische König gewählt und zu Krakau [* 24] gekrönt, verließ jedoch schon 18. Juni heimlich Polen, um den durch den Tod seines Bruders Karl IX. erledigten Thron von Frankreich einzunehmen.
Hier ward er alsbald ein Spielball der Parteien. Er überließ seiner ränkesüchtigen Mutter die Sorgen der Regierung, während er sich Ausschweifungen aller Art ergab und von seinen Günstlingen (Mignons) sich beherrschen ließ. Am zu Reims [* 25] gekrönt, vermählte er sich am folgenden Tag mit Luise de Vaudemont aus dem Haus Lothringen, einer Verwandten der Guisen. Als die Religionskriege von neuem ausbrachen, benahm sich der König unentschlossen und haltlos.
Bald näherte er sich, um sich der Übermacht der Guisen zu entledigen, den Hugenotten und schloß Frieden, bald wich er dem Andrängen seiner Mutter und der Katholiken und brach ihn wieder. Die Guisen arbeiteten unterdes im stillen an dem Wachstum ihrer Macht und brachten endlich nach dem unter der katholischen Partei allgemeinen Unwillen erregenden Friedensschluß zu Beaulieu in welchem den Hugenotten freie Religionsübung zugestanden wurde, die berüchtigte Heilige Ligue, angeblich zur Beschützung des katholischen Glaubens, im Grund aber zum Sturz des Hauses Valois, zu stande. Heinrich erklärte sich zwar kurz darauf zum Haupte derselben, hatte aber nicht den Mut, sich selbst an die Spitze des Heers zu stellen, und somit hatte er seine Stellung durch die offene Parteinahme für die Katholiken nicht befestigt.
Nach dem Tode des Herzogs von Anjou, seines Bruders und künftigen Nachfolgers trat er mit dem König Heinrich von Navarra in Unterhandlung und sicherte demselben die französische Thronfolge unter der Bedingung zu, daß er zum Katholizismus zurückkehre. Als aber darauf die Guisen zu den Waffen griffen, schloß er erschreckt mit der Ligue zu Nemours ein Abkommen, das über die Protestanten Verlust aller ihrer Rechte und Verbannung aus Frankreich verhängte. Heinrich stellte nun gegen die Hugenotten drei Armeen ins Feld; der Sieg des Königs von Navarra bei Coutras gab jedoch dem Krieg eine für die Liguisten und den Hof [* 26] üble Wendung, welche der Herzog von Guise dazu benutzen wollte, den König gänzlich zu verderben. Die Häupter der Ligue legten im Januar 1588 dem König ein Ultimatum vor, in welchem derselbe zum aufrichtigen Anschluß an ihre Sache, Einführung der Inquisition etc. aufgefordert wurde. Heinrich verwarf diese Forderungen mit ungewohnter Festigkeit [* 27] und ließ 6000 Mann Truppen in Paris [* 28] einrücken, worauf 12. Mai die sogen. Ligue der Sechzehner in den Straßen der Stadt einen Volksaufstand (Tag der Barrikaden) erregte. Der König wurde in ¶