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das er etwa vom Kaiser besaß (beneficium); den Geistlichen war der persönliche Kriegsdienst erlassen, ärmere Landeigentümer rüsteten einen Krieger gemeinschaftlich aus. Hauptleute (centenarii), Kaiserliche Grafen (Heergrafen) und Herzöge führten das Heer. Die schweren Kriegslasten, welche Karl seinen Völkern auferlegte, hatten zur Folge, daß eine große Zahl von Freien ihre Selbständigkeit aufgab und sich in den Schutz mächtiger Herren begab, die nun als Senioren (seigneurs) den Waffendienst für jene übernahmen, indem sie denselben durch ihre persönlichen Gefolge leisten ließen.
Vorzugsweise auf diesem Weg bildete sich die Lehnsmiliz heraus. Die erblichen obern Anführer schufen sich so nach und nach ihre Landeshoheit, der Heerbann ging in den Landesheeren auf, und der Heerdienst ward bald durch Lehnsverträge auf Züge außer Landes und auf längere Zeiten als früher ausgedehnt; Landeskriegsfronen (Vorspann, Heerstraßenbau) mußten geleistet werden, und denjenigen Unterthanen, die nicht Kriegsdienste leisteten, wurde als Ersatzleistung für den Reichsdienst eine auf die Grundstücke oder Gemeinheiten derselben verteilte Abgabe, Bede (precaria) oder Heersteuer, auferlegt.
Aus der Heeresfolge der Lehnsleute entwickelte sich das Rittertum, indem der vom Landherrn mit einem Grundstück belehnte Gefolgsmann verpflichtet wurde, mit einer bestimmten Zahl von Rossen zum Kriegsdienst zu erscheinen. Diese Mannen wurden »Ritter« genannt, wenn ihnen der Herr als Zeichen seiner Zufriedenheit den Schwertgurt gegeben hatte. Freie Geburt war dabei nicht Erfordernis, und so bildete sich die Ritterschaft zum großen Teil aus Ministerialen, d. h. aus unfreien Hofdienern. Dennoch gewann sie bald den Charakter eines neuen Adels, eines Schwertadels, der sich über die alten Freien erhob. Seitdem bestand der Kern der Heere aus einer Anzahl Ritter, die, schwer gepanzert, auch im Gefecht vorzugsweise auf Einzelkämpfe mit ebensolchen Gegnern ausgingen, und aus ihrem leichter bewaffneten Gefolge. Eine planmäßige Leitung der Gefechte machte sich bei so zusammengesetzten Heeren nur ausnahmsweise geltend.
Inzwischen entwickelte sich nach und nach aus dem Söldnertum das stehende und zwar an zwei weit auseinander liegenden Stellen, in der Türkei [* 2] und in Frankreich. Das Heerwesen der Orientalen beruhte seit Mohammed auf dem Grundsatz der allgemeinen Verpflichtung der Muselmanen zum Kampf gegen die Ungläubigen. Nach der Einnahme von Adrianopel (1361) schuf sich der Sultan aus christlichen Gefangenen eine »neue Truppe« (Jenitscheri), welche dann durch gewaltsame Aushebung von Christenkindern, die man im Islam und zum Dienste [* 3] des Sultans erzog, ergänzt und als stehendes Heer aufrecht erhalten wurde.
Bald wurden diese Janitscharen der Kern des Türkenheers, neben dem die Timarioten (Besitzer kleiner Erbgüter) und Spahis (seit 1376 besoldete Türken) Reiterdienste thaten. Später nahm das verfallende türkische Heerwesen mehr europäische Formen an. Diese letztern entspringen einer Mischung feudalen Gefolgschaftswesens mit zeitweise gemieteten Söldnerbanden, die endlich auf französischem Boden in den königlichen »Ordonnanzkompanien« zu einer permanenten Einrichtung wurden, welche bald in Burgund und Österreich [* 4] Nachahmung fand und als Keim unsrer stehenden Heere gelten kann.
Daneben geht eine andre, noch bedeutsamere Entwickelung her, nämlich das Wiederemporkommen des Fußvolkes. Dies hat eine doppelte Wurzel, [* 5] einerseits die Aufnahme geübter Bogenschützen in die Ritterheere, welcher insbesondere die Engländer ihre Siege in dem hundertjährigen Krieg mit Frankreich verdankten, anderseits das Auftreten einer neuen sozialpolitischen Macht, des Bürgertums, sowie der Stadt- und Landschaftsbündnisse. Die Stadtstaaten Italiens [* 6] mit ihren Condottieri, die Schwaben, zumal die schweizerische Eidgenossenschaft, die Dithmarschen, die Hussiten gaben dabei den Ton an, und die schwäbisch-schweizerische Heeresaufbringung, die geordneten »Kriegsgemeinden« ihrer Banner und Fähnlein, wurde das Vorbild für die Organisation der neuen Heerentwickelung, nämlich der des Söldnertums, das in den Landsknechten (s. d.) sowie in den »deutschen Reitern« (s. d.) seine vornehmsten Vertreter fand. Die Erfindung der Feuerwaffen kam den Bedürfnissen dieser neuen Heere entgegen, und die Ritter traten als Offiziere in die Reihen derselben ein.
Die neuere Zeit sah in ganz Europa [* 7] geworbene und besoldete, mit Feuergewehren bewaffnete, uniformierte, geübte, dem Landesherrn zu vertragsmäßigem Dienst verpflichtete Truppen, das als Werkzeug in den Händen dessen, der zahlte. Lange Kriege, namentlich die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., führten zu festerer Formation und Organisation der Truppen. Während der Kriege Spaniens mit Holland, Heinrichs IV. mit der Ligue kam die Formation von Kompanien, Eskadrons, Bataillonen und Regimentern auf.
Die Artillerie wurde vervollkommt und vermehrt, die Reiterei nahm allmählich ihre heutige Gestalt an; bei der Infanterie blieb die Mischung der Pikeniere mit den Feuerwaffen führenden Musketieren bis hinaus über den Dreißigjährigen Krieg, in welchem Gustav Adolf von Schweden, [* 8] gleich ausgezeichnet als Feldherr wie als Organisator, dem Heerwesen wie der Kriegführung neue Gesetze gab. Die schwedischen Heere, teils aus ausgehobenen Landeskindern, teils durch Werbung gebildet, anfänglich in strenger Zucht gehalten, verwilderten zwar im Lauf des langjährigen Kriegs; aber das von den Schweden gegebene Beispiel, daß die Truppen vom Landesherrn selbst geworben waren und diesem als Kriegsherrn ausschließlich zu gehorchen hatten, fand allmählich in allen Staaten Nachahmung.
In der Not des Kriegs zerbröckelten wie in Frankreich, so in Deutschland [* 9] die Rechte der Stände gegenüber der absoluten Gewalt des Herrschers, der über alle Hilfsmittel seines Landes unumschränkt verfügte; die politischen Gegensätze der Staaten nötigten zum Halten stehender Heere und zu sorgfältiger Vorbereitung der Thätigkeit derselben im Frieden. Das in dieser Beziehung von Frankreich gegebene Beispiel wurde von denjenigen europäischen Staaten, in welchen das monarchische Prinzip vorherrschte, sehr schnell nachgeahmt, von England und Holland aber, wo die Volksfreiheit durch das Militärsystem gefährdet schien, nur langsam und unter beständigem Widerspruch der Volksvertreter.
Anlaß zur Erhöhung der militärischen Tüchtigkeit der Heere gaben die großen Kriege gegen Ludwig XIV.; insbesondere ward für die neuentstandene preußische Monarchie ein starkes, wohlgeübtes Heer notwendig, und mit beharrlichem Fleiß organisierte Friedrich Wilhelm I. in dem Zeitraum der Erschöpfung nach jenen Kriegen fast unbemerkt eine Armee von 80,000 Mann, die sein Nachfolger Friedrich II. zuletzt bis auf 200,000 Mann verstärkte, und die ihn in den Stand setzte, den vereinigten Großmächten Europas die Spitze zu bieten und sein Heer zum Muster für alle andern zu machen. Die Mannschaft wurde teils geworben (in Preußen [* 10] auch Ausländer), teils durch ¶
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eine Art Aushebung gewonnen, welche aber nur die untersten Volksklassen traf. Jedem Regiment war ein gewisser Bezirk zugeteilt (Kantonsystem in Österreich und Preußen), und wo die Werbung nicht die nötige Zahl Mannschaften ergab, mußten die Ortschaften dafür aufkommen. Die seit Gustav Adolf angebahnten Verbesserungen in der Kriegführung, deren Wissenschaft und Technik von einer Reihe bedeutender Feldherren weiter entwickelt und von Friedrich II. zur Vollendung gebracht wurde, die großen Fortschritte in der Ausrüstung und Bewaffnung der Heere, das Zurücktreten jeder andern Wirksamkeit im Staat vor der absoluten Herrschergewalt führten zur Ausbildung eines Offizierstandes, welcher die Pflege des Kriegswesens sich zur Lebensaufgabe machte und fortan als Träger [* 12] des kriegerischen Geistes und der Tüchtigkeit der Heere erscheint; vom Soldaten selbst verlangte die Kriegführung damals nur eine maschinenartige Thätigkeit in festgefügten Formen und blinden Gehorsam gegen die Befehle des Vorgesetzten, so daß der Beruf des Soldaten als solcher wenig geachtet war.
Das handwerksmäßige Heerwesen sank aber von seiner Höhe, sobald der belebende Geist und die Anregung von oben fehlte. Der Krieg an sich war eine schwere Kunst geworden, und wie die geistigen Anforderungen an die Führer, so stieg auch das Verlangen nach immer größern Truppenmassen, um allen Feinden gewachsen zu sein. In dem Maß ferner, wie zunehmender Wohlstand, erhöhte Bildung und wachsende Selbstthätigkeit immer größere Kreise [* 13] des Volkes an den Interessen des Landes Anteil nehmen ließen, kam auch der uralte Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht wieder zur Geltung und stellte dem Heerwesen die Kräfte der ganzen Völker zu Gebote.
Der Anstoß dazu kam von Frankreich. Die Revolution von 1789 zerstörte mit dem Königtum auch die Grundlagen des alten königlichen Heers. Das Gesetz und das Schreckenssystem trieben große Massen in die gelichteten Reihen, tüchtige Führer und organisatorische Talente, wie Carnot, gaben dem Heer Frankreichs während anhaltender Kriege ein neues festes Gefüge, und endlich bildete es Napoleons Genie zum Werkzeug seiner Siege um. Durch Niederlagen belehrt und zur Aufstellung an Zahl starker Heere gezwungen, ließen bald auch die andern Staaten (England ausgenommen) das Werbesystem fallen und setzten die allgemeine Wehrpflicht an dessen Stelle.
Hierbei ging Preußen insofern über alle Mitstrebenden hinaus, als es jenes Prinzip in seiner Reinheit zur Durchführung brachte. Denn während das französische Konskriptionssystem, auch in den Zeiten höchsten republikanischen Aufschwunges, die Stellvertretung oder den Loskauf zugelassen hatte und in dieser Form von den meisten europäischen Staaten nachgeahmt wurde, erfolgte nur in Preußen die Einführung und Beibehaltung der wirklich allgemeinen Wehrpflicht.
Dies wurde zur Quelle [* 14] eines militärpolitischen Übergewichts von ungeahnter Kraft. [* 15] Neue Grundsätze für Ausbildung und Unterhalt des Soldaten sowie für die Dauer der Dienstpflicht waren natürliche Folgen dieses ersten Schrittes. Es bedurfte des neuen Anstoßes durch die deutschen Kriege von 1866 und 1870, um die allgemeine Wehrpflicht in allen europäischen Staaten, nur noch England ausgenommen, zur Wahrheit zu machen. In den meisten Staaten ist die Form der allgemeinen Wehrpflicht diejenige des nationalen Kadreheers, in der Schweiz [* 16] die der reinen Miliz, d. h. einer Organisation mit so kurzer Schulzeit und so wenigen Berufsoffizieren, daß im Frieden, abgesehen von den Übungszeiten, gar keine Truppen vorhanden sind. Die heutige Organisation der Heere s. bei den einzelnen Ländern.
Vgl. Jähns, Heeresverfassungen und Völkerleben (Berl. 1885);
v. d. Goltz, Das Volk in Waffen [* 17] (das. 1883);
Vogt, Die europäischen Heere der Gegenwart (Rathenow [* 18] 1886).