durchgreifende Verfassungsreform. In litterarischer Hinsicht machte er sich durch einige Biographien hervorragender niederländischer
Gelehrten und Staatsmänner (»Levensschets van Martinus Stuart«, 1855; »Levensberigt van Mr. G. de Clercq«, 1858; »Levensberigt
van Mr. W. J. C. van Hasselt«, 1863; »Levensberigt van Mr. J. M. de Kempenaer«, 1870; sämtlich von der Maatschappy der
nederlandsche Letterkunde zu Leiden herausgegeben) sowie durch verschiedene juristische Abhandlungen einen Namen, von denen
besonders die auf die Verfassungsurkunde sich beziehenden ebensowohl das tiefe Studium wie die außerordentliche Schärfe des
Urteils bezeugen.
die gesamte Landkriegsmacht nebst allem zu deren Ausrüstung und Führung nötigen Personal und Material. Um seinem
Zweck als Werkzeug zur Kriegführung zu entsprechen, muß ein Heer die gehörige Organisation haben. Diese
umfaßt die Aufbringung, Ausrüstung und Ausbildung der Truppen, ihre Formation in Truppenkörper und größere Truppenverbände
mit bestimmten Befehlshabern und die Erhaltung sowie die Ergänzung des Personals und Materials. Im Personal des Heers unterscheidet
man Kombattanten oder wirklich zum Kampf gegen den Feind bestimmte und zu diesem Behuf bewaffnete Krieger,
und Nichtkombattanten, das ganze Personal, welchem die Fürsorge für den Unterhalt, die Gesundheitspflege, das Rechts- und Kirchenwesen,
das Fuhrwesen, die Anfertigung der Ausrüstung und Bekleidung, die Instandhaltung der Waffen etc. beim Heer übertragen sind.
Die Gesamtmasse der Kombattanten zerfällt in verschiedene Waffengattungen: Infanterie, Kavallerie, Artillerie
als eigentlich fechtende Waffen, Genietruppen und Train als Hilfswaffen. Oberster Chef eines Heers ist das Staatsoberhaupt; die
Führung desselben im Feld wird oft Generalen selbständig übertragen. Bei den meisten Völkern des Altertums war jeder Waffenfähige
auch Krieger; bei den Ägyptern, Indern und Altamerikanern treffen wir eigne Kriegerkasten, welchen auch
der König angehörte. Die morgenländischen großen Despoten und die kleinen Tyrannen im Abendland hatten in der ältesten
Zeit meist eine Leibwache, weniger zum Kampf gegen äußere Feinde als dazu bestimmt, das Volk in Unterwürfigkeit zu erhalten.
Söldnertruppen sind bezeichnend für die Handelsvölker aller Zeiten.
Die Völker Vorderasiens, die Assyrer, Babylonier, Meder und Chaldäer, hatten früh geordnete Heere von Fußvolk, Reiterei und
Wagenkämpfern, und wie aus den aus jener Zeit erhaltenen Bildwerken hervorgeht, gab es auch bestimmte Kampfesformen für
die nach Kleidung, Ausrüstung und Bewaffnung unterschiedenen Leicht- und Schwerbewaffneten. Seinen Höhepunkt erreichte das Heerwesen
der Orientalen bei den Persern. Die ältesten Kriegszüge derselben waren, wie die der übrigen erobernden Nomadenvölker
Asiens, bewaffnete Wanderungen eines Teils der Nation, insofern die meist berittenen Krieger Weiber, Kinder und alle bewegliche
Habe mit sich führten.
Allein mit Ausbildung der Zivilverfassung änderten sich auch ihre Heereseinrichtungen und bildeten sich
in einer Weise durch, welche das persische als ein Kadreheer mit Beurlaubungssystem erscheinen läßt. Es gab nämlich in den
blühenden Zeiten der Monarchie zur Überwachung der unterworfenen Volksstämme und Sicherung der Grenzen ein stehendes Heer, die
»königlichen Truppen«, die, bezirksweise ausgehoben, teils in den festen Städten, teils auf dem Land
in den Provinzen unter eignen, von den Satrapen unabhängigen Befehlshabern verteilt
waren.
Jeder freie Perser hatte eine Zeitlang in diesem stehenden Heer zu dienen, wurde dann beurlaubt, bei ausbrechendem Krieg aber
nach Bedarf wieder eingezogen. Jährliche Musterungen, oft durch die Könige selbst abgehalten, verschafften die Überzeugung
von der steten Schlagfertigkeit der Truppen. Eine Art Garde war die Leibwache des Königs, die 10,000 Unsterblichen
(so genannt, weil stets vollzählig erhalten). Das stehende Heer bestand aus schwerem und leichtem Fußvolk und zahlreicher
Reiterei, wovon ein Teil gepanzert war, in festen, nach dem Dezimalsystem gebildeten Abteilungen.
Neben diesem national-persischen Kadreheer wurden zu Kriegszügen auch die ganzen unterworfenen Völker
in buntem Gemisch von Kleidung und Bewaffnung aufgeboten. Eilbotenposten, je auf eine Tagereise durch das ganze Reich bestellt,
vermittelten die rasche Benachrichtigung der Truppen und der Volksstämme. In der Folge zog sich die persische Volkskraft vom
Heer mehr und mehr zurück, und man bildete die stehende Armee vorzugsweise aus Söldnern: teils Asiaten,
teils Griechen. Bei dem Aufgebot aller Völker des Perserreichs waren nach Herodot in des Xerxes Heer 56 Nationen vertreten, und
die ganze Anzahl der wehrhaften Männer belief sich auf etwas über 2½ Mill. Das Heerwesen des spätern, aus den Trümmern
des Perserreichs hervorgegangenen Partherreichs war eine nach Zeit und Örtlichkeit modifizierte Fortsetzung
des persischen, das im Mittelalter zum drittenmal bei den Mongolen erstand.
Von den kleinern Volksstämmen an der Küste des Mittelmeers sind namentlich die Israeliten und die Phöniker in heeresgeschichtlicher
Hinsicht interessant. Das israelitische Kriegsheer bestand ursprünglich bloß aus Fußvolk; erst Salomo
errichtete eine Reiterei neben den von David eingeführten Streitwagen. In spätern Zeiten findet man ägyptische Hilfsreiterei
in den israelitischen Heeren. In den frühsten Zeiten der Theokratie war jeder, sobald er das 20. Jahr zurückgelegt hatte, zum
Kriegsdienst verpflichtet, mit Ausnahme der Leviten.
Das Aufgebot erhielt durch David eine festere Form, zerfiel in zwölf Abteilungen, von denen jede, 24,000
Mann stark, einen Monat zum Dienst verpflichtet war. Die Mannschaft wurde in den Waffen geübt und nach den verschiedenen Waffen
in Haufen von 1000, 100 und 50 geteilt, deren jeder seinen Anführer hatte. Im Krieg führte gewöhnlich der König selbst
das an. Den Anfang eines stehenden Heers machte Saul durch Aufstellung einer 3000 Mann starken Leibgarde,
die er durch Werbung ergänzte.
Salomo hatte schon ein Heer von 20,000 Mann. Nach dem Exil bildete sich unter den Makkabäern von neuem eine jüdische Militärverfassung
aus. Simon, der erste Fürst aus dem Haus der Hasmonäer, besoldete ein stehendes aus eignem Vermögen; sein
Sohn Johannes Hyrcanus war der erste, welcher auch ein stehendes Korps von Ausländern, vorzüglich Arabern, werben ließ,
sowie anderseits die Juden auch in fremde Kriegsdienste traten und einzelne selbst zu Heerführern sich aufschwangen. Die Phöniker
schufen neben der Gründung von Kolonien auch die ersten Anfänge einer Seemacht. Die Erben ihrer Bestrebungen,
die Karthager, dehnten mit zunehmendem Handel auch ihre Kriegszüge immer weiter aus, bis sie endlich den Römern unterlagen.
Ihre Heere bestanden fast ausschließlich aus gemieteten Fremden. Die eigentlichen Karthager bildeten nur die sogen. heilige Schar,
eine Art Leibwache des Feldherrn, das eigentliche aber
mehr
war eine Musterkarte von Völkern der verschiedensten Länder. Gallier standen hier neben Iberern, Ligurern und afrikanischen
Stämmen; Libyphöniker (phönikische Afrikaner) bildeten das Zentrum, numidische Reiter von den Stämmen der Wüste umschwärmten
auf ungesattelten Pferden die Flügel; balearische Schleuderer machten den Vortrab, und Elefanten mit äthiopischen Führern zogen
als eine Kette beweglicher Türme vor dem Heer her.
In den meisten kleinen Freistaaten Griechenlands bestanden die Heere aus Bürgermilizen, in denen jeder zu dienen das Recht und
die Pflicht hatte. Da anfangs nur die ansässigen Bürger zu den Fahnen gerufen wurden, so war die Streitmacht der Griechen
nicht beträchtlich; größere Heere konnten nur durch Verbindung mehrerer Staaten aufgestellt werden (in
Zeiten der Not bewaffnete man auch die Sklaven). In Sparta erscheint das dorische Herrenvolk gewissermaßen als ein stehendes
Heer, neben welchem die unterworfenen Periöken und Heloten zur Füllung der Kadres im Kriegsfall gebraucht werden. In Athen brachte
es die Lage der Stadt mit sich, daß die Landmacht der Seemacht nachstehen mußte; doch erhielt diese durch
Perikles eine sehr vollkommene Durchbildung, welche gestattete, die freien ansässigen Bürger sogar im Frieden zu Übungen
und Expeditionen von achtmonatlicher Dauer heranzuziehen.
Unter Perikles ward auch ein geringer Sold, 2-4 Oboli (25-50 Pf.), für die, welche im Feld lagen, eingeführt.
Die Heere der Griechen bestanden ganz vorzugsweise aus Fußvolk, nur Böotien und namentlich Thessalien geboten über zahlreichere
Reiterei. Homer kennt eine solche noch gar nicht; die Zeit ihres Entstehens ist nicht näher angegeben. Das Fußvolk schied
sich ursprünglich in Schwerbewaffnete, Hopliten, nur für den Angriff in der Nähe ausgerüstet, mit langem
Spieße, Schwert und großem Schild, und in Leichtbewaffnete, die in zerstreuter Ordnung mit Wurfspeer, Bogen oder Schleuder fochten;
letztere gehörten den ärmern Volksklassen oder den zur Heeresfolge verpflichteten kleinern Stämmen an, oder sie waren Sklaven,
wie die Heloten, die auf dem Marsch als Schildknappen die schweren Waffen der Spartiaten trugen.
Mit dem Verfall der griechischen Bürgerkraft in der Zeit des Peloponnesischen Kriegs kamen mehr und mehr Mietstruppen auf,
die sich großenteils aus den Gebirgskantonen (Arkadien) und aus den während der Bürgerkriege Verbannten ergänzten, und
die Griechen traten selbst in fremden Sold, wie jene 10,000 Mann unter Führung Xenophons (s. d.) in den
Dienst des jüngern Kyros. Das Zurücktreten der Bürgeraufgebote gegenüber den Söldnern führte auch zu Änderungen der Bewaffnung
und Taktik, denen die Erfahrungen auf dem asiatischen Kriegsschauplatz entgegenkamen.
Den deutlichsten Ausdruck fanden diese Änderungen in den Peltasten, d. h. in jener von Iphikrates eingeführten Mittelinfanterie,
welche, leichter ausgerüstet als die Hopliten, sowohl für den Kampf in geschlossener Fronte als für das
zerstreute Gefecht geeignet war. Das makedonische Heer war ursprünglich ein Kadreheer wie das persische, und in den Provinzialregimentern,
die in den makedonischen Gauen ausgehoben waren, sowie in dem ritterlichen Adel des Landes, der die Reiterei bildete,
und in den nach Art der Peltasten bewaffneten Kronbauern, den Hypaspisten, lag die eigentliche Kriegskraft Alexanders d. Gr.
In Rom war jeder Bürger vom 17. bis zum 46. Jahr zu Kriegsdiensten verbunden, solange er nicht 16 Jahresfeldzüge zu Fuß oder 10 zu
Pferd mitgemacht hatte. Nur die letzte Klasse (capite censi) war
vom Kriegsdienst ausgeschlossen. Indessen
bildete sich während der Punischen Kriege thatsächlich ein Soldatenstand heraus, und die normale Aushebung nahm den Charakter
willkürlicher Konskriptionen an. Marius nahm endlich auch die capite censi in seine Legionen auf, und nach ihm war dies um so
notwendiger, als nun die Kriege nicht mehr für das Interesse Roms, sondern für jenes einzelner Häupter
geführt wurden, wonach diejenigen, die um des Soldes oder der Beute willen dienten, die willkommensten sein mußten.
Die Aushebung erfolgte zur Zeit der Republik alljährlich bald nach der Konsulwahl (1. Juli) durch die Kriegstribunen zugleich mit
der Formation des Heers (s. Legion). Die römische Infanterie war wohl die beste, die jemals existiert hat;
die Kavallerie dagegen vermochte nur schwer gegen die numidische, gegen die parthische gar nicht aufzukommen. Bei der Belagerung
von Veji (406 und 400 v. Chr.) wurde den Truppen zum erstenmal und seitdem regelmäßig Staatssold bezahlt, während sie bis
dahin aus Privat- oder Kommunalmitteln erhalten worden waren.
In den Bürgerkriegen lockerte sich die Disziplin, und der Übergang zur monarchischen Verfassung mußte auch das Heerwesen umgestalten.
Zur Erhaltung des Gehorsams im Innern sowohl als zur Verteidigung der ausgedehnten Grenze brauchte man ein stehendes Heer, dessen
Stärke unter Augustus 450,000 Mann betrug. Glück und hervorragende Feldherrntalente hielten bis zu Trajans
Zeit den Ruhm des römischen Heers aufrecht, später sank die Tüchtigkeit desselben allmählich immer tiefer. Bereits unter
Mark Aurel (161 n. Chr.) gab es kein eigentliches Römerheer mehr (s. Rom, das alte).
Im Heerwesen der alten Germanen bildete sich schon früh der Unterschied des allgemeinen Aufgebots aller
Freien und Wehrhaften (Heermannie) und des Gefolges oder Heergeleits aus. Besonders die erblosen Söhne sammelten sich gern
im Gefolge (comitatus) kriegstüchtiger und abenteuerlustiger Edelinge und dienten als geübte, stets bereite Waffenmacht nicht
bloß in den Privatkriegen ihrer Geleitsherren, sondern oft auch gegen Sold oder vertragsmäßigen Lohn
der Nation selbst.
Solche Benutzung der Geleite, bequem für den Gutsbesitzer, den eigentlichen Wehrpflichtigen, hatte den Nachteil, daß der
kriegerische Geist, die Wehrbarkeit des eigentlichen Nationalkörpers vermindert wurde, und daß die Geleite oder ihre Herren,
als Gebieter, ja Inhaber der bewaffneten Macht, die Freiheit der Nation gefährden konnten. Die Heermannie,
ursprünglich infolge eines Volksbeschlusses oder gemeinsamer Verabredung, später auf Mahnung (mannitio) des Königs versammelt,
verwandelte sich allmählich, als die Gewalt des Königs (oder auch der Großen) an die Stelle der Nationalversammlung trat, in
ein königliches Aufgebot, den Heerbann, eine Bezeichnung, die unter Karl d. Gr. zuerst erscheint.
Das Heerwesen ging den gleichen Schritt wie die bürgerliche Verfassung, und ebenso wie Allodialfreiheit
und Lehnswesen abwechselnd vorherrschten und endlich die Feudalität den völligen Sieg errang, so stritten auch Heerbann und
Lehnsmiliz eine Zeitlang um den Vorrang, bis zuletzt jener von dieser zwar nicht der Theorie, wohl aber der Praxis nach verdrängt
wurde. Die Militärverfassung Karls d. Gr. enthielt folgende Bestimmungen: Sobald der Kaiser ein Aufgebot
ergehen ließ, mußte jeder Freie allein oder mit seinem Kriegsgefolge, wenn er ein solches hatte, sich einfinden und zwar
mit Rüstung und Lebensmitteln auf drei Monate, bei Strafe von 60 Soliden oder bei Verlust des Gutes,
mehr
das er etwa vom Kaiser besaß (beneficium); den Geistlichen war der persönliche Kriegsdienst erlassen, ärmere Landeigentümer
rüsteten einen Krieger gemeinschaftlich aus. Hauptleute (centenarii), Kaiserliche Grafen (Heergrafen) und Herzöge führten
das Heer. Die schweren Kriegslasten, welche Karl seinen Völkern auferlegte, hatten zur Folge, daß eine große Zahl von Freien
ihre Selbständigkeit aufgab und sich in den Schutz mächtiger Herren begab, die nun als Senioren (seigneurs)
den Waffendienst für jene übernahmen, indem sie denselben durch ihre persönlichen Gefolge leisten ließen.
Vorzugsweise auf diesem Weg bildete sich die Lehnsmiliz heraus. Die erblichen obern Anführer schufen sich so nach und nach
ihre Landeshoheit, der Heerbann ging in den Landesheeren auf, und der Heerdienst ward bald durch Lehnsverträge
auf Züge außer Landes und auf längere Zeiten als früher ausgedehnt; Landeskriegsfronen (Vorspann, Heerstraßenbau) mußten
geleistet werden, und denjenigen Unterthanen, die nicht Kriegsdienste leisteten, wurde als Ersatzleistung für den Reichsdienst
eine auf die Grundstücke oder Gemeinheiten derselben verteilte Abgabe, Bede (precaria) oder Heersteuer, auferlegt.
Aus der Heeresfolge der Lehnsleute entwickelte sich das Rittertum, indem der vom Landherrn mit einem Grundstück belehnte Gefolgsmann
verpflichtet wurde, mit einer bestimmten Zahl von Rossen zum Kriegsdienst zu erscheinen. Diese Mannen wurden »Ritter« genannt,
wenn ihnen der Herr als Zeichen seiner Zufriedenheit den Schwertgurt gegeben hatte. Freie Geburt war dabei
nicht Erfordernis, und so bildete sich die Ritterschaft zum großen Teil aus Ministerialen, d. h. aus unfreien Hofdienern. Dennoch
gewann sie bald den Charakter eines neuen Adels, eines Schwertadels, der sich über die alten Freien erhob. Seitdem bestand
der Kern der Heere aus einer Anzahl Ritter, die, schwer gepanzert, auch im Gefecht vorzugsweise auf Einzelkämpfe
mit ebensolchen Gegnern ausgingen, und aus ihrem leichter bewaffneten Gefolge. Eine planmäßige Leitung der Gefechte machte
sich bei so zusammengesetzten Heeren nur ausnahmsweise geltend.
Inzwischen entwickelte sich nach und nach aus dem Söldnertum das stehende und zwar an zwei weit auseinander
liegenden Stellen, in der Türkei und in Frankreich. Das Heerwesen der Orientalen beruhte seit Mohammed auf dem Grundsatz der
allgemeinen Verpflichtung der Muselmanen zum Kampf gegen die Ungläubigen. Nach der Einnahme von Adrianopel (1361) schuf sich
der Sultan aus christlichen Gefangenen eine »neue Truppe« (Jenitscheri), welche dann durch gewaltsame Aushebung
von Christenkindern, die man im Islam und zum Dienste des Sultans erzog, ergänzt und als stehendes Heer aufrecht erhalten wurde.
Bald wurden diese Janitscharen der Kern des Türkenheers, neben dem die Timarioten (Besitzer kleiner Erbgüter) und Spahis (seit 1376 besoldete
Türken) Reiterdienste thaten. Später nahm das verfallende türkische Heerwesen mehr europäische Formen
an. Diese letztern entspringen einer Mischung feudalen Gefolgschaftswesens mit zeitweise gemieteten Söldnerbanden, die endlich
auf französischem Boden in den königlichen »Ordonnanzkompanien« zu einer permanenten Einrichtung wurden, welche bald in Burgund
und Österreich Nachahmung fand und als Keim unsrer stehenden Heere gelten kann.
Daneben geht eine andre, noch bedeutsamere Entwickelung her, nämlich das Wiederemporkommen des Fußvolkes.
Dies hat eine doppelte Wurzel, einerseits die Aufnahme geübter Bogenschützen in die Ritterheere, welcher
insbesondere die
Engländer ihre Siege in dem hundertjährigen Krieg mit Frankreich verdankten, anderseits das Auftreten einer neuen sozialpolitischen
Macht, des Bürgertums, sowie der Stadt- und Landschaftsbündnisse. Die Stadtstaaten Italiens mit ihren
Condottieri, die Schwaben, zumal die schweizerische Eidgenossenschaft, die Dithmarschen, die Hussiten gaben dabei den Ton an, und
die schwäbisch-schweizerische Heeresaufbringung, die geordneten »Kriegsgemeinden«
ihrer Banner und Fähnlein, wurde das Vorbild für die Organisation der neuen Heerentwickelung, nämlich der des Söldnertums,
das in den Landsknechten (s. d.) sowie in den »deutschen
Reitern« (s. d.) seine vornehmsten Vertreter fand. Die Erfindung der Feuerwaffen kam den Bedürfnissen dieser neuen Heere entgegen,
und die Ritter traten als Offiziere in die Reihen derselben ein.
Die neuere Zeit sah in ganz Europa geworbene und besoldete, mit Feuergewehren bewaffnete, uniformierte, geübte, dem Landesherrn
zu vertragsmäßigem Dienst verpflichtete Truppen, das als Werkzeug in den Händen dessen, der zahlte. Lange Kriege, namentlich
die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., führten zu festerer Formation und Organisation der Truppen. Während der Kriege Spaniens
mit Holland, Heinrichs IV. mit der Ligue kam die Formation von Kompanien, Eskadrons, Bataillonen und Regimentern
auf.
Die Artillerie wurde vervollkommt und vermehrt, die Reiterei nahm allmählich ihre heutige Gestalt an; bei der Infanterie blieb
die Mischung der Pikeniere mit den Feuerwaffen führenden Musketieren bis hinaus über den Dreißigjährigen Krieg, in welchem
Gustav Adolf von Schweden, gleich ausgezeichnet als Feldherr wie als Organisator, dem Heerwesen wie der Kriegführung
neue Gesetze gab. Die schwedischen Heere, teils aus ausgehobenen Landeskindern, teils durch Werbung gebildet, anfänglich in
strenger Zucht gehalten, verwilderten zwar im Lauf des langjährigen Kriegs; aber das von den Schweden gegebene Beispiel, daß
die Truppen vom Landesherrn selbst geworben waren und diesem als Kriegsherrn ausschließlich zu gehorchen
hatten, fand allmählich in allen Staaten Nachahmung.
In der Not des Kriegs zerbröckelten wie in Frankreich, so in Deutschland die Rechte der Stände gegenüber der absoluten Gewalt
des Herrschers, der über alle Hilfsmittel seines Landes unumschränkt verfügte; die politischen Gegensätze der Staaten nötigten
zum Halten stehender Heere und zu sorgfältiger Vorbereitung der Thätigkeit derselben im Frieden. Das
in dieser Beziehung von Frankreich gegebene Beispiel wurde von denjenigen europäischen Staaten, in welchen das monarchische
Prinzip vorherrschte, sehr schnell nachgeahmt, von England und Holland aber, wo die Volksfreiheit durch das Militärsystem gefährdet
schien, nur langsam und unter beständigem Widerspruch der Volksvertreter.
Anlaß zur Erhöhung der militärischen Tüchtigkeit der Heere gaben die großen Kriege gegen Ludwig XIV.; insbesondere ward
für die neuentstandene preußische Monarchie ein starkes, wohlgeübtes Heer notwendig, und mit beharrlichem Fleiß organisierte
Friedrich Wilhelm I. in dem Zeitraum der Erschöpfung nach jenen Kriegen fast unbemerkt eine Armee von 80,000
Mann, die sein Nachfolger Friedrich II. zuletzt bis auf 200,000 Mann verstärkte, und die ihn in den Stand setzte, den vereinigten
Großmächten Europas die Spitze zu bieten und sein Heer zum Muster für alle andern zu machen. Die Mannschaft wurde teils geworben
(in Preußen auch Ausländer), teils durch
mehr
eine Art Aushebung gewonnen, welche aber nur die untersten Volksklassen traf. Jedem Regiment war ein gewisser Bezirk zugeteilt
(Kantonsystem in Österreich und Preußen), und wo die Werbung nicht die nötige Zahl Mannschaften ergab, mußten die Ortschaften
dafür aufkommen. Die seit Gustav Adolf angebahnten Verbesserungen in der Kriegführung, deren Wissenschaft und
Technik von einer Reihe bedeutender Feldherren weiter entwickelt und von Friedrich II. zur Vollendung gebracht wurde, die großen
Fortschritte in der Ausrüstung und Bewaffnung der Heere, das Zurücktreten jeder andern Wirksamkeit im Staat vor der absoluten
Herrschergewalt führten zur Ausbildung eines Offizierstandes, welcher die Pflege des Kriegswesens sich zur Lebensaufgabe
machte und fortan als Träger des kriegerischen Geistes und der Tüchtigkeit der Heere erscheint; vom Soldaten selbst verlangte
die Kriegführung damals nur eine maschinenartige Thätigkeit in festgefügten Formen und blinden Gehorsam gegen die Befehle
des Vorgesetzten, so daß der Beruf des Soldaten als solcher wenig geachtet war.
Das handwerksmäßige Heerwesen sank aber von seiner Höhe, sobald der belebende Geist und die Anregung
von oben fehlte. Der Krieg an sich war eine schwere Kunst geworden, und wie die geistigen Anforderungen an die Führer, so stieg
auch das Verlangen nach immer größern Truppenmassen, um allen Feinden gewachsen zu sein. In dem Maß
ferner, wie zunehmender Wohlstand, erhöhte Bildung und wachsende Selbstthätigkeit immer größere Kreise des Volkes an den
Interessen des Landes Anteil nehmen ließen, kam auch der uralte Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht wieder zur Geltung und
stellte dem Heerwesen die Kräfte der ganzen Völker zu Gebote.
Der Anstoß dazu kam von Frankreich. Die Revolution von 1789 zerstörte mit dem Königtum auch die Grundlagen
des alten königlichen Heers. Das Gesetz und das Schreckenssystem trieben große Massen in die gelichteten Reihen, tüchtige
Führer und organisatorische Talente, wie Carnot, gaben dem Heer Frankreichs während anhaltender Kriege ein neues festes Gefüge,
und endlich bildete es Napoleons Genie zum Werkzeug seiner Siege um. Durch Niederlagen belehrt und zur Aufstellung
an Zahl starker Heere gezwungen, ließen bald auch die andern Staaten (England ausgenommen) das Werbesystem fallen und setzten
die allgemeine Wehrpflicht an dessen Stelle.
Hierbei ging Preußen insofern über alle Mitstrebenden hinaus, als es jenes Prinzip in seiner Reinheit
zur Durchführung brachte. Denn während das französische Konskriptionssystem, auch in den Zeiten höchsten republikanischen
Aufschwunges, die Stellvertretung oder den Loskauf zugelassen hatte und in dieser Form von den meisten europäischen Staaten
nachgeahmt wurde, erfolgte nur in Preußen die Einführung und Beibehaltung der wirklich allgemeinen Wehrpflicht.
Dies wurde zur Quelle eines militärpolitischen Übergewichts von ungeahnter Kraft. Neue Grundsätze für
Ausbildung und Unterhalt des Soldaten sowie für die Dauer der Dienstpflicht waren natürliche Folgen dieses ersten Schrittes.
Es bedurfte des neuen Anstoßes durch die deutschen Kriege von 1866 und 1870, um die allgemeine Wehrpflicht in allen europäischen
Staaten, nur noch England ausgenommen, zur Wahrheit zu machen. In den meisten Staaten ist die Form der allgemeinen
Wehrpflicht diejenige des nationalen Kadreheers, in der Schweiz die der reinen Miliz, d. h. einer Organisation mit so kurzer
Schulzeit und so wenigen Berufsoffizieren, daß im Frieden, abgesehen von den Übungszeiten,
gar keine Truppen vorhanden sind.
Die heutige Organisation der Heere s. bei den einzelnen Ländern.
Vgl. Jähns, Heeresverfassungen und Völkerleben
(Berl. 1885);
v. d. Goltz, Das Volk in Waffen (das. 1883);
Vogt, Die europäischen Heere der Gegenwart (Rathenow 1886).
1) Oswald, Botaniker und Paläontolog, geb. zu Niederutzwyl im Kanton St. Gallen, studierte seit 1828 in
Halle Theologie, nebenbei bei auch Naturwissenschaft, wurde 1831 als Geistlicher ordiniert, habilitierte sich aber 1834 als Privatdozent
an der Hochschule in Zürich
und erhielt 1836 die Professur der Botanik und Entomologie daselbst. 1832-36 verbrachte er einen großen
Teil des Sommers in den Alpen, um die Höhenverbreitung der Pflanzen und Tiere zu studieren. 1834 beteiligte
er sich bei der Gründung des botanischen Gartens in Zürich,
dessen Direktion ihm übertragen wurde, 1843 gründete er den Verein für
Landwirtschaft und Gartenbau des Kantons Zürich
und präsidierte demselben 18 Jahre.
Gleichzeitig gab er mit Regel die »Schweizerische Zeitschrift für Land- und Gartenbau« heraus und beschäftigte
sich mit der Gründung der landwirtschaftlichen Schule des Kantons Zürich,
deren Aufsichtskommission er während einer Reihe von Jahren vorstand.
Krankheit nötigte ihn 1850, nach Madeira zu gehen, von wo er 1851 über Spanien und Südfrankreich zurückkehrte. Bei Errichtung
des schweizerischen Polytechnikums erhielt er die Professur für spezielle Botanik. Heer war 20 Jahre Mitglied
des Großen Rats des Kantons Zürich
und starb in Lausanne.
Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen seien genannt: »Fauna coleopterorum helvetica« (Zürich
1838-1841, 3 Tle.);
»Der Kanton Glarus"
(mit Blumen-Heer,
St. Gallen 1846);
»Insektenfauna der Tertiärgebilde von Öningen und Radoboj in Kroatien« (Leipz. 1847-53, 3 Bde.);
»Flora tertiaria Helvetiae« (Winterth. 1854-58, 3 Bde. mit 150 Tafeln);
»Das Klima und die Vegetationsverhältnisse des Tertiärlandes« (das. 1860);
»Beiträge zur Insektenfauna Öningens« (Haarlem
1861);
»Die Urwelt der Schweiz« (Zürich
1865, 2. Aufl. 1879);
2) Joachim, schweizer. Staatsmann, geb. zu
Glarus
aus einer reichen und angesehenen Familie, welcher mehrere Landammänner von Glarus
angehörten, studierte in Zürich,
Heidelberg, Berlin und
Paris, trat dann in den öffentlichen Staatsdienst und ward 1857 Landammann von Glarus,
welches Amt er 18 Jahre bekleidete; er erwarb
sich durch kluge, rechtliche Verwaltung große Achtung und Einfluß. 1867 vertrat er die Schweiz sieben
Monate lang als Gesandter beim Norddeutschen Bund in Berlin. Seit 1860 Mitglied des Nationalrats, dessen
mehr
Präsidium er 1863 und 1869 bekleidete, wurde er 1875 von der Bundesversammlung in den Bundesrat gewählt, war 1876 dessen Vizepräsident
und 1877 Bundespräsident. Infolge angegriffener Gesundheit legte er sein Amt nieder und starb 1. März d. J. in Glarus.
Er schrieb
die Biographie seines Landsmanns, des Rechtshistorikers Blumer, sowie verschiedene geschichtliche Abhandlungen
in den »Jahrbüchern des Historischen Vereins des Kanton Glarus".
.
Vgl. G. Heer, Landammann und Bundespräsident J. Heer (Zürich
1884);
Derselbe, Vaterländische
Reden von J. Heer, nebst biographischen Nachträgen (das. 1885).